| Titel: | Ueber Selligue's Leuchtgasbereitung. | 
| Fundstelle: | Band 72, Jahrgang 1839, Nr. XXXV., S. 141 | 
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                        XXXV.
                        Ueber Selligue's Leuchtgasbereitung.
                        Ueber Selligue's Leuchtgasbereitung.
                        
                     
                        
                           Selligue's Apparat zur Bereitung des Leuchtgases (gaz à l'eau)Man vergleiche polyt. Journal Bd. LXVIII,
                                       S. 198 und Bd. LXXI, S.
                                       29. besteht aus drei parallelen senkrechten Cylindern oder Retorten, wovon die
                              erste unten durch eine Roͤhre mit der zweiten und diese oben durch eine
                              Roͤhre mit der dritten verbunden ist. Die beiden ersten Retorten werden mit
                              Holzkohlen gefuͤllt und nachdem dann alle drei zum Kirschrothgluͤhen
                              erhizt worden sind, leitet man in die erste Retorte von Oben Wasserdampf und
                              gleichzeitig in die dritte Oehl (Schieferoͤhl, Fischthran etc.). Von dem
                              unteren Ende der dritten Retorte laͤuft die Roͤhre aus, welche das Gas
                              zuerst in den Kuͤhlapparat und dann in den Gasometer fuhrt.
                           Die Société d'encouragement in Paris hat
                              Hrn. Selligue fuͤr diesen Apparat den von ihr auf
                              Verbesserung der Gasbeleuchtung ausgeschriebenen Preis von 2000 Fr. zuerkannt und
                              zwar auf einen Bericht des Hrn. Payen, worin dieser
                              bekannte Chemiker die Erzeugung des Leuchtgases bei dem neuen Verfahren
                              folgendermaßen erklaͤrt: der Wasserdampf wird in den beiden ersten mit Kohlen
                              gefuͤllten Retorten in Wasserstoffgas und Kohlenoxydgas zersezt, welche
                              vermischt in die dritte Retorte gelangen, worin sich durch Zersezung der
                              oͤhligen Substanz Kohlenwasserstoffgas gebildet und Kohle ausgeschieden hat;
                              leztere wird durch das Wasserstoffgas aufgeloͤst und liefert somit ebenfalls
                              Kohlenwasserstoffgas. „Einige Analysen, die mir noch zu machen
                                 uͤbrig sind, sagt Payen, duͤrften
                                 wahrscheinlich diese Theorie bestaͤtigen.“
                              
                           Es ist nicht schwer zu zeigen, daß Payen's Theorie durch
                              die Analyse des neuen Leuchtgases unmoͤglich bestaͤtigt werden kann.
                              Ein Kilogramm Schieferoͤhl liefert nach Payen bei
                              dem neuen Verfahren 65 Kubikfuß eines Gases, dessen Leuchtkraft doppelt so groß ist,
                              als jene des auf gewoͤhnliche Weise durch Zersezung von Oehl bereiteten
                              Gases; bedenkt man nun, daß ein Kilogramm reiner
                                 Kohlenstoff, wenn er sich mit der erforderlichen Menge Wasserstoff zu
                              oͤhlbildendem Gas vereinigt, nur 913 6/10 Liter = 26 6/10 Kubikfuß Gas (von
                              0° und 0,76 Met. Druk) liefern kann, so ist es ganz unbegreiflich, wie das
                              aus den Bestandtheilen eines Kilogramms Schieferoͤhl erzeugbare
                              Kohlenwasserstoffgas, wenn es vollends mit Kohlenoxydgas und reinem Wasserstoffgas
                              auf 65 Kubikfuß verduͤnnt wird, die doppelte Leuchtkraft des
                              gewoͤhnlichen Oehlgases haben kann!
                           
                           Grouvelle bestaͤtigt in einer Abhandlung, welche
                              er der Akademie der Wissenschaften in Paris vorlas, die Angabe von Payen und sagt, daß man sogar einmal bei Versuchen im
                              Großen mit 1 Kilogr. Schieferoͤhl 110 Kubikfuß Gas erzeugte.
                           Nach Grouvelle erhielt man ferner mit 1 Kilogr. Fischthran
                              bis 222 Kubikfuß Leuchtgas. Der nach Bérard's
                              Analyse in 1 Kilogr. Fischthran enthaltene Kohlenstoff und Wasserstoff
                              koͤnnte hoͤchstens 20 Kubikfuß oͤhlbildendes Gas liefern, so
                              daß man also eine mehr als zehnmal groͤßere Quantitaͤt Gas darstellte!
                              Grouvelle sagt, die Leuchtkraft des nach Selligue's Verfahren erzeugten Gases sey um so
                              groͤßer, je geringer seine Dichtigkeit ist; und doch bemerkt er im
                              Widerspruch hiemit, daß 6 1/2 Kubikfuß von dem mit Fischthran erhaltenen Gase das
                              Licht von zehn Kerzen geben, wozu von gewoͤhnlichem Leuchtgas nur 2 1/2
                              Kubikfuß noͤthig seyen.
                           Man muß sich allerdings verwundern, daß Angaben, welche unter sich und mit den bis
                              jezt bekannten Thatsachen und Erfahrungen so sehr in Widerspruch stehen, wie
                              diejenigen von Payen und Grouvelle, der Société
                                 d'encouragement und der Akademie der Wissenschaften in Paris vorgelegt
                              werden konnten, ohne daß ein einziger der ausgezeichneten Chemiker, welche diese
                              beiden Gesellschaften unter ihren Mitgliedern zaͤhlen, dadurch veranlaßt
                              wurde, Selligue's Leuchtgas einer Analyse zu unterziehen.
                              Daß sich Payen und Grouvelle
                              so sehr getaͤuscht haben sollten, als es wirklich den Anschein hat, ist gewiß
                              nicht anzunehmen, und es fragt sich daher, wie sich ihre Angaben und die sehr
                              abweichenden Resultate, welche man bei der Fabrication des Leuchtgases nach Selligue's Methode im Verlauf mehrerer Monate zu Paris,
                              Dijon und Antwerpen erhielt, erklaͤren lassen.
                           Ohne Zweifel erhaͤlt man bei Selligue's
                              Leuchtgasbereitung in den einzelnen Stadien der Operation sehr verschiedenartige
                              Gemische von Gasarten. Der Wasserdampf, welcher zuerst die beiden mit
                              gluͤhenden Kohlen gefuͤllten Cylinder durchstreicht, muß sich
                              vollstaͤndig in Wasserstoffgas und Kohlenoxydgas zersezen; bald
                              duͤrfte sich diesen aber auch Kohlensaͤure beigesellen, und, da die
                              Kohle ein schlechter Waͤrmeleiter ist, nach nicht langer Zeit eine bedeutende
                              Quantitaͤt Wasserdampf unzersezt in den dritten Cylinder gelangen, wo
                              derselbe mit Kohlenwasserstoffgas im Moment von dessen Entstehung zusammentrifft, so
                              daß er sich damit zu einem Hydrat verbinden kann, welches eine permanente Gasart
                              bildet. Dieß wird wenigstens durch einige Beobachtungen sehr wahrscheinlich, welche
                              R. Hare in Silliman's american
                                 Journal of science, Januar 1839, S. 329 mitgetheilt hat.
                           
                           
                              „Durch eine große Anzahl von Versuchen, sagt Hare, uͤberzeugte ich mich, daß wenn waͤhrend der
                                 Explosion der gasfoͤrmigen Bestandtheile des Wassers (mittelst des
                                 elektrischen Funkens im Eudiometer) irgend eine gasfoͤrmige oder
                                 fluͤchtige entzuͤndbare Substanz vorhanden ist, keine Verdichtung
                                 (von Wasser) erfolgt, sondern im Gegentheil durch die Vereinigung des sich
                                 bildenden Wassers mit der entzuͤndbaren Substanz ein permanentes Gas
                                 gebildet wird. So geben z.B. zwei Volume Sauerstoffgas mit vier Volumen
                                 Wasserstoffgas und einem Volum oͤhlbildendem Gas, sechs Volume eines
                                 permanenten Gases, welches wie leichtes Kohlenwasserstoffgas brennt und
                                 riecht.“
                              
                           
                              „Ein aͤhnliches Product erhaͤlt man, wenn die
                                 gasfoͤrmigen Bestandtheile des Wassers bei Gegenwart eines wesentlichen
                                 Oehls im Eudiometer mittelst des elektrischen Funkens entzuͤndet werden.
                                 Mit Terpenthinoͤhl erhielt ich ein Gas, wovon 100 Kubikzoll 16 1/2 Gran
                                 wogen, so daß es also ziemlich das spec. Gewicht des leichten
                                 Kohlenwasserstoffgases hat. – Von dem Gas, welches ich mit
                                 oͤhlbildendem Kohlenwasserstoff oder Aether erhielt, wogen 100 Kubikzoll
                                 im Mittel 13 1/2 Gran; 100 Kubikzoll des hiebei angewandten
                                 Doppelt-Kohlenwasserstoffgases wogen 30 1/2 Gran. Waͤre es also
                                 fuͤr sich allein auf sechs Volume ausgedehnt worden, so haͤtte
                                 sein Gewicht nur ein Sechstel davon betragen haben koͤnnen, oder wenig
                                 uͤber 5 Gran auf 100 Kubikzoll. Es kann folglich kein Zweifel seyn, daß
                                 das neugebildete Gas hauptsaͤchlich aus Wasser
                                    besteht oder doch dessen Elemente in demselben Verhaͤltniß
                                 enthaͤlt. Das nach irgend einer der angefuͤhrten Methoden
                                 erhaltene Gas enthaͤlt keine
                                    Kohlensaͤure, und wenn man es aus oͤhlbildendem Gas
                                 erzeugt, liefert es bei der Analyse eben soviel Kohlenstoff und Wasserstoff, als
                                 lezteres Gas vor seiner Ausdehnung enthielt.“
                              
                           In allen denjenigen Faͤllen, wo man nach Selligue's
                              Verfahren mit der oͤhligen Substanz eine verhaͤltnißmaͤßig sehr
                              große Quantitaͤt Gas erhaͤlt, duͤrfte sich also eine von dem
                              gewoͤhnlichem Leuchtgas ganz verschiedene Luftart in nicht unbedeutender
                              Menge erzeugen, und so lange man die Zusammensezung und Eigenschaften der
                              gasfoͤrmigen Verbindungen, welche der Kohlenwasserstoff mit den Elementen des
                              Wassers eingeht, nicht genau kennt, ist es unmoͤglich, die Operation mit
                              Sicherheit zu leiten oder den Apparat seinem Zwek vollkommen entsprechend
                              einzurichten.
                           Emil Dingler.