| Titel: | Ueber die chemische Zusammensezung und die Eigenschaften des Geschüzmetalles. Von R. F. Marchand. | 
| Fundstelle: | Band 74, Jahrgang 1839, Nr. XXIX., S. 136 | 
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                        XXIX.
                        Ueber die chemische Zusammensezung und die
                           Eigenschaften des Geschuͤzmetalles. Von R. F. Marchand.
                        Aus Erdmann's u. Marchand's
                              Journal fuͤr prakt.
                                 Chemie, Bd. XVIII. S. 1.
                        Marchand, uͤber die chemische Zusammensezung und
                           Eigenschaften des Geschuͤzmetalles.
                        
                     
                        
                           I. Ueber den Werth der chemischen
                                 Analyse des Geschüzmetalles.
                           Die große Wichtigkeit, welche der Besiz eines allen Anforderungen vollkommen
                              entsprechenden Kanonenmetalls hat, ist so einleuchtend, daß man zu allen Zeiten, in
                              denen man einen ausgedehnten Gebrauch von dem Geschüze machte, viele Aufmerksamkeit
                              darauf verwendet hat, sich ein solches zu verschaffen. Alle kriegführenden Mächte
                              haben enorme Summen geopfert, um Erfahrungen zu sammeln, welches Metall dem andern
                              vorzuziehen sey, ob das Eisen, oder die Bronze, von welcher Composition die leztere
                              seyn müsse, und welche Verfahrungsweisen bei dem Gusse aus beiden Metallen
                              anzuwenden seyen. Gelehrte Chemiker, Hüttenmänner von Fach, praktisch und
                              theoretisch gebildete Artilleristen haben unzählige Versuche angestellt, um ein
                              Geheimniß zu lösen, dessen Aufdekung für die Wissenschaft, wie für die Anwendung von
                              so hohem Interesse seyn mußte. Indessen ist es nicht zu läugnen, daß alle diese
                              Kräfte, wenn auch nicht vergeblich verschwendet, doch bis jezt nur noch mit wenig
                              Erfolg angewendet worden sind. Wir können es uns nicht verhehlen, daß wir fast eben
                              so sehr noch in der Kindheit mit unserer Wissenschaft des Geschüzgusses sind, wie
                              wir es vor Hunderten von Jahren waren.
                           Es ist zwar wahr, daß wir gewöhnlich, wenn man unsere Leistungen mit denen unserer
                              Vorfahren vergleicht, zu hart beurtheilt werden; so geht es uns z.B. bei der
                              Beurtheilung unserer Bauwerke, welchen der Vorwurf gemacht wird, minder haltbar zu
                              seyn, als es die der Alten waren, was zum Theil an schlechterem Mörtel liegen soll,
                              während doch ein jeder Chemiker weiß, daß ein guter Mörtel gerade im Anfange nicht
                              sehr fest hält, während er durch ein höheres Alter immer besser und endlich mit dem
                              Bausteine gleichsam Eines wird. Wenn man unsere jezigen Gebäude nach hundert und
                              mehr Jahren zerstören wollte, würde man dieselben Schwierigkeiten finden, welche
                              sich uns bei der Zerstörung alter Bauwerke täglich entgegenstellen.
                           So ist es auch, wenigstens zum Theil, bei der Vergleichung unserer heutigen Geschüze
                              mit den alten. Wenn diese lange Zeit gebraucht werden konnten, ohne schadhaft zu
                              werden, und viel länger als die heutigen, so liegt der Grund gewiß sehr häufig
                              darin, daß viel weniger
                              daraus geschossen, viel schwächeres und oft weniger Pulver angewendet wurde.
                           Das langsame Feuern, welches oft so verzögert wurde, daß in einer Stunde nicht mehr
                              als 3–4 Schüsse geschahen, konnte, bei sonst gutem Geschüze, diesem wenig
                              Nachtheil bringen; die dem Metalle so schädliche Temperaturerhöhung wurde mit
                              Sorgfalt vermieden, und das Rohr hatte, so zu sagen, immer genug Zeit, sich wieder
                              erholen zu können. Sowohl in dem Kriege als namentlich bei den Uebungen der heutigen
                              Artillerie, Schießübungen, Manöuvres, Probeschießen etc. wird wohl selten ein so
                              langsames Feuern vorkommen.
                           Ich habe Gelegenheit gehabt, Versuchen beizuwohnen, welche angestellt wurden, um die
                              Haltbarkeit der Laffetten zu prüfen, und wo ein 6Pfünder, eine Haubize und ein
                              12Pfünder beschossen wurden, und zwar mit einer solchen Schnelligkeit, daß 70 Schuß
                              in einer Stunde aus jedem Geschüze geschahen. hiebei war die Temperatur des
                              6Pfünders z.B. in der ersten Stunde schon bis auf 78°R., beim 120sten Schusse
                              auf 83° R. gestiegen. Das Rohr hatte dabei Risse bekommen, und der
                              Pulverschleim drang aus der Seele durch das Metall bis auf die Oberfläche durch.
                              Wenn gleich dieses Rohr ohne Zweifel an und für sich von schlechter Beschaffenheit
                              war, so ist es doch die Frage, ob z.B. ein eben so dünnes von den so gerühmten
                              altspanischen Kanonen diese Probe ausgehalten haben würde. Zu bezweifeln ist es
                              wenigstens nicht, daß sie niemals einer solchen enormen Prüfung sind unterworfen
                              worden.
                           Schon die hohe Temperatur, welche das Rohr durch die rasch auf einander folgenden
                              Schüsse erhielt, mußte sehr nachtheilig auf dasselbe einwirken; die bekannte
                              Erfahrung, daß man, wenn ein Rohr zerbrochen werden soll, dieses heiß macht, ist
                              hiefür ein hinreichender Beleg. In einer zweiten Abhandlung: „Ueber die chemischen und physikalischen Eigenschaften
                                    einiger Kupferlegirungen“ werde ich von dieser Erscheinung
                              weitläufiger Rechenschaft geben, da ein weiteres Eingehen auf diese Sache uns hier
                              zu sehr von dem Gegenstande vorliegender Denkschrift abziehen würde.
                           Aus allen Erfahrungen, welche in der Kriegsgeschichte, in älteren und neueren
                              Lehrbüchern der Artillerie niedergelegt sind, geht hervor, daß zu allen Zeiten aus
                              dem verschiedensten Materiale, von den verschiedensten Künstlern gute und schlechte
                              Geschüze gegossen worden sind. Wer aber die Umstände vergleicht, welchen die
                              Geschüze der heutigen Zeit und der früheren Perioden unterworfen worden, der wird
                              leicht ein für unsere Geschüze günstiges Resultat erlangen. Es ist hier nicht der
                              Ort, diese Erfahrung festzustellen, und die Richtigkeit derselben hat auf den Inhalt
                              unserer Abhandlung zu wenig Einfluß, als daß es nöthig erschiene, dabei länger
                              verweilen zu wollen.
                           Zu gleicher Zeit steht indessen auch fest, daß wir noch nicht im Besize der Mittel
                              sind, um uns willkürlich ein gutes Kanonenmetall, sey es Eisen oder Bronze, und
                              daraus ein gutes Geschüz anzufertigen.
                           Seit die Chemie auf einer höheren Stufe der Wissenschaftlichkeit steht, seitdem
                              namentlich die chemische Analyse zu einer bewunderungswürdigen Genauigkeit gelangt
                              ist, hat man oft bei ihr Hülfe gesucht, um sich aus einer Verlegenheit zu retten,
                              welche alle anderen Wissenschaften nicht zu entfernen vermochten. Leider kann man
                              nicht sagen, daß sie den Erwartungen entsprochen hätte, mit denen man sich zu ihr
                              gewendet hatte. Ob man der Chemie daraus einen Vorwurf machen darf, ob man in Zukunft sich mehr von ihr versprechen darf sind
                              namentlich die Fragen, mit deren Beantwortung wir uns hier vornehmlich beschäftigen
                              wollen.
                           Die chemische Analyse hat zwei Fragen bei der Untersuchung der Körper zu
                              unterscheiden, und zwar, welche Stoffe sind in denselben
                              vorhanden und in welcher Menge sind sie darin vorhanden
                              die qualitative und die quantitative Analyse.
                           Die qualitative Analyse ist, sobald sie sich auf wenige, immer wiederkehrende Stoffe
                              bezieht, eine sehr leicht zu erlernende und auszuführende Arbeit; und es gehört sehr
                              wenig dazu, sich darin die gehörige Geschiklichkeit zu erwerben, weßhalb alle
                              Personen, welche Gelegenheit haben, davon Gebrauch zu machen, sich billig dieselbe
                              anzueignen suchen sollten. Dabei ist dieselbe von der höchsten Wichtigkeit, so daß
                              die geringe Mühe, die man auf ihre Erlernung zu verwenden hat, sehr bald sich
                              belohnt machen wird. Wir können z.B. durch dieselbe mit der größten Leichtigkeit,
                              mit der größten Sicherheit Spuren von fremden Metallen in dem Kupfer, Zinn, Zink
                              u.s.w. entdeken. Die Gegenwart des Bleies in dem Kupfer macht das leztere zu dem
                              artilleristischen Gebrauch fast völlig untauglich; wir finden diese Verunreinigung
                              sehr leicht, indem wir das Metall in Salpetersäure auflösen, Schwefelsäure
                              hinzusezen, die Masse zur Trokne abdampfen und den Rükstand in Wasser lösen. Das
                              unlösliche schwefelsaure Bleioxyd bleibt als weißes Pulver zurük, während sich das
                              schwefelsaure Kupferoxyd auflöst. So kann man sehr leicht entdeken, ob Gold, Silber,
                              Kohle, Kupferoxydul u.s.w. darin enthalten sind. Alle diese Substanzen können in dem
                              käuflichen Kupfer vorkommen, und kommen wirklich darin vor. Es wäre sogar unmöglich,
                              im Großen ein Kupfer anzufertigen, welches vollkommen rein seyn sollte. Wir sind
                              kaum in den chemischen Laboratorien im Stande uns dieses zu verschaffen, und es
                              würde mit enormen Kosten verknüpft seyn, es in bedeutenden Quantitäten darzustellen. Die Reinheit des
                              Metalls ist von so sehr vielen Einflüssen abhängig, daß man nicht einmal von
                              derselben Hütte immer ein gleiches Metall erhalten kann. Geringe Beimengungen
                              anderer Erze als der gewöhnlich verarbeiteten, andere Kohlen, als man meist
                              anzuwenden pflegt, ein etwas veränderter Gang des Ofens – alle diese Umstände
                              bringen schon eine Verschiedenheit des Metalls hervor. Es gibt zwar Kupfersorten,
                              welche immer, wenigstens hinsichtlich eines oder des anderen Bestandtheiles,
                              dieselbe vollkommene Reinheit zeigen, z.B. das Amalgamationskupfer, welches völlig
                              bleifrei ist; so die brasilianischen Kupfermünzen, welche fast völlig silberfrei
                              sind (ich habe Münzen von zwei sehr verschiedenen Prägejahren untersucht und in
                              beiden dieselbe ungemein geringe Menge Silber gefunden), aber theils sind diese
                              Metallsorten selten und daher sehr theuer, theils sind manche Bestandtheile durchaus
                              nicht schädlich, wie eben das Silber; so daß es eine ganz falsche Maßregel seyn
                              würde, mit bedeutenden Kosten ein Kupfer anzukaufen, weil es immer denselben höchst
                              geringen Silbergehalt zeigt. Ein solches constantes Verhältniß indessen ist selten,
                              und wir finden uns oft getäuscht, wenn wir einer einstmals angestellten Untersuchung
                              zufolge eine bestimmte Kupfersorte für gut halten und sie im Vertrauen darauf kaufen
                              und verarbeiten. So steht z.B. das sogenannte japanische
                                 Kupfer in dem Rufe hoher Reinheit, eben so das russische Kopekenkupfer, und beide mit völligem Rechte. Das leztere,
                              welches sehr vielfältig verbraucht wird zu Arbeiten, die ein reines, namentlich
                              eisenfreies Kupfer erfodern, wird gewiß selten den Erwartungen nicht entsprechen,
                              und die Materialien, die Fabrication, aus denen es hervorgeht, bürgen dafür; aber es
                              könnte sehr leicht möglich seyn, daß eine Hütte, welche z.B. meist Malachit und
                              ähnliche Erze verarbeitet, zufällig auch ein unreines Mineral mit benuzt, so daß das
                              Kupfer das einemal nicht so rein ausfällt wie gewöhnlich. Es ist nicht zu läugnen,
                              daß das Kopekenkupfer zuweilen Beimengungen zeigt, die sich meist darin nicht
                              finden.
                           Es ist schon bemerkt, daß ein so complicirter Proceß, wie der des Hüttenbetriebes,
                              namentlich bei manchen Metallen, es ganz unmöglich macht, völlig reines Metall zu erhalten, und man muß sehr froh seyn, wenn man ein
                              von gewissen Verunreinigungen völlig freies Product
                              bekommt. Man darf daher niemals so weit gehen, ein Metall zur Anwendung verwerfen zu
                              wollen, welches fremde Bestandtheile enthält, und niemals ein solches Metall
                              verlangen, weil diese Bedingung unmöglich erfüllt werden kann. Das Arsenik ertheilt
                              den meisten Metallen Eigenschaften, welche ihm nicht mit Unrecht den Namen
                              „Feind der Metalle“ zugezogen haben. Es ist daher sehr
                              natürlich, daß man die Beimischung dieses Metalls so viel als möglich zu vermeiden
                              sucht. Zinn und Zink sind gleichsam von Arsenik verfolgt, und es erfordert
                              außerordentliche Anstrengungen, sie davon zu befreien. Im Großen sind diese
                              Operationen durchaus nicht auszuführen, daher es eine unausführbare Vorschrift seyn
                              würde, nur vollkommen arsenikfreies Metall verarbeiten zu dürfen.
                           In dergleichen Fällen reicht nun die qualitative Analyse kaum aus, wenn sie nicht von
                              Vorne herein nachweist, daß von den fremden, schädlichen Metallen nur Spuren
                              vorhanden sind. Es wird oft nöthig seyn, daß die quantitative Analyse ihr zu Hülfe
                              eilt, um zu erweisen, ob dieselben die Gränzen der geduldeten Menge
                              überschreiten.
                           Ein zweiter Umstand, den man bei der qualitativen Analyse und den daraus gezogenen
                              Schlüssen zu berüksichtigen hat, ist der, daß manche fremde Beimengungen das Metall
                              zu dem Kanonengusse nicht nur nicht untauglich machen, sondern es vielmehr
                              verbessern.
                           Wir wissen, daß man seit alten Zeiten der Bronze, welche eigentlich nur aus Kupfer
                              und Zinn bestehen soll, andere Metalle hinzugesezt hat, Antimon, Eisen, Zink u.s.w.,
                              ohne dem Geschüze dadurch von seiner Güte zu rauben; im Gegentheil sind dergleichen
                              fremde Beimengungen oft sehr vortheilhaft befunden worden.
                           Aber auch hierüber stehen unsere Erfahrungen nicht fest. Während einmal der Zusaz von
                              Eisen z.B. von effectivem Nuzen zu seyn schien, ist er ein andermal augenscheinlich
                              die Ursache einer geringen Haltbarkeit der Geschüze gewesen; und dasselbe fand bei
                              anderen Metallen Statt. In jedem Falle folgt daraus, daß man nicht unbedingt ein
                              Metall gewisser fremder Beimengungen wegen verwerfen müsse.
                           Mit derselben Gewißheit folgt indessen auch daraus, daß es nochwendig ist, die qualitative Analyse in jedem einzelnen Falle der Anwendung
                                 auszuführen, da sehr leicht ein Metall, auch von derselben Quelle her
                              bezogen, einmal sehr gut und ein andermal viel weniger gut seyn kann. Es gibt zwar
                              einfachere Mittel, die sicher und schneller ausgeführt werden können, um zu
                              beurtheilen, ob ein Metall rein, ob es unrein sey. So z.B. ist die Prüfung der
                              Ductibilität des Kupfers ein sehr gutes Mittel, sich schnell von der Reinheit
                              desselben zu überzeugen. Nur sehr reines Kupfer läßt sich
                              mittelst des Hammers in sehr dünne Blätter ausschlagen, ohne in der Mitte und an den
                              Rändern zu reißen, und es würde ziemlich leicht seyn, die Gränzen darüber
                              festzustellen; eben so sind bei dem Zinn das stärkere oder schwächere sogenannte Schreien beim Biegen, so auch das Ansehen des Bruchs,
                              endlich das spec. Gew.,
                              der Schmelzpunkt u.s.w. Kennzeichen, aus denen man auf seine größere oder geringere
                              Reinheit zu schließen vermag; indessen bleiben diese Schlüsse doch immer innerhalb
                              sehr weiter Gränzen und können auf keine Weise die qualitative Analyse bei einem
                              Verfahren ersezen, wo ein gewisser Grad von Genauigkeit erfordert wird.
                           Der Geschüzguß ist so äußerst kostspielig, und wird es namentlich für Mächte, welche
                              eine bedeutende Anzahl von Kanonen zu besizen genöthigt sind, dadurch, wenn viele
                              derselben mißlingen; das Beschießen derselben ist zugleich bei fehlerhaftem Gusse
                              eine so gefahrvolle Beschäftigung und hat zu so vielen Unfällen Anlaß gegeben, daß
                              man kein Mittel versäumen darf, diese Gefahren und die Kosten zu vermindern. Die
                              qualitative Analyse ist ein Mittel dazu, und sie darf um so weniger unterlassen
                              werden, da sie, wie gesagt, so leicht auszuführen ist.
                           Ein anderes Verhältniß findet bei der quantitativen Analyse Statt. Diese bietet aus
                              mehreren Rüksichten viel bedeutendere Schwierigkeiten dar. Sie soll das relative
                              Verhältniß der in dem Geschüzmetalle vorhandenen Metalle bestimmen, soll dieß mit
                              der größten Genauigkeit, und zwar, um daraus einen Schluß auf die Güte und
                              Brauchbarkeit des Metalls zu ziehen.
                           Der erste schwierige Punkt, welcher sich für die Praxis uns dabei entgegenstellt, ist
                              die Frage: welches ist das beste Verhältniß, in dem man Kupfer und Zinn mit einander
                              zu Kanonengut legiren soll? Diese Frage ist natürlicher Weise sehr häufig
                              aufgeworfen, aber auch eben so oft anders beantwortet worden.
                           Betrachten wir die Vorschriften, welche in den verschiedenen Artillerien darüber
                              gegeben sind, so finden wir die merkwürdigsten Differenzen, und alle diese
                              Vorschriften gründen sich auf vieljährige Erfahrungen. Diese äußerst verschiedenen
                              Angaben über das beste Verhältniß finden sich, so lange man überhaupt Geschüze goß.
                              Um nicht in ein zu weitläufiges Detail einzugehen, genüge es, zwei Verhältnisse
                              anzuführen, welche man gewiß als die äußersten Gränzen ansehen darf; es ist dieß die
                              Vorschrift, nach welcher Luther in Sachsen um 1789 goß,
                              und welche 5 Proc. Zinn angab, und eine andere, nach welcher in Turin gegossen
                              wurde, und die 20 Proc. betrug.
                           Zwischen diesen beiden Extremen gibt es keine Zahl, welche nicht wenigstens einige
                              Male versucht worden wäre.
                           Man sollte glauben, diese unzähligen Erfahrungen, welche sich im Grunde genommen bei
                              dem Gusse eines jeden einzelnen Geschüzes wiederholen mußten, hätten zu einem
                              sichern Resultate geführt, von dem man nicht abzugehen genöthigt wäre; indessen ist
                              bekannt, wie wenig dieß der Fall ist.
                           
                           Wir finden es unzählige Male, daß Geschüze von derselben Zusammensezung, demselben
                              Kaliber, unter gleichen Bedingungen beschossen, einmal vortrefflich hielten, einmal
                              sehr schlecht sich zeigten. So bei den bekannten Versuchen zwischen Berenger's und Poitevin's
                              Geschüzen, wo die 4pfündigen Geschüze Fougueuse, Follette
                              und L'habile, jedes 11 Theile Zinn auf 100 Th. Kupfer
                              haltend, sehr verschieden waren. Während das erstere 3000 Schüsse ertrug, hielt das
                              zweite 2500, und das dritte 569 Schüsse aus. Die 16pfündige Médée, welche, wie die 16pfündige Sirène, 7,6 Theile Zinn auf 100 Th. Kupfer enthielt, ertrug nur 50
                              Schüsse, während diese 468 aushielt. Die Pallas und die
                              Bellone, von demselben Kaliber, bestanden aus 100
                              Kupfer und 8,3 Zinn; jene hielt 825, diese 3350 Schüsse.
                           Diese Beispiele würden sich außerordentlich vermehren lassen, und schon die erwähnte
                              Versuchsreihe zwischen den Poitevin'schen und Berenger'schen Geschüzen liefert deren genug.
                           Wir finden, daß die meisten Staaten für ihre Artillerie verschiedene Vorschriften
                              gegeben haben. Es sind nach diesen Geschüze gegossen worden, welche sehr gut und
                              sehr schlecht gehalten haben. Es ist sogar geschehen, daß dergleichen Geschüze,
                              nicht wie die bronzenen es Pflegen, nur aufgerissen sind, sondern sie sind selbst
                              gesprungen und haben die bedienende Mannschaft theils getödtet, theils verwundet.
                              Diese Vorfälle kommen in allen Artillerien vor, sind zu allen Zeiten vorgekommen, so
                              daß man in Verlegenheit seyn würde, sollte man mit Sicherheit ein bestimmtes
                              Verhältniß als bestes angeben.
                           Wenn man einige Wichtigkeit auf die chemische Zusammensezung des Geschüzes legt, und
                              wenn man glaubt, daß es wesentlich darauf ankomme, daß die gegebene Vorschrift
                              erfüllt werde, so muß man sich zuvor von den außerordentlichen Schwierigkeiten
                              überzeugen, welche die Ausführung dieser Vorschrift mit sich bringt. Wird eine
                              Vorschrift gegeben, welche sich auf das relative Verhältniß zwischen Kupfer und Zinn
                              bezieht, so kann diese zuerst nur angewendet werden, wenn das Geschüz aus neuem
                              Metalle gegossen werden soll. Es ist dann nichts leichter, wie es scheint, als 100
                              Th. Kupfer mit 10, 11, 12 Th. Zinn u.s.w. zusammenzuschmelzen, so daß auch die
                              Composition dieses Verhältniß besize. Bekanntlich wird heut zu Tage selten nur
                              Geschüz aus neuem Metall gegossen; es ist 1) so viel altes Geschüz vorhanden,
                              welches umgegossen werden muß, daß daraus fast der ganze Bedarf bestritten werden
                              kann, und 2) ist es eine fast allgemein verbreitete Meinung, daß umgegossenes
                              Geschüz viel besser sey als neugegossenes. Dieses lezte mag sich in sehr vielen
                              Fällen bestätigt haben, ist aber durchaus nicht unbedingt anzunehmen, um so weniger, da wir Fälle
                              kennen, in denen Geschüze, welche aus ganz vortrefflichen Röhren gegossen waren,
                              unvergleichlich schlechter als diese ausfielen. Wir wollen diesen Fall vorläufig bei
                              Seite sezen und, der Einfachheit wegen, zuerst von der Composition aus neuem Metall
                              reden. Schmilzt man eine Legirung von Kupfer und Zinn bei dem Zutritte der Luft
                              zusammen, so wird eine gewisse Menge beider Metalle theils oxydirt, theils
                              verflüchtigt. Der Verlust, welcher daraus entsteht, der sogenannte Abbrand, muß
                              daher nothwendig in Anschlag gebracht werden. Wenn der Abbrand sich auf beide
                              Metalle so vertheilte, daß der Verlust an jedem Metall in demselben Verhältnisse
                              stünde, in welchem sie angewendet waren, so würde derselbe begreiflicher Weise von
                              gar keiner weiteren Bedeutung seyn. Dieß ist aber bekanntlich nicht der Fall,
                              sondern der Abbrand ist ein ziemlich unsicherer Verlust. Es wird auch nicht möglich
                              seyn, auf irgend eine Weise denselben sestzusezen, da zu verschiedenartige Umstände
                              von bedeutendem Einflusse darauf sind. Die Beschaffenheit und Reinheit des Zinns ist
                              ohne Zweifel der erste Punkt, der beachtet werden muß. Es hängt davon die
                              Oxydationsfähigkeit, und eben so sehr die Flüchtigkeit desselben ab; bei dem Kupfer
                              walten ähnliche Umstände ob. So ist der größere oder geringere Luftzutritt, das
                              häufigere oder weniger häufige Umrühren, wobei das gebildete Oxyd nun wieder
                              theilweise reducirt wird, während dabei zugleich leicht die Luft wieder zutreten
                              kann; eben so sehr ist die geringere oder längere Dauer der Schmelzung von großem
                              Gewicht. Große Metallmassen werden natürlich eine längere Schmelzung erfordern, als
                              geringere; eine Zeit läßt sich unmöglich dabei festsezen, und nicht einmal eine
                              relative, für die wechselnden Metallmassen wechselnde. Dieselbe Unsicherheit gewährt
                              der Temperaturgrad, welcher zur Schmelzung angewendet wird, und welcher sich auf
                              keine Weise fixiren, ja nicht einmal mit einiger Genauigkeit messen läßt. Da alle
                              diese Einflüsse schwanken, da sich keiner derselben mit einiger Sicherheit reguliren
                              läßt, so sind wir schon in Beziehung auf den Abbrand in einer ziemlichen
                              Ungewißheit, und, bis auf einen gewissen Punkt, immer dem Zufalle überlassen. Dieß
                              können wir auch aus einer sehr einfachen Erfahrung abnehmen, indem die Mengen,
                              welche dem Gießer dafür Vergütigt wurden, immer sehr schwankend waren. Von 10 Proc.
                              bis zu 2 1/2 Proc. wechselt die Vergütigung und ist, wie gesagt, durchaus nicht
                              festzustellen. 4 Proc., welche nach französischen sehr genauen Versuchen angenommen
                              wurden, sind in einigen Fällen eben so falsch, wie sie in anderen vielleicht
                              zutreffen. Wollen wir noch anführen, daß der Herd das Metall in anderem Verhältnisse
                              einsaugt, als es in der Mischung angewendet ist, daß dieses Einsaugen nach der Steinsorte, der
                              Temperatur wechselt, so sieht man die Ungewißheit, welche durch den Metallverlust im
                              Ofen selbst herbeigeführt wird, noch steigen.
                           Man ist also in dem Augenblike, wo das Metall sich im Ofen im geschmolzenen Zustande
                              befindet, nicht mehr sicher, daß es die angewandte Zusammensezung besizt; im
                              Gegentheile kann man mit Recht behaupten, daß dieß durchaus nicht mehr der Fall ist.
                              Die Erfahrung hat gezeigt, daß, wenn man 10 Theile Zinn auf 100 Th. Kupfer angewandt
                              hat, das Geschüz doch nur noch 8,5–9,5 Th. Zinn enthält. Es würde dieser
                              Verlust nichts zu bedeuten haben, wenn man ihn von Vorne herein berechnen könnte;
                              aber der Uebelstand liegt darin, daß dieß durchaus nicht möglich ist.
                           Nur selten wird, wie gesagt, neues Metall verarbeitet; man begnügt sich damit, altes
                              Geschüz umzugießen, während man den Abbrand durch Metallzusaz zu compensiren sucht.
                              Daß hiebei dieselben Erscheinungen sich zeigen, braucht nicht angeführt zu werden.
                              Es tritt aber noch eine neue Schwierigkeit ein. Wendet man Kupfer und Zinn an, so
                              kann man wenigstens bei Einbringung der Metalle in den Ofen bestimmen, in welchem
                              Verhältnisse man dieselben anwendet. Dieß ist unmöglich, wendet man altes Geschüz
                              an. Man kennt von keinem Geschüz mit Genauigkeit die chemische Zusammensezung, wie
                              sogleich gezeigt werden soll, und dieß würde natürlich unumgänglich nöthig seyn,
                              wollte man die nöthige Menge des hinzuzusezenden Metalles genau beurtheilen. Die
                              Analyse gewährt nun zwar eine annähernde Genauigkeit, aber durchaus keine so
                              vollkommene, daß man darauf eine Vorschrift gründen könnte. Denn so einfach die
                              Regel z.B. zu seyn scheint, daß, wenn die Analyse 8 Th. Zinn auf 100 Th. Kupfer
                              ergeben hat, 2 Th. Zinn hinzugesezt werden sollen, um 10 Th. Zinn auf 100 Th. Kupfer
                              zu haben, so sehr würde man einen Fehler begehen und gewiß nicht das verlangte.
                              Verhältniß erhalten.
                           Eben so einfach, aber auch eben so unsicher sind sämmtliche Maßregeln, welche man
                              ergriffen hat, um diesem Uebelstande auszuweichen und sich von der Zusammensezung
                              des Metalls im Ofen selbst zu überzeugen. Das erste, zu dem man seine Zuflucht
                              nehmen könnte, wäre die Analyse einer aus der schmelzenden Masse genommenen Probe,
                              kurz ehe der Guß ausgeführt werden soll. In Frankreich ist diese Probe wirklich
                              angewendet worden, und man hat geglaubt, einen bedeutenden Nuzen davon ziehen zu
                              können. Doch mit Unrecht. Die Schwierigkeiten, welche sich dieser Maßregel
                              entgegenstellen, sind zu bedeutend, als daß sie sich hätten überwinden lassen, und
                              als daß man Hoffnung haben könnte, sie einst noch zu überwinden.
                           
                           Der Zeitraum zwischen dem völligen Zusammenschmelzen und innigen Gemengtseyn der
                              Metallmassen bis zu dem Augenblike des Gusses ist nicht so lang, daß derselbe zu
                              einer genauen Analyse hinreichte; dieselbe müßte nochwendig übereilt werden, falsch
                              ausfallen und dann mehr Schaden anstiften als Nuzen. Es wird zwar später eine
                              Verfahrungsweise angeführt werden, welche eine sehr schnelle Ausführung erlaubt, und
                              welche vielleicht sich in einer sehr kurzen Zeit könnte ausführen lassen, aber auch
                              dann würde der Vortheil nicht bedeutend seyn. Immer würden mindestens anderthalb bis
                              zwei Stunden zu einer solchen Analyse erfordert werden, und dieß ist schon mehr
                              Zeit, als erforderlich ist, um bei alter Bronze mit neuem Zusaz die innige Mengung
                              zu bewirken. Außerdem ist während dieser Stunde die Metallmischung wieder verändert
                              worden. Der Abbrand hat von Neuem Statt gefunden, und man ist also, troz der
                              Analyse, in Ungewißheit.
                           Andere Proben, das Gießen kleiner Barren und Untersuchen derselben mit Hammer, Feile
                              u.s.w. ist ein völlig unsicheres Verfahren, welches nicht den geringsten Anhalt
                              geben kann, da diese mechanischen Prüfungen durchaus nicht allein die chemische
                              Zusammensezung des Metalls bestimmen, sondern vielmehr seine mechanischen
                              Eigenschaften, welche, auch bei derselben Zusammensezung, durch schnelleres und
                              langsames Abkühlen u.s.w. bedeutend modificirt werden.
                           Die kürzeste Zeit erfordert ohne Zweifel die Löthrohrprobe, welche, wenn sie mit
                              Genauigkeit ausgeführt wird, den Anforderungen, welche unter diesen Umständen
                              gemacht werden können, vollkommen entspricht. Hr. Plattner, dem wir in diesem Felde so außerordentlich viel verdanken, führt
                              in seinem ausgezeichneten Werke, „die
                                    Probirkunst“ , ein Verfahren an, welches hier leicht in
                              Anwendung kommen dürfte. Zwar ist nicht zu läugnen, daß die Ausführung des
                              Verfahrens nicht ohne Schwierigkeiten ist, und daß es wenige Personen geben mag,
                              welche eine so bewundernswürdige Geschiklichkeit in der Handhabung des Löthrohres
                              besizen, wie Hr. Plattner, doch wird es bei einiger
                              Uebung erlernt werden können.
                           Wenn die Analyse, oder überhaupt die Prüfung des im Ofen fließenden Metalls von der
                              Wichtigkeit wäre, wie es im ersten Augenblike scheint, so dürfte man freilich kein
                              Mittel, keine Mühe scheuen, um den Anforderungen derselben zu genügen; indessen
                              überzeugt man sich leicht, daß auch hier neue Schwierigkeiten sich wieder
                              entgegenstellen.
                           Erfährt man z.B., daß in dem Metall sich nur 7 Th. Zinn auf 100 Th. Kupfer befinden,
                              während man 8 Th. Zinn damit verbinden will, so braucht man nur 1 Th. Zinn hinzuzusezen. Damit
                              dieß geschehen kann, muß man nochwendig das Gewicht des im Ofen befindlichen Kupfers
                              oder der ganzen Metallmasse kennen. Das erstere ist ganz unmöglich, wenn man nicht
                              aus neuem Metall gießt, und das zweite wird ebenfalls ganz unsicher, da man wohl
                              weiß, wie viel Centner man in den Ofen gebracht hat, aber nicht die Menge des
                              Abbrandes kennt, also nachher über die Menge des Metalls in Ungewißheit bleibt.
                           Wenn der daraus entspringende Fehler auch vielleicht nicht sehr bedeutend ist, so
                              tritt eine andere Schwierigkeit von größerem Gewichte ein. Dieß ist nämlich die,
                              eine Probe zu schöpfen, welche die Zusammensezung der ganzen Masse hat. Das spec.
                              Gew. der chemischen Verbindung von Kupfer und Zinn ist größer als das der einzelnen
                              Metalle; und es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Unterschied bei dem
                              geschmolzenen Metall noch viel bedeutender wird. Es hat daher die chemische
                              Verbindung, welche im Kupfer aufgelöst werden soll, stets die Neigung, sich aus
                              demselben abzuscheiden und sich, wenigstens großen Theils, am Boden des Ofens
                              anzusammeln. Durch starkes und anhaltendes Umrühren wird dieß so viel als möglich
                              gestört, kann aber natürlicher Weise bei einer dikflüssigen Metallmasse von
                              50–100 und mehr Cntrn. nur unvollständig erreicht werden.
                           Es leuchtet aus dem Angeführten ein, daß die Prüfungen des Metalls im Ofen kurz vor
                              dem Gusse von wenig Bedeutung seyn können, und höchstens zuweilen annähernd angeben
                              können, daß man gerade die gewünschte Mischung besize,
                              ohne ein sicheres Mittel abzugeben, dieselbe bei unrichtigem Verhältnisse zu
                              verbessern. Der neue Zusaz wird überdieß neue Schwierigkeiten hervorrufen, indem
                              derselbe erst wieder vollkommen geschmolzen und durch Umrühren durch die ganze Masse
                              vertheilt werden muß, während welcher Zeit neuer Abbrand, also auch ein neuer
                              Wechsel des Verhältnisses entstehen muß.
                           Als ein hauptsächliches Hinderniß bei dem Guß aus altem Geschüz, wenn man sich
                              bemüht, dem neuen eine bestimmte Zusammensezung zu geben, ist angeführt worden, daß
                              man von keinem Geschüz die richtige Zusammensezung kennt, und daß es sogar in den
                              meisten Fällen fast unmöglich seyn möchte, dieselbe zu erfahren. Es ist dieß kein
                              Vorwurf, der die analytische Chemie trifft; denn es liegt in der Sache selbst, daß
                              wir von der Chemie hier die größte Hülfe und Aufklärung zu erwarten haben.
                           
                        
                           
                              (Der Beschluß folgt im naͤchsten Hefte.)