| Titel: | Ueber den Zustand, in welchem der Indigo in den Blättern des Färbeknöterigs (Polygonum tinctorium) enthalten ist. Von Hrn. Robiquet. | 
| Fundstelle: | Band 74, Jahrgang 1839, Nr. XXX., S. 147 | 
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                        XXX.
                        Ueber den Zustand, in welchem der Indigo in den
                           Blaͤttern des Faͤrbeknoͤterigs (Polygonum
                              tinctorium) enthalten ist. Von Hrn. Robiquet.
                        Aus den Comptes rendus des séances de l'Académie des
                                 sciences 1839, No. 6.
                        Robiquet, uͤber den
                           Faͤrbeknoͤterig.
                        
                     
                        
                           Unter den mannichfachen Beobachtungen, welche bezüglich des Färbeknöterigs bekannt
                              gemacht wurdenMan vergleiche polyt. Journal Bd. LXXII. S.
                                       44, u. Bd. LXXIII. S.
                                       311., interessirte mich ganz besonders eine, und zwar weil dieselbe zu einem
                              Schlusse führte, welche mit jener Ansicht, die ich mir nach einem Versuche, welchen
                              ich bei Gelegenheit der schönen Arbeiten des Hrn. Turpin
                              machte, gebildet hatte, in geradem Widerspruche stand. Als ich nämlich die
                              Hauptproducte dieser Pflanze von einander zu scheiden suchte, um sie den
                              mikroskopischen Untersuchungen dieses Gelehrten zu unterstellen, bemerkte ich, daß
                              das Vegetationswasser unmittelbar nach seiner durch Auspressen und Filtration
                              bewirkten Abscheidung eine kaum merkliche Menge Farbstoff enthielt, und daß dieser
                              vielmehr sammt und sonders mit Chlorophyll vermengt auf dem Filter zurükblieb. Bei
                              der Behandlung dieses Gemisches mit Aether oder mit Alkohol wurde das Chlorophyll
                              aufgelöst, und damit kam auch die blaffe Farbe zum Vorschein.
                           Ich glaubte aus diesen Resultaten den Schluß ziehen zu können, daß der Indigo höchst
                              wahrscheinlich in blauem Zustande in dem Knöterig enthalten sey. Der Zufall wollte,
                              daß an demselben Tage, an welchem ich vor der Akademie diese Ansicht aussprach,
                              einer meiner Collegen nach seinen Beobachtungen gerade das Gegentheil behauptete. Da
                              jedoch die Jahreszeit damals schon zu weit fortgeschritten war, als daß ich die
                              Sache zur Entscheidung hätte bringen können, so mußte ich mich vertrösten, bis mir
                              der heurige Sommer Gelegenheit zur Wiederholung des Versuches, den man mir
                              entgegengesezte, bot. Dieser Versuch bestand darin, daß man frische Blätter des
                              Knöterigs wiederholt, bis zu gänzlicher Erschöpfung und unter möglichster Abhaltung
                              des Luftzutrittes in Aether macerirte; und daß diese Blätter, welche nach gänzlicher
                              Ausziehung der in Aether auflösbaren Stoffe wie gelblich-weißes Horn
                              aussehen, der freien Luft ausgesezt blau werden. Der Urheber des Versuches zog
                              hieraus den Schluß, daß der Indigo ursprünglich weiß sey, und zwar um so mehr, als
                              man in dem zur Maceration verwendeten Aether nur Chlorophyll und keine Spur von
                              Farbstoff entdekte. So schlagend diese Thatsache schien, so blieb ich doch
                              entgegengesezter Ansicht, indem mir nur zu bekannt ist, wie leicht man sich in Bezug
                              auf die organischen Stoffe täuschen kann, und indem ich mich selbst erst durch
                              mehrfach wiederholte Versuche überzeugen wollte.
                           Bei dem ersten meiner Versuche, bei dem ich nur 5 bis 6 Blätter nahm, erhielt ich
                              eine schöne schmaragdgrüne Macerations-Flüssigkeit, welche, als ich sie zum
                              Behufe der Abscheidung des Aethers der Destillation unterwarf, einige blaue Floken
                              fallen ließ, während der Rükstand der Destillation nur mehr eine gelbliche Farbe
                              hatte. Die blauen Floken waren im weiteren Laufe der Verdampfung verschwunden. Drei
                              weitere Macerationen waren vollkommen genügend, um Alles auszuziehen, was in dieser
                              geringen Anzahl von Blättern von im Aether auflöslichen Stoffen enthalten gewesen
                              seyn konnte. Die Blätter wurden hiedurch stellenweise weißlich, stellenweise
                              gelblich; der Luft ausgesezt nahmen sie aber, wie sich Jedermann überzeugen konnte,
                              auch nicht die geringste blaue Farbe an.
                           Dieser im Kleinen angestellte Versuch war nur von einem Standpunkte aus betrachtet
                              entscheidend; denn immer blieb bestimmter nachzuweisen übrig, was aus dem Farbstoffe
                              geworden. Dazu war es nöthig, die Versuche mehr im Großen anzustellen. Da jedoch
                              mein Laboratorium nicht so eingerichtet ist, daß ich darin ohne Gefahr mit einer
                              größeren Menge Aether arbeiten konnte, so ersuchte ich Hrn. Hervy, einen der Präparanten der École de
                                 Pharmacie, den Versuch mit größeren Mengen zu widerholen. Bei diesen
                              Versuchen nun nahm der Aether beinahe unmittelbar eine schöne blaue Farbe an, welche
                              später in ein dunkles Grün überging. Zu einem dritten Versuche, bei welchem man die
                              grüne Färbung zu verhüten suchte, wurden 1,875 Gr. frische Blätter in einen:
                              sogenannten Verdrängungsapparate mit ungefähr 10 Liter Aether macerirt, wobei der
                              nach 5 Minuten abgelaufene Aether eine zwar lichte, aber schöne blaue Farbe zeigte.
                              Sich selbst überlassen sezte die Flüssigkeit über Nacht sehr kleine Krystalle von
                              purpurbrauner Farbe ab. Als die über diesen Krystallen stehende Flüssigkeit bis auf
                              ungefähr einen halben Liter abdestillirt worden, zeigten sich nach dem Erkalten in
                              der Retorte viele kleine, purpurbraune Krystalle, welche den eben erwähnten sehr
                              ähnlich waren, jedoch einen weit stärkeren Glanz hatten. Beiderlei Krystalle zeigten
                              unter dem Mikroskope die Krystallform des Indigotins (reinen blauen Farbstoffs des
                              Indigo's); doch war nur an den dünnsten derselben die schöne blaue Farbe dieses
                              Stoffes wahrzunehmen. Auf glühende Kohlen gestreut verbreiteten die Krystalle einen
                              schönen purpurfarbigen Dunst, wonach kein Zweifel blieb, daß sie wirklich aus Indigotin
                              bestanden. Die Quantität der gesammelten Krystalle war allerdings gering, indem sie
                              kaum einen Gramm, was etwas mehr als einem halben Tausendtheile gleichkommt, betrug;
                              allein, wenn man erwägt, daß sie beinahe reiner Farbstoff waren, und daß in den
                              Mutterlaugen nothwendig eine sehr bedeutende Menge davon zurükgeblieben seyn mußte,
                              indem sich diese klebrig und sehr reichhaltig an einem rothen harzartigen Stoffe,
                              der vielleicht mit dem von Hrn. Chevreul aufgefundenen
                              identisch war, zeigten, so erscheint die Quantität doch immer ziemlich bedeutend. Es
                              ist überdieß als beinahe gewiß anzunehmen, daß das bei dem Versuche befolgte
                              einfache Auswaschen mit Aether den Blättern nicht so viel Indigotin entzieht, als
                              durch eine länger fortgesezte Maceration ausgezogen werden dürfte. Es läßt sich
                              demnach aus den bei meinen Versuchen erlangten Quantitäten kein Schluß in Hinsicht
                              auf die in den Blättern des Färbeknöterigs enthaltene absolute Menge Farbstoff
                              ziehen; dagegen aber scheint mir hienach Folgendes festzustehen.
                           1. Der Aether löst durch einfache kalte Maceration unter Begünstigung des rothen
                              Harzes das Indigotin auf.
                           2. Der Indigo ist in dem Färbeknöterig in blauem Zustande enthalten, indem wohl kaum
                              irgend ein Chemiker dem Aether eine oxydirende Eigenschaft beilegen dürfte.
                           3. Wenn der Farbstoff dieser Pflanze auch ursprünglich in den Bläschen des
                              Zellgewebes derselben enthalten gewesen seyn mochte, so ist dieß doch in jenem
                              Zustande, den man die Reife nennen kann, nicht mehr der Fall; denn wenn der Aether
                              zum Behufe der Auflösung des Indigotins in sie eindringen müßte, so würde er
                              nothwendig auch das gleichfalls in ihnen enthaltene Chlorophyll angreifen. Es ist
                              daher sehr wahrscheinlich, daß der Farbstoff bei der Reife der Blätter größten
                              Theils, wo nicht ganz, gegen das Aeußere der Blätter ausgetreten, und daselbst mit
                              einem anderen rothen Farbstoffe von harziger Beschaffenheit verbunden ist.
                           4. Wenn man im Allgemeinen mit jenen, die sich mit mikroskopischen Untersuchungen
                              befassen, sagen kann, daß der Chemiker oft in einem und demselben Auflösungsmittel
                              eine Menge von Stoffen, welche die Natur in verschiedenen Organen einzeln abschied,
                              unter einander bringt, so ist es doch andererseits auch richtig, daß es dem Chemiker
                              gar oft gelingt, Stoffe zu scheiden, deren Daseyn sich durch das Mikroskop unmöglich
                              entdeken läßt.
                           Da der fragliche Gegenstand dermalen einer vielfachen Untersuchung unterliegt, und
                              von verschiedenen Gesellschaften selbst namhafte Preise auf die gründliche
                              Erläuterung desselben ausgeschrieben wurden, so wird man mich entschuldigen, daß ich
                              diese höchst unvollständige Notiz zur allgemeinen Kenntniß zu bringen für passend
                              fand.