| Titel: | Ueber das Ziehen von Wagen und über die Reibung zweiter Art. Auszug aus einer Abhandlung des Hrn. Dupuit, Straßen- und Brükenbau-Ingenieur. | 
| Fundstelle: | Band 75, Jahrgang 1840, Nr. L., S. 261 | 
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                        L.
                        Ueber das Ziehen von Wagen und uͤber die
                           Reibung zweiter Art. Auszug aus einer Abhandlung des Hrn. Dupuit, Straßen- und
                           Bruͤkenbau-Ingenieur.
                        Aus den Comptes rendus de l'Academie des sciences 2. Sem.
                              1839, No. 22.
                        Dupuit, uͤber das Ziehen von Wagen und uͤber die
                           Reibung zweiter Art.
                        
                     
                        
                           1. Von dem Zuge der Wagen.
                           Wenn man Räder, deren Durchmesser zwischen 0, 10 und 1, 60 Meter wechseln, über eine
                              Schrägfläche herabrollen läßt, und wenn man die Räume, die sie kraft dieses Gefälles
                              auf ebener Fläche durchlaufen, mißt, so wird man finden, daß diese Räume, welches
                              auch die Schwere und Breite der Felge seyn mag, den Quadratwurzeln der Durchmesser
                              und der Höhe des Gefälles proportional sind. Hieraus lassen sich folgende vier
                              Geseze ableiten:
                           Die Zugkraft ist dem Druke proportional.
                           Die Zugkraft ist von der Breite der Felge unabhängig.
                           Die Zugkraft ist von der Geschwindigkeit unabhängig.
                           Die Zugkraft steht mit der Quadratwurzel des Durchmessers in umgekehrtem
                              Verhältnisse.
                           Diese vier Geseze hat der Verfasser in einer Abhandlung, welche er im Jahre 1837
                              unter dem Titel: Essai sur le tirage des voitures
                              bekannt machte, entwikelt, nachdem er sie vorher mit Hülfe eines einfachen
                              Dynamometers aufgefunden hatte. Die drei lezteren stehen jedoch in vollkommenem
                              Widerspruche mit dem, was Morin aus den mit seinen
                              dynamometrischen Instrumenten vorgenommenen Versuchen als Resultat ableitete.
                           
                        
                           2. Von der Reibung der zweiten Art oder
                                 der beim Rollen stattfindenden Reibung.
                           Der Widerstand, den ein Körper bei seinem Fortrollen erfährt, ist nichts weiter als
                              die Molecularattraction, welche bei der gegenseitigen Berührung Statt findet. Diese
                              Reaction, welche stets dem Druke gleich ist, findet in einer senkrechten Linie
                              Statt, wenn sich der
                              Körper im Zustande der Ruhe befindet; sie wirft sich hingegen beim Fortrollen des
                              Körpers um eine bestimmte Quantität S nach Vorwärts. Sie
                              widerstrebt daher dem Fortrollen mit einer Kraft, deren Maaß durch PS gegeben ist.
                           Von der einzigen Eigenschaft der festen Körper, daß sie Aggregate von Moleculen, die
                              einander das Gleichgewicht halten, sind, ausgegangen, gelangt man für die Reibung
                              des Rollens zu dem Ausdruke:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 75, S. 261
                              
                           woraus sich alle Eigenschaften dieses Widerstandes ergeben.
                              Gebt man z.B. von der Eigenschaft, daß er dem Druke proportional ist, aus, was von
                              Niemandem bestritten wird, so findet man die drei anderen oben aufgestellten Geseze,
                              so daß also Versuche und Theorie einander gegenseitig unterstüzen.
                           Da die Reibung des Rollens eine unmittelbare Folge der unvollkommenen Elasticität der
                              Körper ist, so kann man aus deren Eigenschaften auf jene der Elasticität
                              zurükschließen, und z.B. sagen: wenn man einen Druk auf die Oberfläche eines Körpers
                              wirken läßt, so entsteht unter diesem Druke ein gewisser augenbliklicher Eindruk ε', der sich, wenn der Druk aufhört, auf einen
                              leichten bleibenden Eindruk ε, vermindert; und
                              dieser Eindruk ε ist mit der Quadratwurzel des
                              Eindrukes ε' proportional.
                           Die Reibung des Rollens ist dem Verhältnisse ε/√ε' proportional, so
                              daß sie durch die beiden Coefficienten, welche die Elasticität eines Körpers
                              bestimmen, gegeben ist. In Ermangelung dieser beiden Coefficienten kann man zwei
                              andere an ihrer Stelle substituiren. Wenn man die Reibung des Eisens auf dem Eisen
                              und die Reibung des Eisens auf dem Marmor kennt, so kann man hieraus unmittelbar die
                              Reibung des Eisens auf dem Kupfer ableiten. Es würden mithin für 20 Oberflächen 40
                              Coefficienten ausreichen, um die 380 zu bestimmen, welche durch die binären
                              Verbindungen derselben zum Vorscheine kommen können.
                           Wenn zwei krummlinige Oberflächen auf einander rollen, so läuft die dem Druke
                              gleichkommende, aus den Molecularreactionen erwachsende Mittelkraft nicht mehr in
                              senkrechter Richtung, sondern parallel mit der Richtung der Geschwindigkeit bis in
                              eine Entfernung, welche proportional ist der Quadratwurzel des Productes der Radien
                              der Curven, welches Product, je nachdem beide Curven convex oder die eine derselben
                              concav ist, durch deren Summe oder deren Differenz getheilt werden muß.
                           
                           Nach dieser Formel lassen sich alle Probleme, die bei der Berechnung des dem Rollen
                              entgegenwirkenden Widerstandes vorkommen können, lösen; sie kann daher eine sehr
                              ausgedehnte praktische Anwendung finden.
                           
                        
                           3. Von der Wirkung der Räder auf die
                                 Straßen.
                           Obwohl die Zugkraft bis auf einen gewissen Punkt als der Ausdruk der Verwüstung,
                              welche das Material der Straße erleidet, betrachtet werden kann, so wäre es doch
                              ganz irrig, wenn man hieraus den Schluß ziehen wollte, daß die
                              Straßenverschlechterung mit der Zugkraft im Verhältnisse steht. Wenn man die Straßen
                              vollkommen glatt und eben erhält, was stets und überall möglich ist, so verbreitet
                              sich die auf ihr fortgeschaffte Last gleichmäßig über deren ganze Oberfläche, wo
                              dann die hiedurch bewirkten kleinen Veränderungen, welche in der Lage ihres
                              Materiales vorgehen, einander gegenseitig aufheben. Ueberdieß bewirkt in vielen
                              Fällen das Fahren der Wagen auf einer Straße eine wahre Verbesserung dieser
                              lezteren. Bei guter Unterhaltung der Straßen entsteht nie eine Zerstörung oder
                              Verschlechterung derselben, sondern lediglich eine Abnuzung, wie groß der Verkehr
                              auf ihnen auch immer seyn mag. Es kann gar keine Frage darüber seyn, ob man den
                              Zustand der Straßen durch Verordnungen, die man in Betreff der Frachtfuhrwerke
                              erläßt, besser oder schlechter erhalten kann und soll, da dieß lediglich davon
                              abhängt, ob man auf deren Unterhaltung mehr oder weniger verwendet. Jede
                              Beschränkung des freien Verkehres auf den Straßen veranlaßt für die Industrie einen
                              Kostenaufwand, der die Ersparnisse an den Unterhaltungskosten der Straßen weit
                              überwiegt. Wenn man den Fuhrleuten gestattet, die Transporte zu bewerkstelligen, so
                              gut sie es können, und wenn man der Staatsverwaltung das zur Unterhaltung guter
                              Straßen nöthige Geld bewilligt, so dürfte die Frage, wie die Frachttransporte für
                              den geringsten Kostenaufwand bewerkstelligt werden können, gelöst seyn.