| Titel: | Ueber die unterchlorigsauren Salze und die bleichenden Chlorverbindungen; von E. Millon. | 
| Fundstelle: | Band 77, Jahrgang 1840, Nr. CVIII., S. 426 | 
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                        CVIII.
                        Ueber die unterchlorigsauren Salze und die
                           								bleichenden Chlorverbindungen; von E.
                              									Millon.
                        Aus dem Echo du monde savant, No. 566.
                        Millon, uͤber die unterchlorigsauren Salze und die
                           								bleichenden Chlorverbindungen.
                        
                     
                        
                           Man nimmt gegenwärtig noch ziemlich allgemein an, daß die sogenannten Chloralkalien,
                              									welche durch directe Einwirkung des Chlors auf die Alkalien entstehen, Gemenge von
                              									Chlormetallen und unterchlorigsauren Salzen sind. Diese Hypothese bekam in der
                              									neuesten Zeit durch Balard's Entdekung einer aus gleichen Aequivalenten Chlor
                              									und Sauerstoff bestehenden Verbindung eine große Wahrscheinlichkeit; untersucht man
                              									aber die Reaction dieser vermeintlichen Gemenge von Chlormetall und
                              									unterchlorigsaurem Alkali auf gewisse Salze, so kommt man auf Thatsachen, welche
                              									durch jene Theorie über die Zusammensezung der bleichenden Chlorverbindungen
                              									unerklärlich sind und auf eine neue und unerwartete Ansicht über die Constitution
                              									dieser wichtigen Körper führen.
                           Gießt man eine frisch bereitete Chlorkalkauflösung in eine Lösung von salpetersaurem
                              									Blei, so erhält man einen weißen Niederschlag, welcher bald gelb, dann immer dunkler
                              									und zulezt braun wird; in der über ihm stehenden Flüssigkeit findet man nur
                              									salpetersauren Kalk. Man hat diesen weißen Niederschlag für Chlorblei gehalten,
                              									welches bei der späteren Zersezung durch das unterchlorigsaure Salz in braunes
                              									Bleioxyd verwandelt wird; filtrirt man aber den weißen Niederschlag gleich nach
                              									seiner Entstehung ab, so findet man bald, daß er nicht die Eigenschaften des
                              									Chlorbleies hat; er fahrt nämlich auch in Abwesenheit von unterchlorigsaurem Kalk
                              									fort sich zu färben, wenn nur die Temperatur ein wenig erhöht wird; die Analyse
                              									ergibt auch, daß der weiße und der braun gewordene Niederschlag zwei isomerische
                              									Zustände desselben Körpers sind, dessen Formel PbOCl
                              									ist. Diese Verbindung entspricht nämlich dem braunen Bleioxyd, indem der das Bioxyd
                              									constituirende Sauerstoff durch sein Aequivalent Chlor ersezt ist. Dieselbe
                              									Verbindung bildet sich auch, wenn man einen Strom trokenes Chlor über Bleiglätte
                              									leitet, welche durch Glühen von kohlensaurem Blei bereitet ist.
                           Wenn man statt salpetersauren Bleies salpetersaures Eisenoxydul anwendet, so sezt
                              									sich ein brauner Körper ab, welcher alle äußeren Eigenschaften des Eisenoxyds hat,
                              									welchem aber die Formel Fe²OCl entspricht;
                              									derselbe ist also ein Eisenoxyd, in welchem aller den höheren Oxydationsgrad
                              									constituirende Sauerstoff durch sein Aequivalent Chlor ersezt ist.
                           Mit den Manganoxydulsalzen erhält man einen analogen Niederschlag, der aber doppelt
                              									so viel Chlor enthält.
                           Wendet man anstatt der Oxydulsalze von Eisen und Mangan die Oxydsalze dieser Metalle
                              									an, so sezt sich ein basisches Salz ab und es entweicht Chlor in Menge.
                           Die Kupferoxydsalze zeigen wieder andere Erscheinungen. Es bildet sich eine
                              									Verbindung, welche bei gewöhnlicher Temperatur fast augenbliklich wieder zerstört
                              									wird und reines Sauerstoffgas entbindet; zugleich sezt sich aber ein Oxychlorür des
                              									Kupfers ab, dessen Formel Cu²OCl ist und welches
                              									also den Bioxyd entspricht. Dieselbe Verbindung kann man direct bereiten, wenn man trokenes
                              									Chlor über Kupferoxydul leitet, welches mit der Weingeistflamme schwach erhizt
                              									wird.
                           Nach allen diesen Thatsachen muß man nun die bleichenden Chloralkalien als
                              									Verbindungen betrachten, welche Peroxyden entsprechen, in denen aller das Peroxyd
                              									constituirende Sauerstoff durch sein Aequivalent Chlor ersezt ist. Auch führt bei
                              									diesen beiden Classen von Körpern die Analogie der Zusammensezung eine Analogie der
                              									Eigenschaften herbei: beide sind ziemlich unbeständig, beide wirken oxydirend und
                              									bleichend, denn die (auflöslichen) alkalischen Peroxyde bleichen ebenfalls sehr
                              									kräftig.
                           Für diese neue Theorie war hienach durch die Zusammensezung der bleichenden
                              									Verbindungen, welche das Kali und Natron bilden, der Probirstein gegeben. Die beiden
                              									Peroxyde dieser Basen haben nämlich eine sehr verschiedene Zusammensezung; die des
                              									Kaliums ist KO³ und für die des Natriums, welche
                              									von Thenard nicht ausgemittelt wurde, gibt Berzelius in seinen Tabellen die Formel Na²O³. Nach diesen beiden Formeln müßte
                              									die bleichende Kaliverbindung viermal so viel Chlor als die Natronverbindung
                              									enthalten.
                           KO + O², Peroxyd des
                              									Kaliums, entspricht KO + Cl.
                           Na²O² + O,
                              									Peroxyd des Natriums, entspricht Na²O² +
                              										Cl.
                           Bei Versuchen findet man aber, daß das Kali zweimal so viel Chlor als das Natron
                              									absorbirt. Das Kali sollte hingegen viermal so viel absorbiren; es muß also entweder
                              									in der Theorie oder in der dem Natrium-Peroxyd zugeschriebenen Formel ein
                              									Irrthum stattfinden. Dieß veranlaßte mich, die Analyse des lezteren Körpers wieder
                              									aufzunehmen, wobei ich auch wirklich fand, daß das Natrium beim Uebergang auf
                              									Peroxyd nicht 1 1/2, sondern 2 Atome Sauerstoff aufnimmt und der Formel NaO² entspricht. Das Kali mußte also, was auch
                              									der Versuch zeigte, eine doppelt so große Bleichkraft wie das Natron haben. Dadurch
                              									bestätigte sich die Theorie.
                           Die bleichenden Chloralkalien können nun nicht mehr als Salze betrachtet werden,
                              									sondern sind den Peroxyden entsprechende Verbindungen, worin aber aller Sauerstoff,
                              									welcher sonst das Protoxyd auf das höhere Oxyd überführt, durch sein Aequivalent
                              									Chlor ersezt ist. Die Verbindungen, welche man bisher als Gemenge von Chlormetallen
                              									mit unterchlorigsauren Salzen ansah, sind also wirklich einfache Verbindungen, während die unterchlorigsauren Salze für sich, ohne
                              									Beimengung von Chlormetallen betrachtet, Gemenge von Peroxyden und eigenthümlichen,
                              									den Peroxyden entsprechenden Körpern sind.
                           Es ist natürlich zu vermuthen, daß auch das Brom, Jod, der Schwefel und vielleicht noch
                              									andere Metalloide analoge Verbindungen, wie wir sie vom Chlor kennen, bilden
                              									dürften; andererseits erzeugen die derartigen Chlorverbindungen, welche höheren
                              									Oxyden, die keine Salze bilden können, wie z.B. dem Blei- und
                              									Wismuth-Superoxyd entsprechen, mit Salzsäure – wenn die Reaction in
                              									einer erkältenden Mischung stattfindet – eine neue bleichende Verbindung,
                              									welche aus Chlor und Wasserstoff besteht, aber zweimal so viel Chlor wie die
                              									Salzsäure enthält. Dieselbe ist somit ein Wasserstoff-Bichlorid und in der
                              									Reihe der Chlorverbindungen ganz analog dem Wasserstoff-Bioxyd.