| Titel: | Ueber Laignel's System Krümmungen von Eisenbahnen zu befahren. | 
| Fundstelle: | Band 78, Jahrgang 1840, Nr. XXXVI., S. 189 | 
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                        XXXVI.
                        Ueber Laignel's System Kruͤmmungen von Eisenbahnen
                           zu befahren.
                        Aus den Comptes rendus, 1840, 2me semestre, No.
                              2.
                        Ueber Laignel's System Kruͤmmungen von Eisenbahnen zu
                           befahren.
                        
                     
                        
                           Die Gefahren, welchen die Wagen bei dem gewöhnlichen System ausgesezt sind, wenn sie
                              Bahnkrümmungen von kleinem Halbmesser mit großer Geschwindigkeit befahren sollen,
                              rühren weniger von der unmittelbaren Wirkung der Centrifugalkraft, wie man anfangs
                              glaubte, her, sondern vielmehr von der Fixirung und dem Parallelismus der Achsen, in
                              deren Folge der vorstehende Rand der Räder über die Bahnschiene herauszuspringen
                              strebt; diese Fälle, welche sich besonders bei den Eisenbahnen von St. Etienne nach
                              Lyon und Andrezieux zeigten, wobei früher Krümmungen von kleinem Halbmesser
                              vorkamen, haben die Brüken- und Chaussee-Administration veranlaßt,
                              diesem Gegenstand ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und es wurde von derselben der Halbmesser der
                              Krümmungen anfangs auf mindestens 500, später auf 800, und zulezt auf 1000 Meter
                              festgesezt. Selbst durch Krümmungen von so großem Halbmesser, wobei die Anlage von
                              Eisenbahnen schon bedeutend schwieriger und kostspieliger wird, konnte aber bis jezt
                              weder eine vollkommene Sicherheit der Reisenden, noch die nöthige Schonung der
                              Schienen erzwekt werden. Man hat sich daher sowohl in Frankreich als in England
                              bemüht, diesen großen Uebelständen durch ein wirksameres Mittel ohne Vergrößerung
                              der Krümmungen abzuhelfen; die in dieser Beziehung gemachten Vorschläge sind
                              zweierlei Art: entweder solche, wobei das gegenwärtige System der Waggons und
                              Locomotiven abgeändert wird, die Eisenbahnen aber unverändert bleiben, oder solche,
                              wobei für das jezt gebräuchliche Locomotivsystem eine andere Anordnung der Schienen
                              benuzt wird. In leztere Kategorie gehört auch Laignel's Verbesserung, welche darin besteht,
                              das äußere Rad mit seinem höheren Rande auf einer niedrigeren zweiten, innen gelegten Schiene laufen zu lassen; hiebei bleibt
                              der Wagen unverändert und das äußere Rad legt einen größeren Kreisbogen zurük als
                              das innere kleinere.
                           Die Versuche, welche verschiedene Ingenieure auf Veranlassung der Société d'Encouragement mit diesem Systeme
                              sowohl in kleinem als großem Maaßstabe in Frankreich und Belgien angestellt haben,
                              sprechen sehr zu Gunsten desselben, indem es sich dadurch herausstellte, daß bei
                              Geschwindigkeiten von 5 bis 8 Lieues per Stunde auf
                              Krümmungen mit Halbmessern von 35 bis 50 Meter weder die Schienen abgenuzt werden,
                              noch die Räder über sie hinausspringen. Dessen ungeachtet hat keine einzige der
                              großen Eisenbahncompagnien auch nur einen Versuch mit dem Laignel'schen Systeme gemacht, was sich dadurch erklären läßt, daß man
                              dafür den Weg der Bahn so wählen muß, daß die Curven übereinstimmen, weil man den
                              Halbmesser dieser lezteren oder die Geschwindigkeit nicht variiren lassen kann, wenn
                              man aus dem Systeme den möglichsten Vortheil ziehen willEs kann nämlich bei diesem System immer nur eine bestimmte Curve ohne Gefahr befahren werden, diejenige, deren
                                    äußerer Bogen gerade in dem Maaße länger als der innere ist, in welchem der
                                    Umfang des Rades, das auf seinem hervorragenden Rande läuft, größer ist als
                                    der Umfang des Rades, das auf dem flachen Theile seines Umfanges sich
                                    bewegt. A. d. R., wozu noch die Vergrößerung des Widerstandes oder der Reibung kommt, eine
                              unvermeidliche Folge des ungleichen und schiefen Ganges der Räder.
                           Obgleich nun aber Laignel's
                              sehr einfache Erfindung noch nicht ganz den Beifall der Ingenieure erlangt hat und
                              ihr auch nicht die Gunst zu Theil wurde, auf den großen, hauptsächlich zum Transport
                              von Reisenden
                              bestimmten Eisenbahnen in Anwendung zu kommen, so kann man doch nicht läugnen, daß
                              sie schon in manchen Fällen mit Vortheil benuzt worden ist, namentlich bei den
                              Steinkohlenwerten in Anzin, Denain und Douchy (haut et bas
                                 Flénu), an den Eisenbahnen des Ourcq-Canals bei Meaux, an
                              mehreren Seitenbahnen der St. Etienne-Eisenbahn, so wie bei mehreren Bahnen
                              von Bergwerken. Wegen der notorischen Vortheile, welche Laignel's Erfindung diesen und anderen
                              Etablissements bereits gewährt hat, und wegen des Eifers und der Ausdauer, womit er
                              seine ersten Versuche verfolgt hat, beschloß die Akademie der Wissenschaften in
                              Paris, ihm als Preis 1500 Fr. zur Aufmunterung zuzuerkennen.