| Titel: | Ueber die Wirkungen der Eisenbahnkrümmungen, von Edward Sang Esq., Civilingenieur in Edinburg. | 
| Fundstelle: | Band 79, Jahrgang 1841, Nr. LXVIII., S. 342 | 
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                        LXVIII.
                        Ueber die Wirkungen der
                           Eisenbahnkruͤmmungen, von Edward
                              Sang Esq., Civilingenieur in Edinburg.
                        Aus Jameson's Philosoph. Journal. Jan. 1841, S.
                              334.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              V.
                        Sang, uͤber die Wirkungen der
                           Eisenbahnkruͤmmungen.
                        
                     
                        
                           Die ungeheure Geschwindigkeit, welche man neuerdings auf Eisenbahnen erreicht hat,
                              bringt alle Mängel ihrer Construction auf eine unverkennbare Weise zum Vorschein,
                              und sezt das Publicum in die Notwendigkeit, jede Minute eines Unfalls gewärtig zu
                              seyn. Es ist bekannt, daß ein Eisenbahnzug, wenn er sich auf einer Krümmung
                              fortbewegt, das Bestreben äußert, die Schienen zu verlassen und in geradliniger
                              Bewegung zu verharren. Um den üblen Folgen dieses Bestrebens vorzubeugen, legt man
                              die äußere Schiene um so viel höher, daß die quer durch die Schienen gezogene Linie
                              senkrecht zu der
                              Resultante der Schwerkraft und Centrifugalkraft steht. Diese Vorsichtsmaßregel
                              beseitigt gänzlich jede Neigung der Waggons von den Schienen zu weichen, und jeden
                              Druk gegen die Achsenenden. Der Punkt aber, auf welchen ich die Aufmerksamkeit der
                              Societät hinzulenken wünschte, betrifft den Uebergang des Trains von der geraden
                              Linie in eine Curve, oder von einer Curve in eine andere.
                           Einige betrachten es als genügend, daß der gerade Theil der Schienenleitung tangent
                              an den Kreis sey, welcher die Krümmung bildet, oder daß die kreisförmigen Theile der
                              Bahn an ihrer Vereinigungsstelle eine gemeinschaftliche Tangente besizen. Diese
                              Vorkehrung beseitigt zwar jede plözliche Biegung, entspricht aber bei weitem noch
                              nicht den Bedürfnissen einer im Betrieb befindlichen Eisenbahn.
                           Um dem hier angedeuteten Mangel auf den Grund zu kommen, folge man einem Waggon in
                              seinem Lauf von der einen nach der anderen Richtung. In dem Augenblik, wo er die
                              gerade Linie verläßt, und in den Kreisbogen übergeht, tritt die Centrifugalkraft in
                              Thätigkeit; es muß daher für eine Erhöhung der äußeren oder eine Depression der
                              inneren Schiene gesorgt seyn. Die Passagiere, in ihrem unwillkürlichen Bestreben in
                              der geradlinigen Bewegung zu verharren, empfinden einen sanften, aber doch
                              plözlichen Druk nach der einen Seite des Wagens. Da die Erhebung der Schiene nicht
                              plözlich seyn darf, so ist vor oder hinter dem Uebergangspunkt der Krümmung eine
                              besondere Anordnung nöthig. Diese darf nie fehlen, wo ein schneller Uebergang von
                              einem Grade der Krümmung in einen andern stattfindet.
                           Es dringt sich daher von selbst die Frage auf, wie dürfte wohl die Krümmung der
                              Eisenbahnen beschaffen seyn?
                           Eines ist gewiß, daß der Uebergang der Krümmung nie ein abrupter seyn darf, und daß
                              die Vereinigung kreisförmiger Bögen unzulässig ist.
                           Betrachtet man die längs der Schiene gemessene Distanz als Abscisse, so kann die
                              Krümmung als eine Function dieser Distanz angesehen werden; und diese Function muß
                              von solcher Beschaffenheit seyn, daß die Krümmung an dem Punkte, wo die Abweichung
                              von der geraden Linie anfängt, gleich Null ist. Sezt man die von diesem Punkte aus
                              berechnete Länge = l, und bezeichnet die Krümmung mit
                              ρ, so ist die einfachste Function, welche
                              dieser Bedingung genügt:
                           ρ = nl
                              
                           d.h. die Krümmung ist dem Abstände von dem genannten Punkte
                              proportional. Diese Function ist indessen für den vorliegenden Zwek unzureichend,
                              weil sie eine beständige Zunahme der Krümmung geben würde, während doch der
                              Hauptzwek einer Eisenbahncurve darauf hinzielt, um von einer Richtung nach einer
                              andern zu schaffen – zwei gerade Theile der Bahnlinie mit einander zu
                              verbinden. Deßwegen muß die Krümmung bis zu einem Maximum zunehmen, dann aber
                              abnehmen, bis sie an der Stelle, wo sie an den zweiten geraden Theil stößt, gleich
                              Null wird. Die einfachste Function, welche die verlangte, so eben bezeichnete
                              Eigenschaft besizt, ist:
                           ρ = nl (L – l)
                           wo L die ganze Länge von dem einen
                              geraden Theil bis zum andern bezeichnet. Eine Curve, welcher diese charakteristische
                              Eigenschaft zukommt, ist von dem Fehler, worauf ich hindeutete, ganz frei; und doch
                              ist sie, wenn man genauer untersucht, nicht ganz frei von Fehlern, indem die
                              verticale Projection der äußeren Schiene, wenn man sie in eine gerade Linie sich
                              gestrekt denkt, parabolisch ist.
                           A und B, Fig. 8, seyen die beiden
                              Endpunkte der Krümmung, und AB die Oberfläche der
                              inneren Schiene, so würde die Parabel ABC die
                              Oberfläche der äußeren Schiene vorstellen; für die Annahme einer kreisförmigen
                              Ausbiegung würde sie durch die Linie αβ, und zwar in jedem Ende plözlich abgebrochen dargestellt
                              seyn. Die Curve ABC ist unzweifelhaft der Linie
                              AαβB, welche in der Wirklichkeit
                              nie angenommen werden kann, vorzuziehen; aber nichtsdestoweniger muß sie in den
                              Punkten A und B einen
                              Widerstand resultiren, welcher mit dem Quadrate der Geschwindigkeit zunimmt. An den
                              beiden Uebergangspunkten A und B der Curve in die gerade Linie sollte die Curve etwa die Form wie in Fig. 9
                              haben.
                           Ich will nun die stufenweisen Fortschritte der Verbesserungen, auf welche ich
                              hindeutete, näher beleuchten. Wir haben zuerst die Function ρ = 1/r (constant), deren erste
                              Ableitung gleich Null ist. Zweitens ρ = nl, wovon die zweite Ableitung gleich Null ist;
                              drittens ρ = nl
                              (L – l), wovon
                              die dritte Ableitung gleich Null ist. Die Wirkung wird mit der Anzahl der
                              Ableitungen sanfter. Zum Behuf weiterer Verbesserung muß man eine Function noch
                              höherer Ordnung nehmen. Angenommen nun, diese Functionen lassen sich vollständig in
                              Factoren auflösen, so wirb die durch sie dargestellte Curve so viele Flexionspunkte
                              besizen, als die Function Dimensionen besizt, sie wird daher ein wellenförmiges
                              Aussehen haben. Für diejenigen, welche mit der höheren Analysis vertraut sind,
                              bedarf es kaum der Erwähnung, in wie weit die vollständige Erforschung solcher
                              Curven die gegenwärtigen Kräfte dieser mächtigen Wissenschaft übersteigt; sie werden
                              sogleich in der Curve der Sinus eine transscendente Function erkennen, welche eine
                              unbegränzte Reihe von Ableitungen besizt und deren Form, dem Calcül leicht zugänglich, alles
                              das Wesentliche umfaßt, was wir suchen.
                           Ich nehme daher als die für die Verbindung zweier gerader Theile einer Eisenbahn
                              geeignete Krümmung denjenigen Theil der Curve der Sinus an, welcher auf einer Seite
                              ihrer Achse enthalten ist.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
