| Titel: | Untersuchungen über die verschiedenen Eigentümlichkeiten, welche die Steine, die Cement und hydraulischen Kalk enthalten, durch unvollständiges Brennen annehmen können; nebst Bemerkungen über die anomalen Kalkarten, welche den Uebergang von den stark hydraulischen Kalkarten zu den Cementen bilden. Von Hrn. N. Vicat. | 
| Fundstelle: | Band 79, Jahrgang 1841, Nr. LXXVI., S. 368 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LXXVI.
                        Untersuchungen uͤber die verschiedenen
                           Eigentuͤmlichkeiten, welche die Steine, die Cement und hydraulischen Kalk
                           enthalten, durch unvollstaͤndiges Brennen annehmen koͤnnen; nebst
                           Bemerkungen uͤber die anomalen Kalkarten, welche den Uebergang von den stark
                           hydraulischen Kalkarten zu den Cementen bilden. Von Hrn. N. Vicat.
                        Aus den Comptes rendus, 1840, No. 19, S.
                              755.
                        Vicat, uͤber Cement und Kalk.
                        
                     
                        
                           Der Hauptgegenstand dieser Mittheilung ist, einige besondere Eigenschaften der
                              unvollständig gebrannten Thonkalke und gewisse anomale Fälle der hydraulischen Kalke
                              auseinanderzusezen. Man weiß, daß die hydraulischen Kalke zu CementFrüher nannte man das Pulver aus Baksteinen und Ziegeln Cement; diesem wird
                                    auch noch der Name von einigen Praktikern gegeben. Daraus entstehen
                                    beständige Verwechselungen. Das Ziegelpulver, das ja für sich allein nichts
                                    cementiren, nichts verbinden kann, kann auch kein Cement seyn; es ist ein
                                    der Puzzolanerde ähnlicher Körper, eine künstliche Puzzolanerde. Es wäre an
                                    der Zeit, auch den Namen „römische Cemente“ und mehr
                                    derlei aufzugeben, die nichts bezeichnen, sondern im Gegentheil oft die
                                    falschesten Vorstellungen über den Ursprung der Gegenstände verbreiten, auf
                                    welche man diese Namen anwendet. werden, wenn sich der Thonantheil darin bis zu einem bestimmten Punkte
                              erhöht. Bei diesem Uebergange bemerkt man Zusammensezungen, die zu den
                              vorzüglichsten hydraulischen Kalken und Cementen gehören zu müssen scheinen könnten,
                              und in praktischer Wirklichkeit keines von beiden sind.
                           Diese Verbindungen, welche wir mit dem Namen Gränzkalke (chaux
                                 limites) bezeichnen zu müssen glaubten, haben, wenn sie vollständig
                              gebrannt (d.h. ganz von Kohlensäure befreit) und wie Cemente behandelt werden,
                              anfangs ganz denselben Erfolg wie die lezteren; aber die augenbliklich erlangte
                              Festigkeit verliert sich nach einigen Stunden durch ein allmähliches Löschen,
                              welches, anstatt einen hydraulischen Kalk hervorzubringen, nur eine fast werthlose
                              Art von caput mortuum liefert.
                           Die Kalksteine, welche gewöhnlichen hydraulischen Kalk enthalten, haben auch ihre
                              Eigenthümlichkeiten; sie können gute Cemente werden oder beinahe kraftlose Producte
                              liefern, Alles in Folge der verschiedenen Grade des Brennens.
                           Man begreift, in welche Begriffsverwirrung diese widersprechenden Umwandlungen den
                              Praktiker sezen können, der sich Rechenschaft über die hydraulische Kraft der Stoffe
                              zu geben sucht, die er anwenden muß. – Seit langer Zeit hatten wir geahnt,
                              daß es für die Technologie unvermeidlich werden würde, dieß Labyrinth zu entwirren,
                              und wir erwarteten von Tag zu Tag, daß eine geschiktere Hand dazu den Anfang mache.
                              Aber die Notwendigkeit einer solchen Arbeit ist mit einmal auf eine so drängende
                              Weise fühlbar geworden, und zwar in Folge bitterer Verrechnungen, denen die
                              fraglichen Schwierigkeiten bei verschiedenen Arbeiten Raum gegeben haben, daß wir
                              glaubten, nicht länger schweigen zu dürfen, wenn auch unsere Specialität die hohe
                              Kenntniß nicht erreicht, deren es bedarf, um auf würdige Weise solche Fragen zu
                              behandeln, die sich an die delicatesten Gebiete der chemischen Statik anschließen.
                              Für den Augenblik war es wichtig, eine bestimmte Weglinie zu bahnen, in welcher der
                              bloße Praktiker sich nie verirren könnte, und durch einzelne Pfähle die Klippen auf
                              den neuen, in lezter Zeit versuchten Wegen zu bezeichnen. Eine chemische Theorie,
                              selbst die allergenaueste, ist kein Führer, dem sich Jedermann ungestraft überlassen
                              darf; es ist nicht immer leicht, sie so zu erklären, wie sie erklärt werden sollte,
                              die Wichtigkeit der unscheinlichsten Dinge klar vorzulegen und endlich die daraus
                              gezogenen Folgerungen theils zu ihrer gerechten Würdigung zu erheben, theils in die
                              ihnen zukommenden Gränzen zurükzudrängen. Diese Wahrheiten werden sich mit Klarheit
                              aus den zahlreichen in meinem Berichte besprochenen Thatsachen herausstellen; hier
                              will ich mich darauf beschränken, die Folgerungen darzulegen, zu denen jene
                              Thatsachen führen.
                           
                        
                           Schlußfolgen.
                           1) Man trifft auf der Gränze, welche die hydraulischen Kalke von den Cementen
                              scheidet, Kalkarten an, welche in mittlerer Zahl 53 Proc. Thon enthalten und die, da
                              sie den gewöhnlichen Verfahrungsweisen des Löschens sich entziehen, scheinen wie
                              Cemente behandelt seyn zu wollen und in der That anfangs dieselben Wirkungen zeigen;
                              aber sie werden schon nach einiger Zeit unhaltbar, indem sie sich einem langsamen
                              Löschen fügen, wovon die Folge ist, daß ein großer Theil der hydraulischen
                              Eigenschaften dieser Verbindungen aufgehoben wird. Die
                                 Gränzkalke sind für die Anwendung gefährlich und müssen aus allen Werkstätten
                                 verbannt werden.
                           
                           2) Eine ganz genaue Nachbildung der hydraulischen und stark hydraulischen Kalke durch
                              Mischung von gelöschtem fettem Kalk und Cement ist unmöglich, denn diese Mischungen
                              nehmen nur den untergeordneten Rang der schwach hydraulischen Kalke ein, wenn man
                              auch auf ihre Bereitung mehr Zeit verwendet, als selbst die Cemente erfordern, um zu
                              halten; da aber die Cemente in wenigen Minuten festhalten, so ist es in der Praxis
                              kaum zu umgehen, daß man nicht zu viele Zeit verstreichen läßt.
                           Um jedoch den natürlichen hydraulischen Kalk künstlich
                                 darzustellen, muß man sich an das schon bekannte Verfahren halten, welches
                                 zugleich das einfachste und directeste ist.
                           3) Jeder Thonkalk, der durch vollständiges Brennen ein Cement zu geben fähig ist,
                              gibt noch ein Cement bei unvollständigem Brennen, vorausgesezt, daß das Verhältniß
                              des Thons zu der Quantität Kalk, den man in dem Ungebrannten (incuit) als frei betrachtet, nicht mehr als 273 fürs 100 beträgt, oder mit
                              anderen Worten: vorausgesezt, daß auf 100 Theile freien Kalk weniger als 273 Th.
                              Thon kommen.
                           Diese Bedingung läßt wahrlich dem Cementbrennen einen großen
                                 Spielraum. Es ist klar, daß bloß eine Uebercalcination zu fürchten ist und daß
                                 außerdem die Schlakenbildung angefangen haben müsse, damit jede Energie zerstört
                                 werde.
                           4) Jeder Thonkalk, der einen Gränz- oder hydraulischen Kalk durch
                              vollständiges Brennen zu liefern vermag, kann in Folge eines unvollständigen
                              Brennens ein Cement oder wenigstens ein Product liefern, das alle Eigenschaften
                              desselben hat, vorausgesezt, daß das Verhältniß des Thons zu der im Ungebrannten als
                              frei gedachten Masse Kalk nicht unter 64 auf 100 betrage; denn unterhalb 64 oder
                              (was das Aeußerste ist) 62 auf 100 sind nicht bloß die ungebrannten Steine keine
                              Cemente mehr, sondern können sogar zu dem Range des magersten Kalks heruntersinken,
                              mit der drükenden Unbequemlichkeit des langsamen Löschens.
                           Da man ferner kein einziges praktisches Mittel hat, um von vorn herein die
                              ungebrannten Cemente von denen zu unterscheiden, welche es nicht sind, und noch
                              weniger das Brennen dergestalt zu regeln, daß man gleichförmig aus den großen und
                              kleinen Kalkstüken die bestimmte Quantität Kohlensäure austriebe, so geht daraus
                              hervor, daß, wenn man die ungebrannten Steine pulverisirt, um
                                 sie gleichförmig in dem Mörtel zu verbreiten (wie man
                                 schon bei verschiedenen Arbeiten es thun zu müssen glaubte), man, statt
                                 den Mörtel zu verbessern, ein wahres Mittel zu seiner Zerstörung hineinbringen
                                 kann.
                           5) Jede Cementbereitung aus unvollständig gebrannten Kalksteinen des Gränzkalkes
                              würde große Unbequemlichkeiten mit sich bringen, denn die Theile, welche troz aller
                              Vorsicht die vollständige Gränze des Brennens erreichen würden, und weder erkannt
                              noch durch Sonderung entfernt werden könnten, würden als zerstörendes Princip im
                              Cement zurükbleiben.
                           6) Jeder directe Versuch, die Qualität eines hydraulischen Kalks zu bestimmen, muß
                              selbst durch einen Versuch eingeleitet werden, der für sich die Quantität
                              Kohlensäure, die in diesem Kalk enthalten ist, bestimmen könnte; denn sollte sich
                              diese Säure in hinreichend beträchtlicher Menge vorfinden, um den Stein als
                              Nichtcement zu charakterisiren, so wird der Versuch den
                              hydraulischen Kalk als schlecht bezeichnen, der, gut gebrannt, jede erwünschte
                              Festigkeit bieten würde.
                           Man kann nicht umhin, der Gegenwart der Gränzkalke oder der schlechten ungebrannten
                              Theile im Mörtel den Verfall des Mauerwerks, das Abfallen und Ausblühen des Anwurfs
                              und alle anderen Zufälle beizumessen, die man niemals bemerkt, wenn man reinen, gut
                              gelöschten und von ungebranntem oder Allem, was dahin gehört, gesäuberten Kalk
                              anwendet. Wir werden die zufällige oder beabsichtigte Einführung derselben Stoffe in
                              die Cemente als die einzige Ursache des Abblätterns und Verstäubens betrachten,
                              welchem sie bisweilen unterworfen sind. Alle unsere Behauptungen werden leicht zu
                              belegen seyn; wir fordern nicht, daß man sie ohne Prüfung hinnehme, wir wünschen
                              nur, daß man den Zweifel zurükhalte, und in Erwartung der Wahrheit wird es Tag
                              werden.
                           Die Alten, deren Erfahrung man auch für Etwas rechnen muß, begnügten sich nicht, das
                              Ungebrannte (die pigeons) zu verwerfen, sondern sie
                              forderten auch, daß der zur Verkleidung bestimmte Kalk länger als ein Jahr gelöscht
                              sey. Sie hatten nämlich selbst an dem fetten Kalk träge Theilchen bemerkt, deren
                              Aufblähen sehr langsam vor sich geht.Die Erfindung des von Pferden getriebenen Rades zur Bereitung des Mörtels
                                    begünstigt die Einführung der ungebrannten Steine, weit sie so zerdrükt und
                                    in der Masse der Verbindung zerstreut werden. Die Anwendung des Hobels paßte
                                    nicht zu dieser Mischung.
                              
                           Wir wollen im Vorbeigehen sagen, daß die aus Ungebranntem gelieferten Cemente
                              verderben und unter denselben Umständen, wie die gewöhnlichen Cemente, vollständig
                              sich verschlechtern. Die Geschichte der lezteren ist Übrigens in allen Stüken auch auf
                              erstere anwendbar, in Betreff der Conservation, der Anwendungsweise u.s.w.
                           Die Würdigung der Eigenschaften des hydraulischen Kalks oder Cements, den eine
                              gegebene kalkhaltige Substanz liefern kann, läßt sich vielleicht schneller und
                              genauer durch chemische Analyse, als durch directe Mittel bewerkstelligen. Doch was
                              dieß anbetrifft, so muß man die gewöhnliche Weise verlassen, die darin besteht, den
                              Thon durch eine Säure von dem kohlensauren Salze zu trennen und mit Kali
                              anzugreifen; denn man würde alsdann quarzige Theile, die nicht fähig sind, in die
                              Verbindung einzugehen, zu gallertartiger Kieselsäure umwandeln. Man muß unmittelbar
                              einige Grammen der Masse, die man vorher zu sehr feinem Pulver zerrieben hat, in
                              Kalk oder Cement umwandeln, sich versichern, daß keine Kohlensäure mehr darin sey,
                              und das Ganze in einem Ueberschuß von Chlorwasserstoffsäure lösen. Der nicht
                              angegriffene Rükstand, wenn einer da ist, wird die Quantität unverbundener
                              Kieselsäure oder Thonerde geben, die also nur schwach zur Hydraulicität des Kalks
                              oder Cements mitwirken kann. Das Uebrige der Analyse geht wie gewöhnlich vor
                              sich.