| Titel: | Vergleichende Untersuchung des auf den Antillen und in Frankreich wachsenden Zukerrohrs, nebst Betrachtungen über die Zukerfabrication; von Osmin Hervy, Präparator an der École de Pharmacie in Paris. | 
| Fundstelle: | Band 79, Jahrgang 1841, Nr. XCVII., S. 445 | 
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                        XCVII.
                        Vergleichende Untersuchung des auf den Antillen
                           und in Frankreich wachsenden Zukerrohrs, nebst Betrachtungen uͤber die
                           Zukerfabrication; von Osmin Hervy, Praͤparator an der
                           École de Pharmacie in Paris.Der Verfasser hat diese Abhandlung erst wenige Tage vor dem schreklichen Ereigniß
                                 (der Explosion bei Bereitung der flüssigen Kohlensäure), welches ihn, diesen
                                 noch so jungen und zu so vielen Hoffnungen berechtigenden Mann, der Wissenschaft
                                 entriß, dem Herausgeber des Journal de Pharmacie
                                 eingesandt.
                           
                        Aus dem Journal de Pharmacie, Jan. 1841, S.
                              1.
                        Hervy, uͤber die Zusammensezung des Zukerrohrs nebst
                           Betrachtungen uͤber die Zukerfabrication.
                        
                     
                        
                           Der große Zukergehalt des Zukerrohrs (Arundo
                                 saccharifera) ist heutzutage wohl bekannt, und eine besser eingerichtete
                              Colonial-Fabrication muß daher durch die Vermehrung des Products eine große
                              commercielle Bewegung herbeiführen. Um die Erfüllung dieser wohlbegründeten Hoffnung
                              der Pflanzer meinerseits zu beschleunigen, füge ich meiner im verflossenen September
                              veröffentlichten Arbeit über das Zukerrohr (polytechn. Journal Bd. LXXVIII. S. 440) Einiges bei. Die zu
                              meinen neuen Versuchen angewandten Zukerrohre waren nicht mehr auf dem brennenden
                              und feuchten Boden der Antillen, sondern in Frankreich, theils in Treibhäusern,
                              theils im freien Grunde, gewachsen.
                           Die Salze und die dem Zuker fremden organischen Substanzen sind im französischen
                              Zukerrohr in weit beträchtlicherer Menge als im Rohr der Colonien enthalten, was
                              zwar eine geringfügige Thatsache ist und nur, eben sowohl wie ihr Zukergehalt,
                              aufgezeichnet zu werden verdient. Es liegt dem kreolischen Pflanzer wirklich wenig
                              daran, ob ein im Treibhaus gewachsenes Rohr ärmer oder reicher an Zuker ist, als das
                              seinige; woran ihm am meisten liegt, ist, zu wissen: 1) daß die Melasse in dem Rohr
                              nicht schon während seines Wachsens präexistirt; daß diejenige, welche wir als einen
                              Bestandtheil des aus den Colonien erhaltenen, getrokneten Rohres gefunden haben, ein
                              Erzeugniß der durch die Austroknung oder durch die Ueberfahrt erlittenen
                              nachtheiligen Veränderung ist; 2) daß sich durch die Einwirkung gewisser Körper auf
                              den krystallisirbaren Zuker Melasse bilden kann. Die von uns untersuchten Zukerrohre
                              wurden theils in den Treibhäusern der königl. Domaine zu Neuilly, theils im freien
                              Grund im botanischen Garten zu Bordeaux gezogen, wo sie uns Hr. Gachet, Professor der Botanik daselbst, auf unserer
                              lezten Reise durch diese Stadt zustellte.
                           Die in freiem Grunde gewachsenen Zukerrohre waren von geringem Durchmesser, aber bis
                              auf den Stengel von ihren Blättern befreit, von goldgelber Farbe, ein offenbarer
                              Beweis ihrer vollkommenen Reife; von Geschmak waren sie süß, aromatisch, sehr
                              angenehm.
                           Das im Treibhaus gezogene Zukerrohr war von viel größerm Durchmesser. Die Knoten
                              desselben standen in sehr verschiedenen Abständen von einander; es war von
                              blaßgrüner oder blaßgelber Farbe; ein Theil dieser Rohre war seiner Blätter beraubt,
                              ein anderer Theil hatte dieselben noch, wobei zu bemerken ist, daß das Alter dieser
                              Rohre verschieden war von einigen Monaten bis zu drei Jahren. Jedes Jahr des
                              Wachsthums war durch eine Erhöhung an der Stelle, wo dasselbe im folgenden Jahre
                              wieder ansezte, bezeichnet. Ihr süßer, aromatischer und sehr angenehmer Geschmak
                              wurde von Kreolen für eben so zukerig und von dem Geschmak des auf den Antillen
                              wachsenden Zukerrohrs wenig verschieden anerkannt. Der Saft unseres Rohres zeigte
                              verschiedene Dichtigkeitsgrade, von 103 bis 108 (5 bis 12° Baumé), je
                              nachdem er vom untern oder vom obern Theil des Rohres kam.
                           In den oberen Knoten des Rohres, d.h. am Anfange ihres Wachsthumes, so wie auch in
                              den untern Knoten, wenn sie schon mehrere Jahre alt sind, ist der Zuker in
                              krystallisirbarem Zustande enthalten. Es scheint uns ausgemacht, daß der
                              krystallisirbare Zuker kein secundäres, sondern ein primitives Product der
                              Stoffausarbeitung ist, welches in dem Augenblik der Bildung der es einschließenden
                              Gefäße im Zustande von krystallisirbarem Zuker secernirt wird.
                           
                           Es scheint sogar gewiß zu seyn, wie wir später zu beweisen suchen werden, daß er in
                              diesem Zustande bis zur Blüthe- und Fruchtbildungszeit des Zukerrohres darin
                              bleibt.Diese Thatsachen scheinen uns eine sehr scharf bezeichnete Gränze zwischen
                                    der Bildung des (krystallisirbaren) Rohrzukers und jener des
                                    (unkrystallisirbaren) Traubenzukers in den Gewächsen festzustellen, wirklich
                                    finden wir niemals Zuker in den Früchten zur Zeit ihrer Bildung, finden
                                    aber, daß er sich während ihrer Reife in denselben erzeugt) es gibt daher
                                    einen sehr bestimmten Unterschied zwischen der natürlichen Bildung des
                                    Rohrzukers und der des Traubenzukers; jene Pflanzentheile, welche erstern
                                    einschließen, haben während ihres ersten Wachsthums schon, wie das
                                    Zukerrohr, die Runkelrübe, einen süßen, deutlich zukerigen Geschmak; jene
                                    Pflanzentheile hingegen, welche den leztern einschließen, haben in ihrem
                                    ersten Wachsthum einen herben, bittern, durchaus ungezukerten Geschmak.Die mikroskopische Untersuchung des Zukerrohrs hat uns gezeigt, daß diese
                                    schöne Graminee in keiner Periode ihres Wachsthums eine Veränderung in ihrer
                                    Organisation erleidet. Das junge Rohr bietet, gerade so wie das ältere,
                                    dieselben Röhrengänge, dieselben Holzfaserbündel dar; man kann sogar
                                    behaupten, daß die anatomische Organisation des Zukerrohrs so schön und so
                                    einfach ist, als sie nur wahrgenommen werden kann. Hr. Frémy hat hingegen beobachtet, daß in den sauren Früchten
                                    die Anordnung der Zellen von Tag zu Tage, in dem Verhältnisse, in welchem
                                    sie sich ihrer Reise nähern, wechselt, daß ihre diken, beinahe
                                    undurchsichtigen Seitenwände nach und nach sehr aufschwellen, durchsichtig
                                    werden und plazen, um die in ihnen enthaltene saure Flüssigkeit sich
                                    ergießen zu lassen.Wir glauben daher behaupten zu dürfen, daß der
                                       Rohrzuker immer ein primitives Product der Stoffbereitung sey,
                                    während der Traubenzuker stets nur ein secundäres Product ist, was
                                    vielleicht zur Erklärung dient, warum der Traubenzuker sich künstlich so
                                    leicht darstellen läßt, während es bisher noch nicht gelang, Rohrzuker
                                    künstlich zu erzeugen.
                              
                           Unsere eben ausgesprochene Ansicht von der Abwesenheit des flüssigen Zukers in dem
                              Zukerrohr beruht auf folgenden Versuchen.
                           Sehr fein geschnittene Scheiben von Zukerrohr wurden theils im luftleeren Raum,
                              theils in trokner Luft, bei einer Temperatur von 60° C. getroknet; in 15
                              Minuten war die Austroknung ohne nachtheiligen Einfluß auf den Zuker vollendet. Die
                              getrokneten Scheiben wurden sodann gepulvert (übrigens ist das Zukerrohr sehr wenig
                              hygroskopisch). Rohrpulver von dem untern Theile des Zukerrohrs wurde mit kaltem
                              Alkohol von 95° behandelt, welcher 3/100 einer zerfließlichen Substanz auflöste; von dieser trennte Aether 8/1000 Wachs,
                              und der Rükstand war eine zerfließliche, im Wasser auflösliche, weder zukerig noch
                              salzig schmekende Substanz, welche bei der Verbrennung keine Asche hinterließ.
                              Dieser dreimal wiederholten Behandlung mit kaltem Alkohol folgte die Behandlung mit
                              siedendem Alkohol. Nach seiner Einwirkung auf das Zukerrohrpulver sezte er beim
                              langsamen Erkalten vollkommen weiße und durchsichtige Zukerkrystalle ab. Beim
                              nachherigen Abdampfen gab die Flüssigkeit keine Spur unkrystallisirbaren Zukers.
                           Derselbe Versuch wurde mit dem Pulver des obern Theils des Zukerrohrs wiederholt; bei
                              der Behandlung mit kaltem Alkohol gab es keinen flüssigen Zuker, aber eine
                              Auflösung von fast derselben Quantität einer zerfließlichen Substanz, wie sie von
                              dem untern Theile erhalten wurde; durch siedenden Alkohol wurde nichts anderes als
                              krystallisirbarer Zuker ausgezogen.
                           Diesen Versuch, welchen wir als Hauptversuch betrachten, weil er uns das Rohr von
                              seinem Zuker zu erschöpfen, und diesen dann in weißen Krystallen zu erhalten
                              gestattet, wurde mit mehr als zehn Mustern von allen Theilen des Zukerrohres
                              angestellt. Während die eben berichteten Versuche mit dem getrokneten Zukerrohr nie
                              Spuren von flüssigem Zuker (Melasse) gaben, verhielt es sich aber ganz anders, als
                              wir das frische Zukerrohr oder seinen Saft mit Alkohol behandelten.
                           In 100 Grammen Rohrsaft von 108 Dichtigkeit (12° Baumé), welcher durch
                              Auspressen gewonnen war, schütteten wir 50 Gramme Alkohol von 95°, durch
                              welchen ein flokiger Niederschlag hervorgebracht wurde, den man mittelst eines sehr
                              feinen Gewebes abfiltrirte. Die zukerhaltige alkoholische Flüssigkeit wurde dann
                              unter eine, gebrannten Kalk enthaltende, Gloke gebracht; nach Verlauf von 15 Tagen
                              waren das Wasser und ein großer Theil des Alkohols verschwunden und der Zuker hatte
                              sich an den Wänden der Schale in weißen, harten, spröden, warzigen Häufchen
                              abgesezt; er wog 16,8 Gramme. Der rükständige Alkohol hinterließ, nachdem er
                              abgegossen und abgedampft worden war, 2,2 Gramme einer zukerigen, salzigen,
                              zerfließlichen Substanz; Aether trennte eine sehr kleine Quantität Wachs davon; der
                              im Wasser sehr auflösliche Ueberrest widersezte sich hartnäkig der Krystallisation
                              und der Abtretung des in ihm noch enthaltenen Zukers an die Auflösungsmittel.
                           Die unmittelbare Behandlung des frischen Rohrs mit Alkohol, die Verdampfung des rohen
                              Saftes im leeren Raume, gaben dieselben Resultate; niemals eine vollkommene
                              Krystallisation, immer ein Rükstand einer zukerig-salzigen SubstanzWir haben schon erwähnt, daß das zu unseren Versuchen angewandte Rohr eine
                                    weit beträchtlichere Menge Salze enthält, als das Rohr von den Colonien,
                                    welches wir analysirten., deren Gewicht der in dem von uns analysirten Zukerrohr enthaltenen Menge
                              auflöslicher Salze entsprach.
                           Wir glauben daher behaupten zu dürfen: 1) daß in dem Zukerrohr kein unkrystallisirbarer Zuker präexistirt; 2) daß die Salze
                              auf den krystallisirbaren Zuker so wirken, daß sie die Melasse erzeugen, und daß
                              diese Wirkung derselben nicht während des Wachsthums stattfindet, sondern bloß in
                              Folge der technischen Operationen; dieß kann nicht anders seyn, weil in dem Lebensact der
                              Vegetation die verschiedenen Substanzen in einer völligen Unabhängigkeit von
                              einander ausgearbeitet (erzeugt) werden.
                           Was ist aber von jener zerfließchen Substanz zu halten, welche keinen süßen Geschmak
                              hat und die Alkohol von 95° dem getrokneten Zukerrohre entzieht?
                           Wir finden uns zu glauben geneigt, daß sie bei den Arbeiten im Großen eine
                              wesentliche Rolle hinsichtlich der Erzeugung der Melasse spielt, d.h. daß, wenn sie
                              sich nicht mit dem Zuker verbindet, sie natürlicherweise dahin streben muß, die
                              Klebrigkeit der Syrupe zu vermehren und die Krystalle des lezten Anschusses aus den
                              Mutterlaugen schmierig zu machen.
                           Diese Substanz ist, wenn sie durch Abdampfung im luftleeren Raume oder bei niederer
                              Temperatur erhalten wurde, ungefärbt; in der Hize färbt sie sich; ihre wässerige
                              Lösung hat die unterscheidenden Merkmale, erstens vom Gerbestoff gefällt und von der
                              reinen thierischen Kohle so absorbirt zu werden, daß das kalte Wasser sie ihr nicht
                              mehr entziehen kann; wir werden weiter unten sehen, daß der rohe Saft des Zukerrohrs
                              selten in geistige Gährung geräth, daß er hingegen sehr leicht in schleimige Gährung
                              übergeht, während die geistige Gährung in dem durch Thierkohle filtrirten Rohrsaft,
                              welcher der schleimigen Gährung niemals unterworfen ist, allerdings eintreten kann.
                              Wir haben diese Substanz in dem Zukerrohre, welches wir besaßen, nur in kleiner
                              Quantität angetroffen; kann sie aber nicht in größerer Menge in jenen Rohren, welche
                              man Narren nennt, und die keinen krystallisirbaren Zuker
                              geben, vorhanden seyn, von welcher Beschaffenheit das in Neubruch gewachsene Rohr
                              ist, welches sehr hoch und stark wird? Wir brauchen übrigens unsere Zuflucht nicht
                              zu Hypothesen zu nehmen, um zu begreifen, warum der Saft dieser Rohre beinahe
                              unkrystallisirbar ist.
                           Diese Rohre sind in bisher unbebautem Boden aufgewachsen, in einem Boden, auf welchem
                              die früher vorhandenen großen Bäume von den Flammen verzehrt wurden. Ein Theil der
                              auflöslichen Salze, welche in dem fruchtbaren Erdreich so reichlich vorhanden sind,
                              ging in diese Rohre über, befindet sich in ihrem Safte, und diese Salze üben später
                              ihren nachtheiligen Einfluß, ihre chemische Einwirkung, auf den krystallisirbaren
                              Zuker aus.Eben so wie das Zukerrohr, geben auch in stark gedüngtem und an
                                    zerfließlichen Salzen reichem Boden gewachsene Runkelrüben einen sehr schwer
                                    krystallisirenden Syrup, aber viel Melasse.
                              
                           Die Zukersäfte enthalten immer geringere oder größere Quantitäten von Salzen, und man weiß, daß
                              das Kochsalz sich mit dem Rohrzuker verbindet, wodurch eine zerfließende Verbindung
                              entsteht, welche auf 6 Theile Zuker 1 Theil Kochsalz enthält, und in der Mutterlauge
                              als unkrystallisirbarer Syrup zurükbleibt. Das Chlornatrium ist aber nicht das
                              einzige Salz, welches sich mit dem Zuker verbinden und auf die Krystallisation so
                              nachtheilig einwirken kann; ich fand, daß eine große Anzahl von Salzen sich der
                              Krystallisation eines eingekochten Syrups widersezen kann. Die Halogensalze nehmen
                              unter diesen den ersten Rang ein; das kohlensaure Kali und Natron reagiren auch auf
                              den Zuker bei der Temperatur des Einkochens, färben die Syrupe stark und machen sie
                              beinahe unkrystallisirbar.
                           Die Mutterlauge des Zukerrohr- und des Runkelrübensaftes kann daher Melasse geben, ohne daß die Pflanze während ihres
                              Wachsthums solche enthalten hätte.
                           Beachten wir nun, daß eine Flüssigkeit niemals krystallisirt, ohne eine Mutterlauge
                              zurükzulassen, die eine auf ihrem Sättigungspunkte befindliche Auflösung darstellt,
                              dann werden wir uns erklären können, warum Hr. Avequin so
                              viel Melasse, d.h. Mutterlauge von krystallisirtem Zuker erhalten, während es Hrn.
                              Plagne (polyt. Journal Bd. LXXVII. S. 436), indem er die Mutterlauge
                              vier- bis fünfmal krystallisiren ließ, gelang, eine beinahe vollständige
                              Krystallisation zu erreichen, ein Umstand, welcher bei dem
                                 Gewinnungsverfahren in den Colonien ebenso stattfindet.
                           Eine praktische Thatsache beweist die Richtigkeit unserer Behauptung. Man wendet
                              nämlich zur Bereitung des feinsten Hutzukers sehr schönen gedekten Zuker an; der
                              Syrup, welchen man im leeren Raume einkocht, ist völlig farblos und kann als eine
                              beinahe reine Zukerlösung betrachtet werden. Dennoch erhält man bei der ersten
                              Krystallisation nur 50 Proc. krystallisirten Zuker, und kann nicht mehr daraus
                              gewinnen, ohne einen Antheil desselben zu caramelisiren (d.h. daß er in Folge der
                              Erhizung braun wird und Feuchtigkeit anzieht), was, wie Hr. Dubrunfaut beobachtet hat, daher rührt, daß 1 Theil siedendes Wasser nur 5
                              Theile Zuker auflösen kann und beim Erkalten nur 3 Theile abgibt, während 1 Th.
                              kaltes Wasser 2 Theile Zuker auflöst, welche Auflösung die Mutterlauge
                              (Nachlaufsyrup) bildet.
                           Beim Erkalten einer im heißen Zustande gesättigten Zukerlösung hinterbleibt also eine
                              Mutterlauge, welche man manchmal mit dem Namen Melasse bezeichnet und die wirklich
                              aus 2 Th. Zuker und 1 Th. Wasser besteht; man weiß übrigens gar wohl, daß diese
                              Melasse weit entfernt ist, flüssiger oder unkrystallisirbarer Zuker zu seyn; wir haben auf diese
                              Thatsache auch nur deßhalb hingedeutet, um zu erklären, warum die Kreolen, welche
                              den Nachlaufsyrup nicht, oder doch nur sehr selten, noch einmal einkochen, ihre Melasse auf eine so hohe
                              Ziffer bringen. Freilich erhalten diejenigen von ihnen, welche noch einmal kochen, gewöhnlich nur ein schlechtes Product. Die schlechtere
                              Beschaffenheit dieser aus den Syrupen gewonnenen Zuker hat einzig darin ihren Grund,
                              daß, statt jeden Tag wieder einzukochen, wie dieß in den französischen Zukerfabriken
                              oder Raffinerien geschieht, die Colonisten damit so lange zuwarten, daß der
                              krystallisirbare Zuker, welchen dieser Syrup noch in so reichlicher Menge enthält,
                              durch eine langsame Währung und die Einwirkung der salzigen Substanzen zum Theil in
                              einen anderen Zustand übergeht. Eine zwekmäßigere Behandlung dieses an
                              krystallisirbarem Zuker so reichen Products würde den Kreolen unbestritten großen
                              Nuzen gewähren. Wirklich kostet an den Fabrikorten der Rohzuker 50 bis 60 Cent, per Kilogramm, während die Melasse, wenn sie auch noch
                              so reich an krystallisirbarem Zuker ist, nie höher als um 10 Cent. per Liter (7 bis 8 Cent, das Kilogramm) verkauft wird.
                              In vielen Pflanzungen wird die Melasse auch zu nichts anderem als zum Futter für das
                              Vieh gebraucht; in anderen wird sie in den Quil diveries
                              zur Gewinnung des Rums verwendet; auch in Frankreich wird die Melasse sowohl zum
                              Viehfutter als zur Alkoholgewinnung benuzt; aber dieß ist eine Melasse, welche am
                              Baumé'schen Aräometer 44 bis 45° zeigt, während die Melasse der
                              Colonien gewöhnlich nur 37 bis 38° hat. Bei diesem Unterschied in der
                              Dichtigkeit kann der Gehalt eines Nachlaufsyrups an unkrystallisirbarer Substanz um
                              6 bis 50 Proc. differiren. Die Colonisten könnten daher aus ihren Melassen noch 35
                              bis 40 Proc. Zuker gewinnen.
                           Wenn man aber auch durch verbesserte Kochapparate schönere Zuker und an
                              krystallisirbarem Zuker reichere Nachlaufsyrupe erhalten wird, so wird man doch auf
                              das erstemal keine größere Menge Rohzuker gewinnen; auch wiederholen wir, daß man
                              immer auf das Wiederkochen der Syrupe wird zurükkommen
                              müssen, um die größtmögliche Menge krystallisirbaren Zukers im Großen daraus zu
                              ziehen.
                           Diese Betrachtungen über den reichen und so schlecht benuzten Gehalt des Zukerrohrs
                              an krystallisirbarem Zuker glauben wir in diesem Augenblike anregen zu müssen, wo
                              sich alle Colonisten Mühe geben, Fortschritte zu machen, täglich Verbesserungen in
                              ihrem Fabricationsverfahren einführen und einsehen, daß sie zu lange die
                              Fruchtbarkeit ihres Bodens und die Reichhaltigkeit seiner Producte verkannt haben.
                              Alle Tage verbreiten sich jezt neue Ideen auf unsern Inseln; der Kreole hat kein
                              Vertrauen mehr auf die alten Verfahrungsweisen; fleißige und das Gute wollende
                              Pflanzer, wie die HHrn. v. Jabrun und v. Longchamps, nehmen bessere Methoden an und ermuntern zu
                              denselben. Erst vor wenigen Tagen gingen in Havre mehrere neue Kochapparate nach
                              Guadeloupe ab; unter anderen der von Hrn. v. Jabrun
                              construirte. Hr. v. Jabrun kehrt jezt selbst, nachdem er
                              sich 6 Jahre in Paris aufgehalten hatte, auf seine Pflanzungen zurük; ihn begleitet
                              auch Hr. Hotessier, Verfasser einer trefflichen Broschüre
                              über die in der Rohrzukerfabrication einzuführenden Verbesserungen. Seit einigen
                              Jahren werden in sehr vielen Pflanzungen solche vervollkommnete Apparate
                              angeschafft. Der Impuls ist nun gegeben; die Kreolen werden nicht lange mehr 30 Procent Zuker in ihrer troknen Bagasse (ausgepreßtem
                              Zukerrohr) zurüklassen; sie werden sicherlich bald nicht
                              mehr 40, oder gar 60 Proc. Melasse, wie auf der Insel Bourbon, fabriciren.
                           Das in Guadeloupe gegenwärtig im Großen angewandte Verfahren das Zukerrohr
                              auszutroknen, gewährt sehr viele Hoffnungen. Meine Versuche über das getroknete Rohr
                              haben ergeben, daß das Austroknen den krystallisirbaren Zuker in nichts verändert,
                              daß die Erschöpfung des Rohres, die Ausziehung des Zukers aus demselben hiedurch nur
                              um so leichter und einfacher wird. Wenn einst die Austroknungsmethode einen
                              erwiesenen Vortheil behufs der Erschöpfung des Rohres darbieten wird, dann wird der
                              Colonist, statt auf die Zukerfabrication zu verzichten, statt diesen Vortheil dem
                              Mutterlande zu überlassen, in seinen Pflanzungen diese getrokneten Rohre verarbeiten
                              und seine verbesserten Kochapparate zum Abdampfen des aus dem troknen Rohre
                              gewonnenen Syrups anwenden; was einstweilen unsere großen
                                 industriellen Unternehmer nicht abhalten wird, das getroknete Rohr einzuführen
                                 und in den französischen Raffinerien eine unermeßliche Menge Zukers daraus zu
                                 ziehen.
                           Das allgemeine Wohl, das Interesse unserer Colonien erheischen beide eine Vermehrung
                              der Zukerproduction, dieses höchst nothwendigen Products, dessen hoher Preis es der
                              arbeitenden Classe unzugänglich macht. Seine Consumtion, welche übrigens statt im
                              Verhältniß zum Wohlstand zuzunehmen, eher abzunehmen scheint, verhindert dessen
                              Steuerherabsezung, und dieses gesunde Nahrungsmittel behauptet sich auf einem 12
                              Millionen Franzosen unerschwinglichen Preis. Hoffentlich wird die Zeit nicht mehr so
                              gar ferne seyn, wo der Pflanzer, indem er durch seine Industrie seine Production
                              verdoppelt, die Ladung seiner nach dem Mutterlande abgehenden Schiffe vergrößert und
                              dadurch unserer Handelsmarine mehr Leben gibt.
                           Man kann diese Verhältnisse und die außerordentlich große Rolle, welche sie in unserer Industrie
                              spielen, nicht besser ausdrüken, als indem man einige Worte einer Abhandlung des
                              Hrn. Millot über diesen Gegenstand aushebt:
                           
                              „Durch seine Natur schon nimmt der Zuker den ersten Rang im Pflanzenreiche
                                 ein, in welchem er eines der werthvollsten Producte für die Ernährung und für
                                 das commercielle Leben ist.
                              
                           
                              „Der Zuker ist so vorzugsweise eine Handelswaare, daß wenn die
                                 Zukerconsumtion durch die Verminderung des Preises dieses beliebten Artikels
                                 zunimmt, auch die Handelsmarine im Quadrate der Tonnenzahl des verführten Zukers
                                 zunimmt.
                              
                           
                              „Mit 10 Tonnen Zuker wird der Tonnengehalt des Tauschhandels
                                 verhundertfacht; durch die Verhundertfachung des Tonnengehaltes verzehnfacht man
                                 die Anzahl der Handelsmatrosen; indem man diese verzehnfacht, wird die Kraft und
                                 die Seemacht des Staats verdoppelt, eine Macht, welche heutzutage das Schiksal
                                 der Völker zu entscheiden hat.“
                              
                                 
                                 Journal des conseillers municipaux 1839. Question des sucres, par M. Louis Millot.
                                 
                              
                           
                        
                           Vom Safte des Zukerrohrs.
                           Der Rohrsaft, welchen ich zu untersuchen hatte, war farblos oder blaßgelblich weiß,
                              von angenehmem, balsamischem Geruch, angenehmem, aber etwas fadem Geschmak und
                              verhielt sich gegen Reagentien immer sauer.
                           Der Rohrsaft klärt sich durch die bloße Einwirkung der Wärme.
                           Alkohol bringt einen sehr leichten, flokigen Niederschlag darin hervor.
                           Säuren klären ihn, sowohl kalt als warm, wobei ein leichter Niederschlag darin
                              erzeugt wird.
                           Kalk und die kohlensauren Alkalien klären ihn gleich gut; vorzüglich merkwürdig aber
                              ist, daß eine schwache oder concentrirte reine Aezkalilösung den Rohrsaft, und zwar
                              um so besser klärt, je höher dessen Temperatur ist, was beweist, daß die coagulirte
                              Substanz, durch deren Fällung die Klärung des Rohrsaftes herbeigeführt wird, weder
                              Eiweißstoff noch Pectin ist.
                           Gerbstoff, welcher in dem frischen Saft nur einen unbedeutenden Niederschlag
                              hervorbringt, erzeugt dagegen einen reichlichen Niederschlag in dem einige Tage
                              alten, und namentlich in dem sich zu verdiken anfangenden Saft; der Alkohol wirkt
                              wie der Gerbstoff.
                           Thierische Kohle entfärbt den Rohrsaft und macht ihn vollkommen hell, ohne ihm seinen
                              Geschmak zu nehmen. Durch thierische Kohle entfärbt und geklärt, gibt der Rohrsaft
                              mit dem Gerbstoff keinen Niederschlag mehr. Er läßt sich sehr lange Zeit (mehr als 15 Tage) bei einer
                              Temperatur von + 10° C. ohne irgend eine Veränderung zu erleiden,
                              aufbewahren; bei einer höhern Temperatur (18 bis 20° C.) geht er nach fünf
                              bis sechs Tagen in geistige Gährung über, ohne jedoch dik zu werden.
                           Essigsaures Blei bringt in dem Saft des französischen Zukerrohrs einen reichlichen
                              Niederschlag hervor, worauf sich die überstehende Flüssigkeit sogleich klärt. Ich
                              habe alle Ursache zu glauben, daß der rohe Zukersaft der Colonien sich gegen das
                              essigsaure Blei ganz anders verhält und zwar aus folgenden Gründen: alle Muster von
                              getrokneten Rohren aus den Colonien, welche ich untersuchte, gaben wässerige
                              Flüssigkeiten, welche von basischessigsaurem Blei nur unvollständig gefällt wurden;
                              die überstehende Flüssigkeit blieb immer opalisirend, und war, selbst durch
                              Filtriren, nur äußerst schwer hell zu erhalten. Die französischen Rohre gaben
                              getroknet und eben so behandelt, eine Flüssigkeit, welche mit demselben Reagens
                              vollkommen hell wurde.
                           Der Saft des französischen Rohrs geht, sich selbst überlassen, sehr schwer in
                              geistige Gährung über; er wird im Gegentheil sehr bald dik, gleicht dann dem
                              Traganthschleim und man bemerkt, daß in dem Maaße, als die Masse sich verdikt, der
                              Zuker abnimmt und endlich völlig verschwindet. Man kann sich hievon überzeugen,
                              indem man die Masse mit Alkohol von 85° behandelt, welcher die neugebildete
                              Substanz stark zusammenzieht und den noch vorhandenen Zuker, so wie die bei dieser
                              Zersezung gebildete Milchsäure in Auflösung erhält. Ich habe beobachtet, daß die
                              Schwefelsäure diese Zersezung unterdrükt, während, selbst kräftige Alkalien, sie zu
                              begünstigen scheinen. Die vom Alkohol zusammengezogene Substanz ist, nachdem sie mit
                              solchem gewaschen worden, weiß, weich, elastisch, im Wasser und in Essigsäure
                              auflöslich. Sie gleicht sehr dem von Alkohol aus einer wässerigen Lösung
                              niedergeschlagenen Gummi. Vom Gerbstoff, Alkohol und Aether wird sie reichlich
                              präcipitirt. Schwefelsäure verkohlt sie; Salpetersäure verwandelt sie in
                              Kleesäure.
                           Unter dem Einflüsse einer Temperatur von 25 bis 30° C. und der Bierhefe tritt
                              jedoch geistige Gährung auch in dem Safte des französischen Rohres ein. Es steht
                              aber fest, daß der durch thierische Kohle passirte Rohrsaft niemals die schleimige
                              Gährung erleidet und sich sehr lange Zeit ohne zu verderben aufbewahren läßt,
                              während der rohe Saft des Rohrs verdirbt und sehr leicht in schleimige Gährung
                              übergeht. Woher kommt es also, daß die Melasse des Rohrs so leicht Alkohol (Rum)
                              gibt? Dieß rührt offenbar daher, daß die Wärme eben sowohl wie die Kohle auf das
                              Princip der schleimigen Gährung einwirkt (die Kohle wirkt absorbirend, die Wärme modificirend, die
                              Einwirkung aufhebend); diese Ansicht stüze ich auf folgenden Versuch. Ich nahm 100
                              Gramme Rohrsaft von 6° Baumé, theilte sie in zwei Theile, dampfte
                              beide auf ein Drittheil des Gewichts ab, den einen durch Kochen an freier Luft, den
                              andern bei gewöhnlicher Temperatur unter einer Gloke, indem ich das Wasser von
                              Aezkalk absorbiren ließ; nachdem sie hierauf wieder auf ihren frühern
                              Dichtigkeitsgrad mittelst destillirten Wassers gebracht worden waren, zeigte sich
                              nach Verlauf von fünf Tagen bei 15° Temperatur die Gährung schon in der
                              Zukerflüssigkeit, welche die Einwirkung der Wärme nicht erlitten hatte, während die
                              andere nach Verlauf von 14 Tagen noch nicht im Mindesten gohr.