| Titel: | Ueber die Anwendung des fetten und des hydraulischen Kalks zu den Festungsmauern; von Hrn. Vicat. | 
| Fundstelle: | Band 80, Jahrgang 1841, Nr. LXXIII., S. 279 | 
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                        LXXIII.
                        Ueber die Anwendung des fetten und des
                           hydraulischen Kalks zu den Festungsmauern; von Hrn. Vicat.
                        Aus den Comptes rendus 1841, No. 11.
                        Vicat, uͤber die Anwendung des fetten und hydraulischen
                           Kalks zu den Festungsmauern.
                        
                     
                        
                           Das Schreiben, welches ich am 15. Febr. d. J. an die Akademie zu richten die Ehre
                              hatte, brachte eine technische Frage von höchster Wichtigkeit, die Art des Mauerns
                              bei der Befestigung von Paris, in Anregung.
                           Diese Befestigung nur unter dem Gesichtspunkt des von derselben der Wirkung des
                              Geschüzes zu leistenden Widerstandes betrachtend, glaubte Hr. Poncelet aus mehreren Versuchen schließen zu dürfen, daß die Art des
                              Mörtels gar nicht wesentlich zur defensiven Verbesserung der Mauern befestigter
                              Pläze beitrage. In anderer Hinsicht wollte dieser verehrte Akademiker behaupten, daß
                              die Art des Mörtels nur einen sehr geringen Einfluß auf den Widerstand des
                              Mauermantels gegen Erdstöße übe. Die logische Folge dieser Behauptungen wäre, daß es
                              überhaupt gar nicht nothwendig sey, hydraulischen Kalk zu Fortificationsarbeiten
                              anzuwenden; denn die in Betreff des Bewerfens und der Zusammenfügung der Vorderseite
                              der Werksteine zugegebene Ausnahme ist ein so unbedeutendes Palliativmittel, daß es
                              beinahe für gar nichts anzusehen ist. Nach Hrn. Poncelet's Meinung ist also, einfach ausgedrükt, an der von unseren
                              Vorfahren geübten Art des Mauerns bei Befestigungen nichts zu ändern.
                           Zur Vertheidigung meiner Meinung kann ich der Autorität des Hrn. P. nur die eben so
                              competente und schäzenswerthe einer Notabilität des königl. Geniecorps, des
                              verstorbenen Generals Treussart entgegensezen. In seiner
                              1829 herausgegebenen Abhandlung über hydraulischen Mörtel sich derselbe, wie folgt,
                              aus.
                           
                           „Wenn die Dauerhaftigkeit die erste Bedingung eines Baues überhaupt ist,
                                 so ist sie es noch ganz besonders bei Kriegsbauwerken; nichtsdestoweniger ist
                                 sie nur zu oft vernachlässigt worden. Die meisten Vauban'schen Bauwerke bedürfen gegenwärtig einer durchgängigen Wiederherstellung und von den seitdem aufgeführten
                                 erheischen viele schon bedeutende Reparaturen; kurz, es werden jährlich beträchtliche Summen zur Unterhaltung unserer
                                 Festungen verbraucht, während die Ausgabe dafür beinahe Null wäre, wenn die
                                 Ingenieurs die wahren Mittel der Dauerhaftigkeit besser gekannt hätten.... Bei
                                 den öffentlichen, in großen Quadersteinen aufgeführten Gebäuden hängt die
                                 Dauerhaftigkeit weniger von der Art des Mörtels als von der Beobachtung der
                                 Bedingungen des Gleichgewichts und der guten Qualität der Steine ab, welche dem
                                 Wechsel der Jahreszeiten widerstehen können müssen.... Wenn aber die Mauern aus
                                 kleinem Material bestehen, wie dieß am häufigsten
                                 der Fall ist, dann ist eine andere unerläßliche Bedingung der Dauerhaftigkeit
                                 eine gute Qualität des Mörtels.“ (Vorrede des erwähnten Werkes.)
                           Nachdem er die Unzulänglichkeit der alten Maurerarbeit bei Kriegsbauwerken
                              geschildert und die wahre Ursache des Uebels bemerkt hat, gibt er in der zweiten
                              Abtheilung seines Werkes die Mörtel für der Luft ausgesezte Mauern an, und schließt
                              dieses Capitel mit folgenden Worten:
                           
                              „Wir pflegen unsern Mörtel aus fettem Kalt und Sand zusammenzusezen. Obige
                                 Versuche beweisen, daß wir sehr unrecht haben;
                                 wirklich dauert unser Mauerwerk nicht lange. Man kann ein an freier Luft dauerhaftes Mauerwerk nur mit hydraulischem Mörtel erhalten. In den
                                 Ländern, wo man guten hydraulischen Kalk findet, sollte, sey es zu welchem Zwek es wolle, kein anderer angewendet werden. Für
                                 gewöhnliches Mauerwerk wird der Mörtel dann nur mit diesem
                                    Kalk und Sand angemacht.... In Ländern aber, in welchen man weder
                                 hydraulischen Kalk noch Sand (arèns,
                                 thonartige Puzollanerde) hat, muß man sich zu einer etwas größeren Ausgabe
                                 entschließen und den Mörtel mit fettem Kalk, Sand
                                 (sable) und hydraulischem
                                    Cement (Puzollanerde) anmachen..... Sogar wenn die Kosten sich höher
                                 belaufen sollten, wäre es gewiß ökonomischer, sie nicht zu scheuen, um
                                 dauerhaftes Mauerwerk zu erhalten, als etwas weniger Kosten zu haben, und es in
                                 ein oder zwei Jahrhunderten darauf wieder frisch machen zu müssen
                                 u.s.w.“
                              
                           Diese Erklärung ist gewiß klar und unzweideutig; man sieht, daß der Verf. nicht im
                              Geringsten von einem bloßen Widerstand der Mauern gegen eine Breschbatterie spricht; seine Sorgfalt
                              ist bloß auf die Dauerhaftigkeit in Bezug auf den Witterungswechsel und andere
                              beständig thätige Zerstörungsursachen gerichtet. Merkwürdig ist, daß der Verf. 11
                              Jahre vor mir die absolute Unzulänglichkeit des aus fettem Kalk und gewöhnlichem
                              Sand bereiteten Mörtels mit mir so genau übereinstimmend ausspricht. – Die
                              von Hrn. Héricart de Thury angeführten Beispiele
                              alten Mörtels beweisen offenbar nichts zu Gunsten des fetten Kalks, da Jedermann
                              heutzutage weiß, daß die große Härte desselben das Werk mehrerer Jahrhunderte ist.
                              Jeder Maurer weiß, daß der Mörtel mit fettem Kalk nach 100 Jahren im Grunde und im
                              Mittelpunkt diker Mauern noch frisch ist, und es ist sehr unwahrscheinlich, daß in
                              der Voraussicht, daß es nach fünf oder sechs Jahrhunderten noch einigen Werth haben
                              könnte, jezt Mauerwerk aufgeführt würde, welches von jezt an der zerstörenden
                              Einwirkung der Witterung zu trozen bestimmt ist. Es ist nicht zu läugnen, daß
                              gebieterische Umstände in gewissen Fällen eine Nothwendigkeit auferlegen können;
                              aber diese Nothwendigkeit selbst bringt eine einzige Bedingung mit sich, nämlich
                              materiell den Regeln einer guten Bauart zu entsagen, ohne sie jedoch anfechten zu
                              wollen, wogegen ich zu streiten nie ermüden werde.
                           * * *
                           Hr. Poncelet beantwortet obiges Schreiben des Hrn. Vicat mit ausführlichen Gegenbemerkungen, welche wir, da
                              sie seinen früheren ArgumentenS. 224 in diesem Bande des polytechn. Journals. wenig Neues hinzusezen, anzuführen überhoben sind. Wir bemerken nur, daß er
                              sich nachdrüklich dagegen verwahrt, als habe er die vortrefflichen Eigenschaften des
                              hydraulischen Mörtels und seine Zwekdienlichkeit und Unentbehrlichkeit in gewissen
                              Fällen oder das Verdienst des Hrn. V. um dessen Bereitung je verkennen wollen. Er
                              streitet nur gegen die Ueberschäzung desselben in seinem Nuzen bei Kriegsbauwerken,
                              und findet ihn, durch Hrn. Vicat's Brief nicht im
                              Geringsten in seiner Meinung erschüttert, wenn auch in vielen Fällen zum Vorwurfe,
                              doch niemals zum Aufbauen der Mauern in der Dike nothwendig oder nüzlich. Sein
                              Gebrauch wäre eine große Verschwendung, wollte man ihn überall einfuhren, wo sein
                              Schuzredner, zu weit gehend, ihn ausschließlich anempfehlen möchte. Auch Treussart's Betrachtungen beziehen sich vorzüglich auf
                              die Verkleidung, und man kann nicht behaupten, daß der hydraulische Mörtel in
                              Zukunft Reparaturen überflüssig mache, indem der kleinste Riß, die unbedeutendste
                              Infiltration mit der Zeit zum großen Schaden und zum Ruin eines Gebäudes werden können, wenn man nicht
                              sogleich für die Abhülfe Sorge trägt.