| Titel: | Ueber einen neuen Cohäsionszustand der Körper und durch denselben verursachte Dampfkessel-Explosionen; von Hrn. Boutigny. | 
| Fundstelle: | Band 83, Jahrgang 1842, Nr. LXXXIII., S. 457 | 
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                        LXXXIII.
                        Ueber einen neuen Cohaͤsionszustand der
                           								Koͤrper und durch denselben verursachte Dampfkessel-Explosionen; von Hrn.
                           									Boutigny.
                        Aus dem Moniteur industriel. Jan. 1842.
                        Boutigny, über einen neuen Cohäsionszustand etc.
                        
                     
                        
                           Die Société d'Émulation zu Rouen wünschte die von einem
                              									ihrer Mitglieder, Hrn. Boutigny, Apotheker und Chemiker,
                              									angestellten Versuche kennen zu lernen, durch welche die Existenz eines vierten
                              									Zustands der Körper (außer dem festen, flüssigen und gasförmigen) dargethan wurde.
                              									Derselbe leistete der deßhalb an ihn ergangenen Einladung Folge in einer dazu
                              									anberaumten außerordentlichen Versammlung.
                           Ehe er zum Experimente schritt, berührte er kurz die denselben Gegenstand
                              									betreffenden, der seinigen vorausgegangenen Arbeiten.
                           Leydenfrost beobachtete im Jahre 1752, daß auf
                              									rothglühendes Eisen gesprengte Wassertropfen eine kugelförmige Gestalt annehmen und
                              									auf dem Eisen unter sehr langsamer Verdampfung rotiren. Diese Thatsache wurde
                              									constatirt, aber auch sogleich vergessen.
                           Am Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts machten Muncke
                                 										Rumford und Klaproth ebenfalls auf einige,
                              									später jedoch unbeachtet gebliebene, Erscheinungen dieser Art aufmerksam. Muncke erinnerte an die kugelförmige oder sphäroidische
                              									Gestalt des auf rothglühendes Eisen gesprengten Wassers; als er hierauf denselben
                              									Versuch mit fixen Oehlen wiederholen wollte, gelang ihm dieß nicht, während Hrn. Boutigny der Versuch beinahe mit allen Flüssigkeiten
                              									gelang. Muncke hatte demnach nicht gut experimentirt.
                           Klaproth bestimmte die Dauer der Verdampfung der auf
                              									glühendes Eisen gesprengten Wassertropfen, indem er sie mit dem Volumen des Tropfens
                              									verglich.
                           Alle diese Arbeiten hinterließen in den Lehrbüchern der Physik aber bloß dunkle
                              									Erinnerungen, weil man nur alleinstehende Thatsachen, Ausnahmen darin sah.
                           Im Jahr 1825 stellte der Ingenieur Perkins in England sehr
                              									merkwürdige Versuche an. Er fand, daß ein mit Wasser gefüllter Dampfkessel bis zum
                              									Rothglühen erhizt werden kann, beinahe ohne Dampf zu geben, und daß man in diesem
                              									Zustande ein Loch durch denselben machen kann, ohne daß die Flüssigkeit ausläuft,
                              									woraus er natürlich folgerte, daß das Wasser in gewissen Fällen sich von sehr stark
                              									erhiztem Metall, worin es eingeschlossen ist, isoliren könne; doch zog er keine
                              									weitern Schlußfolgerungen aus dieser Thatsache.
                           
                           Im J. 1828 faßte Hr. Lachevalier, Artilleriehauptmann, den
                              									Vorgang bei Perkins' und ähnlichen Versuchen zuerst
                              									richtig auf, indem er bemerkte, daß das Gesez des Gleichgewichts des Wärmestoffs
                              									Ausnahmen erleide.
                           Im J. 1829 beschäftigte sich der Civilingenieur Hr. Bresson mit den Ursachen der Dampfkessel-Explosionen und den
                              									Mitteln ihrer Abhülfe; er erwähnte in einem damals von ihm erschienenen Werke über
                              									die technische Anwendung der Wärme, die Erscheinung der Isolirung des Wassers von
                              									den Wänden eines überhizten Kessels und ahnte schon, daß die Ursache davon eine
                              									Abstoßung zwischen dem Metall und dem Wasser seyn müsse; weiter ging er nicht, als
                              									daß er einige Mittel vorschlug, um die von dieser Ursache herzuleitenden Explosionen
                              									zu verhüten.
                           Im J. 1836 wiederholten die HHrn. Baudrimont und Laurent verschiedene, die sphäroidische Gestalt der
                              									Körper betreffende Versuche und zogen aus denselben sonderbarerweise im Widerspruch
                              									mit Hrn. Lachevalier, den Schluß, daß das Gesez des
                              									Gleichgewichts des Wärmestoffs niemals eine Ausnahme erleide.
                           So stand die Sache, als Hr. Boutigny sich mit derselben
                              									befaßte. Aus seinen zahlreichen Versuchen zog er folgende Schlüsse:
                           Daß es einen vierten Zustand der Körper gebe, den er mit der Benennung des
                              									kugelförmigen oder sphäroidischen bezeichnet; daß in diesem Zustande die
                              									Flüssigkeiten sich nicht in das Temperatur-Gleichgewicht mit der sie
                              									einschließenden Umgebung sezen und daß zwischen dem sphäroidischen und dem ihn
                              									unterstüzenden Körper Repulsion stattfinde.
                           Nach der Untersuchung und den Messungen, welche er vorgenommen, sagt er: daß wenn der
                              									Siedepunkt einer Flüssigkeit an freier Luft S ist, die
                              									Temperatur desselben Körpers im sphäroidischen Zustande 24/25 S und jene des sie enthaltenden Gefäßes im Minimum 2 S sey; es ist also die Temperatur des Wassers im
                              									kugelförmigen Zustande 96° C. und die des Gefäßes wenigstens 200°;
                              									doch muß das Gefäß vollkommen polirt seyn.
                           Zuweilen hat das Gefäß über 200°, aber die Erscheinung findet schon bei
                              									200° statt. Ist es nun nicht der Temperatur-Ueberschuß, welcher die
                              									schwache Verdampfung hervorbringt, die troz des sphäroidischen Zustandes noch dabei
                              									stattfindet? Wir möchten es beinahe glauben; denn wenn man die Schale, worin sich
                              									das Wasser in diesem Zustande befindet, in der sehr kurzen Zeit vor dem Uebergang
                              									vom sphäroidischen Zustand in den des siedenden Wassers erkalten läßt, so tritt
                              									weder eine Drehung des Sphäroids ein, noch erzeugt  sich Dampf; auch ist es ganz
                              									hell, weil keine Dunstbläschen vorhanden sind.
                           Wir machen darauf aufmerksam, daß beim Kupelliren des Silbers dieselbe Erscheinung
                              									stattfindet; das geschmolzene Silber, wenn es von den fremdartigen Stoffen einmal
                              									befreit ist, nimmt kugelförmige Gestalt an und verbleibt in diesem Zustande ziemlich
                              									lange Zeit, ohne ein Atom seines Gewichts zu verlieren, bis die Temperatur abnimmt
                              									und das Silber aus dem geschmolzenen Zustande wieder zurükgeht in den bloß
                              									flüssigen, in welchem Augenblik eine kleine Explosion (der Blik) erfolgt.
                           Daß die von Hrn. Boutigny aufgestellten Geseze allgemein
                              									seyen, wagt er selbst noch nicht zu behaupten; jedoch hat er ihre Richtigkeit für
                              									das Wasser, den Alkohol, den Schwefeläther und die schweflige Säure dargethan.
                           Mehrere der Versuche, auf welchen diese Geseze beruhen, wiederholte Hr. Boutigny vor der Gesellschaft; es sind unter diesen so
                              									außerordentliche, den einmal angenommenen Ideen so entgegenlaufende, daß man,
                              									nachdem man sie sogar oft gesehen, noch zweifelt!
                           Einer der merkwürdigsten Versuche war der, in einem bis zum Weißglühen erhizten
                              									Platintiegel Wasser zum Gefrieren zu bringen, was folgendermaßen geschieht: in eine
                              									in der Esse oder auf sonst eine Weise zum Weißglühen erhizte Platinschale oder einen
                              									Tiegel gießt Hr. Boutigny flüssige schweflige Säure.
                              									Bekanntlich ist diese Säure so flüchtig, daß sie bei 11° C. unter 0 kocht,
                              									und man muß sie, um sie aufzubewahren, in Kälte erzeugende Mischungen (von Eis und
                              									Salz) sezen. Sobald nun diese Säure in die Schale gegossen ist, nimmt sie sogleich
                              									sphäroidische Gestalt an, indem sie sich vom glühenden Metall isolirt, und
                              									verdunstet nicht. Sie bleibt also bei einer Temperatur, welche
                                 										geringer als 11° unter 0 seyn muß, obwohl sie sich in einem bis zum Weißglühen erhizten
                                 										Gefäße befindet. Daß diese Säure nicht verdampft, beweist ihre niedere
                              									Temperatur; um dieß aber noch augenscheinlicher zu machen, bringt Hr. Boutigny mittelst einer Röhre Wasser in den Mittelpunkt
                              									dieses Sphäroids. Sogleich fällt dieses Wasser unter die Temperatur des Eises und
                              									gefriert der Art, daß man aus dem glühenden Tiegel ein Stükchen Eis herausnehmen
                              									kann.
                           Man könnte einwenden, daß das Eis das Resultat der chemischen Verbindung der
                              									schwefligen Säure und des Wassers sey; dem ist aber nicht so, was Hr. Boutigny bewies, indem er den Versuch auf eine andere Art
                              									wiederholte. Statt nämlich mitten in die schweflige Säure mittelst einer Röhre
                              									Wasser zu bringen, taucht er eine kleine mit Wasser gefüllte Glaskugel in dieselbe;
                              									auch dieses Wasser 
                              									gefror; nun ist es also kein Zweifel mehr, daß man Eis in einem stark erhizten
                              									Tiegel erzeugen kann.
                           Um die Isolirung der Flüssigkeit und des sie enthaltenden Metalls, kurz die Repulsion
                              									zu beweisen, sprengt Hr. Boutigny Wasser in eine, jedoch
                              									nicht bis zum Rothglühen erhizte Schale, deren Boden mit etwa einen Millimeter
                              									weiten Löchern durchbrochen ist; das Wasser nimmt sogleich sphäroidische Gestalt an,
                              									und rotirt auf dem Boden der Schale, ohne durch diese Art von Sieb hindurchzugehen,
                              									es sey denn, daß das Sphäroid durch die Verdunstung auf einen kleinern Durchmesser
                              									reducirt werde, als den der Löcher, wo es dann allerdings durch diese in das Feuer
                              									fällt.
                           Sprengt man Salpetersäure in eine stark erhizte silberne oder kupferne Schale, so
                              									nimmt die Säure den Sphäroid-Zustand an, ohne die Schale anzugreifen, während
                              									diese Säure in der Kälte das Silber und das Kupfer sehr leicht angreift, was wieder
                              									einen Beweis von der Abstoßung der Körper unter diesen Umständen gibt.
                           Die Folgen dieser Versuche sind sehr bedeutend für die Physik, welche bisher nur drei
                              									Körperzustände annahm (den festen, den flüssigen und gas- oder
                              									dampfförmigen); sie muß nun wohl einen vierten, den sphäroidischen Zustand annehmen;
                              									auch muß sie jezt zugeben, daß in diesem leztern Zustande das Gleichgewicht des
                              									Wärmestoffs nicht hergestellt wird.
                           Diese Geseze haben nicht minder praktischen Nuzen als theoretischen; bekanntlich gibt
                              									es nämlich, ungeachtet aller angewandten Vorsicht, noch ziemlich häufig
                              									Dampfkessel-Explosionen und viele derselben sind bis auf den heutigen Tag
                              									unerklärt geblieben und können folglich auch nicht verhütet werden. Hr. Boutigny beweist nun, daß, so oft eine Flüssigkeit aus
                              									dem sphäroidischen Zustand in den kochenden übergeht, Explosion erfolgt und zwar
                              									folgendermaßen:
                           Er sezt eine Silberschale auf eine Weingeistlampe, erhizt sie bis unter die
                              									Rothglühhize und sprengt tropfenweise Wasser hinein, welches nach Maßgabe seines
                              									Hineinkommens den sphäroidischen Zustand annimmt; wenn er nachher die Lampe
                              									auslöscht, findet allmähliches Erkalten statt und in einem gewissen Moment verliert
                              									das Wasser den sphäroidischen Zustand, breitet sich in der Schale aus, aber
                              									augenbliklich erfolgt eine Explosion, alles Wasser wird in Dampf verwandelt und
                              									heftig hinausgeschleudert.
                           Dieselbe Explosion entsteht, wenn man die Schale nicht durch Auslöschen der Lampe,
                              									sondern durch allmähliches Einlassen von kaltem Wasser in die Schale, zum Erkalten
                              									bringt.
                           Hr. Boutigny wiederholte dieses Experiment mit einem
                              									kleinen  kupfernen, mit
                              									einem Stöpsel verschlossenen Kessel und ahmte hiemit die Explosionen unserer großen
                              									Dampfkessel vollkommen nach.
                           Kurz, die von Hrn. Boutigny studirten Erscheinungen sind
                              									von sehr hohem wissenschaftlichem und technischem Interesse. Die gelehrte Welt
                              									erwartet mit Ungeduld die Schrift, welche Hr. Boutigny
                              									darüber herausgeben wird.
                           
                              Bresson.