| Titel: | Ueber die Fortschritte der Seidenwürmerzucht seit dem Anfange dieses Jahrhunderts; vom Grafen Gasparin, Pair von Frankreich und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. | 
| Fundstelle: | Band 84, Jahrgang 1842, Nr. XXI., S. 124 | 
| Download: | XML | 
                     
                        XXI.
                        Ueber die Fortschritte der
                           								Seidenwuͤrmerzucht seit dem Anfange dieses Jahrhunderts; vom Grafen Gasparin, Pair von
                           								Frankreich und Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
                        Aus dem Echo du monde savant. Decbr. 1841, Nr. 690 und
                              									Jan. 1842, Nr. 697.
                        Gasparin, über die Fortschritte der Seidenwürmerzucht.
                        
                     
                        
                           Am Ende des vorigen Jahrhunderts war die Seidenproduction auf unserm Continent in
                              									vollkommenem Verfall. Die französische Revolution hatte die großen Capitalien
                              									entweder vernichtet oder vermindert und diejenigen, welche noch wohlhabend
                              									geblieben, durften es noch nicht zu zeigen wagen. Die Gleichwerdung erstrekte sich
                              									über Alles, allein die Gleichheit herrschte vorzüglich in der Kleidung. Lyon war
                              									gefallen und mit ihm unsere schönen Seidenfabriken. Der Süden ließ seine
                              									Maulbeerbäume verkümmern, deren Ernte die Arbeit des Landwirths nicht mehr lohnte.
                              									Italien verlor einen großen Absazweg, indem es den französischen Markt einbüßte und
                              									der Krieg zerstörte noch vollends, was der Revolutionssturm nicht schon vernichtet
                              									hatte. Napoleon, indem er die gesellschaftliche Ordnung
                              									wieder herstellte, suchte auch die Industrie wieder aufzurichten. Unsere
                              									Seidenfabriken erstanden wieder aus ihrer Asche und Alles schien ihnen wieder eine
                              									glükliche Zukunft zu versprechen, als der Bruch des Friedens von Amiens und hierauf
                              									die Continentalsperre ihnen einen bedeutenden Theil des auswärtigen Marktes entzog,
                              									hauptsächlich aber ihnen eine Concurrenz erzeugte, die nur wieder ins Gedächtniß
                              									zurükgerufen zu werden braucht. Die Seltenheit schöner Baumwollzeuge brachte diese
                              									damals in die Mode. Schöner Musselin wurde den reichsten Seidenstoffen vorgezogen.
                              									Troz der Bemühungen des Schmuggelhandels erhoben sich allerorten in Frankreich von
                              									strenge gehandhabten Prohibitivgesezen geschüzte Fabriken, in welchen Baumwolle
                              									gesponnen, gewoben und gedrukt wurde; allein der hohe Preis des Rohstoffs erhielt
                              									ihre Producte auf enormen Preisen, und die Mode, welche die Seltenheit oft der
                              									Schönheit und Annehmlichkeit vorzieht, wandte sich jeden Tag mehr von der
                              									inländischen Seide ab zu Gunsten ihrer neuen Nebenbuhlerin. Umsonst ermunterte der
                              									Kaiser durch  seine
                              									persönliche Zurede die Damen seines Hofes, wieder zum Gebrauch der Seide
                              									zurükzukehren und mit diesem Beispiel der Stadt voranzugehen; Frankreich richtete
                              									sich in der Mode nicht mehr nach dem Pallaste und der Hof selbst, im Uebrigen so
                              									ergeben, legte das officielle Kleid des großen Empfangs bei Hof vor den Augen der
                              									Stadt eilends ab.
                           Im Jahre 1815 endigte dieser Zustand und sobald die See wieder frei wurde, verloren
                              									die Baumwollstoffe wieder mit ihrem käuflichen auch ihren eingebildeten Werth,
                              									während die Seide, deren Werth durch eine ungeheure Ausfuhr verdoppelt wurde, ihrem
                              									vollen Rechte entsprechend, wieder in Aufnahme kam. Von da an datiren sich die neuen
                              									Fortschritte, wovon ich nun sprechen will.
                           In welchem Zustande befand sich damals diese Kunst? Damit man sich hievon eine
                              									gehörige Vorstellung machen kann, muß ich einige Bemerkungen vorausschiken. Ohne
                              									Zweifel ist die Wahl der Maulbeerbaumspecies, ihre Pflanzung, Behandlung, ihre
                              									Beschneidung von höchster Wichtigkeit; derjenige, welcher ihre Cultur zum erstenmal
                              									unternimmt, wird zwar von seiner Gewohnheit, andere Bäume zu Pflegen, geleitet
                              									werden, aber bald die Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten gewahr werden, die ihm
                              									zur Richtschnur dienen müssen. Ganz anders verhält es sich jedoch mit den
                              									Seidenwürmern. Ein einziges Insect, die Biene, wurde der Herrschaft des Menschen
                              									unterworfen und die Biene verlangte von ihm keinen andern Dienst, als daß er sie mit
                              									einer Wohnung versehe; in diese ist ihr geheimnißvolles Leben eingeschlossen und es
                              									bedurfte beharrlicher Beobachtungen, um den Hergang desselben zu entschleiern; der
                              									Seidenwurm hingegen erheischte täglich fortgesezte Sorgfalt; seine Nahrung mußte
                              									gesammelt und ihm vorgelegt, er mußte in einer für ihn geeigneten Atmosphäre
                              									erhalten, alle Abschnitte seines Lebens mußten sorgfältig verfolgt, jedem die ihm
                              									nöthige Aufmerksamkeit gewidmet und jeder Fehler konnte durch einen Nichterfolg
                              									bestraft werden.
                           Jemehr man aber auch Fortschritte in der Erkennung der Bedürfnisse dieses Insectes
                              									machte, desto mehr lernte man die ihm geeignete Lebensweise kennen, desto
                              									befriedigender fiel seine Pflege aus und desto gewinnbringender wurde dieser
                              									Erwerbszweig. Es ist mehr merkwürdig als nüzlich zu wissen, daß der Seidenwurm,
                              									einer vollkommenen Gefrierung ausgesezt, diese harte Probe aushält; nüzlich war es
                              									aber zu wissen, daß die Entwikelung der Organisation im Ei während seines ganzen
                              									Foetuslebens bei einer mittlern Temperatur von 12,5° C. vor sich geht, wie
                              									dieß vor Kurzem von H. Hérold dargethan wurde; daß
                              									dieselbe Temperatur, welche auch zur Vegetation des Maulbeerbaums nöthig ist, die
                              									niedrigste ist, bei welcher  er zu fressen anfängt, daß aber, wenn man sie während
                              									seines ganzen Lebens beständig so erhält, vier Fünftheile der Würmer zu Grunde
                              									gehen; daß bei 17,50° C. zwei Drittheile verloren gehen und daß man endlich
                              									bei 22 bis 25° starke Würmer erhält, welche seidenreiche Cocons machen. Diese
                              									Untersuchungen Dandolo's geben uns die niederste Gränze
                              									an; in neuerer Zeit hat Hr. Camille Beauvais die oberste
                              									Gränze, bei welcher sie sich zu ernähren aufhören, zu 50° C. bestimmt.
                           Man sieht, daß die Vorsehung, indem sie der Existenz dieses Insectes einen so großen
                              									Spielraum der Temperatur einräumte, für die Erhaltung der Gattung Fürsorge getroffen
                              									hat, wenn sie im wilden Zustande, dem Witterungswechsel ausgesezt, tägliche
                              									Variationen, welche sich innerhalb dieses Spielraums bewegen, in den wärmsten, so
                              									wie in den gemäßigtsten Himmelsstrichen ertragen muß. Wirklich lebt der Seidenwurm
                              									in der gewöhnlichen Wärme der Atmosphäre überall, mit Ausnahme der Eiszone. In
                              									Jahrgängen, wo der Temperaturwechsel nicht bedeutend war, soll man die Zucht unter
                              									bloßen offenen Schoppen ohne alle weitere Vorsichtsmaßregeln schon oft mit dem
                              									besten Erfolg betrieben haben.
                           Auch hat die Beobachtung gelehrt, daß der Seidenwurm die feuchte Luft nicht fürchtet.
                              									Man ließ ihn in beinahe mit Feuchtigkeit gesättigter Atmosphäre leben; man fütterte
                              									ihn mit beständig angefeuchteten Blättern; dieser Versuch wurde in diesem Jahr von
                              									Hrn. Robinet angestellt. Er erträgt aber auch eine sehr
                              									trokene Luft, obwohl er sich weniger behaglich darin befindet. Genug, er würde
                              									vollkommen an freier Luft gedeihen, wenn man ihn vor den Ratten, Vögeln und Ameisen
                              									schüzen würde.
                           Erscheint es hienach nicht sonderbar, von der Schwierigkeit der Zucht dieses Insects
                              									zu sprechen? Ist es nicht zum Erstaunen, daß man in so vielen Jahrhunderten, wo man
                              									sich damit schon beschäftigt, doch noch so weit darin zurük ist, daß ein Unterschied
                              									wie von 1 zu 3 besteht zwischen dem Producte, welches die Masse der damit
                              									Speculirenden einsammelt und dem durch verbesserte Verfahrungsweisen erhaltenen? Um
                              									dieß begreiflich zu machen und den Gang der bisherigen Fortschritte darzulegen,
                              									bedarf es nur einiger Worte.
                           Wenn der Seidenwurm sich im Naturzustande befindet, wenn der Schmetterling seine Eier
                              									um einen Zweig legt und die jungen auskriechenden Insecten an die umgebenden Blätter
                              									kommen, hat die Natur durchaus nicht dafür gesorgt, ihre Anzahl der Menge der von
                              									dem Maulbeerbaum hervorgebrachten Blätter anzupassen; auf Gerathewohl dahinlaufend,
                              									lassen sie sehr viele unberührt. Wenn der Mensch aber einen Baum cultivirt, muß er
                              									so viel möglich Nuzen daraus  zu ziehen suchen; er darf daher das Insect nicht seinem
                              									natürlichen Instincte überlassen; auch darf es ihm nicht einfallen, den Maulbeerbaum
                              									selbst mit demselben bevölkern zu wollen; außerdem, daß der Seidenwurm in seinem
                              									freien Lauf einen Theil der Zweige unabgefressen ließe, würden ihm auch so viele
                              									Unglüksfälle begegnen, sowohl durch die Anfälle seiner natürlichen Feinde, als durch
                              									Abfallen, daß es sehr schwer wäre, eine große Pflanzung zu überwachen; man mußte
                              									also auf diese Zucht im Freien (welche von systematischen Köpfen von Zeit zu Zeit
                              									als Vervollkommnung immer wieder zum Vorschein gebracht wird) bei Zeiten
                              									verzichten.
                           Bei dem Leben der Seidenwürmer im Freien konnte man nicht erkennen, wie nöthig ihnen
                              									die reine Luft sey; sie umgab sie in reichster Fülle; aber in engen, abgeschlossenen
                              									Räumen, auf Tischen aufgehäuft mitten unter dem ihnen zur Nahrung dienenden Laube,
                              									welches beim Welken Kohlensäuregas in Menge entwikelt, und von ihren Excrementen
                              									umgeben, welche gähren und die Luft verderben, konnte nur eine kleine Anzahl der
                              									stärksten das natürliche Lebensende erreichen; als man also fand, daß die
                              									Coconsernte, bei übrigens gleichen Umständen, im Verhältniß stand zur Reinlichkeit
                              									und Lüftung, mußten die mit dem künstlichen Zustande in Verbindung zu bringenden
                              									Vorkehrungen wohl ermittelt werden.
                           Wie oft muß die Luft in einer Anstalt erneuert werden, um die Seidenwürmer ganz
                              									gesund zu erhalten? Die Meinungen hierüber mußten so verschieden seyn, als die Größe
                              									der Anstalten, wo die Versuche angestellt wurden, als der Zwischenraum zwischen den
                              									Würmern, als die Sorgfalt, welche der Reinlichkeit gewidmet wird, als die
                              									Wiederholung der Mahlzeiten und die Menge der vorgelegten Blätter, durch welche
                              									Elemente auch die Ursachen der Verdorbenheit der Luft verschieden werden. Kein den
                              									Arbeitern zu Gebote stehendes Instrument zeigt die Verdorbenheit der Atmosphäre an;
                              									unsere Lunge und unser Geruchsvermögen allein sind empfindlich genug, um sie uns zu
                              									verkünden. Wir müssen in einer solchen Anstalt ganz bequem athmen können und keinen
                              									übeln Geruch empfinden.
                           Die Ventilation wird mittelst Windräder, Windöfen, warmer Luftströme bewerkstelligt.
                              									Man hat auch Blasebälge vorgeschlagen. Ueber alle diese Mittel muß die Erfahrung
                              									sich erst noch aussprechen, welche allein über ihre praktischen und ökonomischen
                              									Resultate mit Sicherheit entscheiden kann. Bei der von Hrn. Darcet angegebenen Einrichtung der Anstalt, wo die Ventilation von Unten
                              									nach Oben stattfindet, wurde beobachtet, daß der aufsteigende Strom allerdings die
                              									Luft der die Stokwerke von Tischen umgebenden Gänge erneuert, daß aber diese über
                              									einander gestellten Tische selbst seiner Bewegung Einhalt thun und die zwischen denselben
                              									befindliche Luft an der aufsteigenden Bewegung keinen Theil nehme. Es wurden mehrere
                              									Auskunftsmittel vorgeschlagen, um diese seitliche Fortschaffung der Luft zu
                              									bewirken. In Italien construirte man ein System von kreisrunden Tischen, welche sich
                              									um eine Achse drehen, mit breiten Zwischenwänden von Leinwand versehen sind, welche
                              									bei ihrer Bewegung die Luft verdrängen und dabei von seitlich angebrachten
                              									Windrädern unterstüzt werden, deren Flügel durch denselben Motor wie das System
                              									selbst in Bewegung gesezt, die Luft nach allen Richtungen bewegt. Die Complicirtheit
                              									dieses Mittels, die Kostspieligkeit desselben und die Schwierigkeit, es in allen
                              									Localen anzubringen, gestatten dessen allgemeine Einführung nicht. Hr. Vasseur hat bewegliche Tische vorgeschlagen und im Süden
                              									Frankreichs zu verbreiten angefangen, welche Tische sich von Oben gegen Unten und
                              									von Unten aufwärts drehen und nacheinander vor den Arbeiter gebracht werden können;
                              									sie sind hierin zum Dienste bequem und verdrängen zu gleicher Zeit die Luft durch
                              									ihren horizontalen Gang, wenn sie von der aufsteigenden zur absteigenden Bewegung,
                              									indem sie ihre Rotation vollenden, übergehen. Diese sinnreiche Erfindung scheint mir
                              									eine große Verbesserung in der Seidenwürmerzucht zu seyn. Hr. Reboul endlich hat kürzlich vorgeschlagen, das System der erzwungenen
                              									Ventilation des Hrn. Darcet wie es ist, mit der Aenderung
                              									jedoch einzuführen, die Richtung derselben von der verticalen in die horizontale
                              									umzuändern; dieser horizontale Luftzug würde dann die zwischen den Tischen
                              									eingeschlossenen Luftschichten durch kräftige Erneuerung reinigen. Dieses Verfahren
                              									hat die Prüfung durch Versuche noch nicht bestanden.
                           Um aber die Luft rein zu erhalten, indem man die Ursachen beseitigt, welche sie
                              									verderben können, wurde der Gebrauch über die Tische ausgebreiteter und mit Blättern
                              									bedekter Neze, mittelst welcher man alle Seidenwürmer auf einmal entfernt, um sie
                              									auf einen reinen Tisch zu legen, indem der Mist auf dem vorigen Tisch zurükbleibt
                              									— dieser chinesische Gebrauch, welchen wir durch die Missionäre kennen
                              									lernten und der uns schon längst zur Nachahmung empfohlen wurde — durch
                              									Einführung von Nezen mit vierekigen Maschen, welche sich durch die Ausspannung nicht
                              									verziehen und den Seidenwurm nicht zu kneipen drohen, beinahe allgemein eingeführt.
                              									Es wurde hiemit dem Seidenzüchter einer der größten Dienste erwiesen, da die
                              									Ausräumung eine der mühsamsten und folglich wenigst gut ausgeführten Arbeiten
                              									desselben war, und durch diese Anwendung der Neze allein wurden die Ernten überall,
                              									wo sie eingeführt wurde, um ein Bedeutendes vergrößert.
                           
                           Da ich eben eines aus China zu uns gekommenen Gebrauches erwähne, kann ich die
                              									nüzliche Uebersezung chinesischer Notizen über den Maulbeerbaum und die Seide nicht
                              									mit Stillschweigen übergehen, welche wir Hrn. Stanislaus Julien verdankenUeber die Maulbeerbaumzucht und Erziehung der Seidenraupen. Aus dem
                                    											Chinesischen ins Franzoͤsische uͤbersezt von St. Julien. Auf Befehl Sr. Majestaͤt des
                                    											Koͤnigs von Wuͤrtemberg aus dem Franzoͤsischen
                                    											uͤbersezt und bearbeitet von Fr. L. Lindner. J. G. Cotta'sche
                                    											Buchhandlung., welches Werk unter schlechten und allgemein
                              									bekannten Gebräuchen auch manche gute und brauchbare Vorschrift gibt. Derselbe
                              									Gelehrte verspricht uns die Uebersezung eines noch weit wichtigern Werks über
                              									denselben Gegenstand.
                           Hiemit hätten nun die Seidenwürmer eine geeignete und gleichbleibende Temperatur und
                              									reine Luft; wir kommen nun auf ihre Nahrung. Vor Dandolo's Reform gab man ihnen in 24 Stunden vier Mahlzeiten; auch geschah
                              									es, daß ein großer Theil der Blätter schon welkte, ehe er vom Insecte noch berührt
                              									worden und daher ohne Nuzen zu bringen verloren ging. Dandolo läßt die Mahlzeiten näher aufeinander folgen und gibt für jedes
                              									Lebensalter die Menge der von den Würmern verzehrten Blätter an. Er brachte Ordnung
                              									in diese Sache. Die Praxis wurde nach ihm noch weiter verbessert. Man reichte
                              									weniger große aber mehr dem Hunger der Seidenwürmer entsprechende Mahlzeiten. Aber
                              									es bedarf großer Aufmerksamkeit und Einsicht, um dieses Verfahren gut auszuführen;
                              									denn hier kann die Zwischenzeit von einer Mahlzeit zur andern nicht mehr fest
                              									angegeben werden, eben so wenig die vorzulegende Portion; beide hängen von dem
                              									Appetit des Seidenwurms ab, welcher in allen seinen Lebensperioden anders ist; sie
                              									hängen ferner von der Wärme des Locals und endlich von der Beschaffenheit des
                              									Blattes selbst ab, wovon manche Varietäten schneller welken und folglich von den
                              									Insecten eher verschmäht werden. Eine gute und vortheilbringende Zucht kann nur
                              									Folge der Einsicht in Verbindung mit beständiger Beobachtung seyn. Allein der
                              									gemeine Züchter bedarf unwandelbarer Regeln und seinem Hang für die Gewohnheit muß
                              									eine Verbesserung geopfert werden, welche noch schwerere Uebelstände nach sich
                              									ziehen könnte. Es muß also, nachdem bestimmte Regeln über die Zwischenräume bei den
                              									Seidenwürmern festgestellt sind, auch die mittlere Zeitlänge von einer Mahlzeit zur
                              									andern, welche aus einer bestimmten Menge Blätter auf dem Quadratmeter besteht, mit
                              									Rüksicht auf die Temperatur ausgemittelt werden. Diese Arbeit ist denjenigen, welche
                              									sich gegenwärtig mit der Verbesserung der Seidenindustrie beschäftigen, zu
                              									empfehlen.
                           
                           Die Warte der Seidenwürmer wird in den lezten Tagen ihres Lebens so ermüdend, daß man
                              									sie denjenigen, welche den Tag damit zubrachten, die Nacht über nicht zumuthen kann.
                              									Auch wird die Arbeit in der gewöhnlichen Praxis einige Stunden ausgesezt. Nach der
                              									Strenge der Theorie sollte dieß nie der Fall seyn, denn das Insect hat keinen
                              									täglichen Schlaf. Doch behaupten einige Züchter, aus der langen Zwischenzeit von der
                              									Abend- bis zur Morgenmahlzeit keinen Nachtheil erwachsen gesehen zu haben,
                              									wenn nur während der Nacht die Temperatur erniedrigt wird. Es scheint dieß bloß eine
                              									längere Dauer der Zucht zur Folge zu haben. Dieser Punkt ist übrigens von großer
                              									Wichtigkeit und verdient genauer untersucht zu werden.
                           Die Ungleichheit der Temperatur, welche in den alten Localen nothwendig stattfinden
                              									mußte, die in der Nähe der Oeffnungen und in dem untern Theil des Locals kältere, in
                              									der Nähe der Oefen hingegen und in den obern Räumen wärmere Luft führte nothwendig
                              									einen großen Unterschied in der Dauer jeder Lebensperiode der für diese Unterschiede
                              									so empfindlichen Seidenwürmer herbei. Es entsprang hieraus eine je nach dem Vorrüken
                              									ihres Alters immer fühlbarere Ungleichheit und es zeigten sich alle Uebelstände,
                              									welche Folge einer gleichen Behandlung der in Alter und in ihrer Stärke
                              									verschiedenen Insecten, oder einer Verschiedenheit der Behandlung der verschiedenen
                              									Kategorien von Würmern in einem und demselben Locale seyn konnten. Die Gleichheit
                              									der Temperatur, welche man durch die neuen Magnanerien erhält, machte diese
                              									Anomalien verschwinden und die durch die Gleichförmigkeit des Ganges der Zucht
                              									herbeigeführte ungemeine Erleichterung brachte auch eine Verbesserung in die andern
                              									Anstalten, welche mitgetheilt zu werden verdient. Man hat dieß die Kategorisation
                              									der Seidenwürmer benannt. Bekanntlich verlieren die Raupen ihre Haut viermal, hören
                              									während dieser Häutung zu fressen auf und scheinen zu schlafen. In gut
                              									beaufsichtigten Zimmerbevölkerungen sollen diese Lebensabschnitte des Wurms bei
                              									allen Individuen gleichzeitig anfangen; allein es ist leicht, die zurükgebliebenen
                              									von den weiter vorgeschrittenen zu trennen, weil die leztern zuerst wieder das
                              									Fressen anfangen und mittelst Nezen, die mit Blättern versehen sind, von dem Miste
                              									weggehoben werden können worauf die Spätlinge noch schlafen; man kann dann besondere
                              									Zimmer mit lezteren bevölkern, welche nach ihren relativen Fortschritten behandelt,
                              									und wovon die weniger vorangeschrittenen auch geopfert werden können. Es hat sich
                              									gezeigt, daß ein solches frühzeitig gemachtes Opfer, auf welches man sich dadurch
                              									vorbereiten muß, daß man eine größere Quantität Eier auskriechen läßt, hauptsächlich
                              									diejenigen trifft, deren krankhafte Beschaffenheit, mehr als jede andere  Ursache, ihre Entwikelung
                              									verspätet hatte und daß dadurch die unsere Seidenanstalten bedrohende fürchterliche
                              									Krankheit, die Muscardine, weniger häufig wird.
                           Man wird die Verzweiflung unserer Seidenzüchter leicht erklärlich finden, wenn sie
                              									nach großen Aufopferungen und langer Arbeit sich endlich am Ziele ihrer Bemühungen
                              									und den Lohn dafür zu ernten glauben, ihre Würmer aber sich mit einem weißlichen
                              									Flaum überziehen, sich in ein Stük Kalk zu verwandeln scheinen und umkommen, ohne
                              									ihr Cocon zu machen; oder wenn sie sich, was zwar das Uebel etwas mildert, im Cocon
                              									mumificiren, welcher dann am Gewichte verliert; leider beschränkt sich dieses Unglük
                              									auch nicht auf die Verheerungen eines einzigen Jahres sondern diejenigen, welche es
                              									einmal erlitten, haben es auch für die Zukunft zu befürchten.
                           Vergebens forschte man nach den Ursachen dieser contagiösen Krankheit, und doch war
                              									es von der größten Wichtigkeit sie aufzufinden, um auch das Mittel dagegen ermitteln
                              									zu können. Hr. Rigaud in Lille erwirkte bei der
                              									Regierung, daß ein gelehrter Physiolog behufs ihres Studiums nach dem Süden geschikt
                              									wurde. Hr. Nysten wurde hiezu auserwählt, welcher seine
                              									Versuche bei und gemeinschaftlich mit Hrn. Rigaud
                              									anstellte; beinahe alle waren sie negativ. Der Seidenwurm, den verschiedensten
                              									Einflüssen der Kälte und der Wärme, der Feuchtigkeit und der Trokne, der
                              									Elektricität u. s. f. ausgesezt, erhielt die Muscardine nicht; er erhielt sie aber
                              									durch die Berührung mit den Inficirten, wodurch aber nur bestätigt wurde, was man
                              									vorher schon wußte. Diese Sendung erfüllte also ihren Hauptzwek nicht, hatte aber
                              									interessante Untersuchungen zur Folge.
                           Erst vor wenigen Jahren machte dann Hr. Bassi von Lodi
                              									bekannt, daß die Muscardine durch ein Schmarozergewächs erzeugt wird, welches durch
                              									seine Entwikelung im Zellgewebe des Thieres die dasselbe bedekenden weißen Fäden
                              									hervorbringt und es in den Mumienzustand überführt. Diese Ansicht wurde zur
                              									bestätigten Thatsache durch die Versuche unseres Collegen, Hrn. Andouin, welcher die Keime der Muscardine nicht nur
                              									Seidenwürmern, sondern auch andern Insecten einimpfte. Hr. Bérard machte sogleich den Vorschlag, behufs ihrer Zerstörung Waschungen
                              									mit schwefelsaurem Kupfer (blauem Vitriol) anzuordnen, dessen Wirksamkeit gegen die
                              									Schmarozerpflanze des Kornbrandes anerkannt war. Seine Versuche schienen diese
                              									Analogie zu rechtfertigen. Wir sahen, daß im Jahr 1783 Hr. Blancard von Lauriol in anderer Absicht, nämlich um den Mist auszutroknen,
                              									die Anwendung von Kalkpulver vorgeschlagen hatte. In Drôme, namentlich aber in
                              									Vaucluse, hatte dieses Verfahren constanten Erfolg. In dem erstern dieser
                              									Departements, wo  es
                              									erfunden wurde, hatte man den Gebrauch desselben wieder aufgegeben, weil man
                              									befürchtete, daß der mit Kalk vermengte Mist den Lämmern, welche man ihn, um sie zu
                              									mästen, fressen ließ, schädlich würde. Scheinen diese Erfolge nicht zu beweisen, daß
                              									der Kalk gegen mehr als eine Zerstörungsursache, und wahrscheinlich gegen die
                              									Muscardine gewirkt habe? Die Entdekung des Hrn. Bassi ist
                              									also, indem sie den Forschungen nach einem Heil- und
                              									Präservativ-Verfahren eine sichere Basis gibt, einer der größten Dienste,
                              									welche seit dem Anfange unseres Jahrhunderts der Industrie von der Wissenschaft
                              									geleistet wurden.
                           Nachdem man bisher in der Wahl der Seidenwurmracen im Blinden herumtappte, fängt man
                              									jezt einzusehen an, daß dieses Studium von großer Wichtigkeit werden kann. Man ließ
                              									Eier aus China und Indien kommen, und studirte die Species und Varietäten der Seide
                              									producirenden Insecten; aber ein noch viel wichtigeres Studium ist das der Varietät,
                              									welche unter gegebenen Umständen auch hinsichtlich der Kraft, der Feinheit und Menge
                              									der Seide die beste Qualität gibt. Hr. Robinet hat im
                              									verflossenen Jahre zu Poitiers in dieser Hinsicht interessante Versuche
                              									angestellt.
                           Aus allem Gesagten ersieht man, daß die neuen Reformen vorzüglich zum Zweke hatten,
                              									das Verfahren der Seidenwürmerzucht einem Schlendrian zu entreißen und es auf das
                              									Gebiet der von der Wissenschaft unterstüzten Intelligenz überzuführen, die
                              									Einrichtung der Anstalten zu verbessern, aber auch zu compliciren, den guten Erfolg
                              									an kostspieligere Vorrichtungen zu knüpfen, welche aber auch die den Würmern
                              									gewidmete Arbeit gleichförmiger, regelmäßiger und so zu sagen mechanischer machten
                              									und durch dieses Alles die beständige Aufmerksamkeit und umsichtige Beurtheilung,
                              									welche die unaufhörlich wechselnden Zustände der ältern Anstalten erheischten,
                              									entbehrlich zu machen; kurz, die Reform ersezt das intelligente Handeln des Menschen
                              									durch jenes der Vorrichtungen, die persönlichen Kräfte durch das Capital; sie strebt
                              									folglich, den Kreis derjenigen, welche die Seidenwürmerzucht mit Erfolg unternehmen,
                              									zu verengern, sie aus den Hütten weichen und sich in großen Anstalten concentriren
                              									zu lassen, indem sie den kleinen Anstalten den Kampf gegen die großen, von allen
                              									Mitteln der Kunst unterstüzten, unmöglich macht. Es ist das Monopol der Industrie
                              									durch Capitalien, welches sich hier wie in allen Fabricationszweigen Geltung
                              									verschafft.
                           Noch ist zu hoffen, daß die Industrie der Seidenwürmerzucht, welche so vielen kleinen
                              									Landwirthen im Süden Beschäftigung und Wohlstand verschafft, dem Geseze unserer
                              									Zeit, welches in so viele  Verhältnisse ändernd, aber nicht immer beglükend eingreift, entgehen wird. Ich
                              									glaube es, weil derjenige, welcher die Zucht im Großen unternehmen will, mehrere
                              									offenbare Nachtheile gegen sich hat; erstens die kostspieligen Bauten, während der
                              									Züchter im Kleinen sich mit seinem Zimmer und Speicher begnügt; ferner besorgen Frau
                              									und Kinder des leztern ohne besondere Kosten die Seidenwürmer bis zum lezten
                              									Lebensalter, während die große Anstalt nur durch Geld in Gang erhalten werden kann;
                              									endlich halte ich es nicht für unmöglich, einen großen Theil des Verfahrens, welches
                              									im Augenblike den Musteranstalten einen großen Vortheil gewährt, zu popularisiren
                              									und allgemein anwendbar zu machen.