| Titel: | Ueber die Verbindungen des Chlors mit den Basen; von J. L. Gay-Lussac. | 
| Fundstelle: | Band 86, Jahrgang 1842, Nr. XXVII., S. 105 | 
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                        XXVII.
                        Ueber die Verbindungen des Chlors mit den Basen;
                           von J. L.
                              Gay-Lussac.
                        
                           Auszug aus den
                           Comptes rendus, Jun.
                              1842, Nr. 25.
                           
                        Gay-Lussac, über die Verbindungen des Chlors mit den
                           Basen.
                        
                     
                        
                           Bereitung und Eigenschaften der unterchlorigen Säure.
                           Bekanntlich wirkt das Chlor auf das in Wasser vertheilte Queksilberoxyd mit
                              auffallender Heftigkeit. Bei Anwendung der richtigen Verhältnisse bildet sich nur
                              Queksilberchlorid und die unterchlorige Säure von Balard,
                              die beide in Wasser aufgelöst bleiben.
                           
                           Das sehr leicht auszuführende Verfahren, um die unterchlorige Säure vollkommen rein
                              (farblos) zu erhalten, besteht darin, daß man Chlor und Queksilberoxyd, beide wohl
                              getroknet, in Berührung bringt. Man füllt eine 100–150 Kubikcentimeter
                              fassende, mit eingeriebenem Stöpsel versehene Flasche mit Chlor. Der Stöpsel der
                              Flasche ist an dem oberen Drittel rund herum mit Talg bestrichen, damit die Flasche
                              hermetisch schließt, ohne daß das Chlor oder die unterchlorige Säure an den Talg
                              gelangen und ihn angreifen kann. Man bringt nun eine, an einem Ende geschlossene, zu
                              2/3 mit Queksilberoxyd und zu 1/3 mit feinem trokenem Sand gefüllte Glasröhre in die
                              so zubereitete Flasche, das geschlossene Ende nach Unten. Nach aufgeseztem Stöpsel
                              läßt man durch einige Stöße den Sand und das Queksilberoxyd herausfallen. Die Farbe
                              des Chlors verschwindet beim Schütteln in einigen Secunden und die Operation ist
                              beendigt. Oeffnet man die Flasche unter Queksilber, so füllt sie sich ungefähr zur
                              Hälfte; mit Wasser findet rasche und vollkommene Absorption statt.
                           Balard gibt an, daß die unterchlorige Säure noch dunkler
                              gelb sey als das Chlor. Ich habe sie immer ganz farblos gesehen, selbst in
                              wässerigen oder alkalischen Auflösungen, die davon mehr als ihr 20faches Volum
                              enthielten. Der vorherrschende Charakter dieser Säure ist ihre geringe
                              Beständigkeit; im Gaszustande explodirt sie bisweilen bei gewöhnlicher Temperatur;
                              in der wässerigen Auflösung ist sie beständiger, doch zersezt sie sich nach und nach
                              von selbst. Das Sonnenlicht beschleunigt ihre Zersezung auffallend, besonders wenn
                              sie concentrirt ist; sie zerfällt dabei in Chlor, Sauerstoff und Chlorsäure. In
                              Wasser ist die unterchlorige Säure sehr leicht löslich.
                           Da ein gegebenes Volum von unterchlorigsaurem Gas ein gleiches Volum Chlor und ein
                              halbes Volum Sauerstoff enthält, und beide Elemente in der Säure genau das nämliche
                              Bleichvermögen besizen, so geht daraus hervor, daß der Gehalt (titre)Ueber die Bedeutung des Ausdruks Gehalt (titre) sehe man Gay-Lussac's Chlorometrie im polyt. Journal Bd. LX. S. 128. einer Auflösung von unterchloriger Säure zur einen Hälfte dem Chlor und zur
                              anderen Hälfte dem Sauerstoff zugeschrieben werden muß. In einer Auflösung, die
                              einen Gehalt von 1100° zeigt, würden 550° dem Chlor und 550°
                              dem Sauerstoff angehören.
                           Wenn man eine Auflösung von unterchloriger Säure der Temperatur des kochenden Wassers
                              aussezt, so zersezt sie sich, wie am Lichte; es erzeugt sich Chlorsäure und ein
                              Gemenge von Chlor und Sauerstoff. Die Zersezung der unterchlorigen Säure geht ziemlich rasch vor sich,
                              wenn ihr Gehalt 900–1000° überschreitet; darunter wird sie immer
                              langsamer. Man kann deßhalb unterchlorige Säure von 700–800° Gehalt
                              ohne merklichen Verlust destilliren, wenn man die Operation nicht zu langsam
                              leitet.
                           Bisweilen trifft es sich, daß man in derselben Flüssigkeit Chlor und chlorige Säure
                              in Auflösung hat. Sie lassen sich mit hinreichender Genauigkeit von einander
                              trennen, wenn man die Flüssigkeit einige Zeit, ins Wasserbad stellt; das Chlor
                              entweicht allein. Wenn die Auflösung zu concentrirt ist, muß man sie durch Verdünnen
                              mit Wasser auf 600–700° bringen.
                           
                        
                           Unterchlorigsaures Kali.
                           Versezt man eine bekannte Quantität von Kali, KO,
                              das durch Lakmus blau gefärbt ist, nach und nach mit unterchloriger Säure von
                              bekanntem Gehalt, so bemerkt man, daß die blaue Farbe sich nur bis zu dem Moment
                              erhält, wo man nahezu neun zwanzigstel von Cl₂O₂ zugesezt hat.Cl bedeutet hier ein Aequivalent Chlor. Daraus geht hervor, daß die unterchlorige Säure nicht das Aequivalent C₂O₂ hat;
                              hätte sie wirklich lezteres Aequivalent, so müßte, so lange man nicht diese
                              Quantität Säure zur Sättigung von 1 Aeq. Kali, KO,
                              angewendet hat, jede neu zugesezte Portion keine andere Wirkung als die Sättigung
                              einer gleichen Portion Base hervorbringen; das unterchlorigsaure Salz würde weniger
                              und weniger basisch und man beobachtete außerdem keine Störungsursache, da das
                              neutrale oder alkalische unterchlorigsaure Salz äußerst löslich ist. Nun, sobald man
                              dem Kali etwas mehr unterchlorige Säure zugesezt hat, als die Hälfte von Cl₂O₂ oder
                              etwas mehr als ClO, so tritt Störung in der Auflösung
                              ein, ihr Gehalt (titre) wird geringer und gleichzeitig
                              beginnt die Umwandlung des unterchlorigsauren Salzes in chlorsaures.
                           Hier ersieht man, daß die durch unterchlorige Säure mit den Basen gebildeten
                              Verbindungen weder den unterschwefligsauren noch den unterphosphorigsauren angereiht
                              werden können, und daß ihre wahre Formel, wenn R das
                              metallische Radical bezeichnet ClO, RO ist, die Benennung unterchlorige Säure ist demnach nicht mehr richtig, weßhalb ich
                              vorschlage, sie durch chlorige Säure zu ersezen.
                           
                        
                           
                           Ueber die Eigenschaften der
                                 chlorigsauren Salze und Vergleichung derselben mit den Bleichsalzen oder
                                 Oxychlorüren.
                           Die chlorige Säure ist eine sehr schwache Säure; viele Oxyde verbinden sich entweder
                              nicht damit, oder sättigen sie nur unvollkommen und geben sie zum Theil schon bei
                              der Destillation der Auflösungen ab. Die chlorigsauren Salze sind sehr wenig
                              beständig; sie zersezen sich selbst in der Kälte, wenn sie nicht vor dem Einfluß des
                              Lichts geschüzt sind; bei der Temperatur des siedenden Wassers geht die Zersezung
                              ziemlich rasch; sie verwandeln sich in chlorsaure Salze und in Chlorüre und
                              entwikeln gleichzeitig eine Quantität Sauerstoff Die Sauerstoffsäuren, selbst
                              Kohlensäure, entwikeln daraus chlorige Säure, die man durch Destillation isoliren
                              kann.
                           Wenn das chlorigsaure Salz in hinreichender Menge mit einem Chlormetall gemengt ist,
                              und man sezt überschüssige Schwefelsäure zu, so entweicht sogleich das Chlor unter
                              Aufbrausen. Das Metall des Chlormetalls nimmt den Sauerstoff der chlorigen Säure
                              auf, um sich in der Schwefelsäure aufzulösen und das Chlor, sowohl das des Chlorürs
                              als das der Säure, wird frei.
                           Sezt man die Schwefelsäure vorsichtig zu und gerade so viel, um nur das chlorigsaure
                              Salz zu zersezen, so entwikelt sich alsdann kein Chlor, sondern chlorige Säure.
                           Die Oxychlorüre verhalten sich, denselben Reactionen unterworfen, absolut auf die
                              nämliche Weise. Sezt man Schwefelsäure im Ueberschuß zu, so entwikelt sich nichts
                              als Chlorgas; werden sie mit einer zur Zersezung des chlorigsauren Salzes, das sie
                              muthmaßlich enthalten, gerade hinreichenden Quantität Schwefelsäure vermischt, so
                              entwikelt sich kein Chlor, wohl aber chlorige Säure. Wenn ein Oxychlorür aber nur
                              eine directe Verbindung des Oxyds mit dem Chlor wäre, so würde die geringste Menge
                              Schwefelsäure sogleich Chlor abscheiden, was nicht der Fall ist. Es ist alsdann
                              unerläßlich, zur Erklärung dieser Thatsachen, daß das Chlor bei seinem Eintritt in
                              eine alkalische Auflösung zwei verschiedene Producte bildet; das eine zersezt sich
                              durch Säuren zuerst, das andere, beständigere, zersezt sich erst nachher und diese
                              beiden Producte können nur ein chlorigsaures Oxyd und ein Chlormetall seyn.
                           Die Sättigung des Chlorkalks durch Schwefelsäure ist eine ganz leichte Operation; ich
                              halte es indessen für nüzlich, die Methode anzuführen, welche ich befolge.
                           Ich ziehe ein Stük Glasrohr von ungefähr 15 Millimeter Durchmesser vor der Lampe zu
                              einer sehr feinen Spize aus. Die so ausgezogene Röhre dient als Trichter und
                              läßt die hineingegossene Schwefelsäure nur sehr langsam ausfließen. Sie geht durch
                              einen Kork, der sie auf der das Bleichsalz enthaltenden Flasche befestigt, und muß
                              fast auf den Boden reichen. Der Kork ist hohl ausgeschnitten, damit die Luft freien
                              Durchgang hat.
                           Die zur Sättigung des Bleichsalzes bestimmte Schwefelsäure ist mit ihrem
                              zwanzigfachen Volum Wasser verdünnt. Man gießt sie in den Trichter und gibt, während
                              ihrem Auslaufen in das Chlorür, der Flasche eine kreisförmige Bewegung, um die Säure
                              augenbliklich in die ganze Masse der Flüssigkeit zu vertheilen und um einer localen
                              Uebersättigung vorzubeugen, wodurch Chlor abgeschieden werden würde. Man gießt so
                              nach und nach die berechnete Quantität Säure hinzu oder man operirt durch Probiren,
                              bis zum Auftreten des Chlors. Zur Gewinnung der chlorigen Säure bedarf es dann
                              nichts weiter, als der Destillation.
                           Der Chlorkalk, den man sich im Handel so leicht verschaffen kann, läßt sich zur
                              Darstellung der chlorigen Säure anwenden, indem man ihn, mit der angegebenen
                              Vorsicht, durch sehr verdünnte Salpetersäure zersezt.
                           Das Chlor selbst zersezt die chlorigsauren Salze, wenigstens theilweise. Es
                              desoxydirt die Vase, bildet ein Chlormetall und eine neue Quantität chloriger Säure;
                              übrigens verwandelt sich das chlorigsaure Salz dabei leicht in chlorsaures.
                           Das Verhalten der aufgelösten chlorigen Salze und der Oxychlorüre in der Wärme ist ganz gleich. Sie bewirkt im Allgemeinen ihre
                              Umwandlung in chlorsaure Salze, aber eine Sauerstoffentwikelung findet beständig statt und ist um so beträchtlicher,
                              je basischer die Chlorverbindung ist.
                           
                        
                           Bemerkungen über die Fabrication der
                                 Bleichsalze.
                           Aus der angeführten Thatsache ergibt sich die wichtige Folgerung, daß man bei der
                              Fabrication der Bleichsalze die Temperatur so wenig als möglich erhöhen darf. Zwei
                              Wirkungen werden dadurch hervorgerufen zur Zerstörung des Bleichsalzes; eine
                              Sauerstoffentwikelung und eine Gehaltsverminderung, die den totalen Verlust
                              herbeiführen können; der Verlust bleibt dagegen unmerklich, wenn man
                              Temperaturerhöhung vermeidet.
                           Es gibt aber, unabhängig von der Wärme, noch eine Quelle des Verlusts bei der
                              Fabrication der Bleichsalze, die strenge Aufmerksamkeit verdient.
                           So lange man den Neutralisationspunkt noch nicht erreicht hat, hält sich das
                              Bleichsalz bei gewöhnlicher Temperatur ohne Veränderung, wenigstens sind die Fortschritte
                              nur sehr langsam. Ueberschreitet man aber die Neutralisation, so nimmt der Gehalt
                              des Bleichsalzes sehr schnell ab; es entwikelt sich Sauerstoff in kleinen Blasen, im
                              Verhältniß von 2–3 Proc. des ganzen Gehalts in dem Bleichsalz, und es
                              entsteht chlorsaures Salz. Diese Wirkungen treten beim Chlorkalk wie beim Chlorkali
                              ein und sie sind, in gewissen Gränzen wenigstens, unabhängig von ihrem
                              Concentrationsgrade.
                           Bei Bereitung der Bleichsalze als bleichende Materien erhält man das beste Resultat,
                              wenn man Temperaturerhöhung vermeidet und den Sättigungspunkt nicht ganz zu
                              erreichen sucht.
                           
                        
                           Ueber Darstellung des chlorsauren
                                 Kalis.
                           Es ist ausgemacht, daß selbst eine sehr verdünnte Kalilösung chlorsaures Kali bildet,
                              sobald das Chlor im Ueberschuß ist, daß sich etwas Sauerstoff entwikelt und daß der
                              Gehalt alsdann beträchtlich fällt, während man, so lange das Chlor nicht
                              überschüssig ist, selbst sehr concentrirtes Chlorkali erhalten kann, ohne daß sich
                              chlorsaures Kali erzeugt. Zum Verständniß der Einwirkung eines Ueberschusses von
                              Chlor auf chlorigsaures oder Bleichsalz, von Kali z.B., muß man erwägen, daß das auf
                              das Kali wirkende Chlor Chlorkalium und eine neue Quantität chloriger Säure bilden
                              wird, die sich dem von der zersezten Base abgegebenen Antheil hinzuaddirt; daß die
                              chlorige Säure selbst auf das Chlorkalium einwirkt und es in chlorsaures Salz
                              verwandelt; daß folglich das Gleichgewicht sich aufhebt und das chlorigsaure Salz
                              unmittelbar in chlorsaures übergeht, ohne Umwege zu machen.
                           Die Umwandlung eines chlorigsauren Salzes in ein chlorsaures kann indessen auch ohne
                              einen Ueberschuß von Chlor stattfinden, durch den alleinigen Einfluß einer höheren
                              Temperatur. Das chlorigsaure Salz wird alsdann selbst zerlegt, indem sich die
                              beständigere Verbindung, die in diesen neueren Verhältnissen einen größeren
                              Widerstand leistet, sogleich bildet.
                           Die günstigste Bedingung zur Fabrication des chlorsauren Kali's ist also die, daß man
                              die alkalische Auflösung schwach übersättigt. Die Umwandlung des chlorigsauren
                              Salzes in chlorsaures geht alsdann freiwillig oder höchstens in der Siedhize vor
                              sich.
                           Wenn man bei dieser Darstellung Chlorkalk und Chlorkalium anwendet, so ist es
                              ebenfalls vortheilhaft, etwas mit Chlor zu übersättigen. Dieses Chlor könnte,
                              nachdem es seinen Effect hervorgebracht hat, wieder aufgefangen und zur Erzeugung
                              einer neuen Quantität Chlorkalk verwandt werden.
                           Bei der Darstellung des chlorsauren Kali's muß man also verhindern, daß sich die Temperatur vor dem
                              Punkte der Sättigung mit Chlor zu sehr erhöht; man muß die Auflösung schwach mit
                              Chlor übersättigen und sich selbst überlassen oder bis 80–100°
                              erhizen. Selbst wenn man noch so vorsichtigvorsichig arbeitet, wird man einen Sauerstoffverlust nicht vermeiden können, er wird
                              aber nicht mehr als 2–3 Proc. betragen.