| Titel: | Beitrag zur Theorie der Grundeisbildung, nach Beobachtungen an der Mur; von Dr. Wilhelm Gintl, k. k. Professor der Physik an der Universität zu Grätz. | 
| Fundstelle: | Band 87, Jahrgang 1843, Nr. CI., S. 369 | 
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                        CI.
                        Beitrag zur Theorie der Grundeisbildung, nach
                           								Beobachtungen an der Mur; von Dr. Wilhelm Gintl, k. k.
                           								Professor der Physik an der Universität zu Grätz.Hr. Dr. Gintl hat, durch Arago's Aufsaz im Annuaire pour l'an 1833
                                 										veranlaßt, zahlreiche Versuche über die Bildung des Grundeises am Murflusse
                                 										angestellt und die Resultate seiner Beobachtungen in der steyermärkischen
                                 										Zeitschrift, Jahrgang V. neue Folge 2tes Heft, veröffentlicht. Obiger alles
                                 										Wesentliche enthaltende Auszug seiner Abhandlung,
                                 										welchen er uns mitzutheilen die Gefälligkeit hatte, dient zur Berichtigung von
                                 										Dr. Engelhardt's Bemerkungen S. 118 in diesem Bande
                                 										(2tes Januarheft) des polytechnischen Journals. A. d. R.
                           							
                        Gintl, uͤber die Theorie der Grundeisbildung.
                        
                     
                        
                           Es ist bekannt, daß die Mur in der Regel nicht, weder in gewöhnlichen noch in
                              									strengen Wintern zufriert, daß dieses nur in außerordentlich strengen Wintern und da
                              									nur auf sehr kurze Zeit geschehen mag, so daß es zu den größten Seltenheiten gehört
                              									und man daher nicht so Unrecht hat, wenn man von ihr im Allgemeinen sagt, sie sey
                              									seit Mannesgedenken nicht zugefroren. Man darf aber den Grund dieser Erscheinung
                              									nicht etwa in einer höheren Temperatur des Wassers suchen, da dieses keineswegs der
                              									Fall ist, sondern nur einzig und allein in der bedeutenden Geschwindigkeit, mit
                              									welcher sich das Wasser fortbewegt, denn diese verhindert selbst bei hinreichend
                              									niedriger Temperatur das Festwerden des Wassers an der Oberfläche, worin eigentlich
                              									der Act des Zufrierens besteht. Ungeachtet dieses höchst seltenen Zufrierens der Mur
                              									ist aber das Eis doch keine Seltenheit auf derselben, ja man sieht vielmehr fast in
                              									jedem Winter, sobald die Temperatur der äußeren Luft nur auf 5 bis 6 Grade R. unter
                              									Null herabgesunken, und diese Kälte einige Zeit anhaltend ist, reichliches Eis auf
                              									dem Flusse daher treiben, welches sogar die Form von Eisschollen hat, ohne jedoch
                              									die ihnen angehörige Consistenz zu besizen. Dieses so zahlreich daherschwimmende Eis
                              									ist aber kein auf der Oberfläche entstandenes, sondern sogenanntes Grundeis. Es kömmt in so großer Menge vor, daß es fast
                              									die ganze Oberfläche des Wassers bedekt, und bei anhaltender Kälte oft tagelang in
                              									zunehmender Menge, aber auch mit wachsender Consistenz einherschwimmt, und indem es
                              									sich an den seichteren Uferstellen zusammenschiebt, die Veranlassung zum Entstehen
                              									des sogenannten Ufereises gibt. Daß aber dieses in so großer Menge auf der Mur
                              									vorkommende Eis wahres Grundeis sey, lehrt schon der Augenschein, da es den
                              									allgemeinen Charakter desselben, d. i. das gallertartige Aussehen und das lokere
                              									Gefüge nebst den übrigen
                              									Kennzeichen des Grundeises besizt. Was es aber für eine Bewandtniß mit seiner
                              									Entstehung habe, wird sich dann am besten beurtheilen lassen, wenn wir die bisher
                              									über das Grundeis überhaupt gemachten Erfahrungen Anderer zu Rathe ziehen, und die
                              									Ergebnisse derselben mit den an der Mur angestellten Erfahrungen vergleichen werden.
                              									Dabei wird es sich sehr leicht zeigen lassen, ob die über das Grundeis anderwärts
                              									gemachten Erfahrungen auch auf das an der Mur vorkommende Eis anwendbar sind, und,
                              									wenn dieses der Fall, welche unter den verschiedenen bis jezt versuchten
                              									Erklärungsarten dieser Erscheinung diejenige ist, die dem gegenwärtigen Zustande der
                              									Wissenschaft am meisten zusagt.
                           Indem ich die bisher an andern Orten und Flüssen über das Grundeis gemachten
                              									Erfahrungen als bekannt vorausseze, will ich jezt meine an der Mur über denselben
                              									Gegenstand angestellten Beobachtungen mittheilen, und alle von mir erhobenen
                              									Umstände, wie sie mit der Erscheinung des Eises an der Mur verbunden sind, so genau
                              									als möglich angeben. Bei meinen Beobachtungen unterscheide ich solche, die ich vor,
                              									während und nach dem Erscheinen des Eises am Flusse anstellte. Zunächst handelte es
                              									sich mir darum, die Temperatur der Luft sowohl als des Wassers kurz vor dem
                              									Erscheinen des Eises kennen zu lernen. In dieser Beziehung verschaffte ich mir durch
                              									lange fortgeseztes und täglich wiederholtes Beobachten die Ueberzeugung, daß zum
                              									Vorkommen desselben an der Mur nicht bloß eine gewisse Erniedrigung der Temperatur
                              									erfordert werde, sondern daß sie auch eine gewisse Zeit lang anhalten müsse. So
                              									ergab es sich mir bei meinen Beobachtungen, daß schon eine Temperatur der Luft von 5
                              									bis 6 Graden R. unter Null hinreicht, auf der Mur einherschwimmendes Eis zur Folge
                              									zu haben, sobald sie länger als 24 Stunden dauert, und während dieser Zeit keine
                              									bedeutenden Veränderungen erleidet. Eine rasch eintretende selbst bedeutende
                              									Temperatur-Erniedrigung vermag kein solches Eis zu erzeugen, sobald sie nicht
                              									über 24 Stunden anhält. So gab es einzelne Tage, wo die Temperatur 9 bis 10 Grade R.
                              									unter Null herabsank, ohne Eis zu bringen, weil die niedrige Temperatur kaum einen
                              									Tag anhielt, und dann rasch wieder in die Höhe ging. Die dabei berüksichtigten
                              									Temperatur-Verhältnisse des Wassers an der Oberfläche zeigten sich immer
                              									unter Null, doch mehr oder weniger davon entfernt, je nachdem die äußere
                              									Lufttemperatur mehr oder weniger tief unter Null gesunken und dabei anhaltend war.
                              									So lange die Temperatur des Wassers während der Zeit, wo die äußere Kälte über 24
                              									Stunden anhielt, immer unter Null blieb, war die Hauptbedingung zum Erscheinen des
                              									Eises vorhanden, denn
                              									niemals blieb dasselbe dann aus. Bei plözlich eingetretener, selbst bedeutender,
                              									aber nicht über 24 Stunden anhaltender Kälte, fand ich zwar die Temperatur des
                              									Wassers am Morgen stets unter Null, allein sie stieg im Laufe des Tages etwas über
                              									Null, und so oft dieß der Fall war, kam das Eis am andern Tage nicht zum Vorschein,
                              									blieb also nach 24 Stunden aus, wo es sonst immer zum Vorscheine gekommen wäre.
                              									Hieraus ergibt sich, daß zum Erscheinen des auf der Mur dahin schwimmenden Eises
                              									zwar keine so niedrige Temperatur an sich erfordert werde, es aber dagegen eine
                              									Hauptbedingung zum Vorkommen desselben sey, daß die an sich mäßige Kälte hinreichend
                              									lange und zwar so anhalte, daß die Temperatur des Wassers während der ganzen Zeit
                              									nicht über Null steige. Man kann als Temperaturgränze für die äußere Luft 5 bis 6
                              									Grade unter Null und als Zeitgränze wenigstens 24 Stunden annehmen, wodurch die
                              									früher genannte Bedingung erfüllt wird. Wenigstens ist mir in den zwei Wintern, 1837
                              									und 1838, während welchen ich meine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand richtete,
                              									niemals der Fall vorgekommen, daß bei einer Temperatur der Luft, welche nicht 5
                              									Grade unter Null erreichte, selbst wenn sie über 24 Stunden dauerte, und eben so
                              									wenig bei einer 5 Grade unter Null weit übersteigenden Lufttemperatur, wenn sie
                              									weniger als 24 Stunden anhielt, die Mur an ihrer Oberfläche Eis getrieben hätte.
                           Die Menge und Beschaffenheit des unter den angegebenen
                              									Temperatur-Verhältnissen auf der Mur zum Vorscheine kommenden Eises richtet
                              									sich gleich anfangs nach der früher stattgehabten und andauernden Kälte, und es
                              									zeigt sich hierin unter verschiedenen Umständen ein bedeutender Unterschied. Beträgt
                              									die vorausgegangene Temperatur der Luft nicht viel über 5 Grade unter Null, etwa 6
                              									1/2 bis 6 Grade, so ist die Menge des nach 24 Stunden zum Vorscheine kommenden Eises
                              									nicht bedeutend; einzelne kleine, die Form von dünnen Schollen habende Eisklümpchen
                              									kommen an der Oberfläche des Wassers in großen Zwischenräumen von einander
                              									abstehend, daher geschwommen, und man sieht ihnen schon ihr lokeres Gefüge von
                              									weitem an, da sie vom Wasser ganz durchzogen, eine schmuzig grüne Farbe haben, und
                              									wenn sie vom Strome an solche Stellen geführt werden, wo das Wasser Wellen wirft,
                              									sie durch die heftige Bewegung in ihre kleinsten Theile zerstäuben. Betrachtet man
                              									dieses Eis, so lange es noch im Wasser, aber an einer ruhigen Stelle in der Nähe des
                              									Ufers schwimmt, so erblikt man es als eine faserige, gallertartig aussehende Masse,
                              									welche, wenn sie herausgefischt wird, sich aus feinen und kurzen Eisnadeln von
                              									hellglänzender Farbe, welche loker zusammenhängen, gebildet zeigt. Nicht selten habe
                              									ich an seichten Uferstellen solche feine Eisfasern vom Boden aufsteigen gesehen, bei
                              									denen es den Anschein hatte, als wären sie kurz zuvor dort entstanden, da in der
                              									Nähe kein anderes Eis vorüber schwamm. Doch will ich es nicht mit Gewißheit
                              									behaupten, da es mir nicht möglich war, mein Auge dem Orte, woher sie aufstiegen, so
                              									nahe zu bringen, um ihr Entstehen dort genau zu sehen.
                           Bleiben die Temperatur-Verhältnisse längere Zeit dieselben, so vermehrt sich
                              									zwar die Menge des vorkommenden Eises, aber seine sonstige Beschaffenheit ändert
                              									sich kaum merklich und nur darin, daß die Eisnadeln nicht mehr so fein, sondern
                              									etwas stärker, und zwar breiter geworden sind.
                           Nach vorausgegangener starker und anhaltender Temperatur-Erniedrigung der
                              									Luft, etwa auf 10 bis 12 Grade unter Null, erscheint nach Verlauf von 24 Stunden
                              									gleich anfänglich eine bedeutende Eismenge, welche in größeren Massen
                              									zusammengeschoben, das Aussehen von großen Eisschollen hat, die nur durch kleine
                              									Zwischenräume von einander getrennt, auf der Oberfläche des Wassers daher schwimmen
                              									und dieselbe fast ganz bedeken. Sie scheinen wohl, so lange sie an ruhigen Stellen
                              									des Flusses schwimmen, mehr Consistenz zu haben, allein so wie sie an Stellen
                              									kommen, wo das Wasser in heftiger Bewegung ist und Wellen schlägt, da sieht man aus
                              									ihrem leichten Zertheilen in eine Menge kleiner Bestandtheile, daß auch sie noch ein
                              									sehr lokeres Gefüge haben. Ihre außerhalb des Wassers befindliche Oberfläche ähnelt
                              									schon mehr dem festen Eise, und sieht aus, als wäre sie mit einer dünnen Lage
                              									Schnees bedekt, wodurch sie ein rauhes, unebenes Aeußere bekömmt. Untersucht man die
                              									Masse einer solchen scheinbaren Eisscholle näher, so findet man, daß sie eine
                              									bedeutende Dike hat und tief im Wasser geht, daß aber die Masse von den Rändern nach
                              									Abwärts konisch zuläuft und nicht eine Art von Platte, sondern mehr einen Klumpen
                              									bildet. Uebrigens besteht sie aus einem losen Conglomerate von kleinen, etwa Linsen
                              									großen dünnen Eisblättchen, welche aber mehr länglich als rund sind und durch
                              									Capillarattraction zusammenzuhängen scheinen. So lange sie im Wasser in großer Menge
                              									beisammen sind, bilden sie eine schwammige, zusammengeballtem und in Wasser
                              									getauchtem Schnee ähnliche Masse, welche aber außerhalb des Wassers in lauter
                              									hellglänzende und durchsichtige längliche Eisblättchen zerfällt. Diese sind offenbar
                              									nichts anderes, als die der Länge und Breite nach vergrößerten Eisnadeln der früher
                              									besprochenen Art gelatinösen und faserig aussehenden Eises. Daraus wird ersichtlich,
                              									daß sich die leztere Art von Eis von der erstern keineswegs dem Wesen, sondern nur
                              									der Form nach unterscheidet. Bei den ersteren sind die dasselbe constituirenden
                              									Theile sehr dünne und
                              									der Zahl nach noch wenige, der Art nach leicht zusammenhängende Eisnadeln, daher die
                              									geringe Masse, ihr gallertartiges, faseriges, flokiges Aussehen; bei lezteren sind
                              									dagegen der Theile schon mehrere, die einzelnen haben schon eine größere Masse, und
                              									es ist die Nadelform bereits in die von Blättchen übergegangen, welche zwar
                              									ebenfalls noch lose, aber doch schon stärker zusammenhängen, und daher die größere
                              									Masse der vorkommenden Schollen, ihre scheinbar größere Consistenz, ihr dem Eise
                              									mehr ähnliches Aeußere, ihr schwammiges innere Gefüge. Ersterem sieht man es noch
                              									ganz deutlich an, daß es eben erst entstanden und in der Ausbildung begriffen,
                              									lezteres aber schon darin bedeutend vorgeschritten sey. Offenbar liegt der Grund
                              									davon für das erstere in der vorausgegangenen mäßigen, für das leztere aber in der
                              									stärkeren Kälte sowohl der Luft als des Wassers.
                           Dauert die Kälte längere Zeit in gleichem Grade fort, oder nimmt sie sogar an Stärke
                              									zu, so vermehrt sich die Anzahl und Größe der daher kommenden Schollen; sie nehmen
                              									an Dike und Consistenz merklich zu, indem sich an der Oberfläche durch
                              									Zusammenfrieren der Eisblättchen eine feste Eisschichte bildet, unterhalb welcher
                              									aber die übrige im Wasser gehende Masse noch immer schwammig und loker
                              									zusammenhängend ist. Wenn man gegen eine solche Scholle mit dem Stoke stößt, so
                              									findet man von Seite der oberflächlichen Eisrinde einen schwachen Widerstand; so wie
                              									aber diese durchbohrt ist, so fährt der Stok durch die unterhalb befindliche Masse
                              									ungehindert durch. Ohne allen Zweifel ist diese oberflächliche feste Eisschichte
                              									erst später und zwar durch die längere Zeit stattgehabte Berührung der Masse an
                              									ihrer Oberfläche mit der äußern sehr kalten Luft entstanden. Sobald diese eben
                              									besprochenen Schollen an solche Stellen gerathen, wo das Wasser ruhig fließt oder
                              									gar stagnirt – und dieß ist meistens in der Nähe derjenigen Ufer der Fall,
                              									von welchen der Stromstrich abgewendet, und wo das Wasser seicht ist oder das Ufer
                              									eine Art von Bucht bildet – so schieben sich mehrere derselben dort zusammen,
                              									und indem sie aneinander frieren, bilden sie eine feste aber holperige und unebene
                              									Eisdeke, welche in das Wasser mehrere Schuhe hinausragt und unter dem Namen des
                              									Ufereises bekannt ist. Mit der Zeit wird diese Eisdeke durch das Anfrieren der
                              									unterhalb befindlichen schwammigen Eismasse so dik und fest, daß man sie ohne Gefahr
                              									betreten, und auf ihr herumgehen kann. Das eine solche Deke bildende Eis
                              									unterscheidet sich aber wesentlich von jenem, welches die Eisdeke auf ruhig
                              									stehendem Wasser, z.B. in einem Teiche bildet. Lezteres ist hell, durchsichtig und
                              									hat in diken Schichten eine bläulichgrüne Farbe, erstens dagegen ist undurchsichtig
                              									und zeigt eine weißliche, an zusammengefrorenen Schnee mahnende Farbe. Das eine
                              									hat eine ebene glatte Oberfläche, das andere ist rauh, holperig und trägt recht
                              									deutlich die Spuren, wo die aneinander geschobenen Schollen zusammengefroren
                              									sind.
                           Wenn man nun alles das, was ich über die Beschaffenheit und Verhalten des auf der Mur
                              									vorkommenden, von mir in den verschiedenen Stadien beobachteten Eises angeführt
                              									habe, mit dem zusammenhält, was die bekannt gewordenen Beobachtungen und Erfahrungen
                              									Anderer über das Grundeis an andern Orten und Flüssen gelehrt haben, so läßt es sich
                              									nicht läugnen, daß es alle Eigenschaften und Erscheinungen des sogenannten
                              									Grundeises zeigt, und daher schon deßhalb in einerlei Kategorie mit ihm gesezt zu
                              									werden verdient, und dieses um so mehr, als man sich recht leicht und deutlich
                              									überzeugen kann, daß das auf der Mur vorkommende Eis am Grunde des Wassers entstehe
                              									und von da zur Oberfläche steige. Denn abgesehen von dem von mir sehr oft
                              									beobachteten und schon früher angegebenen Factum, daß ich an seichten, dem Ufer nahe
                              									gelegenen Stellen solches Eis in die Höhe kommen sah, kann man besonders nach sehr
                              									kalten Tagen an solchen Stellen, wo das Wasser seicht, nicht zu rasch bewegt und der
                              									Grund mit Flußgerölle bedekt ist, alle Steine mit einer ziemlich diken. Schichte Eis
                              									überzogen finden, welches von derselben Beschaffenheit, wie das an der Oberfläche
                              									einherschwimmende Eis ist. Von Zeit zu Zeit lösen sich größere Stüke dieser
                              									schwammigen Eismasse von dem Gesteine los, steigen in die Höhe und schwimmen an der
                              									Oberfläche zuerst vereinzelnt, dann aber, wenn ihrer mehrere zusammentreffen, wegen
                              									ihres lokeren Gefüges zu einer größeren und ausgedehnteren Masse vereinigt. Bedenkt
                              									man nun, daß die Mur bis Scheifling herab in der Regel so seicht ist, daß man sie
                              									überall durchwaten kann, daß dieses bei sehr niedrigem Wasserstande, wie dieses im
                              									Winter fast durchgehends der Fall ist, auch noch weiter abwärts bis Ehrenhausen an
                              									sehr vielen Stellen möglich ist, daß ferner die Mur in ihrem Laufe bis Grätz eine
                              									sehr große Menge kleiner Bäche mit sehr raschem Laufe und seichtem Bette aufnimmt:
                              									so wird man es begreiflich finden, daß in der ganzen Streke bis Grätz auf dem fast
                              									gleich beschaffenen mit Gerölle bedekten Grune des Flusses und der sich einmündenden
                              									Bäche überall solches Eis, wie man es hier an mehreren Orten finden kann, in sehr
                              									großer Menge entstehen, nach und nach an der Oberfläche zum Vorscheine kommen, und
                              									in seinem Laufe zu größeren Massen vereinigt, in Form von ausgedehnten Schollen
                              									dahergeschwommen kommen müsse.
                           Hören die das Erscheinen des Grundeises begleitenden Temperatur-Verhältnisse,
                              									sowohl in der Luft als im Wasser nach und nach auf, so vermindert sich auch nach und nach die Menge des
                              									vorkommenden Eises und verschwindet endlich nach einem oder höchstens zwei Tagen;
                              									tritt jedoch plözliches Thauwetter ein, so ist auch schon nach wenigen Stunden keine
                              									Spur vom Grundeise vorhanden.
                           Obwohl es schon aus den von Hrn. Dr. Mohr in Coblenz mitgetheilten Beobachtungen über die
                              									Grundeisbildung am Rheine hervorgeht, daß unter den verschiedenen bisher üblichen
                              									Erklärungsarten des Phänomens die von Arago gegebene
                              									unstreitig die beste, dem Gange der Natur angemessenste und allen das Phänomen
                              									begleitenden Umständen die am meisten genügende ist; so zeigt überdieß eine genaue
                              									Erwägung aller durch weine Beobachtungen beim Erscheinen des Grundeises an der Mur
                              									constatirter Temperatur-Verhältnisse und der übrigen damit verbundenen
                              									Umstände, daß sich das Phänomen nach der von Arago
                              									aufgestellten Ansicht in seinem ganzen Umfange vollständig erklären, und daher
                              									nichts mehr zu wünschen übrig lasse, als daß man die Entstehung des Eises am Grunde
                              									des Wassers selbst mit eigenen Augen zu sehen bekäme, um auf diese Weise dem
                              									einzigen noch möglichen Einwurfe begegnen zu können, als sey dieses am Grunde des
                              									Wassers factisch nachgewiesene Eis nicht etwa durch was immer für eine Ursache von
                              									Oben herunter gebracht worden, sondern daselbst unmittelbar entstanden. Da dieses
                              									jedoch im offenen Flusse nicht so leicht ausführbar ist, so beschloß ich in dieser
                              									Hinsicht ein experimentum crucis zu machen, und Grundeis
                              									selbst unter meinen Augen zu erzeugen. Zu diesem Behufe suchte ich nämlich in einem
                              									hiezu geeigneten Wasserbehälter alle jene Umstände möglichst genau herbei zu führen,
                              									wie sie an jenen Stellen im Flusse stattfinden, wo ich das Eis am Grunde
                              									wahrgenommen hatte. Sollte es mir nun, so schloß ich, bei diesen Versuchen gelingen,
                              									das Eis am Grunde des dazu gewählten Wasserbehälters zuerst entstehen zu sehen, so
                              									glaube ich mit Recht behaupten zu können, daß das am Grunde des Flusses
                              									wahrgenommene Eis auch daselbst zuerst entstanden seyn müsse. Die dahin zielenden
                              									Versuche habe ich in folgender Weise angestellt. Ich nahm eine ovale 7 Zoll hohe, 8
                              									Zoll breite und 15 Zoll lange, etwa acht Maaß Wasser haltende gläserne Wanne, damit
                              									ich nicht bloß von Oben, sondern auch durch die Wände derselben hindurchsehen, und
                              									so den innern Verlauf der Sache genau bemerken konnte. Diese Wanne stellte ich unter
                              									freiem Himmel, vor dem Einflusse der Sonnenstrahlen geschüzt, auf und füllte sie mit
                              									Murwasser voll an. In das Wasser tauchte ich zwei Thermometer mit auf Glas
                              									getheilter Skala, und zwar reichte die Kugel des einen bis auf den Boden der Wanne,
                              									die des andern aber nur in die oberste Schichte des Wassers, um dadurch die
                              									Temperatur des Wassers oben und unten zu erfahren. Den Boden der Wanne belegte ich mit kleinem aus der
                              									Mur genommenem Gerolle, um ihn dem Flußbette möglichst gleich zu machen. Bei einem
                              									ganz heiteren Himmel, an einem Tage, wo die äußere Lufttemperatur 9° R. unter
                              									Null war, und die Mur sehr reichliches Grundeis trieb, begann ich des Morgens um 9
                              									Uhr mit einem Vorversuche, indem ich das Wasser ruhig stehen und der Einwirkung der
                              									Kälte überließ. Das Wasser hatte anfänglich eine Temperatur von 5° R. über
                              									Null, da es absichtlich früher in der Sonne etwas erwärmt wurde. Nach etwa zwei
                              									Stunden zeigte das Thermometer in der obern Wasserschichte eine Temperatur von +
                              									1°,5 R., während das Thermometer am Boden eine Temperatur von + 3°,8
                              									R. angab. Nach Verlauf von einer halben Stunde zeigte das obere Thermometer auf 0
                              									Grad, während das untere auf + 3° R. stand. Dabei waren schon die ersten
                              									feinen Eisnadeln an der Oberfläche sichtbar, zum Zeichen, daß das Gefrieren daselbst
                              									eintrat. Nach kurzer Zeit war die Oberfläche mit einer dünnen Eisschichte überzogen,
                              									während die Temperatur des Wassers am Boden unverändert bei + 3° R. stehen
                              									blieb. Die Dike der Eisschichte an der Oberfläche nahm fortwährend zu, ohne daß sich
                              									die Temperatur am Boden merklich änderte; auch zeigte sich am Boden nirgend eine
                              									Spur von Eisbildung. Es verhielt sich demnach bei diesem Versuche die Sache gerade
                              									so, wie sie der Theorie nach auch stattfinden sollte. Ganz anders aber zeigte sich
                              									der Verlauf der Sache bei dem am folgenden Tage wieder angestellten etwas
                              									abgeänderten Versuche. Es wurde am andern Morgen um 9 Uhr bei einer Temperatur von
                              									8° unter Null wieder damit begonnen, frisches und ganz eisfreies Murwasser in
                              									die Wanne einzufüllen und den Boden derselben mit Gerölle auf gleiche Weise, wie
                              									Tags zuvor, zu bedeken. Die beiden eben so wie früher angebrachten Thermometer
                              									zeigten anfänglich eine Temperatur von + 5 1/2° R. an. Hierauf wurde die
                              									Oberfläche durch fortwährendes Plätschern in Bewegung erhalten und von Zeit zu Zeit
                              									mit einem Stabe durcheinander gerührt. Dieses geschah so oft, als das obere
                              									Thermometer eine niedrigere Temperatur gegen das untere zeigte, und wurde so lange
                              									fortgesezt, bis beide auf einerlei Temperatur gebracht wurden. Dadurch sank die
                              									Temperatur der ganzen Wassermasse gleichmäßig auf 5, 4, 3, 2 Grade und so weiter bis
                              									auf 0 Grad herunter, worauf die Eisbildung eintrat; war aber bei dem am verflossenen
                              									Tage angestellten Vorversuche eine Zeit von drei Stunden dazu schon hinreichend
                              									gewesen, so betrug die bei diesem Versuche dazu nöthige Zeit nahe das Dreifache der
                              									früheren, und die Eisbildung begann dabei nicht an der Oberfläche, sondern am Boden.
                              									Indem ich durch die Seitenwände der gläsernen Wanne nahe am Boden hinblikte, gewahrte ich
                              									an einzelnen daselbst liegenden Geröllsteinchen sehr feine Eisnadeln büschelförmig
                              									nach allen Richtungen hin anschießen, welche sich allmählich vergrößerten und zu
                              									dünnen Blättchen heranwuchsen; an diese sezten sich nach einiger Zeit in Form von
                              									kleinen Aestchen neuerdings feine Eisnadeln an, und so sah ich deutlich jenes
                              									Gebilde entstehen, welches ich schon früher mehrmals in der Mur schwimmend
                              									beobachtet hatte. Während dieses am Boden vor sich ging, war weder an der
                              									Oberfläche, noch sonst wo in der übrigen Wassermasse eine Spur von Eisbildung zu
                              									bemerken. Wurde das Gefäß nur leicht erschüttert, so lösten sich die gebildeten
                              									Eisfloken von dem Gesteine los und stiegen in die Höhe.
                           Klar ist es, daß das, was hier im kleinen Maaßstabe vor sich ging, wohl auch in der
                              									Natur im Großen vor sich gehen werde, und somit glaube ich nicht Unrecht zu haben,
                              									wenn ich den Beweis für die Bildung des Eises am Grunde des Wassers als hergestellt,
                              									und die bisher für problematisch angesehene Theorie der Grundeisbildung für erledigt
                              									und abgethan halte.