| Titel: | Bemerkungen über Millon's Theorie hinsichtlich der Wirkung der Salpetersäure auf die Metalle; von Hrn. Gay-Lussac. | 
| Fundstelle: | Band 89, Jahrgang 1843, Nr. XCIII., S. 369 | 
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                        XCIII.
                        Bemerkungen uͤber Millon's Theorie hinsichtlich
                           								der Wirkung der Salpetersaͤure auf die Metalle; von Hrn. Gay-Lussac.
                        Auszug aus den Annales de Chimie et de Physique.
                              									April 1843, S. 385.
                        Gay-Lussac, über die Wirkung der Salpetersäure auf die
                           								Metalle.
                        
                     
                        
                           Die Hauptthatsache, welche Hr. Millon aus seiner
                              									Untersuchung (polytechn. Journal Bd. LXXXVII S. 61) hervorgehen läßt, ist
                              									unstreitig folgende:
                           Wenn man eine in Bezug auf die Metalle, z. B. Kupfer, unwirksame Salpetersäure, etwa
                              									von 1,07 spec. Gewicht nimmt und ihr etwas salpetrigsaures Kali oder
                              									Untersalpetersäure (acide hyponitrique) zusezt, so
                              									beginnt sogleich die Einwirkung durch die Untersalpetersäure, welche das Kupfer
                              									oxydirt und auflöst; gleich darauf bemächtigt sich die Salpetersäure des Kupferoxyds
                              									und macht Untersalpetersäure frei; diese aber greift das Kupfer an und bildet
                              									Stikoxyd (deutoxyde d'azote), welches mit der
                              									Salpetersäure wieder eine neue Quantität Untersalpetersäure bildet etc., so daß die
                              									hinsichtlich des metallischen Kupfers unwirksame Salpetersäure ihre Wirkung auf die
                              									Auflösung des Kupferoxyds und die beständige Wiedererzeugung von Untersalpetersäure
                              									beschränkt. Kurz, die von der Untersalpetersäure eingeleitete Einwirkung geht und
                              									pflanzt sich fort ähnlich einer GährungEine von Hrn. Millon in seiner
                                    											Original-Abhandlung selbst hervorgehobene Analogie.A. d. R.; die reine Salpetersäure würde
                              									die Metalle nicht angreifen, und wenn sie es zu thun scheint, so ist dieß der darin
                              									enthaltenen salpetrigen Säure zuzuschreiben.
                           Sehen wir nun, ob die Vorgänge wirklich nach Hrn. Millon's
                              									Ansicht stattfinden. Ich will mit ihm auf keinen Streit über seine ganze Theorie
                              									eingehen, sondern nur folgenden Versuch mittheilen.
                           Ich bereitete zuvörderst Salpetersäure von 1,07 spec. Gewicht, wie die des Hrn. Millon; nachdem ich aber fand, daß sie die  Kupferspäne bei 12° C.
                              									ziemlich stark angriff, so verdünnte ich sie immer mehr mit Wasser; aber erst
                              									nachdem sie nur mehr 1,02 Dichtigkeit hatte, zeigte sie sich wirkungslos auf die
                              									Kupferspäne. Ferner verdünnte ich concentrirte Schwefelsäure mit ihrem acht-
                              									bis neunfachen Volumen Wasser. Hierauf brachte ich in zwei Glasröhren von gleichem
                              									Durchmesser gleiche Mengen Kupferspäne; in die eine unwirksame Salpetersäure, in die
                              									andere dem Raume nach eben so viel verdünnte Schwefelsäure. Beide Röhren wurden,
                              									sich berührend, in dasselbe kalte Wasserbad gestellt, um in jeder eine constante
                              									Temperatur zu erhalten. Beide Säuren verhielten sich gänzlich unwirksam gegen das
                              									Kupfer; man sezte nun beiden dieselbe kleine Quantität Untersalpetersäure zu und das
                              									Kupfer wurde überall merkwürdig schnell angegriffen; beide Flüssigkeiten wurden
                              									undurchsichtig und durch die vielen sich entwikelnden Luftblasen schäumend. Diese
                              									Einwirkung dauerte mehrere Stunden lang fort und zwar beständig bei der
                              									Schwefelsäure wenigstens eben so stark als bei der Salpetersäure. Die aufgelöste
                              									Menge Kupfers war bei beiden ungefähr dieselbe.
                           Dieser Versuch scheint nicht sehr für Hrn. Millon's
                              									Theorie zu sprechen. Wenigstens macht er eine Erklärung nothwendig. Meiner Meinung
                              									nach beweist er einfach, daß die Untersalpetersäure oder salpetrige Säure, wie man
                              									will, weniger beständig ist als die Salpetersäure; daß sie, sogar in sehr verdünntem
                              									Zustande, das Kupfer und viele andere Metalle oxydirt, welche dann von als
                              									Oxydationsmittel völlig unwirksamen Säuren aufgelöst werden. Allerdings muß wohl die
                              									Untersalpetersäure, wenn solche in der Salpetersäure enthalten ist bei ihrer großen
                              									Unbeständigkeit vorher zersezt werden; man kann aber nicht, wie Hr. Millon behaupten, daß die Salpetersäure als solche
                              									unwirksam sey und nur durch das Vorhandenseyn einer kleinen Menge salpetriger Säure
                              									wirksam werde, welche leztere, wenn sie die Einwirkung einmal begonnen, sie dann
                              									fortsezt, wie ein Ferment. Nicht bloß ist eine solche Rolle der Untersalpetersäure
                              									gegenüber der Salpetersäure nicht nothwendig, ich halte sie sogar dem niemals Umwege
                              									machenden Gange der Natur zuwider. Uebrigens ist es ja zu bekannt, daß von
                              									Untersalpetersäure gänzlich freie Salpetersäure den Angriff auf Metalle in kaltem
                              									Zustande sowohl, als bei mehr oder minder erhöhter Temperatur zu beginnen im Stande
                              									ist; um wie viel mehr muß sie denselben fortsezen können!
                           Mit diesen kurzen Bemerkungen bin ich übrigens weit entfernt, dem Verdienste des Hrn.
                              										Millon in Bezug der Wirkung der Salpetersäure auf die
                              									Metalle zu nahe zu treten; nur glaube ich, daß die meisten einzelnen von ihm
                              									beobachteten Thatsachen sich sehr leicht und ohne Zwang erklären lassen.