| Titel: | Das neue Eisenbahnsystem des Marquis A. von Jouffroy. | 
| Fundstelle: | Band 92, Jahrgang 1844, Nr. XCVI., S. 401 | 
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                        XCVI.
                        Das neue Eisenbahnsystem des Marquis A. von Jouffroy.
                        Aus dem Technologiste. April 1844. S.
                              327.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              VI.
                        Jouffroy's Eisenbahnsystem.
                        
                     
                        
                           In einer ausgezeichneten von Hrn. Germain Sarrut
                              veröffentlichen Abhandlung über Eisenbahnen, welche mit gewandter Feder die
                              verschiedenen bis auf den heutigen Tag ausgeführten Systeme der Locomotion kritisch
                              beleuchtet, sezt der Verfasser die Vervollkommnungen auseinander, welche heutzutage
                              in der Construction der Eisenbahnen wünschenswerth erscheinen, und geht sodann zur
                              näheren Darstellung des von Hrn. Marquis v. Jouffroy
                              verbesserten Systems über. Wir entnehmen dieser Abhandlung das, was zunächst auf die
                              Erfindung des Hrn. von Jouffroy Bezug hat.
                           Vervollkommnungen an der Eisenbahn. – Unserm
                              System gemäß erhält die Bahn eine größere Spurweite, nämlich 2 Meter anstatt 1,5
                              Meter, ohne daß jedoch diese größere Breite ein größeres Terrain bedingte. Durch die
                              neue Anordnung der Räder, wonach diese in einem Gehäuse im Inneren der Seite des
                              Wagenkastens rotiren, überschreitet dieser nicht die Breite von 2,2 bis 2,4
                              Meter.
                           Die Bahn enthält drei Schienenlinien. Die mittlere Schiene ist cannelirt oder gerieft
                              und bildet die eigentliche Treibschiene. Die Schienen des gegenwärtig üblichen
                              Systems können als Seitenschienen benüzt werden. Wir wünschten, daß man auf der
                              inneren Seite dieser Schienen und längs der ganzen Bahnlinie zwei um einige
                              Centimeter über die Schienenoberfläche hervorspringende Schuzhölzer (gardes en bois) anordnete, zur Verhütung des Abrollens
                              der Convois. Wir bringen ein neues System gußeiserner
                              Schienen in Vorschlag, welches schwerlich kostspieliger und doch weit dauerhafter
                              und sicherer wäre, als das gewöhnliche System gewalzter Schienen. Die Schienen
                              sollen, wie gewöhnlich auf Querschwellen, Längenbalken (longrines) u.s.w. ruhen, aber unter günstigeren Bedingungen, welche der
                              Bahn eine größere Solidität sichern.
                           Vervollkommnungen an der Locomotive. – Wir ersezen
                              die beiden Treibräder durch ein einziges von großem Durchmesser (2 bis 2,5 Meter),
                              das im Innern aus Kreissegmenten von hartem Holz besteht, die so angeordnet sind,
                              daß die Fasern in der Richtung des Halbmessers des Treibrades laufen. Dieses Rad läuft auf der in der
                              Richtung ihrer Breite gerieften eisernen oder gußeisernen Mittelschiene. Auch könnte
                              das Treibrad mit einem eisernen cannelirten Reife versehen seyn und auf einer
                              Centralschiene rollen, die aus Holzprismen bestünde, welche zwischen zwei
                              Längenbalken angeordnet wären.
                           Ein Rahmen, welcher die Cylinder und übrigen Theile des Mechanismus einschließt, wird
                              von dem Treibrade getragen. Dieser Rahmen ist durch starke Scharniere mit einem
                              zweiten verbunden, der den Dampfkessel trägt, und dieser wieder mit einem dritten,
                              welcher den Tender enthält. Die Locomotive ruht demnach auf fünf Rädern, von denen
                              das größte den Impuls von der Dampfmaschine erhält, und den ganzen Train mit sich
                              zieht. Die vier andern Räder, welche den Kessel und Tender tragen, rotiren frei um
                              ihre Achsen. Die Adhäsion der Peripherie des großen Rades auf der gerieften
                              Centralschiene gestattet demselben, ohne zu gleiten, Rampen hinanzusteigen; sie
                              dient zugleich dazu, an Abhängen die Geschwindigkeit zu mäßigen.
                           Die Art, wie die drei Rahmen oder Wagengestelle mit einander verbunden sind, erlaubt
                              denselben, Curven selbst von 10 Meter Halbmesser sich anzuschmiegen, ohne jene
                              Gefahren befürchten zu müssen, welche bei dem gewöhnlichen System durch das
                              Abgleiten und die Centrifugalkraft herbeigeführt werden. Die beiden Cylinder theilen
                              die Bewegung mittelst Lenkstangen und Krummzapfen einer an der Vorderseite der
                              Maschine angeordneten horizontalen Welle mit. An dieser Welle befinden sich zum
                              Behuf der Transmission Räder von verschiedenen Durchmessern, welche die Bewegung
                              abwechselnd der horizontalen Welle mittheilen. Die Transmission wird durch Vaucanson'sche Bandketten oder durch Laufriemen
                              vermittelt, die um Räder von verschiedenen Durchmessern laufen, welche an der Achse
                              dieses Rades befestigt sind. Die oben erwähnte horizontale Welle ist mit einem im
                              Bereich des Conducteurs befindlichen Muff versehen, um bald das eine, bald das
                              andere der Transmissionsräder in Eingriff zu bringen, und auf diese Weise, je nach
                              Bedürfniß, die Geschwindigkeit des Treibrades verändern zu können, ohne deßhalb die
                              Geschwindigkeit der Dampfkolben ermäßigen zu müssen.
                           Vervollkommnungen an den Waggons. – Der
                              Wagenkasten, und mithin auch sein Schwerpunkt, ist der Bahn näher gerükt. Die
                              Räderachsen, der Schwerpunkt des Waggons und der Angriffspunkt der Zugkraft sind
                              durch diese Tieferlegung des Wagenkastens und durch den größeren Durchmesser der
                              Räder in eine und dieselbe horizontale Ebene gebracht. Diese Anordnung, welche die
                              größten Winkel der
                              Stabilität erzeugt, beseitigt jede dem Convoi schädliche Zerlegung der Kraft, und
                              führt eben dadurch zum Maximum der Zugkraft. Die Wagen, welche die Curven zu
                              durchlaufen haben, bestehen aus zwei Hälften, die durch zwei eine horizontale
                              Drehung gestattende Scharniere mit einander vereinigt sind. Jeder dieser Halbwagen
                              ruht auf zwei Rädern, die sich frei um ihre Achse drehen. Dieses Princip der
                              Gliederung isolirt jedes Räderpaar und läßt ihm freies Spiel, wie bei einem
                              zweirädrigen Cabriolet, das in den kleinsten Curven wendet.
                           
                        
                           Vervollkommnungen im Transporte selbst.
                           1) Da die Räder der Locomotive und der Waggons beinahe zweimal so groß als bei dem
                              gewöhnlichen System sind, so erhält man mit der gleichen Anzahl von Kolbenhuben eine
                              ohne Vergleich größere Geschwindigkeit, und mit einem geringeren Aufwande an Dampf
                              die gleiche Geschwindigkeit.
                           2) Zur Ersteigung der Rampen oder zum Behuf des Waarentransportes kann man durch
                              Verminderung des Geschwindigkeits-verhältnisses zwischen dem Kolben und dem
                              Rade dieselbe Quantität Dampfes bei verminderter Geschwindigkeit consumiren, d.h.
                              dieselbe Kraft mit einer geringeren Geschwindigkeit erzielen.
                           3) Mit Hülfe der Adhäsion an der Centralschiene und eines mit großer Hebelkraft auf
                              das Treibrad wirkenden Bremskranzes kann man beinahe augenbliklich die Locomotive
                              anhalten und den Tender hemmen. Der Conducteur beherrscht vermittelst eines gegen
                              die geriefte Centralschiene gedrükten schweren Hemmschuhs den ganzen Convoi und kann
                              die Wagen nach Willkür hemmen. Außerdem läßt eine sehr einfache an jedem Wagen
                              angebrachte mechanische Anordnung dem Convoi in seinem Normalzustande alle Freiheit;
                              sobald aber durch irgend einen Umstand ein Stoß erfolgt, so wird die Erschütterung
                              durch Federn unschädlich gemacht, welche unmittelbar auf Querstangen wirken, die in
                              Gestalt von Bremsklözen stark gegen die Radfelgen drüken.
                           4) Die Locomotive ist mit allen nöthigen Apparaten versehen, um fremde Gegenstände
                              aus der Bahn zu räumen.
                           Anlegung der Bahn. – Es sind bis jezt mehrere
                              Mittel vorgeschlagen worden, die Bahnschienen mit dem Boden in feste Verbindung zu
                              bringen. Man hat die Schienenstühle befestigt, 1) auf steinernen Unterlagen; 2) auf
                              hölzernen Querschwellen; 3) auf Längenbalken; 4) auf Mauern, die entweder in der
                              Richtung der Bahn oder perpendiculär zu derselben gebaut sind und im leztern Falle
                              die Querschwellen vertreten.
                           
                           Unter allen diesen Mitteln hat sich durch die Erfahrung als dasjenige, welches den
                              Erschütterungen am besten widersteht und die sanfteste rollende Bewegung zuläßt, die
                              Anwendung hölzerner Querschwellen oder flacher auf den nivellirten Boden gelegter
                              Längenbalten erwiesen. In Frankreich hat man beinahe überall hölzerne Querschwellen
                              von 18–24 Quadratcentimeter eingeführt. Die Schienenstühle sind aber an den
                              äußersten Enden der Schwellen befestigt, so daß das Gewicht des Wagenzugs das
                              Erdreich an diesen beiden Punkten einzudrüken strebt, was häufig Senkungen zur Folge
                              hat, und die Nothwendigkeit auferlegt, den Theil des Erdreichs, worauf die äußeren
                              Enden der Querschwellen liegen, öfters von neuem zu erhöhen. Die Stüzfläche jeder
                              dieser Querschwellen beträgt überdieß durchschnittlich nur 50 Quadratdecimeter; sie
                              liegen in Abständen von 80 Centimeter bis 1 Meter. Bei diesem System machen die
                              Temperaturveränderungen, die durch die Spurkränze der Räder veranlaßen Seitenstöße,
                              die Erzitterungen und Biegungen in Folge des raschen Darüberrollens der schweren
                              Locomotive und der belasteten Waggons, nothwendiger Weise die Keile loker und
                              erschüttern die Pflöke – eine Erfahrung, welche auf allen Eisenbahnen und
                              namentlich auf solchen, die mit großer Geschwindigkeit befahren werden, sich
                              bestätigt hat.
                           Wählt man das System gußeiserner Schienen, dem wir den Vorzug geben, so kann man die
                              Querschwellen in Abständen von 1 Meter 59 Centimeter legen, ausgenommen in Curven,
                              wo sie etwas näher zusammengerükt werden; die Schwellen sind 0,30 Cent. breit und
                              0,15 Cent. hoch, und besizen eine Stüzfläche von 75 Quadratdecimeter; sie sind mit
                              einer Rippe (côte ou nervure) versehen, welche
                              die Bestimmung hat, dieselben unbiegsamer zu machen und die Centralschiene zu
                              unterstüzen. Bei dieser Anordnung wirkt das größte Gewicht des Wagenzugs, nämlich
                              das der Locomotive auf die Mitte der Querschwelle. Der Druk vertheilt sich daher auf
                              die ganze Oberfläche – ein Umstand, welcher unserem System doppelt so viele
                              Stüzpunkte gibt, als das gegenwärtige System darbietet.
                           Fig. 3 stellt
                              diese Bahnconstruction im senkrechten Durchschnitte dar. T ist die Querschwelle, N die erwähnte Rippe;
                              R die geriefte Centralschiene; r, r sind die gußeisernen Seitenschienen. Die Verbindung
                              der lezteren wird mit Hülfe von Doppelkeilen bewerkstelligt, die in Oeffnungen
                              zwischen den Hervorragungen der Schienenstühle und den an den Schienenenden
                              reservirten massiven Theilen getrieben werden.
                           Will man indessen bei den Schienen aus gewalztem Eisen stehen bleiben, so legt man
                              über die Querschwellen einen Längenbalken, welcher mit seiner unteren Fläche auf dem Boden ruht.
                              Dieser Längenbalken trägt die Centralschiene. Auf den äußeren Enden der
                              Querschwellen sind zwei andere Längenbalken mit Schuzhölzern angeordnet. Diese
                              Längenverbindung besteht 1) aus einem 0,15 Cent. im Geviert haltenden Tannenbalken;
                              2) aus einer Einfassung von Eichenholz, welche den schüzenden Vorsprung bildet und
                              auf das Tannenholz genagelt ist. Zur Aufnahme der Längenbalken sind die
                              Querschwellen bis zur Hälfte eingeschnitten. Die Schuzbalken liegen an den Enden der
                              Querschwellen in Einschnitten von 2–3 Cent. Tiefe, und werden durch Pflöke
                              befestigt.
                           Fig. 4 stellt
                              diese Construction mit gewalzten Schienen für Wagen mit Rädern ohne Spurkränze im
                              senkrechten Querschnitte dar. L ist der Längenbalken,
                              worauf die Centralschiene R ruht; r, r sind gewalzte Schienen, welche nach der gewöhnlichen Methode in
                              Schienenstühlen liegen; G, G Längenbalken mit
                              Schuzplatten.
                           Zwei von unsern drei gußeisernen Schienen besizen hervorstehende Leisten, die dritte
                              ist flach. Ihr Gesammtgewicht beträgt, mit Einschluß der Schienenstühle, 180,000
                              Kilogr. per Kilometer; die gußeisernen Schienenstühle
                              wiegen 1500 Kilogramme. Für die Längenbalken und Querschwellen braucht man 120
                              Stères Holz. Man sieht, daß die Kosten unserer Construction mit gußeisernen
                              Schienen ungefähr dieselben sind, wie bei gewöhnlichen Eisenbahnen mit zwei
                              Schienen, nämlich 45,000–50,000 Frcs. per
                              Kilometer. Für den zweiten Fall, nämlich bei Anwendung gewalzter Schienen, würden
                              die Kosten des neuen Systems in dem Verhältniß von 100 zu 125 vermehrt werden,
                              wiewohl sich dieser Mehrbetrag durch gewisse Ersparnisse im Ankauf des Terrains, in
                              der Construction, im Betrieb und der Unterhaltung der Bahn reichlich ausgleichen
                              würde.
                           Da bei dem gewöhnlichen System das Gewicht der Locomotiven 13,000–15,000 Kil.
                              beträgt, so haben die Schienen unter dem Druk jedes Treibrades ein Gewicht von
                              ungefähr 6000 Kil. zu tragen, weßhalb man diesen Schienen eine Dimension geben muß,
                              die einem Gewichte von 35 Kil. auf den Meter entspricht. Bei unserem System dagegen
                              haben die Seitenschienen nur die Waggons zu tragen, also durch jedes Rad höchstens
                              1000–12,000 Kilogr. Diesem gemäß können wir das Gewicht der Schienen
                              wenigstens um 15 Kil. per Meter reduciren. Wir geben
                              ihnen indessen 20 Kil. in der Ueberzeugung, daß eine hohe Tragkraft, insbesondere im
                              vorliegenden Falle, eine Hauptbedingung der Dauerhaftigkeit und Oekonomie der
                              Eisenbahnanlage sey.
                           Die Spurweite der Schienen beträgt 2 Meter; der Zwischenraum zwischen beiden Bahnen
                              1,5 Meter und die Breite der Fußwege 1 Meter. Dieß macht für eine doppelte Bahn im Ganzen 7,5
                              Meter — eine Breite gleich derjenigen, die bei allen unseren Bahnen
                              eingeführt ist.
                           Die Locomotive, welche Fig. 5 in der
                              Seitenansicht, Fig.
                                 6 im Grundriß und Fig. 7 in der vordern
                              Ansicht dargestellt ist, besteht, wie oben bereits bemerkt wurde, aus drei ähnlichen
                              Rahmen oder Gestellen C, C', C'' die bei a und a' durch Scharniere dergestalt mit einander verbunden sind, daß sie ein in
                              verticalem Sinne biegsames, den Eisenbahncurven sich anschmiegendes System bilden.
                              Die eigentliche Locomotive ruht auf den beiden vorderen Gestellen C, C' Das erste Gestell enthält die Cylinder, den
                              Kaltwasserbehälter und den ganzen Bewegungsmechanismus; das zweite Gestell C, welches den Dampfkessel, die Warmwasserbehälter und
                              den Feuerkasten trägt, ruht auf zwei Rädern, die sich frei um eine mit Federn
                              versehene Achse drehen; das dritte Gestell 0'' endlich enthält den Kohlentender. Bei
                              dieser Anordnung kann das Rad R, welches die
                              Centralschiene mit seiner Rinne umfaßt, weder zur Rechten noch zur Linken sich
                              neigen, noch die Verticalebene verlassen, ohne vermittelst des Scharniers a das eine oder das andere der Räder C' zu heben; und da diese Räder mit dem bedeutenden
                              Gewichte des Dampfkessels, des Feuerlastens und der Reservoirs belastet sind, so ist
                              die Stabilität des Apparates gesichert. Da ferner die untere Fläche des Rahmens der
                              Locomotive dem Boden der Bahn bis auf 10 oder 12 Centim. genähert ist, so können die
                              Ränder, welche die Kehle des Treibrades bilden, unmöglich sich über die Oberfläche
                              der Centralschiene erheben, ohne daß sich die entsprechende Seite der Locomotive
                              vorher auf den Boden stüzt. Der Apparat könnte also im Falle einer solchen Neigung
                              nicht aus der Bahn treten, ohne sich ganz zu erheben – ein Umstand, welcher
                              das Abrollen in gewisser Hinsicht unmöglich macht.
                           Es bleibt uns nur noch übrig, die außerordentliche Einfachheit dieser
                              Locomotivgattung und ihre Wirkungsweise zu zeigen. Der Dampf gelangt aus dem
                              Dampfkessel durch eine in der Verlängerung der Scharnierachse a befindliche bewegliche Büchse in die Cylinder; von da tritt er wieder
                              durch Abtheilungen derselben Büchse in den Kamin. Die Kolbenstangen wirken auf zwei
                              an den Enden einer Welle rechtwinkelig zu einander angeordnete Krummzapfen. Diese
                              Welle theilt die Rotation dem großen Rade vermittelst endloser Ketten oder Zahnräder
                              mit, so daß man auf jeden Umgang des Rades nach Belieben zwei, drei oder vier
                              Dampfvolumina verwenden, d.h. zwei, drei oder vier Kolbenhube geben kann. Dieser
                              Umstand gestattet, wie bereits oben bemerkt wurde, die Dampfconsumtion nach den
                              ungleichen Bedürfnissen einer Bahn zu reguliren.
                           
                           Die neue Locomotive ist einerseits viel leichter als die gewöhnliche, andererseits
                              ist ihr Gewicht auf eine größere Länge vertheilt. Diese Anordnung allein liefert
                              eine Garantie gegen alle Unfälle in Folge von Stößen bei großen Geschwindigkeiten.
                              Bei dem gewöhnlichen System wiegt die Locomotive 13, 15–18,000 Kil., und der
                              größere Theil dieses Gewichts ruht auf zwei Rädern von geringem Durchmesser; die
                              Treibräder tragen jedes beinahe 8000 Kilogr.; die Länge der Locomotive beträgt
                              ungefähr 5 Meter. Unsere auf 5 Räder vertheilte Locomotive dagegen nimmt mit dem
                              Tender eine Länge von 12 Meter ein; das Treibrad trägt nur 4000 Kilogramme, und
                              jedes der vier andern Räder ist höchstens mit 1500 Kil. belastet; auch ist die Bahn
                              breiter. Demnach sind bei dem gewöhnlichen System 18,000 Kil. auf ungefähr 7 Meter
                              Bahnoberfläche vertheilt, während bei unserem System 10,000 Kil. durch eine
                              Bahnfläche von 24 Meter unterstüzt sind. Da bei der gewöhnlichen Methode die
                              Locomotive unabhängig von dem Tender arbeitet, während die drei Theile unserer
                              Locomotive ein in verticalem Sinne untheilbares Ganze bilden, so wird der Vortheil
                              des neuen Systems hinsichtlich der Abnüzung der Bahn und des Effectes der bewegten
                              Masse bei großen Geschwindigkeiten das Verhältniß von 18/7 zu 10/24 oder von 6 zu 1
                              weit übersteigen.
                           Die Waggons. – Fig. 8 liefert die
                              Seitenansicht, Fig.
                                 9 die vordere Ansicht und Fig. 10 den horizontalen
                              Durchschnitt eines unserer Waggons. Der Wagen besteht, wie bereits oben angeführt
                              wurde, aus zwei Kasten, welche durch zwei Scharniere mit einander verbunden sind. In
                              horizontalem Sinne gestatten diese Scharniere beiden Theilen des Wagens freies
                              Spiel, in verticalem Sinne dagegen erscheinen beide Theile starr und fest verbunden,
                              wie wenn der Wagen nur aus einem Theile bestünde. Die Wagenräder drehen sich frei um
                              ihre Achsen. Ihr Durchmesser kann doppelt so groß, wie bei gewöhnlichen
                              Eisenbahnwagen seyn, weil sie außerhalb der Wagen liegen. Bei dieser Anordnung
                              fällt, wenn jeder Wagen mit 32 Personen beladen ist, der Schwerpunkt in der Höhe der
                              Radachse in die Achse des Scharniers, so daß der Aufhängepunkt, der Angriffspunkt
                              des Zugs und der Schwerpunkt in eine und dieselbe Horizontalebene zu liegen kommen.
                              Die Vortheile dieser Anordnung sind einleuchtend, nämlich:
                           1) die Tieferlegung des Schwerpunktes ertheilt dem Wagen eine größere Stabilität;
                           2) er kann nicht umstürzen, selbst wenn eine Achse brechen oder Räder abstiegen
                              sollten, weil er in diesem Fall sogleich auf dem Boden aufliegen würde, von dem er nur
                              durch einen Raum von 12–15 Cent. getrennt ist;
                           3) er schmiegt sich, da die Räder frei rotiren, ohne Reibung allen Curven an;
                           4) die unangenehme und gefährliche schwankende Bewegung ist endlich beseitigt, indem
                              die horizontalen Schwingungen nie das Gewicht vom einen Rade auf das andere
                              überzutragen streben.
                           Wir haben nun nur noch die Beschreibung des Sicherheitsapparats beizufügen. An jedem
                              Ende des Waggons geht durch die Mitte des Gestells und in der Höhe der Achse eine
                              Eisenstange, welche die Fähigkeit besizt, einige Centimeter einwärts sich zu bewegen
                              und an dieser Stelle eine doppelte Schraubenmutter trägt, die dem Zug als Stüzpunkt
                              dient. An ihrem anderen Ende enthält diese Stange eine Hälfte des Scharniers,
                              welches vermittelst eines Bolzens mit der Stange des nächsten Wagens articulirt.
                              Dieser Bolzen läßt sich mit Hülfe eines im Bereiche des Conducteurs befindlichen
                              Hebels leicht herausziehen. Die Stangen sind mit einer Doppelfeder und einem Hebel
                              verbunden, welcher zwei den Bremskränzen der Räder entsprechende Stangen in
                              Thätigkeit sezt.
                           Die Wirkung dieses Apparats ist nun folgende. Der Conducteur kann vermittelst
                              Hebelwerks und Zugstangen die Wagen einzeln oder alle zusammen hemmen, er ist auch
                              im Stande augenbliklich jeden Wagen oder sämmtliche Wagen von der Locomotive
                              loszumachen. Wenn bei einem plözlichen Unfall die Hand des
                                 Conducteurs unzureichend wird, so functioniren die Apparate selbstthätig.
                              Kein Wagen kann sich auf den vorhergehenden stürzen, ohne daß die Doppelfedern sich
                              biegen, und in diesem Falle drüken die Hebel die Bremskränze gewaltsam gegen die
                              Räder, so daß der Stoß selbst, welcher bei dem System isolirter oder nur mittelst
                              Ketten vereinigter Wagen so gefährlich ist, hier als Mittel der Hemmung wirkt. Der
                              lezte Wagen jedes Convoi's enthält einen gußeisernen mit Holz bekleideten Rahmen,
                              der nach der gerieften Schiene hinabgeht und sich nöthigenfalls mit dem ganzen
                              Gewicht des Wagens gegen dieselbe stemmt. Dieser Hemmapparat, der mächtigste von
                              allen, ist in dem Bereich des auf dem lezten Waggon placirten Conducteurs, und bürgt
                              insbesondere an bedeutenden Abhängen für die Sicherheit des Convoi's.Nach Zeitungsberichten hat der Marquis v. Jouffroy
                                    in der Rue de l'Ouest nahe dem Luxembourg eine kleine Bahn und Locomotive
                                    nach seinem neuen System, beide in dem Maaßstabe des Fünftheils der
                                    wirklichen Größe erbaut, und seit einer Reihe von Monaten jeden Sonntag
                                    öffentliche Versuche angestellt. Dieses System scheint wirklich den größten
                                    Theil der Vortheile zu gewähren, die sich wünschen lassen in Bezug auf
                                    Sicherheit, Ueberwindung von Steigungen bis zu 40 Millimeter,
                                    von Krümmungen bis zu 10 Meter, Bekämpfung der bei Krümmungen so gefährlich
                                    wirkenden Centrifugalkraft, Verhinderung des gewaltsamen Zusammenstoßes der
                                    Wagen, Möglichkeit augenbliklicher Lostrennung derselben, wie
                                    augenbliklicher Stillstehung der Locomotive, vorzüglich aber in Bezug auf
                                    die Möglichkeit die Geschwindigkeit des Laufes zu vermindern, ohne zugleich
                                    die Kraft der Maschine zu vermindern etc. Dabei gewahrt das neue System noch
                                    den Vortheil, daß jedenfalls die Kosten nicht vermehrt, sondern eher noch
                                    verringert werden, und daß die jezt bestehende Bahneinrichtung sich dem
                                    neuen Systeme gemäß leicht umwandeln läßt. Der Erfinder hat jezt sein System
                                    der Regierung und den Kammern vorgelegt und verlangt ein Stük Boden auf den
                                    äußeren Boulevards oder längs und innerhalb der Ringmauer, um auf eigene
                                    Kosten und Gefahr eine größere Bahn von einigen Kilometern Länge mit der
                                    dazu gehörigen Locomotive und fünf Waggons zu bauen und so die
                                    Ausführbarkeit auch im Großen zu beweisen. A. d. R.
                              
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
