| Titel: | Die atmosphärische Eisenbahn und die Eisenbahnen mit Seilzug. Nachtrag zu Stephenson's Bericht über die atmosphärische Eisenbahn (im polytechnischen Journal Bd. XCIII S. 181); von Hrn. Bidder. | 
| Fundstelle: | Band 94, Jahrgang 1844, Nr. I., S. 2 | 
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                        I.
                        Die atmosphärische Eisenbahn und die Eisenbahnen
                           mit Seilzug. Nachtrag zu Stephenson's Bericht über die atmosphärische Eisenbahn (im
                           polytechnischen Journal Bd. XCIII S. 181); von
                           Hrn. Bidder.
                        Aus dem Civil Engineer and Architects' Journal. Jul. 1844,
                              S. 267.
                        Bidder's, über die atmosphärische Eisenbahn und die Eisenbahnen mit
                           Seilzug.
                        
                     
                        
                           Ein Bericht über die praktische Anwendbarkeit des atmosphärischen Princips als
                              Triebkraft auf Eisenbahnen muß als unvollständig angesehen werden, wenn die
                              Untersuchung nicht die bei dem Betrieb der Blackwall-Eisenbahn eintretenden
                              eigenthümlichen Umstände mit in Berüksichtigung zieht. Ehe wir jedoch auf eine
                              solche Untersuchung eingehen können, müssen wir die Eigenthümlichkeiten der
                              London-Blackwall Eisenbahn näher betrachten.
                           Diese Eisenbahn ist ungefähr 3 3/4 Meilen lang und wird durch zwei zu London und
                              Blackwall stationirte Dampfmaschinen von 400 und 280 Pferdekräften betrieben. Die
                              Wagen werden mittelst Haken an ein Tau befestigt, welches sich an großen, auf jedem
                              Ende der Linie angeordneten Trommeln auf- und abwindet. Auf der Londoner
                              Station ist die größte Kraft erforderlich, weil in dieser Richtung die Totalsteigung
                              der Eisenbahn 60' bis 70' beträgt, bei einem Maximum der Steigung von 1 in 100.
                           Diese Linie begreift nicht weniger als 7 Zwischenstationen in sich. 5 derselben,
                              nämlich Poplar, West-India-Docks, Limehouse, Stepney und Shadwell
                              communiciren mit dem Fenchurch-street-Ende, während 4 derselben,
                              nämlich Minories, Cannonstreet, Shadwell und Stepney mit dem Blackwall-Ende
                              in Communication stehen.
                           Diese Einrichtung wird dadurch realisirt, daß man einen besonderen Wagen von den
                              Enden aus mit jeder Zwischenstation in Correspondenz sezt. Diese Wagen werden,
                              während sich die Züge nach der einen oder der andern Richtung bewegen, abgehängt und
                              dann mit Hülfe kräftiger Bremsen an den Orten ihrer Bestimmung stille gestellt.
                              Sobald aber der für die Endstationen bestimmte Zug an dem einen oder dem andern Ende
                              der Linie ankommt, werden, während das Tau in Ruhe ist, die Zwischenwagen angehängt,
                              so daß sie gleichzeitig mit dem Tau in Bewegung kommen, und der Reihe nach an den
                              Endstationen anlangen, und zwar in der Ordnung und in Intervallen, welche der
                              Ordnung und der Lage der Oerter, von denen sie ausgingen, entspricht. Sobald sie ankommen,
                              werden sie in vollem Laufe von dem Tau losgemacht, worauf sie durch das erlangte
                              Bewegungsmoment bis zu ihrer Station rollen. Hieraus wird klar, daß der
                              Zwischenverkehr, ohne Störung des Verkehrs zwischen den Endpunkten der Linie,
                              hergestellt ist.
                           Von der Wichtigkeit dieses Zwischenverkehrs mag man sich einen Begriff machen, wenn
                              man bedenkt daß während des lezten Betriebsjahrs von 2,500,000 beförderten
                              Passagieren nahe an 1,600,000 oder 2/3 der ganzen Zahl auf die kurzen Stationen
                              kommen. Es würde also ein System, welches diesen Verkehr nicht vollständig
                              befriedigte, offenbar unter keiner Bedingung mit Vortheil auf dieser Eisenbahn
                              eingeführt werden.
                           In Beziehung auf diesen Punkt hat man für den Fall, daß das atmosphärische Princip in
                              Anwendung käme, vorausgesezt, daß von jedem Ende aus häufigere Züge als gegenwärtig
                              abgehen und abwechselnd an den Zwischenstationen anhalten könnten, so daß dieses
                              wichtige Element der Einnahme gesichert wäre. Diese Voraussezung war eine Folge der
                              Nothwendigkeit, die Durchzüge an jeder dieser Stationen anhalten zu müssen, indem
                              das System der separaten Wagen nicht passend auf diese Förderungsmethode angewendet
                              werden könnte. Dieses System würde, wenn es keine anderweitigen Einwürfe zuließe,
                              offenbar eine theilweise Communication zwischen einigen der zwischenliegenden
                              Stationen darbieten. Hierin liegt ein Vortheil des atmosphärischen Systems dem
                              Seilzugsystem gegenüber, welches eine Communication der Zwischenstationen nur mit
                              den Endpunkten der Linie gestattet. Man glaubt indessen, daß ein solcher Verkehr
                              nicht wichtig seyn würde, während es von dem größten Einflusse auf die Förderung und
                              Belebung des Zwischenverkehrs ist, daß die Intervalle zwischen den Trains bei jeder
                              Station 1/4 Stunde nicht überschreiten.
                           Die durchschnittliche Anzahl der Wagen ist bei den Endzügen (terminal trains) das ganze Jahr hindurch 4, während im Sommer, um die Mühe
                              des beständigen An- und Aushängens der Wagen zu vermindern, beständig 7 oder
                              8 Wagen unabhängig von den intermediären Wagen in Bewegung sind. Diese große Anzahl
                              Wagen ist nöthig, in Folge der äußerst schwankenden Natur des Verkehrs, insbesondere
                              während der Curzeit, wo die Dampfboote öfters 400 bis 500 Passagiere bringen, die
                              manchmal in einem Train befördert werden müssen. In den
                              folgenden Berechnungen habe ich indessen für den Verkehr zwischen den Endstationen
                              nur 4 Wagen angenommen und für den Zwischenverkehr nur 2 mehr. Außerdem werden die
                              an der Poplar-Station haltenden Züge um einen Güterwagen, manchmal auch um 2
                              vermehrt. Demnach bestehen die Trains abwechselnd aus 6 oder 7 Wagen, welche ein Gewicht von
                              beziehungsweise 100,000 und 112,000 Pfunden repräsentiren. Ich nehme ferner die
                              wirkliche Zeit des Aufenthaltes an jeder Station, abgesehen von dem auf die
                              Beschleunigung und Hemmung der Züge kommenden Zeitverlust zu 1/2 Minute an, mit
                              Ausnahme von Poplar, wo ich einen Aufenthalt von 1 Minute gestatten will, weil die
                              Güterwagen daselbst aus einer Seitenbahn geschoben und an die Trains befestigt
                              werden müssen. Angenommen also, die Züge halten abwechselnd an 4 und 3 Stationen,
                              die Poplar-Station in die lezteren mit eingeschlossen, so würden für die
                              ganze Fahrt auf das Anhalten 2 Minuten kommen; nimmt man ferner, die Dauer des
                              Aufenthaltes an den Stationen mitgerechnet, eine mittlere Geschwindigkeit von 30
                              Meilen per Stunde an, so beliefe sich die Zeit, während
                              welcher die Trains in Bewegung wären, auf 7 1/2 Minuten und die ganze Fahrt dauerte
                              alsdann 9 1/2 Minuten.
                           Um jedoch diesen Zwek nur mit mittelgroßen Zügen zu erreichen, wäre eine Röhre von 2'
                              Durchmesser mit einem Vacuum von 20'' erforderlich, und dieses unter der Annahme,
                              daß jedem Wagen ein Conducteur beigegeben und an jedem Rade eine Bremse angebracht
                              würde, um eine Adhäsion von 1/8 der Gesammtlast zu erzielen; ferner, daß der
                              Bremsapparat mit mathematischer Genauigkeit angelegt würde. Mit Maschinen, welche
                              die Kraft der gegenwärtig angewendeten weit überstiegen, betrüge die zur Evacuirung
                              dieser Röhre erforderliche Zeit wenigstens 6 Minuten. Dadurch würde der Zeitraum
                              zwischen den Endzügen bis auf 15 1/2 Minuten oder 1/4 Stunde, d.h. dieselbe Zeit,
                              die man gegenwärtig gestattet, erhöht; allein der Zwischenverkehr würde alsdann auf
                              1/2stündige Intervalle oder wie ich vermuthe, auf weniger als die Hälfte des
                              gegenwärtigen reducirt werden. Man ist von der Voraussezung ausgegangen, daß eine
                              durchschnittliche Geschwindigkeit von 40 Meilen per
                              Stunde erzielt werden könne. Um jedoch diesen Zwek mit 4 Zwischenhaltpunkten zu
                              erreichen, würde, abgesehen von dem bedeutenden gewöhnlichen Widerstande, der bei so
                              hohen Geschwindigkeiten (im vorliegenden Falle würde ein
                              Geschwindigkeits-Maximum von 80 Meilen per Stunde
                              nöthig seyn) zu überwältigen wäre, eine Zugkraft = 1/10 der Last des Trains
                              erforderlich seyn. Dieser Umstand würde nur mit einem mittleren Train, Röhren von
                              einer Weite und Maschinen von einer Kraft erfordern, wie sie durchaus unzulässig
                              wären. Da wir nun sehen, daß mit Zwischenstationen auf einer Linie von der Größe der
                              London-Blackwall Eisenbahn sehr hohe Geschwindigkeiten, und Züge von größerer
                              Frequenz, als von 1/4 zu 1/4 Stunde, unerreichbar sind, so wollen wir nun
                              untersuchen, welche Resultate unter Beibehaltung der vorhandenen Maschinen eine Röhre liefern würde, welche
                              bei einem Vacuum von 16 Zollen geeignet wäre, ein Maximum der Belastung die
                              steilsten Rampen hinanzuziehen.
                           Für ein Bruttogewicht von 225,000 Pfunden oder 100 1/2 Tonnen würde diese Röhre einen
                              Durchmesser von 24 Zoll erfordern. Angenommen nun, der wirkliche Aufenthalt an jeder
                              Station betrage 1/2 Minute, mit Ausnahme von Poplar, wo ich für den aufwärts
                              gehenden Zug 1 Minute, für den abwärtsgehenden dagegen nur 1/2 Minute rechnen will;
                              angenommen ferner, jedem Wagen sey ein Conducteur beigegeben und am ganzen Train
                              seyen Bremsapparate angebracht, welche zum Behuf des Hemmens eine Adhäsion = 1/8 des
                              Train-Bruttogewichts darbieten: so finde ich unter der Voraussezung, die an
                              den Enden der Linie stationirten Dampfmaschinen arbeiten beständig mit aller Kraft,
                              daß ein aufwärtsgehender Zug mittlerer Größe ungefähr 16, und ein abwärtsgehender 6
                              1/2 Minuten zur Fahrt braucht, während ein Maximum-Train aufwärts 22 und
                              abwärts 20 Minuten brauchen wird. Da jedoch zur Evacuirung der Röhre bis auf 8 Zoll
                              für den Beginn der Bewegung mindestens 5 Minuten hinzugefügt werden müssen, so ist
                              einleuchtend, daß auf dieser Linie die Züge nicht geschwinder, als von 1/2 Stunde zu
                              1/2 Stunde auf einander folgen könnten, besonders wenn wir bedenken, daß die obigen
                              Zeitannahmen die Zufälle und außerordentlichen Ereignisse, welche auf einer solchen
                              Betriebslinie häufig vorkommen müssen, nicht in sich schließt.
                           Wenn daher nicht irgend ein Ausweg ermittelt werden kann, um die Nothwendigkeit, an
                              jeder Zwischenstation anhalten zu müssen, zu beseitigen, so würden wohl die Trains
                              mit den gegenwärtig im Gange befindlichen Maschinen nicht häufiger, als von 1/2 zu
                              1/2 Stunde expedirt werden können, so daß die Anzahl der Züge auf die Hälfte ihrer
                              gegenwärtigen Anzahl reducirt würde; und diese Reduction würde ohne irgend eine
                              Ersparniß an Betriebskosten stattfinden, insofern einerseits keine Verminderung des
                              Conducteurpersonals eintreten, andererseits das beständige Bremsen die
                              Unterhaltungskosten der Wagen und der Bahn erhöhen würde. Die Kosten der Seilwärter
                              würden die Extrakosten, welche sich aus dem Umstande ergeben, daß die Maschinen
                              beständig im Gang erhalten werden müßten, auch nicht ausgleichen; endlich würden die
                              Interessen der zur Einführung dieses Systems erforderlichen Ausgaben die jährlichen
                              Reparatur- und Unterhaltungskosten des Seilzugs übersteigen.