| Titel: | Einige Beobachtungen über die Bewegung der Locomotive und Eisenbahnwagen auf gerader Streke und in Curven, angestellt auf der Taunus-Eisenbahn, nebst Bemerkungen dazu; von Dr. Adolph Poppe jun. | 
| Autor: | Dr. Adolph Poppe [GND] | 
| Fundstelle: | Band 94, Jahrgang 1844, Nr. XXX., S. 169 | 
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                        XXX.
                        Einige Beobachtungen über die Bewegung der
                           Locomotive und Eisenbahnwagen auf gerader Streke und in Curven, angestellt auf der
                           Taunus-Eisenbahn, nebst Bemerkungen dazu; von Dr. Adolph Poppe
                           jun.
                        Poppe, über die Bewegung der Locomotive und Wagen auf
                           Eisenbahnen.
                        
                     
                        
                           Allgemeine technische Verhältnisse der
                                 Taunus-Eisenbahn. Ehe ich zu dem eigentlichen Gegenstande dieser
                              Abhandlung übergehe, dürften einige technische Notizen über die
                              Taunus-EisenbahnIhrem wesentlichen Inhalte nach dem von einem Techniker der
                                    Taunus-Eisenbahn verfaßten Taunus-Eisenbahn-Almanach
                                    fürs Jahr 1844/45 entnommen. hier am Orte seyn. Die Länge dieser unter der Oberleitung des Ingenieurs P.
                              Denis erbauten und im Frühjahr 1840 vollendeten Bahn
                              beträgt 43400 Meter oder 5,86 geogr. Meilen. Die Anlage im Thale des Mains und dem
                              des Salzbaches wurde durch die Beschaffenheit des Bodens sehr begünstigt; außer dem
                              Damm und der 15 Bogen haltenden Ueberbrükung der Nidda bei Höchst, so wie den Brüken
                              und Brükenköpfen in den Festungswerken zu Castel waren fast gar keine Kunstarbeiten
                              nöthig. Die Steigungen auf der Bahn gehören zu den vortheilhaftesten; die stärkste
                              beträgt nur auf eine kurze Streke 1/275 Eben so sind die Krümmungen, auf die ich
                              unten zurükkommen werde, nicht ungünstig. Die Bahn ist bis jezt nur einspurig, mit
                              Ausweichpläzen auf allen Stationen, mit Ausnahme von Flörsheim; doch sind die
                              Dammkörper und die Brüken zwischen Castel und Frankfurt für eine doppelte Bahn
                              eingerichtet.
                           Für den Oberbau hat man doppelte Stuhlschienen zum Umlegen angewendet, welche mit
                              hölzernen, auf der äußeren Seite eingetriebenen Keilen in den Stühlen befestigt
                              sind. Die Schienenstühle haben auf ebenem Terrain und in den Einschnitten der Bahn
                              Steinblöke, und da wo Aufschüttungen vorhanden sind, hölzerne Querschwellen zur
                              Unterlage. Die Schienen sind 15 1/2 engl. Fuß lang und wiegen 61 Pfd. per Yard. Die Stühle an den Stoßfugen wiegen 21 1/2
                              Pfd., die Zwischenstühle 18 1/2 Pfd. Die Spurweite der Bahn beträgt 1,5 Meter = 4
                              Fuß 6 7/8 Zoll rhein. = 4 Fuß 8 1/2 Zoll engl. Die Bahn ist in ihrer ganze Länge
                              seit April 1840 in Betrieb. Von Castel nach Frankfurt und von Frankfurt nach Castel
                              gehen die Züge gewöhnlich zu gleicher Zeit ab, so daß dieselben auf dem halben Wege, der Wasserstation
                              Hattersheim, wo eine große Ausweichstelle sich befindet, sich begegnen, resp.
                              einander erwarten. Die 1500 Meter lange Zweigbahn nach Bibrich wird durch Pferde
                              betrieben.
                           Die Transportmittel der Taunus-Eisenbahn bestehen gegenwärtig in 12
                              Locomotiven und 132 Wagen; 8 der ersteren sind von Robert Stephenson in New-Castle, 2 von Sharp Roberts in Manchester, 1 von John Cockerill in
                              Seraing und 1 von Jacoby Haniel und Huysen in Sterkrad gebaut. Folgendes ist die Uebersicht der Distanzen
                              zwischen den Stationen von Frankfurt bis Wiesbaden und des Zeitraums, in welchem die
                              Züge dieselben zurükzulegen haben.
                           
                              
                                 Von  Frankfurt
                                 bis  Höchst
                                     8950 Meter
                                 in
                                     16 Min.
                                 
                              
                                   –    Höchst
                                  –   Hattersheim
                                 6050    –
                                 –
                                 11  –
                                 
                              
                                   –    Hattersheim
                                  –   Flörsheim
                                 5566    –
                                 –
                                 12  –
                                 
                              
                                   –    Flörsheim
                                  –   Hochheim
                                 6800    –
                                 –
                                 13  –
                                 
                              
                                   –    Hochheim
                                  –   Castel
                                 5800    –
                                 –
                                 10  –
                                 
                              
                                   –    Castel
                                  –   Wiesbaden
                                 8800    –
                                 –
                                 17  –
                                 
                              
                           Aus dieser Angabe ergibt sich eine mittlere Geschwindigkeit von 5 1/2 geogr. Meilen
                              per Stunde. Es ist jedoch auf der Streke von
                              Frankfurt nach Castel eine mindere Geschwindigkeit der Fahrt von 6 Minuten und auf
                              die Streke von Castel nach Wiesbaden eine mindere Geschwindigkeit von 2 Minuten
                              gestattet.
                           Was den dermaligen Zustand der Taunus-Eisenbahn anbelangt, so wird derselbe
                              von allen Sachverständigen als musterhaft bezeichnet. Der ganze Bau hat sich bei
                              einem fünfjährigen äußerst lebhaften Betriebe als durchaus solid bewährt, und einer
                              umsichtigen und sorgfältigen Ueberwachung der Bahn hat es das Publicum zu verdanken,
                              daß innerhalb 5 Jahren bei einer Beförderung von ungefähr 4 Millionen Menschen kein
                              einziger Unfall, welcher das Opfer eines Menschenlebens gefordert hätte, sich
                              ereignet hat. Die Schienen liegen längs der ganzen Bahnlinie, insbesondere an den
                              Stoßfugen, worauf ich besonders achtete, correct. Dieser sorgfältigen Schienenlage,
                              so wie der Aufmerksamkeit, womit der Zustand der Räder stets beobachtet wird, um
                              dieselben, wenn die Abnuzung einen gewissen Grad erreicht und die Conicität der
                              Kränze sich vermindert hat, frisch abzudrehen oder durch neue zu ersezen, ist es
                              wohl zum großen Theil zuzuschreiben, daß jene allerdings nie vollständig zu
                              vermeidenden Seitenschwankungen der Eisenbahnwagen, welche bei mehreren andern
                              Bahnen zu mancherlei tadelnden Bemerkungen Anlaß gegeben haben, auf der
                              Taunus-Eisenbahn keineswegs in einem lästigen Grade stattfinden, und daß die
                              Bewegung auch in der lezten Wagenclasse, ungeachtet der Beibehaltung des Systemes
                              kurzer Federn, in Vergleich mit einigen andern Eisenbahnen, verhältnißmäßig sanft
                              erscheint. Diese Bemerkung führt mich nun zum eigentlichen Gegenstande.
                           
                        
                           I. Conische Felgenkränze. Wenn auch früher einzelne
                              Stimmen gegen die Einführung conischer Räder auf Eisenbahnen, insbesondere auf
                              solchen, wo die gerade Streke vorherrschend ist, sich erhoben haben, so sind doch
                              die jezigen Techniker über den Zwek und den die einzelnen Nachtheile weit
                              überwiegenden Nuzen derselben, selbst auf gerader Streke, im Allgemeinen
                              einverstanden. Dieser Nuzen aber besteht – ich erlaube mir auf diesen öfters
                              beleuchteten Gegenstand noch einmal zurükzukommen –
                           1) in der durch die Centrifugalkraft hervorgerufenen Selbstadjustirung der Räder nach
                              der Verschiedenheit der äußeren und inneren Schienen in Bahncurven, wodurch das so
                              nachtheilige Schleifen der einzelnen Räderpaare in Folge ihrer starren Verbindung
                              aufgehoben oder wenigstens gemäßigt wird;
                           2) in der durch diese Adjustirung erlangten Tendenz des Wagengewichtes, der
                              Centrifugalkraft in Curven entgegenzuwirken. Indem nämlich die Centrifugalkraft den
                              Wagen nach der äußeren Seite hinzieht, kommt das Rad an dieser Seite auf eine
                              Kranzperipherie von größerem Durchmesser zu rollen, wodurch der Wagen eine etwas
                              geneigte, der Centrifugalkraft selbst wieder entgegenwirkende Lage erlangt;
                           3) darin, daß auf gerader Streke die Räder durch ihre conische Peripherie mehr in
                              ihre mittlere Lage gewiesen werden, wodurch jenes nachtheilige Anstreifen der
                              Spurkränze bald zur rechten, bald zur linken Seite, welches bei Annahme
                              cylindrischer Radfelgen wegen des unerläßlichen Spielraums zwischen den Schienen
                              stattfinden müßte, jedenfalls gemildert und die Gefahr des Abspringens von den
                              Schienen vermindert wird.
                           In neuerer Zeit gibt man auch häufig den Locomotiv-Treibrädern, die sonst
                              immer cylindrisch abgedreht wurden, conische Felgenkränze. Diese Maaßregel läßt
                              folgenden Einwurf zu. Man denke sich die vorderen und hinteren Räder einer
                              sechsräderigen Locomotive in einer Curve durch die Centrifugalkraft etwas zur Seite
                              gerükt, und nun auf den der Differenz der Halbmesser der äußeren und inneren
                              Bahnschiene entsprechenden Peripherien rollend, so werden, da die Schiene zwischen
                              den Berührungspunkten der Vorder- und Hinterräder einen Bogen bildet, die
                              Treibräder nicht in demselben Maaße zur Seite gerükt seyn; diese Seitenverschiebung
                              der Treibräder wird um so geringer ausfallen, je schärfer die Curve ist; ja es kann
                              der Fall eintreten, daß
                              während die Vorder- und Hinterräder mit ihren Spurkränzen der Schienenkante
                              ganz nahe gekommen sind und auf einer der Curve angemessenen größeren Peripherie
                              rollen, das Treibrad an der äußeren Schiene auf einer kleineren und an der inneren
                              Schiene auf einer größeren Peripherie als der mittleren rollt, während doch das
                              Umgekehrte der Fall seyn sollte. Untersucht man indessen die Sache näher, so stellt
                              sich dieser Einwurf nur bei Curven von außergewöhnlich kleinem Halbmesser als
                              erheblich dar.
                           
                        
                           II. Die Höherlegung der äußeren Bahnschiene in Curven.
                              Durch die Conicität der Radfelgen erhalten, wie bemerkt, die Wagen in Curven unter
                              dem Einflusse der Fliehkraft eine etwas geneigte Lage, in deren Folge die nun ins
                              Leben tretende Schwerkraft der Centrifugalkraft entgegenwirkt. Der Theorie zufolge,
                              und nach der Annahme einzelner Techniker, stellt sich bei Curven von gewöhnlichem
                              Halbmesser diese Conicität als genügend heraus, um das Anstreifen der Spurkränze an
                              den Schienen zu verhüten, und eine Erhebung der äußeren Bahnschiene erscheint als
                              überflüssig. So berechnet de Pambour den kleinsten
                              Krümmungshalbmesser, unter welchem eine Bahncurve ohne Erhöhung der äußeren Schiene
                              befahren werden kann, ohne daß die Spurkränze an den Schienenkanten anstreifen, zu
                              592 Fuß und nimmt der größeren Sicherheit wegen 1000 Fuß an. Erst für Krümmungen von
                              weniger als 1000 Fuß Halbmesser stellt er eine Formel her, wonach die Höherlegung
                              der äußeren Bahnschiene für gewisse Geschwindigkeiten zu berechnen ist. Allein wie
                              ungeheuer die Erfahrung in diesem Punkte von der aufgestellten Theorie abweicht,
                              davon habe ich mich durch den Augenschein lebhaft überzeugt. Curven von mehr als
                              11000 Fuß Halbmesser zeigten sich an der äußeren Schiene durch das Anstreifen der
                              Spurkränze bedeutend abgenüzt, obgleich diese Schienen über die inneren mehr erhöht
                              waren, als sie nach de Pambour's Angabe bei 900 Fuß
                              Halbmesser hätten erhöht seyn sollen.
                           Die Taunus-Eisenbahn besizt 16 mit verschiedenen Halbmessern beschriebene
                              Curven, deren Länge ungefähr 1/3, der Gesammtlänge der Bahn ausmacht. Hinsichtlich
                              der Krümmungshalbmesser bietet die Hauptbahn günstige Verhältnisse dar, indem die
                              Halbmesser der Mehrzahl dieser Curven 2000 Meter übersteigen. Obgleich beinahe in
                              allen Curven die äußeren Bahnschienen höher gelegt sind als die inneren, so sind
                              doch die Wirkungen der Centrifugalkraft an denselben deutlich sichtbar. Folgende
                              Tabelle enthält die Angabe der verschiedenen Curven, ihre Länge, ihren
                              Krümmungshalbmesser und die Erhöhung der äußeren Bahnschiene in französischem und
                              rheinischem Maaße. Die
                              Spurbreite der Hauptbahn ist in sämmtlichen Curven der Hauptbahn um 1 Centimeter =
                              4,59 rheinl. Linien, in den Biebricher Curven um 2 Centimeter = 9,18 Linien
                              erweitert.
                           
                              
                                 
                                 Bezeichnung der Curven.
                                 Längeder Curven.
                                 Halbmesser.
                                 Erhöhungder
                                    äußerenBahnschiene.
                                 
                              
                                 
                                 
                                 Meter.
                                 Rheinl.Fuß.
                                 Meter.
                                 Rheinl.Fuß.
                                 Meter.
                                 Rheinl.Linien.
                                 
                              
                                   1
                                 Zwischen Höchst u. Hattersheim
                                 2280
                                 7250,4
                                 2648
                                 8420,6
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                   2
                                     –      
                                    Flörsheim u. Hochheim
                                 2341,1
                                 7443,7
                                 3682,4
                                 11710
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                   3
                                     –            dito      –        –
                                 1353,7
                                 4304,7
                                 2140,7
                                 
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                   4
                                     –            dito      –        –
                                   605
                                 1923,9
                                 2027
                                 
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                   5
                                     –            dito      –        –
                                   599,8
                                 1907,5
                                 5714,3
                                 18171,4
                                 0
                                   0
                                 
                              
                                   6
                                     –      
                                    Hochheim und Castel
                                 1071,7
                                 3408
                                 3300
                                 
                                 0,01
                                 4,59
                                 
                              
                                   7
                                     –            
                                    dito      –        –
                                   771,7
                                 2422
                                   742,1
                                 2360,1
                                 0,02
                                   9,18
                                 
                              
                                   8
                                     –      
                                    Castel u. Wiesbaden
                                   369,5
                                   700
                                   700
                                 2226
                                 0,02
                                   9,18
                                 
                              
                                   9
                                     –            dito      –        –
                                 1048
                                 3332,6
                                 2500
                                 7954,0
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                 10
                                     –            dito      –        –
                                 1496
                                 4757,2
                                 2000
                                 3360,0
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                 11
                                     –            dito      –        –
                                 1198
                                 3809,6
                                 2000
                                 3360,0
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                 12
                                     –            dito      –        –
                                   921
                                 2828,7
                                 1800
                                 5724,0
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                 13
                                     –            ditto     –        –
                                   270
                                   858,6
                                 1700
                                 5406,0
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                 14
                                     –            dito      –        –
                                   270
                                   858,6
                                 1700
                                 5406,0
                                 0,01
                                   4,59
                                 
                              
                                 1516
                                 
                                    
                                    
                                 Biebricher Curven
                                   120
                                   381,6
                                   100
                                   318,0
                                 0,03
                                 13,77
                                 
                              
                           Alle diese Curven, die Biebricher ausgenommen, werden mit einer Geschwindigkeit von
                              circa 4 1/2 geogr. Meilen befahren. Zur Vergleichung
                              lasse ich hier die von de Pambour für dieselbe
                              Geschwindigkeit, nämlich 20 engl. Meilen berechnete Tabelle folgen.
                           
                           
                              
                                 Halbmesser der Curven.
                                 Erhöhungder äußern Bahnschiene.
                                 
                              
                                 Engl. Fuß.
                                 Rheinl. Fuß.
                                 Engl. Linien.
                                 Rheinl. Linien.
                                 
                              
                                 1000
                                 971
                                       
                                    0
                                       0
                                 
                              
                                  900
                                   873,9
                                   1,92
                                   1,86
                                 
                              
                                  800
                                   776,8
                                   4,44
                                   4,30
                                 
                              
                                  700
                                   679,7
                                   7,56
                                   7,33
                                 
                              
                                  600
                                   582,6
                                 11,76
                                 11,40
                                 
                              
                                  500
                                   485,5
                                 17,64
                                 17,11
                                 
                              
                           Vergleicht man die Höherlegung der äußeren Bahnschiene nach dieser Tabelle mit den in
                              der vorhergehenden Tabelle angegebenen Werthen, so wird man den auffallenden
                              Unterschied zwischen diesen auf theoretische Berechnungen gegründeten Angaben und
                              jener praktisch ausgeführten Höherlegung bemerken. Während nach de Pambour die äußere Schiene in einer Curve von 874'
                              Halbmesser nur 1,86 Linien höher als die innere gelegt werden soll, um dem Einflusse
                              der Fliehkraft zu begegnen; beträgt diese Höherlegung auf der
                              Taunus-Eisenbahn bei einer Curve von 11710', d.h. einem 13 1/2mal so großen
                              Halbmesser 4,59 Linien oder mehr als das Doppelte; und dessen ungeachtet zeigt sich
                              diese ausgeführte Erhöhung, wie unten näher nachgewiesen werden soll, noch nicht
                              einmal genügend.
                           
                        
                           III. Abnüzung der Schienen in Curven. Die Abnüzung der
                              Schienenkanten durch das Anschlagen und Anstreifen der Spurkränze ist zwar in Curven
                              von gewöhnlichen Halbmessern an und für sich von keiner großen Bedeutung, doch
                              schien mir eine nähere Untersuchung derselben insofern nicht unwichtig, als sie
                              einen Maaßstab zur Beurtheilung der Wirksamkeit jener Höherlegung der äußeren
                              Bahnschiene abgibt. Ich untersuchte demnach in dieser Hinsicht den Zustand der
                              Schienen in den bemerkenswerthesten Curven. Die Höchster Curve (8420' Halbmesser)
                              beginnt dicht hinter der Station Höchst und erstrekt sich in einer Länge von 7250
                              Fuß gegen Hattersheim hin. Auf dieser ganzen Länge, insbesondere in ihrer zweiten
                              Hälfte, wo die von Höchst abgehenden Züge bereits ihre volle Geschwindigkeit
                              erreicht haben, und die von Hattersheim herkommenden Züge noch mit unverminderter
                              Geschwindigkeit sich bewegen, zeigt sich die äußere Bahnschiene, ungeachtet ihrer um 1 Centimeter
                              = 4,59 Linien erhöhten Lage durch die Spurkränze der Räder an ihrer Kante auffallend
                              abgerieben, so zu sagen polirt, während die inneren Schienen an ihren Kanten kaum
                              eine Spur von Abnuzung zeigen. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich bei der noch
                              flacheren Curve zwischen Flörsheim und Hochheim (11710' Halbmesser), so wie bei
                              allen andern Curven der Taunus-Bahn.
                           Zwischen Mainz und Wiesbaden führt rechtwinkelig zur Hauptbahn eine durch Pferde
                              betriebene 1500 Meter lange Zweigbahn nach Biebrich. An der Vereinigungsstelle
                              spaltet sich diese Bahn in zwei rechts und links in die Hauptbahn übergehende Curven
                              von 100 Meter Halbmesser. Ehe der Hauptzug an der Curve ankommt, werden die
                              hintersten nach Biebrich bestimmten Wagen im vollen Laufe ausgehängt. Der zwischen
                              diesen Wagen und dem Hauptzuge allmählich zunehmende Zwischenraum gestattet dem
                              Bahnwärter das an der Uebergangsstelle dieser Curve befindliche Excentricum zu
                              drehen, sobald der Zug diese Stelle passirt hat. Die gleich darauf heranrollenden
                              ausgehängten Wagen werden dadurch in die Biebricher Curve gewiesen, in die sie
                              vermöge ihres erlangten Bewegungsmomentes immer noch mit einer Geschwindigkeit von
                              circa 3 Meilen in der Stunde einlaufen. Obgleich nun
                              die äußere Schiene an dieser Curve um 3 Centimeter = 13 77/100 Linien höher als die
                              innere liegt, so ist doch ihre Kante nach einem vierjährigen Betriebe durch die
                              anlaufenden Spurkränze der Räder dergestalt abgeschliffen, daß der Querschnitt der
                              Schienen seine Gestalt sichtbar verändert hat. Ich fand die Breite der oberen Fläche
                              der Schiene durch diese Abnuzung um 1/4 Centimeter = 1,15 Linien vermindert. Erwägt
                              man, daß die Erhöhung der äußeren Bahnschiene in Krümmungen den Zwek hat, durch die
                              in Wirksamkeit tretende Schwerkraft den nachtheiligen Einfluß der Centrifugalkraft
                              zu neutralisiren, d.h. das Anstreifen der Spurkränze längs der äußeren Schiene
                              möglichst zu verhindern und den dadurch erzeugten Reibungswiderstand und Verlust an
                              mechanischer Arbeit auf ein Minimum zu reduciren, so wird man nach Darlegung der
                              obigen Thatsachen erkennen, daß dieser Zwek in den angeführten Fällen nicht erreicht
                              ist. Denn aus jener einseitigen Abnuzung der Schienen läßt sich nicht nur auf eine
                              entsprechende Abnuzung der Spurkränze und einen bedeutenden Verlust an mechanischer
                              Arbeit, sondern auch auf eine noch nicht genügend reducirte Gefahr des Ablaufens von
                              den Schienen schließen. Die Erhöhung der äußeren Bahnschiene um 1 Centimeter
                              erscheint demnach in Curven, wie die Höchster, von 2648 Meter Halbmesser, die mit
                              einer Geschwindigkeit von 4 bis 4 1/2 geogr. Meilen per
                              Stunde befahren werden, in der Praxi's noch ungenügend, obgleich sie das von der Theorie
                              vorgeschriebene Maaß bereits bedeutend überschreitet. Der richtige Grad der Erhöhung
                              wird, wie sich schließen läßt, dann stattfinden, wenn die Abnuzung der
                              Schienenkanten durch die Spurkränze der Räder auf die innere und äußere Schiene
                              gleichmäßig vertheilt erscheint, und dieser Umstand läßt sich nicht vorausberechnen,
                              sondern nur auf dem Wege der Erfahrung ermitteln. So viel aber ist gewiß daß, so
                              lange in einer Curve, wie dieß bei sämmtlichen Curven der Taunus-Eisenbahn
                              der Fall ist, nach mehrjährigem Betriebe nur die äußere Schiene von den Spurkränzen
                              angegriffen erscheint, dieses als ein Zeichen angesehen werden darf, daß die äußeren
                              Schienen noch nicht hoch genug liegen. Es dürfte daher bei der
                              Taunus-Eisenbahn eine weitere Erhöhung der äußeren Schiene in sämmtlichen
                              Curven um so rathsamer erscheinen, als diese einen nicht unbedeutenden Theil der
                              Gesammtstreke ausmachen.
                           
                        
                           IV. Beobachtungen über die Bewegung der
                                 Locomotive und Eisenbahnwagen auf gerader Streke und in Curven.
                           Es ist bekannt, daß jeder einzelne Wagen eines Convoi's während der Bewegung in
                              gerader Bahnstreke keineswegs eine vollkommen gerade Linie, sondern in Folge
                              gewisser Seitenbewegungen, welche der unvermeidliche Spielraum der Spurkränze
                              zwischen den Schienen zuläßt, eine mehr oder weniger gestrekte Schlangenlinie
                              beschreibt. Es ist zwar bis jezt noch nicht gelungen, alle Elemente, welche auf die
                              Erzeugung dieser nachtheiligen Bewegung Einfluß haben, mit Bestimmtheit zu
                              bezeichnen, doch wurde dieser Gegenstand in neuerer Zeit durch Hrn. v. Malinowsky in einer in den Berliner Blättern für Gewerbe,
                              Industrie und Handel enthaltenen Abhandlung „über das Flottiren der
                                 Eisenbahnfahrzeuge“ gründlich erörtert. Hr. v. M. führt in dieser
                              Abhandlung eine Reihe von Umständen an, welche als die wahrscheinlichen Ursachen
                              jener Seitenbewegungen zu betrachten sind, und macht mit Recht auf die bedeutende
                              Reibung und die Kosten aufmerksam, die aus derselben für den Betrieb und die
                              Unterhaltung der Bahn entstehen.
                           Unter allen bisher angeführten Elementen, welche auf die erwähnten Seitenschwankungen
                              Einfluß haben können, hat sich nach von mir angestellten unten mitgetheilten
                              Beobachtungen der Zustand der Bahn, insbesondere die mehr oder minder correcte Lage
                              der Schienen, als das Wichtigste dargestellt. In der That bemerkt man auch, daß die
                              seitlichen Schwankungen nicht auf allen Bahnen in gleichem Grade stattfinden,
                              sondern daß die Bewegung auf gut unterhaltenen Bahnen unter gleichen übrigen Umständen
                              eine weit ruhigere und gestrektere ist, als auf minder sorgfältig überwachten und
                              unterhaltenen Bahnen. Jedenfalls scheinen die Oscillationen, indem sie, wenn nicht
                              etwa Seitenwinde den Zug beharrlich nach einer Seite drüken, im Allgemeinen in
                              gleichem Maaße zur Linken wie zur Rechten erfolgen, das Resultat solcher Ursachen zu
                              seyn, welche ihren Einfluß im Durchschnitt eben so nach der einen wie nach der
                              andern Seite äußern. Ich glaube daher nicht, daß z.B. ungleiche Räderdurchmesser,
                              Befestigung der Zughaken außerhalb der Centrallinie, wenn solche Fehler vorkommen
                              sollten, eine besondere Neigung zu Oscillationen hervorzurufen geeignet sind, indem
                              diese Ursachen eine einseitige Wirkung zur Folge haben, und dem Wagen eher eine
                              etwas gespannte Lage zwischen den Schienen ertheilen.
                           Angenommen nun, es wäre möglich, alle Unregelmäßigkeiten in der Lage der Schienen und
                              in der Construction und Verbindung der Wagen, welche auf die Bewegung Einfluß haben
                              können, zu beseitigen, so bliebe doch noch eine wichtige Ursache jener Schwankungen
                              übrig, welche man bis jezt noch nicht beachtet zu haben scheint, nämlich die
                              eigenthümliche Bewegung der Locomotive in Folge der unvortheilhaften Lage des
                              Schwerpunkts. Ehe ich jedoch über diesen Punkt meine Ansicht näher ausspreche, will
                              ich die mit demselben im Zusammenhang stehenden Beobachtungen über die Bewegung der
                              Locomotive und Waggons mittheilen.
                           Die erste Beobachtung bezog sich auf die sechsräderige Locomotive
                              „Main“ von Sharp Roberts und
                              Comp. in Manchester. Diese Maschine besizt 14zöllige Cylinder und 5'9'' im
                              Durchmesser haltende Treibräder mit Gegengewichten. Die Felgenkränze waren unter
                              Beobachtung einer Conicität von 1 : 7 neu abgedreht. Ich hatte meinen Standpunkt auf
                              dem Tender so gewählt, daß ich durch die zwischen der Locomotive und dem Tender
                              befindliche Spalte die hinteren Locomotivräder gewissermaßen in horizontaler
                              Projection betrachten konnte. Das Wetter war windstill. Die Räder oscillirten auf
                              gerader Streke und bei 4 1/2 Meilen Geschwindigkeit fortwährend von einer Seite zur
                              andern, und zwar so, daß der Spurkranz eines jeden Rades innerhalb 1 Minute im
                              Durchschnitt 24mal mit der Schiene in reibende Berührung kam; er streifte daher bei
                              obiger Geschwindigkeit zu beiden Seiten der Bahn auf je 74 Fuß Länge einmal an.
                              Während ihrer fortschreitenden Bewegung oscillirte die Locomotive um eine, wie es
                              schien, durch die Mitte der Kurbelachse gehende imaginäre Verticalachse, so daß
                              immer gleichzeitig der Spurkranz des rechten Hinterrades und der des rechten
                              Vorderrades, dann der Spurkranz des linken Hinterrades und der des rechten
                              Vorderrades gegen die
                              Schiene anlief. Diese Seitenschwankungen theilten sich augenscheinlich dem Tender
                              mit und pflanzten sich auf die nächsten Waggons fort. Wiederholte Beobachtungen an
                              derselben Locomotive, so wie an andern Locomotiven ähnlicher Bauart, lieferten das
                              gleiche Resultat. Beim Einfahren in Curven verminderten sich diese Schwankungen
                              zusehends und hörten beinahe ganz auf; der Zug nahm eine ruhigere stabilere Bewegung
                              an. Die Spurkränze näherten sich, dem Einflusse der Fliehkraft nachgebend, der
                              äußeren Schiene und kamen mit derselben in reibende und dauerndere Berührung, als
                              dieß auf gerader Bahn der Fall gewesen war, wo die Spurkränze, nach erfolgtem
                              Anschlagen auf der einen Seite, immer rasch wieder nach der andern Seite
                              zurükgeworfen wurden.
                           Um nun auch die Bewegung der Waggonsräder unmittelbar beobachten zu können und
                              insbesondere darüber Gewißheit zu erhalten, ob die Seitenschwankungen von der
                              Locomotive unabhängig, sich gleichmäßig durch den ganzen Train erstreken, oder ob
                              und in welchem Grade dieselben von den Schwankungen der Locomotive abhängen und mit
                              der Entfernung von derselben sich vermindern oder ganz aufhören, wurde an den lezten
                              Waggon des aus 16 Wagen bestehenden Zuges ein leerer Transportwagen angehängt. Von
                              der Plattform des lezteren aus beobachtete ich das hintere Räderpaar des
                              vorhergehenden mit einer mittleren Belastung versehenen Wagens, während Hr.
                              Maschinenmeister Heusinger die hinteren Räder des
                              Transportwagens selbst im Auge behielt. Die Bewegung dieser beiden Wagen zeigte sich
                              auf gerader Streke von derjenigen der Locomotive und der zunächst hinter der
                              Locomotive befindlichen Wagen wesentlich verschieden. Jene Seitenbewegungen der
                              Räder waren nicht zu bemerken; die Räder rollten beinahe fortwährend auf ihrem
                              normalen Halbmesser und hielten die Mitte der Bahn, d.h. die Spurkränze blieben auf
                              beiden Seiten ungefähr 1/2 Zoll von der Schienenkante entfernt. Wenn aber der
                              Spurkranz des einen Rades der Schiene sich näherte oder gar mit derselben in
                              Berührung kam, so geschah dieses jedesmal an einer Stelle, wo die Bahn
                              wahrscheinlich auf der einen Seite sich etwas gesenkt hatte. Denn immer zeigte sich
                              an der Stelle, wo der Spurkranz gegen die Schiene anlief, ein glänzender von der
                              Abnüzung herrührender Streifen, welcher von den übrigen unabgenüzten Stellen der
                              Schienenleitung deutlich abstach, was zu dem Schlusse berechtigte, daß an solchen
                              Stellen die Bahnschiene sich gesenkt, oder vielleicht auch die Spurbreite der Bahn
                              sich verändert hatte. In der Höchster Curve näherten sich die Spurkränze der äußeren
                              Schiene und streiften bei 4 bis 4 1/2 Meilen Geschwindigkeit, wenn auch nicht
                              beharrlich, doch öfters mehrere Secunden lang, d.h. auf die Länge mehrerer Schienen an, während die
                              inneren Schienen von den Spurkränzen ganz verschont blieben.
                           Aus diesen beobachteten Thatsachen ergeben sich nachstehende Folgerungen. Der Nuzen
                              der conischen Form der Radkränze in Anwendung auf Eisenbahnwagen bestätigt sich auch
                              auf gerader Streke durch obige Beobachtungen vollkommen, indem sie die Räder, so
                              lange nicht äußere Einflüsse oder anderweitige Nebenumstände, z.B. Seitenwinde,
                              Bahnsenkungen, Fehler in der Räderconstruction, störend einwirken, stets in ihrer
                              normalen Lage, d.h. in der Mitte der Bahn erhalten und das Anstreifen der Spurkränze
                              an den Schienenkanten in der That auf eine befriedigende Weise verhüten. Die
                              innerhalb des bekannten Spielraums von 1 Zoll erfolgenden Seitenbewegungen des
                              Wagenzugs erstreken sich hauptsächlich auf die zunächst hinter der Locomotive
                              befindlichen Wagen, denen die Locomotive selbst ihre Schwankungen mittheilt. Könnten
                              daher die Oscillationen der Locomotive beseitigt werden, so wäre damit auch eine
                              ruhigere gestrektere Bewegung des Wagenzugs überhaupt erzielt. Die Conicität der
                              Radfelgen schüzt eine sechsräderige nach Stephenson'schen
                              Principien gebaute Locomotive, auch wenn alle obgenannten äußeren Einflüsse und
                              Abnormitäten beseitigt wären, auf gerader Streke gegen die Hin- und
                              Herschwankungen nicht; sie veranlaßt vielmehr längs der geraden Bahnstreke einen
                              erhöhten Reibungswiderstand, indem das vordere und hintere Räderpaar nie constant
                              auf seiner normalen Peripherie, sondern auf Peripherien von beständig wechselnden
                              Halbmessern rollt, und zwar in der Art, daß bei einer Geschwindigkeit von 4–5
                              Meilen per Stunde jedes Rad innerhalb 1 Minute ungefähr
                              24mal auf seiner größten und 24mal auf seiner kleinsten Peripherie rollt. hieraus
                              folgt, daß die Bewegung der Locomotivräder streng genommen keine rollende, sondern
                              vielmehr eine schleifende genannt zu werden verdient; und bei dem großen Gewicht der
                              Maschine ist es nicht zu verwundern, wenn die Räder derselben nach einem Betrieb von
                              zwei Monaten an ihrem Umfang dergestalt abgelaufen oder vielmehr abgeschlissen und
                              der cylindrischen Form nahe gebracht sind, daß sie frisch abgedreht werden
                              müssen.
                           Aus den obigen Beobachtungen geht hervor, daß eine Hauptursache jener nachtheiligen
                              Seitenbewegungen der Eisenbahnwagen in der eigenthümlichen oscillirenden Bewegung
                              der Locomotive begründet sey. Die Locomotive theilt nämlich ihre Seitenschwankungen
                              zunächst dem Tender mit und dieser überträgt sie auf den benachbarten Wagen, von wo
                              aus sie sich, immer schwächer werdend, auf die folgenden Wagen fortpflanzen, bis sie
                              ganz aufhören. Lezteres wird freilich nur dann der Fall seyn, wenn die Schienenlage
                              selbst in gutem Zustand ist und keine zufälligen Umstände, z.B. Windstöße, nachtheilig influiren.
                           
                        
                           V. Ursache der hin und her oscillirenden
                                 Bewegung der Locomotive.
                           Man möchte versucht seyn, den Grund jener Oscillationen der Locomotive in der Wirkung
                              der Flügelstangen auf die Krummzapfen und der daraus entspringenden Hebelwirkung auf
                              die Krummzapfenwelle zu suchen, indem, während die eine Flügelstange durch den
                              todten Punkt geht, die andere ihren vollen Druk ausübt. Allein bei dem raschen
                              Kolbenspiel folgen diese Wirkungen zu schnell auf einander, um in eben so rascher
                              Folge eine abwechselnde seitliche Bewegung der schweren Masse bewirken zu können;
                              denn ehe die Masse Zeit hat, dem Druk der rechten Flügelstange nach der linken Seite
                              hin nachzugeben, kommt ihr bereits der Druk der linken Flügelstange, der sie nach
                              der rechten Seite hinzudrehen strebt, entgegen; auch stimmt die Anzahl der
                              beobachteten Oscillationen mit der Anzahl der in derselben Zeit erfolgenden
                              Kolbenspiele oder Drükungen der Flügelstangen keineswegs überein, sondern sie ist
                              viel geringer.
                           Der wahre Grund der in Rede stehenden Erscheinung dürfte eher in der unvortheilhaften
                              Lage des Schwerpunkts der Masse zu suchen seyn. Ich will mich hierüber näher
                              erklären. Man sagt, eine Kraft wirke ziehend auf einen
                              Körper, wenn ihr Angriffspunkt vor dem Schwerpunkt, und
                              schiebend, wenn ihr Angriffspunkt hinter dem Schwerpunkt des Körpers liegt. Denkt man sich
                              nun einen Wagen auf einer glatten Unterlage gezogen, so
                              nimmt die Bewegung gewissermaßen einen stabilen Charakter an, d.h. der Wagen wird,
                              sobald einmal der Schwerpunkt in der Richtungslinie der Zugkraft liegt, ohne seine
                              Lage zu verändern, dieser Zugkraft folgen; wird aber der Wagen geschoben, so muß sich der Schwerpunkt, sobald derselbe um ein Minimum aus
                              der Richtungslinie der Kraft gekommen ist, um den Angriffspunkt drehen und zwar so
                              lange, bis er hinter diesen und in eine Linie mit
                              demselben und der Richtungslinie der Kraft zu liegen kommt. Ein dem lezteren
                              analoger Fall findet nun bei einer Locomotive gewöhnlicher Stephenson'scher Construction statt, bei welcher der Schwerpunkt 60
                              Centimeter bis 1 Meter oder ungefähr 2,2 rhein. Fuß vor der Kurbelachse liegt, und
                              bei der man sich den Angriffspunkt der Kraft in der Mitte zwischen beiden Kurbeln in
                              der Kurbelachse liegend denken mag, mit dem Unterschied, daß die Conicität der
                              Räder, oder da diese in der Regel nicht hinreicht, das Anschlagen der Spurkränze der
                              Vorderräder an der Bahnschiene der erwähnten Drehung eine Gränze sezt. Die Masse wird nun auf der einen
                              Seite zurükgeworfen, der Schwerpunkt überschreitet die centrale Lage und strebt nach
                              der entgegengesezten Seite um den Angriffspunkt sich zu drehen, bis er durch das
                              Anschlagen des Spurkranzes auf dieser Seite angehalten wird u.s.w. Demnach ist bei sechsräderigen Locomotiven gewöhnlicher
                                 Construction die Lage des Schwerpunkts vor der Kurbelachse die Hauptursache
                                 ihrer oscillirenden Seitenbewegungen und aller daraus entspringenden
                                 Nachtheile. Die bemerkenswerthesten dieser Nachtheile aber sind:
                           1) ein beständiges Anschlagen der Spurkränze gegen die Bahnschienen, ungeachtet der
                              conischen Gestalt der Felgenkränze. Die Spurkränze, insbesondere die der
                              Vorderräder, verlieren daher da wo sie in den Conus des Rades übergehen, bald ihre
                              Rundung und schleifen sich aus, wodurch die Seitenschwankungen wegen des zunehmenden
                              Spielraums immer größer, nachtheiliger und gefährlicher werden, bis man sich
                              genöthigt sieht nach mehrmaligem Abdrehen der Spurkränze ein neues Räderpaar
                              einzusezen;
                           2) erhöhte Gefahr des Austretens aus den Schienen;
                           3) beschleunigte Abnüzung der Radkränze, indem sie durch die Seitenbewegungen
                              unaufhörlich auf Peripherien von verschiedenen Halbmessern getrieben werden;
                           4) Schwächung der Achsen durch die Erschütterungen, denen sie durch das Anschlagen
                              und Anstreifen der Spurkränze an den Bahnschienen ausgesezt sind;
                           5) Fortpflanzung der Seitenschwankungen auf die nachfolgenden Wagen;
                           6) ein wahrscheinlich nicht unbedeutender Kraftverlust.
                           Alle diese Nachtheile würden theils ganz verschwinden, theils bedeutend vermindert
                              werden, wenn der Schwerpunkt der Masse oder was dasselbe ist, das Uebergewicht der
                              Maschine hinter der Kurbelachse anstatt vor derselben liegen würde. Dieses ist ein
                              sehr wichtiger Punkt, dem die Erbauer von Locomotiven besondere Aufmerksamkeit
                              schenken sollten; denn er steht nicht nur mit der Abnüzung der Betriebsmittel,
                              sondern auch mit der Sicherheit des Transports in einem wesentlichen
                              Zusammenhange.