| Titel: | Ueber die nachtheiligen Folgen, welche bei Anwendung bleihaltiger Substanzen zum Schlichten der Kette von Wollenstoffen oder zum Appretiren von Baumwollenzeugen entstehen; von Hrn. Chevreul. | 
| Fundstelle: | Band 94, Jahrgang 1844, Nr. XL., S. 205 | 
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                        XL.
                        Ueber die nachtheiligen Folgen, welche bei
                           Anwendung bleihaltiger Substanzen zum Schlichten der Kette von Wollenstoffen oder zum
                           Appretiren von Baumwollenzeugen entstehen; von Hrn. Chevreul.
                        Aus den Comptes rendus, Sept. 1844, Nr.
                              12.
                        Chevreul, über bleihaltige Schlichte für Wollenzeuge und
                           bleihaltigen Appret für Baumwollenzeuge.
                        
                     
                        
                           Ich sehe mich veranlaßt mehrere Thatsachen über das Vorkommen von Blei als Oxyd oder
                              Salz in verschiedenen Kunstproducten bekannt zu machen, nicht weil diese Thatsachen
                              an und für sich von großer Wichtigkeit sind, sondern weil sich daraus Folgerungen
                              ergeben, die in mancher Hinsicht Beachtung verdienen.
                           Schon früher habe ich darauf aufmerksam gemacht (polyt. Journ. Bd. LXVII S. 157 und Bd. LXXVII S. 135), wie nachtheilig es ist,
                              die Wollenstoffe mit metallischen Substanzen zu versezen, welche mit dem darin
                              ursprünglich enthaltenen Schwefel gefärbte Sulphuride bilden können, falls die
                              Wollenzeuge auf weißem oder hellfarbigem Boden mit Dampffarben bedrukt oder in einer
                              hellen Farbe gefärbt werden sollen; denn durch den Einfluß der Wärme des Dampfes
                              oder des Wassers der Färbeflotte bildet sich dann ein gefärbtes Sulphurid auf allen
                              denjenigen Stellen des Wollenzeugs, welche mit metallhaltiger Substanz imprägnirt
                              sind. Vor einigen Monaten wurde ich zu Rath gezogen, woher es kommen dürfte, daß in
                              der Picardie gewobene Shawls bei der Behandlung mit Wasserdampf eine braune Färbung
                              annahmen, selbst wenn damit gar keine Vorbereitung vorgenommen wurde; ich fand bald,
                              daß sich nur die Kette gefärbt hatte, und da leztere geschlichtet worden war, so vermuthete ich, daß sich die metallische
                              Substanz in der angewandten Schlichte befunden habe. Dieß bestätigte sich auch, denn
                              ich fand Bleioxyd und ein wenig Kupferoxyd nicht bloß in der Schlichte, sondern auch
                              in dem Leim, womit sie bereitet worden war. Das Bleioxyd war in solcher Menge
                              vorhanden, daß das Wasser, worin man die Schlichte oder den Leim auflöste, sich
                              durch Schwefelwasserstoff-Wasser stark färbte. Ich erhielt auch metallisches
                              Blei aus dem eingeäscherten Leim und erfuhr nachher, daß der Leim mit Bleiweiß
                              versezt worden war.
                           Vor einigen Jahren ließ mich die Besizerin einer Waschanstalt zu Sèvres
                              befragen, woher die braunen Fleken rühren dürften, welche sich zeigten, wenn sie
                              Hemde, Tücher etc., welche aus Baumwollenzeug verfertigt waren, zum erstenmal mit
                              Lauge behandelte. Diese Zeuge waren aus einer der bedeutendsten Fabriken Frankreichs
                              bezogen und sie theilte mir sowohl ein Muster neuen Zeugs als von dem Alkali mit, welches sie zur
                              Bereitung ihrer Lauge anzuwenden pflegte. Ich fand, daß der Appret dieses Zeuges
                              schwefelsaures Blei enthielt und daß das Mali ein Gemenge von Natron, Kali und Kalk,
                              alle mit viel Schwefel verbunden, war; daher ich nicht mehr zweifeln konnte, daß die
                              Fleken durch Einwirkung der alkalischen Sulphuride auf das im Appret enthaltene
                              schwefelsaure Blei hervorgebracht wurden.
                           Ich will mich hier nicht damit befassen, den Nacktheit zu besprechen, welchen mit
                              schwefelsaurem Blei imprägnirte Zeuge auf die menschliche Gesundheit haben müssen;
                              es ist aber jedenfalls verwerflich, den Appret zum Steifen der Zeuge mit
                              schwefelsaurem Blei zu versezen, um so mehr, da der Gyps, welcher jezt in vielen
                              Fabriken zu diesem Zwek benuzt wird, keine nachtheiligen Folgen veranlassen
                              kann.
                           Ich betrachte das Blei, wie das Kupfer, nur als zufällige Bestandtheile der
                              organischen Wesen und bei deren Ausmittelung kann man nicht vorsichtig genug
                              verfahren.
                           Während einer öffentlichen Vorlesung ließ ich einmal Baumwolle, Seide und Wolle in
                              alkalische Wässer einweichen und beobachtete zu meiner Verwunderung, daß sich die
                              Wolle in verdünntem Aeznatron, Baryt-, Strontian- und Kalkwasser braun
                              färbte, welche Flüssigkeiten zu meinen Untersuchungen mit vollkommen reinen Alkalien
                              bereitet worden waren. Ich fand bald, daß Bleioxyd unter dem Einflusse des Alkalis
                              und des in der Wolle enthaltenen Schwefels, die Färbung dieser lezteren verursacht
                              hatte; woher rührte aber das Bleioxyd, welches ich in den alkalischen Wässern
                              mittelst Schwefelwasserstoff entdekte?
                           Von den Flaschen, worin diese Flüssigkeiten mehrere Monate lang aufbewahrt worden
                              waren, weil das Glas derselben eine Mischung von eigentlichem Glas und Blei-
                              oder Krystallglas war.
                           Schon im Jahr 1828 machte ich darauf aufmerksam, in welche Täuschungen man bei
                              medicinisch-gerichtlichen Untersuchungen verfallen kann, wenn man die auf
                              einen Arsenikgehalt zu prüfende Substanz mit Kohlenpulver etc. in einer Röhre aus
                              bleihaltigem Glase erhizt.
                           Das Aezkali, welches mehrere Fabrikanten in Paris als chemisch rein verkaufen,
                              enthält nach Dupasquier bisweilen Bleioxyd; so viel ist
                              gewiß, daß Kali, Natron, Baryt, Strontian und Kalk, wenn ihre Auflösungen in
                              Flaschen von bleihaltigem Glase aufbewahrt werden, eine merkliche Menge Bleioxyd
                              auflösen können.
                           Zum Schluß will ich eine Stelle aus einem im Jahr 1839 von mir der Akademie
                              erstatteten Berichte anführen: „Die große Anwendung, welche man
                                 gegenwärtig in mehreren Industriezweigen von giftigen Substanzen, z.B.
                                 Arsenikverbindungen, Kupfersalzen etc. macht, verdient die Aufmerksamkeit der
                                 Behörden; denn es ist möglich, daß das Wasser, worin mit Arsenikcompositionen
                                 imprägnirte Stoffe ausgewaschen worden sind, irgendwo einen nachtheiligen
                                 Einfluß auf die Thiere hat. Dieß kann sogar durch arsenikhaltige Substanzen der
                                 Fall seyn, welche man vergraben hat und welche durch die unterirdischen Wässer
                                 zerstreut, auf die Oberfläche des Bodens geführt werden können, weit entfernt
                                 von dem Ort, wo man sie niedergelegt hat.“ Zu derselben Zeit erschien
                              eine Abhandlung von Braconnot, worin meine Bemerkung
                              auffallend bestätigt wird; er sagt: „Seit beiläufig dreißig Jahren
                                 bereitet ein Papiertapeten-Fabrikant seine Farben mit verschiedenen
                                 mineralischen Substanzen; mehrere Familien, welche nach einander das Haus in der
                                 Nähe seiner Fabrik bewohnten, litten in mehr oder weniger hohem Grade an
                                 Kopfschmerzen, Mattigkeit, Uebelkeit, schwerer Verdauung, fast beständiger
                                 Kolik, Aufgeblasenheit und Erschlaffung der Beine, Entmuthigung, Traurigkeit und
                                 in Folge dieser Affectionen starben einige Mitglieder dieser Familien. Nachdem
                                 noch neue Opfer dazu gekommen waren, vermuthete man vor etwa zwei Jahren, daß
                                 das Wasser des Brunnens von den in der Fabrik angewandten giftigen Substanzen
                                 etwas aufgelöst haben dürfte. Ich konnte aber damals bei der Untersuchung
                                 desselben nichts entdeken und die gegenwärtigen Bewohner des Hauses fuhren fort
                                 sich dieses Wassers zu bedienen; sie erholten sich sogar auffallend, als sich
                                 plözlich die erwähnten Symptome mit solcher Heftigkeit wieder einstellten, daß
                                 man an einer Vergiftung nicht mehr zweifeln konnte. Ich wurde nun neuerdings
                                 aufgefordert, gemeinschaftlich mit Hrn. Simonin das
                                 Wasser dieses Brunnens zu untersuchen und es war uns leicht, Arsenik darin zu
                                 entdeken, welcher mit Alkali, Thonerde und einem Farbstoff verbunden war. Man
                                 sieht daher, wie wichtig es ist, daß die Behörden derartige Fabriken mit der
                                 größten Sorgfalt überwachen.“
                              
                           
                        
                           
                              Folgerungen:
                              
                           1) Die Wollenstoffe dürfen eben so wenig mit bleihaltigen als mit kupferhaltigen
                              Substanzen in Berührung gebracht werden, wenn sie entweder gedämpft werden sollen,
                              um einen weißen Boden zu behalten, oder in einer warmen Flotte zur Erzeugung Heller
                              Böden gefärbt werden müssen;
                           2) die Wollenstoffe oder der Leim, welcher zum Schlichten ihrer Kette diente, so wie
                              auch die mit einer Bleiverbindung appretirten Baumwollenstoffe färben sich bei der
                              Prüfung mit Schwefelwasserstoff-Wasser auffallend, daher es sehr leicht ist, sich vor ihrer
                              Verwendung zu versichern, ob sie Bleioxyd enthalten oder nicht;
                           3) wenn in medicinisch-gerichtlichen Fällen Substanzen auf einen Bleigehalt zu
                              untersuchen sind, muß man sich vor Allem überzeugen, ob die anzuwendenden
                              alkalischen Reagentien kein Bleioxyd von den Glasstaschen, worin sie aufbewahrt
                              wurden, aufgelöst haben.