| Titel: | Ueber die Theorie der Schwefelsäure-Fabrication; von Eug. Péligot. | 
| Fundstelle: | Band 94, Jahrgang 1844, Nr. XLIV., S. 214 | 
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                        XLIV.
                        Ueber die Theorie der
                           Schwefelsäure-Fabrication; von Eug. Péligot.
                        Aus den Comptes rendus, August 1844 No.
                              9.
                        Péligot, über die Theorie der
                           Schwefelsäure-Fabrication.
                        
                     
                        
                           Folgende Versuche unternahm ich in der Absicht, eine Theorie der
                              Schwefelsäure-Fabrication zu bestätigen, auf welche ich im Jahr 1841 durch
                              meine Untersuchungen über die Untersalpetersäure und salpetrige Säure geleitet
                              wurde.
                           Beinahe alle Chemiker betrachten übereinstimmend die Krystalle, welche sich bilden,
                              wenn man Untersalpetersäure und Wasser mit schwefliger Säure zusammenbringt, als
                              eine wesentliche Rolle bei der fabrikmäßigen Erzeugung der Schwefelsäure spielend.
                              Bekanntlich erzeugen sich diese Krystalle unter vielen Umständen und bilden
                              Schwefelsäure und eine Sauerstoffverbindung des Stikstoffs, wenn man sie mit Wasser
                              in Berührung bringt. Ihre, troz der zahlreich damit angestellten Analysen, lange
                              ungewiß gebliebene Zusammensezung wurde im Jahre 1840 von de
                                 la Provostaye genau bestimmt (polytechn. Journal Bd. LXXIX S. 210), welcher auch fand, daß sie
                              sich aus Untersalpetersäure und schwefliger Säure im trokenen Zustande unter dem
                              Einfluß eines starken Druks erzeugen lassen.
                           Die von de la Provostaye beobachteten Thatsachen führten
                              ihn auf Modificationen in der Theorie der Schwefelsäure-Bereitung; ohne die
                              Nichtigkeit dieser Thatsachen bestreiten zu wollen, glaube ich aber, daß ihre
                              Anwendung auf diese Theorie noch viel zu wünschen übrig läßt, weil die Erzeugung der
                              Schwefelsäure ganz unabhängig ist von dem Vorhandenseyn und folglich auch von der
                              Natur dieser Producte, welche sehr ungeeigent
                              „Bleikammern-Krystalle“ genannt wurden.
                           Wirklich geht aus der täglichen Beobachtung und dem einstimmigen Zeugniß der
                              Schwefelsäure-Fabrikanten hervor, daß diese Krystalle, welchen die Chemiker
                              die Erzeugung dieser Säure zuschreiben, sich niemals in ihren Kammern bilden, wenn
                              sie in regelmäßigem Gange sind; dieselben sind vielmehr nur ein zufälliges Erzeugniß
                              bei der Fabrication, und zwar ein in Folge ihrer Vervollkommnung heutzutage sehr
                              seltenes.
                           
                           Dieß veranlaßte ohne Zweifel Hrn. Berzelius, die in den
                              Bleikammern vorgehenden Processe auf andere Weise zu erklären. „Wenn das
                                 Stikstoffoxydgas, sagt der schwedische Chemiker, in Berührung mit der Luft
                                 kommt, so verwandelt es sich auf Kosten derselben in salpetrige Säure, welche
                                 mit der Feuchtigkeit der Luft zu Dämpfen von wasserhaltiger salpetriger Säure
                                 wird. Das schwefligsaure Gas entzieht der salpetrigen Säure sowohl den
                                 Sauerstoff, dessen es zur Umwandlung in Schwefelsäure bedarf, als das Wasser,
                                 welches nöthig ist, um diese in wasserhaltige Schwefelsäure zu verwandeln;
                                 während die salpetrige Säure wieder zu Stikstoffoxydgas wird, welches von Neuem
                                 dieselben Wirkungen auf andere Antheile schwefligsauren Gases und feuchter Luft
                                 ausübt.“
                              Lehrbuch der Chemie von J. J. Berzelius; übersezt
                                    von F. Wöhler. 3te Aufl. 1833, 2ter Bd. S.
                                    12.
                              
                           Hr. Mitscherlich folgt derselben Theorie; er sagt:
                              „Das Stikstoffoxydgas, welches sich mit dem Sauerstoff der Luft
                                 verbindet, gibt den aufgenommenen Sauerstoff an die schweflige Säure ab, um
                                 Schwefelsäure zu bilden und wird wieder zu Stikstoffoxyd.“
                              Lehrbuch der Chemie von E. Mitscherlich, Berlin
                                    1841, Bd. I, zweite Abtheilung S. 39.
                              
                           Man kann aber jezt die Existenz einer wässerigen salpetrigen Säure nicht mehr
                              zugeben; ich habe nämlich in der Eingangs dieser Abhandlung erwähnten Arbeit
                              nachgewiesen, daß das Stikstoffoxydgas durch Berührung mit dem Sauerstoff der Luft
                              sich in Untersalpetersäure (AzO⁴), nicht in salpetrige Säure (AzO³)
                              umwandelt, wie diese Theorie annimmt. Endlich weiß man, daß die schweflige Säure auf
                              die Untersalpetersäure nur unter dem Einfluß eines starken Drukes Einfluß hat.
                           Die von mir aufzustellende Theorie scheint mir alle Vorgänge bei der Bereitung der
                              Schwefelsäure einfach und befriedigend zu erklären; sie beruht auf folgenden
                              Säzen:
                           1) Die schweflige Säure zersezt die Salpetersäure; erstere wird zu Schwefelsäure,
                              leztere zu Untersalpetersäure;
                           2) das Wasser verwandelt die Untersalpetersäure in Salpetersäure und salpetrige
                              Säure;
                           3) die salpetrige Säure wird unter dem Einfluß einer großem Menge Wassers wieder zu
                              Salpetersäure und Stikstoffoxyd;
                           4) dieses leztere Gas wird, in Berührung mit der atmosphärischen Luft, wieder zu
                              Untersalpetersäure. Die schweflige Säure wirkt unausgesezt und
                                 ausschließlich auf die bei diesen verschiedenen Phasen des Processes
                              beständig wieder erzeugte Salpetersäure.
                           
                           Diese Reactionen schließen die Dazwischenkunst irgend eines krystallisirten Körpers
                              aus und werden durch folgende Formeln ausgedrükt:
                           AzO⁵, Aq + SO² = SO³, Aq + AzO⁴;
                           2 AzO⁴ + Aq = AzO³ + AzO⁵, Aq;
                              3 AzO³ + Aq = 2 AzO² +
                              AzO⁵, Aq;
                           AzO² + 2 O = AzO⁴...etc.
                           Die Hauptthatsachen, welche die Grundlage dieser Theorie bilden, sind durch
                              hinlänglich genaue Versuche erwiesen, so daß eine wiederholte Prüfung derselben
                              überflüssig wäre; dessen ungeachtet hielt ich es für nüzlich, die Einwirkung der
                              schwefligen Säure auf die Salpetersäure bei verschiedenen Graden der Concentration
                              und verschiedenen Temperaturen sorgfältig zu studiren und die Gränzen zu bestimmen,
                              wobei sie sich zu zeigen aufhört.
                           Der Apparat, dessen ich mich hiezu bediente, besteht in einem Kolben, welcher behufs
                              der Erzeugung von schwefligsaurem Gas, Kupfer und Schwefelsäure enthielt, und in
                              zwei Liebig'schen Kugelapparaten, wovon der erste zum
                              Waschen des Gases diente, und der andere die dem Versuch unterworfene Salpetersäure
                              enthielt.
                           Die wenigstmöglich Wasser enthaltende Salpetersäure, deren Dichtigkeit durch 1,51
                              ausgedrükt wird, wird von der trokenen schwefligen Säure in eine Masse von
                              Krystallen umgewandelt, welche mit jenen von de la
                                 Provostaye erzeugten und studirten wahrscheinlich identisch sind. Es hat
                              dieß mit der Theorie der Schwefelsäure-Bereitung durchaus nichts zu schassen,
                              weil die Salpetersäure, welche man anwendet, immer von weit geringerem
                              Concentrationsgrade ist.
                           Die käufliche Salpetersäure von 24 bis 28° Baumé, welche 27 bis 34
                              Proc. wasserfreie Säure enthält, wird von der schwefligen Säure sehr energisch
                              zersezt; in der ersten Kugel des Liebig'schen Apparats
                              erzeugen sich sogleich röthliche Dämpft von Untersalpetersäure und färben die
                              Flüssigkeit grün; die Temperatur erhöht sich stark während der ganzen Dauer der
                              Einwirkung, die beständig fort wahrzunehmen ist, indem die schweflige Säure gänzlich
                              absorbirt wird, sofern die Salpetersäure zu ihrer Umwandlung in Schwefelsäure nicht
                              schon ganz verbraucht ist; auch ist in jeder Kugel eine andere Färbung zu bemerken;
                              in dem Maaße als in der ersten die Wirkung abnimmt, wird auch die grüne Färbung der
                              darin enthaltenen Flüssigkeit schwächer, während zu gleicher Zeit die Färbung der
                              zweiten an Intensität zunimmt; die beiden Kugeln nehmen abwechselungsweise eine
                              dunkelgrüne Farbe an; später wird die Flüssigkeit blasser grün, und dann orangegelb;
                              nachdem die Salpetersäure ganz zerstört ist, wird sie wieder weiß; wenn die Säure, womit der Versuch
                              angestellt wird, 5 Aequivalente Wasser enthält, wo sie bei 120° C. ins Sieden
                              kommt, steigt die Temperatur so sehr, daß sie sich der Auflösung der salpetrigen
                              Säure widersezt; man bemerkt also auch keine Färbung.
                           Ist die Salpetersäure mit mehr Wasser verdünnt, so entsteht eine rein indigblaue
                              Färbung, welche eine Folge der Auflösung der salpetrigen Säure in schwacher
                              Salpetersäure ist und bekanntlich auch bei Einwirkung von Stikstoffoxyd auf mit
                              Wasser verdünnte Salpetersäure eintritt.
                           Ist der Versuch zu Ende, wird nämlich die schweflige Säure nicht mehr absorbirt, so
                              kann man durch Anwendung der empfindlichsten Prüfungsmittel, welche das
                              Vorhandenseyn der geringsten Spuren Salpetersäure entdeken lassen, sich überzeugen,
                              daß die in den Kugeln zurükgebliebene Flüssigkeit Schwefelsäurehydrat ist, welches
                              einen Ueberschuß von schwefliger Säure aufgelöst enthält; es ist von Salpetersäure
                              oder jeder andern Stikstoffverbindung gänzlich frei. In der That entsteht, wenn man
                              diese Flüssigkeit mit einer ungefärbten Auflösung von schwefelsaurem Eisenoxydul in
                              concentrirter Schwefelsäure zusammenbringt und die üblichen Vorsichtsmaaßregeln
                              anwendet, damit keine Erhizung stattfinde, nicht die geringste braune, rothe oder
                              rosenrothe Färbung; während hingegen die geringste Spur von Salpetersäure, der
                              Flüssigkeit zugesezt, eine rosenrothe Färbung hervorbringt.
                           Uebrigens bemerkt man, daß die Berührung der schwefligen Säure mit der Salpetersäure
                              stets die Bildung röthlicher Dämpfe von Untersalpetersäure, vom Anfang der Operation
                              an und ohne Dazutreten des Sauerstoffs der Luft, hervorruft; dieß geschieht in Folge
                              der Reaction der schwefligen Säure auf die Salpetersäure; später, wenn die
                              schweflige Säure auf die bei der ersten Phase entstandene grüne oder gelbe
                              Flüssigkeit einwirkt, verschwinden die rothen Dämpfe größtentheils, weil das sich
                              nun bildende Product Stikstoffoxyd ist.
                           Um die Richtigkeit der so eben beschriebenen aufeinanderfolgenden Vorgänge und ihre
                              Anwendung auf die Theorie der Schwefelsäure-Bereitung zu controliren, mußte
                              ich darthun, daß alle der Einwirkung überschüssiger schwefliger Säure unterworfene
                              Salpetersäure sich zulezt als Stikstoffoxyd entwikelt, wenn nicht der Sauerstoff der
                              Atmosphäre bei der Operation dazwischentritt. Dazu braucht man nur das Gas, welches
                              sich entbindet, nachdem der Proceß schon eine gewisse Zeit lang im Gang ist, unter
                              Wasser aufzufangen. Die Untersuchung desselben überzeugte mich, daß es vollkommen reines
                              Stikstoffoxyd ist,
                              welches von Eisenoxydulsalzen vollständig absorbirt wird.
                           Sehr verdünnte Salpetersäure, welche z.B. 85 Proc. Wasser enthält (eine Säure von
                              13° Baumé), wird bei gewöhnlicher Temperatur durch einen Strom
                              schwefliger Säure nicht verändert; erhizt man aber die Flüssigkeit auf 60 bis
                              80° C., so verwandelt sie sich in Schwefelsäure.
                           Derselbe Versuch wurde mit Salpetersäure von 7,5 und 4,5° Baumé
                              angestellt. In der Kälte findet gar keine Einwirkung statt; sie wird aber merklich,
                              wenn die Flüssigkeit auf 80° C. erhizt wird, wobei Schwefelsäure
                              entsteht.
                           Es geht sonach aus diesen Versuchen hervor, daß die Salpetersäure, sogar mit sehr
                              viel Wasser verdünnt, die schweflige Säure in Schwefelsäure umwandelt.
                           Es ist fast überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, wie sehr die eben entwikelte
                              Theorie durch die gegenwärtige Praxis der Schwefelsäure-Fabrication bestätigt
                              wird. Das heutzutage in den Fabriken übliche Verfahren besteht darin, die schweflige
                              Säure in eine erste Bleikammer gelangen zu lassen, worin sich Gefäße befinden,
                              welche mit Salpetersäure von der Stärke der käuflichen gefüllt sind; es unterliegt
                              keinem Zweifel, daß die Einwirkung mit der Umwandlung dieser Säure in salpetrigsaure
                              Dämpfe beginnt, welche sich vermöge ihrer großen Flüchtigkeit in alle Theile der
                              Kammer verbreiten; das Wasser und die Luft, welche einströmen, regeneriren
                              unaufhörlich die zur Umwandlung des schwefligsauren Gases in Schwefelsäure
                              erforderliche Salpetersäure. Die Menge des in die verschiedenen Theile der Kammer
                              gelangenden Wasserdampfs ist zu groß, als daß die Reactionen anders seyn könnten und
                              die Bildung der Kammernkrystalle möglich wäre.
                           Berüksichtigt man das Vermögen des schwefligsauren Gases, die, selbst in einer
                              beträchtlichen Menge Wassers aufgelöste Salpetersäure zu zerstören und auszutreiben,
                              was die vorgehenden Experimente beweisen, so muß man zugeben, daß die Schwefelsäure, welche sich unter dem Einfluß eines Überschusses
                                 von schwefligsaurem Gas erzeugt, von Salpetersäure vollkommen frei seyn
                                 muß. Diese Betrachtung ist für die Praxis sehr wichtig, denn bekanntlich ist
                              die käufliche Schwefelsäure bisweilen durch mehr oder weniger Salpetersäure
                              verunreinigt, deren Gegenwart für gewisse Zweke, namentlich wenn sie zum Auflösen
                              des Indigo's bestimmt ist, sehr schädlich ist.
                           Ich stellte einige Versuche an, um die Wirksamkeit dieser Reaction als ein Mittel, die
                              Schwefelsäure zu reinigen, zu constatiren. Ich sezte nämlich käuflicher
                              Schwefelsäure von 60° Baumé eine kleine Quantität Salpetersäure zu und
                              unterwarf sie der Einwirkung des schwefligsauren Gases; die Salpetersäure wurde
                              nicht zerstört, wie dieß vorauszusehen war, denn diese Zerstörung erfordert die
                              Dazwischenkunft einer gewissen Menge Wassers in freiem Zustande, welches auf die
                              Producte der Zersezung der Salpetersäure einwirkt. Es ist wahrscheinlich, daß die in
                              der concentrirten Schwefelsäure vorhandene Salpetersäure in Form der von de la Provostaye studirten Krystalle darin vorkommt,
                              welche in dieser Säure auflöslich sind. Diese Hypothese erklärt das Verbleiben von
                              Salpetersäure in käuflicher Schwefelsäure, welche behufs der Concentration auf
                              326° C. erhizt wurde; wäre die Salpetersäure frei, so würde sie sich bei viel
                              niedrigerer Temperatur daraus entwikeln; man weiß aber im Gegentheil, daß die Provostaye'schen Krystalle erst bei dem Siedepunkt des
                              Queksilbers sich in Dampf verwandeln.
                           Mit Wasser verdünnte Schwefelsäure gibt ganz andere Resultate. Ich verdünnte
                              Schwefelsäure von 65° B. mit ihrem gleichen Volum Wasser; die Mischung zeigte
                              47° B.; ich versezte sie mit 5 Kubikcentimetern Salpetersäure von 38°
                              B. Schwefligsaures Gas, welches mit dieser auf 60° C. erhizten Flüssigkeit
                              zusammengebracht wurde, veranlaßte sogleich die Bildung röthlicher Dämpfe; in
                              Ueberschuß angewandt brachte es die Salpetersäure gänzlich zum Verschwinden, denn
                              die rükständige Flüssigkeit färbte sich durch in reiner Schwefelsäure aufgelöstes
                              schwefelsaures Eisenoxydul gar nicht.
                           Derselbe Versuch wurde mit Säure aus Bleikammern angestellt; die Dichtigkeit dieser
                              Flüssigkeit war 1,530 (50° Baumé); sie enthielt Salpetersäure, welche
                              aber unter dem Einfluß überschüssiger schwefliger Säure gänzlich verschwand.
                           Diese Resultate hätten mich veranlaßt, die Einwirkung des schwefligsauren Gases auf
                              schwache Schwefelsäure als technisches Verfahren zur Bereitung salpetersäurefreier
                              Schwefelsäure in Vorschlag zu bringen, wenn ich nicht durch Hrn. Payen seitdem erfahren hätte, daß diese Reinigungsmethode
                              schon in mehreren Fabriken eingeführt ist. Jedenfalls zeigen sie, wie wichtig es für
                              die Schwefelsäure-Fabrikanten ist, ihre Bleikammern-Säure unter dem
                              Einfluß eines Ueberschusses von schwefliger Säure zu erzeugen.