| Titel: | Ueber die Zuker- oder Traubenzukergährung; von Bouchardat. | 
| Fundstelle: | Band 96, Jahrgang 1845, Nr. XXXII., S. 137 | 
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                        XXXII.
                        Ueber die Zuker- oder
                           Traubenzukergaͤhrung; von Bouchardat.
                        Aus den Comptes rendus, Jan. 1845, Nr.
                              2.
                        Bouchardat, über die Zuker- oder
                           Traubenzukergährung.
                        
                     
                        
                           Foureroy nahm wie früher schon andere Chemiker eine
                              Zukergährung an; die damit zusammenhängenden Erscheinungen erhielten jedoch erst
                              nach Kirchhoffs Versuchen über die Umwandlung der Stärke, jenen Dubrunfaut's über
                              die gekeimte Gerste und endlich Payen's schönen Arbeiten
                              über das Diastas Bedeutung.
                           Wenn wir alle Umbildungen oder Zersezungen (dédoublement) einer organischen Substanz unter dem Einfluß eines
                              stikstoffhaltigen Körpers, welcher nach Art des Ferments (der Hefe), in unendlich
                              kleiner Menge thätig ist, wobei Traubenzuker erzeugt wird, unter die
                              Traubenzukergährungen rechnen, so ist hierher nicht nur die Umwandlung der Stärke
                              unter dem Einfluß des Diastas in Dextrin und Traubenzuker zu zählen, sondern auch
                              die Erzeugung von Traubenzuker unter dem Einfluß des SynaptasEine von Robiquet im Jahr 1838 in den Mandeln
                                    entdekte Substanz, welche unter dem Einfluß von Wasser mit dem Amygdalin das
                                    ätherische Bittermandelöhl erzeugt. Sie scheint ein Hauptbestandtheil des
                                    Mandel-Emulsins zu seyn. – x., des Amygdalins, oder des SalicinsDas wirksame Princip mehrerer Weiden (Salix-)arten; auch in mehreren
                                    Species der Pappeln (Populus) enthalten.
                                    – x. und PhloridzinsEine in der Rinde der Aepfel-, Birn-, Kirsch- und
                                    Pflaumenbäume enthaltene krystallisirbare Substanz. – x., und es ist sehr wahrscheinlich, daß es noch viele ähnliche Umstände gibt,
                              unter welchen sich Traubenzuker erzeugt.
                           Ich werde mich im Folgenden bloß mit der Einwirkung des Diastas oder anderer
                              erregender Stoffe auf die Stärke beschäftigen. Außerdem, daß diese Untersuchungen in
                              den allgemeinen Plan der von mir unternommenen Versuche über die Gährungen gehören,
                              haben sie noch einen besondern Werth, weil sie auf das Engste verknüpft sind sowohl
                              mit der Frage über die normale Verdauung sazmehlartiger Substanzen, womit ich mich
                              beschäftigte, als auch mit jener über einen höchst wichtigen Umstand für das Studium
                              der Harnruhr, welche Krankheit ich mir zum beständigen Studium gemacht habe.
                           Ich werde vorzüglich zwei Hauptfragen behandeln:
                           
                           1) Bestimmung der Einwirkung verschiedener Substanzen, welche auf die
                              Stärkmehlgallert nach Art des Diastas wirken;
                           2) Erforschung der Substanzen, welche sich der Einwirkung des Diastas auf die Stärke
                              widersezen können und theoretische Folgerungen aus diesen Thatsachen.
                           1) Von den Stoffen, welche die Rolle des Diastas spielen
                                 können. – Das Diastas ist unstreitig die Substanz, welche auf die
                              Stärkegallert am kräftigsten einwirkt; allein es ist nicht die einzige, welche die
                              Stärke in Dextrin und Traubenzuker umwandelt. Kirchhoff
                              zeigte schon, daß der Kleber (Gluten) dieselbe Eigenschaft besizt. In einer im Jahr
                              1832 gedrukten Abhandlung bewies ich daß dieß noch mehrere andere Substanzen thun;
                              ich will zuvörderst eine Stelle aus jener Abhandlung ausheben, welche allen
                              Schriftstellern über diesen Gegenstand bisher entging. Man wird aus dieser Stelle
                              ersehen, daß ich damals der Wahrheit über die Natur des Ferments der Zukerbildung
                              sehr nahe war.
                           
                              „In der gekeimten Gerste sind es offenbar der Pflanzenleim und der
                                 Eiweißstoff, die hier als die Zukerbildung bewirkende Fermente wirken. Allein
                                 wir sahen, daß der Pflanzenleim für sich keine Umbildung bewirkt und daß
                                 Pflanzeneiweißstoff bedeutend schwächer wirkt als die gekeimte Gerste, daß auch
                                 eine Mischung beider Stoffe, der rohe Kleber, keine auffallendere Wirkung zeigt,
                                 als diese beiden Körper für sich; es muß sonach die Ursache der Einwirkung in
                                 der Art der Veränderung, welche diese Substanzen erleiden, liegen.“
                              
                           
                              „Man wird dieß als entschieden betrachten, wenn ich nachweise, daß
                                 dieselben beiden Stoffe, in anderm Zustande, auch die Agentien der geistigen und
                                 sauren Gährung sind. Die Natur ist einfach in ihren Mitteln, aber unermeßlich in
                                 ihren Wirkungen.“
                              
                           
                              „Wird ein Gerstenkorn in die gehörigen Umstände von Feuchtigkeit und
                                 Temperatur versezt, so absorbiren der im Eiweiß enthaltene Eiweißstoff und
                                 Kleber den Sauerstoff, bilden Kohlensäure und Milchsäure und wirken auf das
                                 Saz- (oder Stärk-)mehl, womit sie in Berührung sind; denn das
                                 auflösliche Stärkmehl und der Zuker stehen auf der Stufenleiter der Organisation
                                 nicht so hoch als das feste Stärkmehl. Der Embryo findet zubereitete Nahrung
                                 vor; assimilirt sich jene flüssig gewordenen Theile und sezt die Desorganisation
                                 in den seinem Heranwuchse förderlichsten Gang. Unter seinem Einfluß verändern
                                 sich Eiweißstoff und Pflanzenleim nur, um Agentien der Zukerbildung zu werden;
                                 er macht sie zu Zukerfermenten. Dieser kleine Embryo
                                 gibt der Zersezung einen Gang, in welchen die Chemiker sie umsonst zu versezen
                                 suchen würden.“
                              
                           
                              „Man ersieht folglich, daß der Hauptvorgang beim Keimen der Gerste die Zukergährung ist
                                 und dabei der Pflanzenleim und das Pflanzeneiweiß in ihrem veränderten Zustand
                                 zu den wahren Fermenten der Zukerbildung
                                 werden.“
                              
                           Ich werde in folgender Tabelle die Einwirkung der verschiedenen
                                 Substanzen auf den Stärkekleister zusammenfassen. Mehrere Resultate von
                              Versuchen, auf welche ich mich stüze, sind der erwähnten Abhandlung entnommen;
                              andere sind neu; ich habe sie kürzlich alle controlirt. Jede Flasche enthielt 10
                              Gramme trokne Stärke, welche mit 100 Grammen Wasser durch Kochen in Gallert
                              verwandelt worden waren. Bei den meisten Versuchen sezte ich von den anderen
                              Substanzen so viel zu, als 1 Gramm derselben Substanz in wasserfreiem Zustande
                              entsprach.
                           
                              
                                   AngewandteSubstanzen.
                                     Resultat nachhalbstuͤndiger Wirkung.
                                   Resultatnach 24 Stunden.
                                 Quantitaͤt
                                    des     erhaͤlt.
                                    Traubenzukers.
                                 
                              
                                 Reine Holzsubstanz.
                                 Keine Veraͤnderung.
                                 Beinahe keines.
                                 0
                                 
                              
                                 Hordeïn.
                                 Eben so.
                                 Eben so.
                                 0
                                 
                              
                                 Pflanzenleim.
                                 Kaum merkl. Fluͤssigwerden.
                                 Zaͤhe Fluͤssigkeit.
                                 0,31
                                 
                              
                                 Frisches Pflanzeneiweiß.
                                 Opalisirende Faͤrbung; in derConsistenz
                                    keine Veraͤnderung.
                                 Kaum merkliches Fluͤssigwerden.
                                 0
                                 
                              
                                 Getroknetes Pflanzeneiweiß.
                                 Anfangendes Fluͤssigwerden.
                                 Fluͤssigwerden.
                                 0
                                 
                              
                                 Frischer roher Kleber.
                                 Kaum merkliches Fluͤssigw.
                                 Zaͤhe Fluͤssigkeit.
                                 0,39
                                 
                              
                                 Frischer roher Kleber in Pulverform.
                                 Deutliches Fluͤssigwerden.
                                 Vollkommenes Fluͤssigwerden.
                                 0,97
                                 
                              
                                 Weißes vom Ei.
                                 Keine Veraͤnderung.
                                 Zaͤhe Fluͤssigkeit.
                                 Spuren
                                 
                              
                                 Gallerte (Leim).
                                         Eben
                                    so.
                                         Eben
                                    so.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Fibrin (Faserstoff des Bluts).
                                         Eben
                                    so.
                                         Eben
                                    so.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Gefaultes Fleisch.
                                 Sehr betraͤchtl. Fluͤssigwerden.
                                 Vollkommen. Fluͤssigw.
                                 0,52
                                 
                              
                                 Gefaulter Kleber.
                                 Beinahe vollkommen. Fluͤssigw.
                                         Eben
                                    so.
                                 0,82
                                 
                              
                                 Bierhefe.
                                         Eben
                                    so.
                                         Eben
                                    so.
                                 1,02
                                 
                              
                                 Gekeimte Gerste.
                                 Vollkommenes Fluͤssigwerden.
                                         Eben
                                    so.
                                 3,78
                                 
                              
                                 Embryo gekeimter Gerste.
                                 Beinahe keines.
                                 Zaͤhe Fluͤssigkeit.
                                 0
                                 
                              
                                 Eiweiß von gekeimter Gerste.
                                 Vollkommenes Fluͤssigwerden.
                                 Vollkommen. Fluͤssigw.
                                 3,75
                                 
                              
                                 Gefaulte Gerste.
                                 Unvollkommenes Fluͤssigw.
                                 Zaͤhe Fluͤssigkeit.
                                 0,43
                                 
                              
                                 Diastas.
                                 Vollkommenes Fluͤssigwerden.
                                 Vollkommen. Fluͤssigw.
                                 Unbest.
                                 
                              
                                 Magensaft eines Hundes.
                                 Keine Einwirkung.
                                 Beinahe keines.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Fluͤssigkeit aus den
                                    Gedaͤrmen eines Hundes.
                                         Deßgl.
                                         Deßgl.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Magenhaͤutchen eines Hundes.
                                         Deßgl.
                                         Deßgl.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Duͤnndarmhaͤutchen eines
                                    Hundes.
                                         Deßgl.
                                         Deßgl.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Innere Membran eines Taubenkropfes.
                                 Geringes Fluͤssigwerden.
                                 Theilweises Fluͤssigw.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                                 Inneres Duͤnndarmhaͤutchen
                                    einer Taube.
                                 Deutliches Fluͤssigwerden.
                                 Bedeutenderes Fluͤssigwerden.
                                 Deßgl.
                                 
                              
                           
                           Befindet sich nun in allen Körpern, deren Wirkungen hier beschrieben wurden, ein und
                              derselbe mit dem Diastas identische Stoffe in wandelbaren Verhältnissen, oder können
                              verschiedenerlei Stoffe, in stufenweise abnehmenden Graden dieselbe Rolle spielen,
                              wie das Diastas? Leztere Vermuthung scheint mir die wahrscheinlichere zu seyn, indem
                              ich aus mehreren der oben bezeichneten Substanzen nach Payen's Verfahren Diastas auszuziehen versuchte, aber umsonst mich bemühte
                              einen so wirksamen Stoff, wie diese merkwürdige Substanz ist, zu gewinnen.
                           2) Von den Substanzen, welche sich der Einwirkung des Diastas
                                 auf die Stärke widersezen. – Die Lösung dieser Frage beschäftigte
                              mich schon vor neun Jahren; die darüber angestellten Versuche habe ich in einer der
                              Société de Pharmacie im Jan. 1836
                              übergebenen Abhandlung beschrieben, welche nicht veröffentlicht wurde. Da sie mit
                              meinen Untersuchungen über die Harnruhr in genauester Verbindung steht, mußte ich
                              sie mit der größten Aufmerksamkeit wieder aufnehmen.
                           (Wir theilen die vom Verfasser über diese Versuche zusammengestellte Tabelle nicht
                              mit, sondern beschränken uns auf ihre allgemeinen Resultate. D. Red.)
                           Es ergibt sich aus diesen Versuchen, daß die Gifte von ziemlich gleichem Einfluß auf
                              alle Traubenzuker erzeugenden Gährungen sind; nur können mehrere Substanzen, wie
                              Säuren, fixe Alkalien, welche die Traubenzukergährung ganz aufheben, die
                              benzoësaure und salicin-erzeugende Gährung bloß verzögern. Essigsäure
                              und Ameisensäure widersezen sich in keiner Weise der Umwandlung der Stärke in
                              Traubenzuker.
                           Das auffallendste Resultat sind die bedeutenden Verschiedenheiten in der Einwirkung
                              mehrerer Gifte auf die Weingährung und die drei andern Gährungen, womit wir uns
                              beschäftigten. So sehen wir daß die Blausäure, die Queksilbersalze, der
                              Schwefeläther, das Kreosot, das Terpenthinöhl, Citronöhl, Nelkenöhl, SenföhlEs könnte wohl mancher in die vergleichende Toxikologie nicht Eingeweihte die
                                    ätherischen Oehle bloß für sehr schwache Gifte halten; es braucht hier aber
                                    nur erinnert zu werden, daß sie auf im Wasser lebende Thiere und Pflanzen
                                    eine stärkere Einwirkung haben als selbst die Blausäure. die Weingährung völlig aufheben, sich aber der Traubenzukergährung,
                              salicin-erzeugenden und benzoësauren Gährung nicht im Geringsten
                              widersezen. Die Weingährung ist mit dem Leben der Kügelchen innig verknüpft.
                           Ich habe zwar einige sehr zarte Kügelchen als zufälliges Erzeugniß auch der
                              Traubenzukergährung beobachtet; allein diese Kügelchen sind zu dem Proceß keineswegs
                              nothwendig; sie haben durchaus nicht die eigenthümliche Kraft des Diastas und die
                              Umwandlung der Stärke in Zuker kann, ohne daß sie sich erzeugen, vorgehen. Die
                              Traubenzuker-, Salicigensäure- und Benzoësäure-Gährung
                              sind von diesem Umstande unabhängig.