| Titel: | Ueber die Zersezung der Oxyde und Salze durch Chlor, und ein Verfahren unterchlorige Säure für technische Zweke zu bereiten; von Alexander Williamson. | 
| Fundstelle: | Band 96, Jahrgang 1845, Nr. LXXVII., S. 297 | 
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                        LXXVII.
                        Ueber die Zersezung der Oxyde und Salze durch
                           Chlor, und ein Verfahren unterchlorige Saͤure fuͤr technische Zweke zu
                           bereiten; von Alexander
                              Williamson.
                        Im Auszug aus dem Philosophical Magazine, März 1845,
                              S. 225.
                        Williamson, über die Zersezung der Oxyde und Salze durch
                           Chlor.
                        
                     
                        
                           Nachdem der Verfasser die Ansichten von Berzelius, Serullas,
                                 Ballard, Millon und Gay-Lussac über die
                              Natur der bleichenden Chlorverbindungen in Kürze mitgetheilt hat, geht er auf die
                              Versuche über, welche er selbst im Laboratorium zu Gießen über das Verhalten des
                              Chlors zu den Basen anstellte; sein Hauptzwek war dabei, mit der Bildungsweise, den
                              Eigenschaften und Zersezungen der unterchlorigen Säure besser bekannt zu werden.
                           Zuerst suchte er zu bestimmen, mit wie viel Chlor sich eine Basis verbinden kann. Zu
                              diesem Zwek wurde ein Strom Chlorgas langsam in eine concentrirte Auflösung von
                              Baryt geleitet, bis die Flüssigkeit stark wie Chlor gefärbt war. Sie wurde dann
                              öfters mit atmosphärischer Luft geschüttelt, bis kein freies Chlor mehr darin zu
                              bemerken war. Diese Auflösung hatte den eigenthümlichen zusammenziehenden Geschmak
                              der unterchlorigen Säure und ihre starke Bleichkraft. Um sie zu analysiren, wurde
                              sie mit Ammoniak übersättigt, zum Sieden erhizt, dann mit Salpetersäure in
                              Ueberschuß versezt und mit salpetersaurem Silber gefällt; nach Absonderung des
                              Niederschlags wurde der Baryt mit Schwefelsäure gefällt. Drei Analysen ergaben im
                              Mittel 843 Chlor auf 957 Baryt oder nahe 2 Aequivalente Chlor.
                           Um zu erfahren in welcher Art das Chlor in dieser Verbindung enthalten ist, wurden
                              folgende Versuche angestellt. Man versezte einen Theil der ursprünglichen
                              Flüssigkeit mit einer Auflösung von salpetersaurem Silber, wodurch ein rein weißer Niederschlag von Chlorsilber entstand,
                              welcher mit der Zeit zunahm. Eine andere Portion wurde mit Barytwasser behandelt,
                              bis der Geruch und die bleichende Reaction der unterchlorigen Säure verschwunden
                              war. Salpetersaures Silber bildete nun einen schwarzen
                              Niederschlag, welcher sich allmählich unter Entbindung von Sauerstoff zersezte.
                           Diese Verschiedenheit der Reactionen rührt ohne Zweifel daher, daß im ersten Falle
                              alle Basis mit Chlor zu Chlorbaryum verbunden, unterchlorige Säure aber frei in der
                              Flüssigkeit zurükgeblieben war, welche nach und nach durch ihre eigene Zersezung den
                              Niederschlag vermehrte. Im zweiten Falle war die unterchlorige Säure mit Baryt
                              Verbunden und gab daher einen schwarzen Niederschlag, aus einem Gemenge von
                              Chlorsilber mit Silbersuperoxyd bestehend.
                           
                           Um die Richtigkeit dieser Erklärung zu prüfen, wurden folgende Versuche
                              angestellt:
                           Eine Auflösung von unterchloriger Säure in Wasser wurde mit Baryt neutralisirt;
                              dieses Salz besaß keine bleichenden Eigenschaften. Kohlensäure fällte daraus
                              kohlensauren Baryt; nach Absonderung des Niederschlags wurde die Flüssigkeit
                              gekocht, bis alle freie unterchlorige Säure verschwunden war; sie enthielt nun keine
                              Spur unterchlorigsaures Salz mehr, denn die Kohlensäure hatte allen Baryt
                              abgeschieden.
                           Eine Barytauflösung wurde mit Chlor auf oben angegebene Weise gesättigt und nachdem
                              sie von dem überschüssigen Chlor befreit worden war, auf ähnliche Weise mit
                              Kohlensäure behandelt. Es entstand durchaus kein Niederschlag, was doch hätte der
                              Fall seyn müssen, wenn sich unterchlorige Säure mit Baryt verbunden hätte. Das
                              unterchlorigsaure Salz, welches sich durch die Wirkung des ersten Aequivalents Chlor
                              auf die Basis gebildet hatte, war also durch das zweite Aequivalent gänzlich zersezt
                              worden.
                           Wenn ich ferner bemerke, daß bei der Destillation dieser Flüssigkeit unterchlorige
                              Säure überging, während der Rükstand aus Chlorbaryum nebst ein wenig chlorsaurem
                              Baryt bestand, so wird es wohl außer Zweifel seyn, daß von den zwei Aequivalenten
                              Chlor, welche der Baryt aufnahm, eines sich mit dem Baryum und das andere mit dessen
                              Sauerstoff verband. Folgende Formel erklärt diese Zersezung:
                           Aq + 2 Ba O + 2 Cl =    Ba Cl + Ba O Cl
                              O
                           Aq + 2 Ba O + 4 Cl = 2 Ba Cl + 2 Cl O.
                           Als ich diese Mischung aus Chlorbaryum und unterchloriger Säure von allem darin
                              enthaltenen freien Chlor zu reinigen versuchte, beobachtete ich einen merkwürdigen
                              Umstand. Durch Schütteln der Auflösung mit erneuerten Portionen atmosphärischer Luft
                              vermochte ich nämlich eine farblose Flüssigkeit zu erhalten, welche nur sehr schwach
                              nach Chlor roch. Als ich diese aber einige Minuten stehen ließ, besonders bei
                              starkem Licht, kamen die Farbe und der Geruch des Chlors wieder zum Vorschein. Das
                              Chlor konnte natürlich nur durch die Zersezung der unterchlorigen Säure entstanden
                              seyn; diese Zersezung erfolgt schon beim gewöhnlichen Tageslicht, schneller aber im
                              Sonnenschein und am schnellsten wenn die Flüssigkeit in einem Wasserbad erhizt wird.
                              Nachdem die Zersezung ach gehört hatte und kein Chlor mehr entbunden wurde, enthielt
                              die Flüssigkeit eine beträchtliche Menge chlorsauren Baryt. Die Auflösung enthielt
                              nun keine unterchlorige Säure mehr, weder frei noch gebunden.
                           
                           Als ich eine Auflösung von Aezkali gerade so wie die Barytauflösung mit Chlor
                              behandelte, erhielt ich eine Flüssigkeit, welche den Geruch der unterchlorigen Säure
                              so wie deren bleichende Eigenschaften besaß. Sie enthielt kein unterchlorigsaures
                              Salz, sondern alle unterchlorige Säure war darin in freiem Zustande enthalten, wie
                              die Reaction mit salpetersaurem Silber bewies. Die Flüssigkeit enthielt viel
                              Chlorsäure und die quantitative Analyse ergab, daß sich das Kali bei dieser
                              Behandlung mit weniger Chlor verbindet als der Baryt. Dieß rührt wahrscheinlich von
                              der größeren Verwandtschaft des Kalis zur Chlorsäure her, wodurch Zersezung von
                              Unterchlorsäure erfolgt, also Chlorsäure gebildet und Chlor frei gemacht wird.
                           Ich behandelte nun kohlensaures Kali auf ähnliche Weise mit Gor; die Flüssigkeit
                              besaß schon nach der ersten Einwirkung des Chlors den Geruch und die anderen
                              Eigenschaften der freien unterchlorigen Säure, von welcher eine beträchtliche Menge
                              mit der entweichenden Kohlensäure davonging. Erhizt man diese Flüssigkeit einige
                              Zeit in einem Wasserbad, so wird die unterchlorige Säure vollständig zerstört, es
                              entbindet sich Chlor und die Flüssigkeit enthält nun eine Mischung von Chlorkalium
                              und chlorsaurem Kali. Da die unterchlorige Säure seit ihrer ersten Bildung
                              ungebunden war, so entstand die Chlorsäure wahrscheinlich durch einen anderen Proceß
                              als im vorhergehenden Falle. Wir haben also hier eine Mischung von unterchloriger
                              Säure mit Chlorkalium; nach deren Erhizung finden wir, daß sich ein Theil des
                              Chlorkaliums in chlorsaures Kali umgewandelt hat.
                           Wenn nun dieß der Fall ist, so muß man dasselbe Resultat durch Behandlung einer
                              Auflösung von Chlorkalium mit unterchloriger Säure erhalten. Der Versuch wurde auf
                              folgende Art angestellt: In einer concentrirten Auflösung von unterchloriger Säure
                              (in Wasser) wurden Krystalle von Chlorkalium aufgelöst und die Mischung dann in
                              einem Wasserbad erhizt, bis sich kein Chlor mehr entwikelte. Diese Flüssigkeit sezte
                              beim Abkühlen Krystalle von chlorsaurem Kali ab.
                           Bekanntlich zersezt sich die Auflösung der unterchlorigen Säure, besonders beim
                              Erwärmen, leicht in Chorsäure und entweichendes Chlor. Wenn nun Chlorkalium
                              vorhanden ist, zersezt die Chlorsäure im Augenblik ihrer Bildung das Chlorkalium und
                              macht das Chlor frei, indem sich das Kalium auf Kosten von unterchloriger Säure
                              oxydirt.
                           Behandelt man kohlensaures Natron mit Chlor, so erhält man ähnliche Resultate, nur
                              bildet sich die Chlorsäure noch leichter. Folgender Versuch zeigt die Natur dieser
                              Zersezung: – Man behandelt eine concentrirte Auflösung von
                              einfach-kohlensaurem Natron mit Chlor, bis sich eine beträchtliche Menge
                              Bicarbonat niedergeschlagen hat, aber nicht bis dieser Niederschlag anfängt sich zu
                              zersezen. Läßt man nun die Flüssigkeit im Licht stehen, so entbindet sie mehrere
                              Stunden lang Kohlensäure mit schwachem Aufbrausen. Wir haben hier kohlensaures
                              Natron, gemischt mit Chlornatrium und freier unterchloriger Säure. Die beiden
                              leztern wirken nach und nach auf einander auf oben angegebene Weise und machen Chlor
                              frei, welches das kohlensaure Salz zersezt.
                           Da man nun durch Behandlung von kohlensauren Salzen mit Chlor freie unterchlorige
                              Säure erhält, welche schnell überdestillirt werden kann, so vermuthete ich, daß sie
                              sich auf diese Art leicht bereiten lassen dürfte. Zu diesem Zwek muß man eine Basis
                              wählen, welche keine zu große Verwandtschaft zur Chlorsäure hat und von deren
                              Chlorid folglich die unterchlorige Säure schnell abdestillirt werden kann, ohne daß
                              sie sich zersezt. Aus diesem Grunde wählte ich kohlensauren Kalk. Solcher wurde zu
                              diesem Zwek durch Fällung bereitet, dann mit beiläufig 40 Theilen Wasser gemischt
                              und in Chlor aufgelöst. Wird diese Flüssigkeit schnell bis zum Siedepunkt erhizt, so
                              destillirt unterchlorige Säure über, während der Rükstand in der Retorte aus
                              Chlorcalcium und ein wenig chlorsaurem Kalk besteht. Dieß ist
                                 ein wohlfeiles und leichtes Verfahren unterchlorige Säure zu bereiten. Es
                              ist gut, wenn man einen schwachen Ueberschuß von kohlensaurem Kalk in der zu
                              destillirenden Flüssigkeit zurükläßt; derselbe löst sich, wenn die Flüssigkeit heiß
                              wird, schnell auf und man erhält so die unterchlorige Säure frei von Chlor, was
                              sonst nicht der Fall wäre.
                           Dieß veranlaßte mich, auch die Wirkung des Chlors auf andere Salze mit stärkeren
                              Säuren zu untersuchen, wobei ich interessante Resultate erhielt.
                           Sättigt man eine ganz neutrale Auflösung von schwefelsaurem Natron bei gewöhnlicher
                              Temperatur mit Chlor, welches dieselbe sehr leicht absorbirt, so bleibt die
                              Flüssigkeit farblos; ein Beweis, daß das absorbirte Chlor nicht als solches darin
                              aufgelöst ist. Das neutrale schwefelsaure Natron war in der That zersezt. Die
                              Flüssigkeit bestand nach der Sättigung mit Chlor aus einer Mischung von
                              doppeltschwefelsaurem Natron mit Chlornatrium und freier unterchloriger Säure. Bei
                              der Destillation derselben ging anfangs unterchlorige Säure über und zwar enthält
                              die zuerst überdestillirende Flüssigkeit am meisten davon und jede folgende Portion
                              weniger. Das Destillat ist ein kräftiges Oxydationsmittel und dürfte daher in vielen
                              Fällen statt Salpetersäure angewandt werden können. Die
                                 unterchlorige Säure läßt sich auf die angegebene Weise mittelst Glaubersalz
                                 sogar im Großen vortheilhaft darstellen; dasselbe schwefelsaure Natron ist dabei
                              für viele Operationen anwendbar. Man braucht bloß den Rükstand von der Destillation
                              einzukochen und ihn zu erhizen, bis alles Chlor als Salzsäure ausgetrieben ist; er
                              ist dann in neutrales schwefelsaures Natron verwandelt, welches wieder aufgelöst und
                              wie früher mit Chlor behandelt werden kann.
                           Die Auflösung von unterchloriger Säure in Wasser läßt sich leicht so bereiten, daß
                              ein bestimmtes Gewicht davon eine größere Bleichkraft besizt als eine Auflösung von
                              Chlorkalk. Sie erhält sich eine beträchtliche Zeit lang, selbst wenn sie concentrirt
                              ist; es zersezt sich nur sehr wenig davon, wenn sie gegen Licht und Wärme verwahrt
                              ist.
                           Schwefelsaures Kupferoxyd, Eisenoxyd und Zinkoxyd, schwefelsaures Manganoxydul und
                              selbst Kali-Alaun werden auf ähnliche Weise zersezt. Schwefelsaures Blei, in
                              Wasser suspendirt, wird durch hineingeleitetes Chlor ebenfalls schwach zersezt.
                              Chromsaures Kali wird gleichfalls zersezt und Borax vollständig. Salpetersaures Kali
                              wird nur zum Theil zersezt.