| Titel: | Vorschläge englischer Chemiker zur Verwendung der erkrankten Kartoffeln. | 
| Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. XCI., S. 325 | 
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                        XCI.
                        Vorschlaͤge englischer Chemiker zur
                           								Verwendung der erkrankten Kartoffeln.
                        Nach der Shipping and Mercantile Gazette vom 3. Nov.
                              									1845.
                        Vorschläge zur Verwendung der erkrankten Kartoffeln.
                        
                     
                        
                           Die von dem großbritannischen Ministerium ernannte wissenschaftliche Commission zur
                              									Untersuchung der Kartoffelkrankheit in Irland, welche aus den HHrn. Robert Kane, John Lindley und Lyon
                              										Playfair bestand, hat dem Lord-Lieutenant von
                              									Irland Baron Heytesbury über die Verwendung der
                              									erkrankten Kartoffeln einen Bericht folgenden Inhalts erstattet.
                           „Zur Behandlung solcher Kartoffeln wurden von verschiedenen Personen, welche
                              									mehr oder weniger chemische Kenntnisse besizen, verschiedene Verfahrungsarten
                              									vorgeschlagen, wobei theils Säuren, theils alkalische Flüssigkeiten oder Gase, wie
                              									Chlor, angewandt werden; durch dieselben mag in Laboratorien der Zwek erreicht
                              									werden, für die Bevölkerung eines ganzen Landes sind sie aber nicht anwendbar, daher
                              									wir nicht näher darauf eingehen. Andere Methoden, scheinbar praktischer, bestehen in
                              									der Behandlung der Kartoffeln mit Chlorkalk (Bleichpulver) und Salz, entweder
                              									einzeln oder vermischt; nach unseren eigenen Versuchen und denjenigen Anderer müssen
                              									wir diese Mittel aber verwerfen; wir haben gefunden, daß die Zersezung der Kartoffel
                              									durch deren Anwendung entschieden beschleunigt wird. Hinsichtlich des Kalks sind die
                              									bisherigen Versuche noch nicht als entscheidend zu betrachten.
                           Wenn die Krankheit bei den Kartoffeln noch nicht sehr weit vorgeschritten ist, lassen
                              									sie sich nach dem Kochen oder Dämpfen ohne allen Nachtheil für die Gesundheit
                              									unmittelbar als Nahrung für Menschen und Thiere anwenden. Ist aber die Krankheit
                              									weiter vorgeschritten, so daß sie einen großen Theil der Kartoffel ergriffen hat und
                              									haben die Knollen bereits einen unangenehmen Geruch angenommen, so kann man nicht
                              									behaupten, daß sie der Gesundheit gar nicht nachtheilig sind; in Bezug auf diese
                              									Frage sind unsere Versuche noch nicht beendigt. Da jedoch die Kartoffeln, wenn sie
                              									einmal angegriffen sind, sich selbst überlassen, schnell in gänzliche Zersezung
                              									übergehen, so ist klar, daß die Ernte nicht schnell genug lediglich als
                              									Nahrungsmittel verbraucht werden kann und man muß daher andere Mittel zu ihrer
                              									Verwendung besizen.
                           Es ist anerkannt, daß die Kartoffel in Bezug auf Gewicht oder Volum eines der
                              									geringsten Nahrungsmittel ist. 100 Pfd. Kartoffeln  in gewöhnlichem gesunden
                              									Zustande enthalten durchschnittlich 74 Pfd. Wasser, 8 Pfd. Haut und Faserstoff und
                              									16 Pfd. Stärke, an Kleber, dem nahrhaftesten Pflanzenstoff, welcher im Getreide
                              									vorwaltet, aber nur 2 Pfd. Stärke und analoge Substanzen sind in gewissem Verhältniß
                              									in jedem brauchbaren Nahrungsmittel enthalten, aber die Stärke ist entschieden nicht
                              									nährend und wenn man ein Thier bloß mit Stärke füttern würde, so müßte es fast
                              									gerade so verhungern, als wenn es gar kein Nahrungsmittel erhielte. Man kann daher
                              									die Stärke, welche aus den Kartoffeln ausgezogen wurde, nicht als ein Surrogat der
                              									Kartoffeln selbst betrachten.
                           Wenn aber auch die Stärke als Nahrungsmittel keinen Werth hat, so ist sie doch ein zu
                              									vielen Zweken unentbehrliches Product, und die beste Anwendung, welche man von den
                              									erkrankten Kartoffeln machen kann, ist nach unserer Ansicht in mercantilischer
                              									Hinsicht die zur Stärke-Fabrication, weil die Stärke hauptsächlich den Werth
                              									der Kartoffel ausmacht, obgleich sie in den erkrankten Knollen nicht in so großer
                              									Menge enthalten ist wie in den gesunden.
                           Das Verfahren die Stärke aus Kartoffeln zu gewinnen, ist bekannt und wir beschränken
                              									uns daher auf die Methoden, wonach die Stärke vortheilhaft angewandt werden kann.
                              									Durch Vermischung mit Hafermehl, Bohnenmehl oder Erbsenmehl in geeignetem
                              									Verhältniß, kann man sie in ein vortreffliches und wohlfeiles Nahrungsmittel
                              									verwandeln. Auch ist zu berüksichtigen daß der Brei, welcher nach dem Ausziehen des
                              									Stärkmehls aus erkrankten Kartoffeln zurükbleibt, eine beträchtliche Menge nährender
                              									Substanz enthält; und da die zersezende Substanz während der Stärke-Bereitung
                              									zum größten Theil ausgewaschen wird, so läßt sich der Brei nach dem Troknen ohne
                              									Bedenken als Viehfutter benuzen. Ferner, wenn man die aus den Kartoffeln gewonnene
                              									Stärke troknet und mit dem getrokneten rükständigen Brei vermengt, so erhält man
                              									einen Artikel, welcher die Kartoffel repräsentirt, ihr als Nahrungsmittel äquivalent
                              									ist und sich an einem trokenen Orte sehr lange aufbewahren läßt; zur Verwendung muß
                              									er natürlich auf gewöhnliche Weise gebaken oder gekocht werden.Prof. John Davy, welcher die Kartoffelkrankheit in
                                    											den Grafschaften Cork, Kerry und Dublin studirte, bemerkt hiezu, daß die
                                    											Kartoffelfaser, nachdem die Staͤrke davon abgesondert worden ist,
                                    											sich schnell veraͤndert und daß man im Großen die Kartoffeln
                                    											unmoͤglich zerreiben kann, ohne daß eine solche Veraͤnderung
                                    											vorgeht; kurze Zeit nach der Operation wuͤrde die Faser ganz schwarz
                                    											aussehen. Er fand durch Versuche, daß wenn man die kranken Kartoffeln so wie
                                    											sie sind, bloß wascht und dann kocht, die Krankheit vollkommen aufgehalten
                                    											wird.
                           Wir fürchten jedoch, daß man selbst durch diese Verwendungen der Knollen nicht im
                              									Stande seyn dürfte, mit dem zunehmenden Verderben  der Kartoffelernte Schritt zu
                              									halten und empfehlen daher ein unfehlbares Mittel, ihre weitere Zersezung
                              									aufzuhalten, welches im vollständigen Troknen der Kartoffeln besteht. Dasselbe läßt
                              									sich aber in unserem Klima nicht durch bloßes Auslegen an der Luft erzielen, sondern
                              									es ist dazu künstliche Hize, also die Anwendung von Oefen erforderlich. Jeder
                              									Kalkofen kann dazu ohne Beeinträchtigung seines Zwekes verwendet werden, indem man
                              									in geeigneter Höhe über seiner Mündung (Gicht) ein Gestell mit Hürden anbringt, auf
                              									welchem man die Kartoffeln in dünner Schicht ausbreitet, indem man frische
                              									Kartoffeln zugibt, so wie die anderen troken geworden sind und beseitigt wurden.
                           Wo es keine Kaltöfen gibt, kann man die Kartoffeln auf Hürden ausbreiten, deren
                              									Gestell auf einem 2–3 Fuß hohen Mauerwerk aufliegt; unter den Hürden läßt man
                              									eines oder mehrere Torffeuer langsam brennen. Wenn die Kartoffeln dabei auch schwach
                              									braun werden, so schadet dieß ihrer künftigen Verwendung nicht und der Torfrauch
                              									kann nur einen günstigen Einfluß haben.
                           Für alle diese Trokenmethoden müssen die Kartoffeln in zwei, oder wenn sie sehr groß
                              									sind, in drei Stüke zerschnitten werden, damit das Wasser daraus entweichen
                              									kann.
                           Die auf angegebene Weise getrokneten Kartoffeln lassen sich an einem trokenen Orte
                              									auf geeignete Weise aufgeschichtet, gewiß so lange aufbewahren, bis man Gelegenheit
                              									hat, sie je nach dem Fortschritt der Krankheit entweder direct als Nahrungsmittel
                              									oder zur Bereitung von Stärke oder Mehl zu verwenden.“