| Titel: | Ueber ein wohlfeiles Verfahren phosphorsaure Kalk- und Bitterde aus dem Harn zum Gebrauch in der Landwirthschaft zu gewinnen; von John Stenhouse. | 
| Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. CXXI., S. 449 | 
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                        CXXI.
                        Ueber ein wohlfeiles Verfahren phosphorsaure
                           								Kalk- und Bitterde aus dem Harn zum Gebrauch in der Landwirthschaft zu gewinnen;
                           								von John
                              								Stenhouse.
                        Aus dem Philosophical Magazine, Okt. 1845, S.
                              									289.
                        Stenhouse, über ein Verfahren phosphorsaure Kalk- u.
                           								Bittererde aus Harn für die Landwirthschaft zu gewinnen.
                        
                     
                        
                           Man nimmt in der Agricultur-Chemie als hinreichend erwiesen an, daß die
                              									phosphorsauren Erden und Alkalien unentbehrlich sind zur vollkommenen Entwiklung
                              									jener Pflanzen und Samen, welche als Nahrung für Menschen und Thiere dienen. Dieß
                              									veranlaßte viele Versuche, sich Phosphorsäure in reichlicherer Menge zu verschaffen,
                              									weil ein Mangel an diesem Bestandtheil natürlich der Verbesserung des Bodens große
                              									Hindernisse in den Weg legen muß. Die vorzüglichsten Quellen für Phosphorsäure waren
                              									bisher Knochen, Guano und der Harn der Menschen und Thiere. Die gewöhnliche
                              									Anwendung des Harns bestand entweder darin, ihn in seinem flüssigen Zustand direct
                              									auf die Felder zu bringen, oder ihn mit Schwefelsäure zu neutralisiren und dann zur
                              									Trokne abzudampfen, um eine leicht transportable Salzmasse zu erhalten. In seinem
                              									flüssigen Zustand aber ist der Harn, wegen seines großen Volums, schwer aufzusammeln
                              									und weit zu transportiren, und das Verfahren ihn durch Abdampfen in festen Zustand
                              									zu versezen, ist wegen des erforderlichen Brennmaterials so kostspielig, daß es in
                              									den meisten Fällen unanwendbar ist.
                           Die Methode, welche ich zur Gewinnung der Phosphorsäure aus dem Harn vorschlage, ist
                              									keine Abdampfung, sondern die Fällung desselben als unauflöslichen phosphorsauren
                              									Kalk oder Knochenerde. Diese ist leicht und wohlfeil zu bewerkstelligen durch
                              									Vermischen des Harns mit Kalkwasser, oder besser Kalkmilch in schwachem Ueberschuß,
                              										 oder so lange als
                              									ein Niederschlag dadurch entsteht. Der Niederschlag ist gallertartig, der Thonerde
                              									sehr ähnlich, und besteht, wie nachfolgende Analyse zeigt, aus
                              									basisch-phosphorsaurem Kalk mit etwas Bittererde und organischer Materie.
                              									Nach einigen Stunden sezt sich der Präcipitat zu Boden und der größte Theil des
                              									darüber stehenden Wassers kann mittelst eines Hebers leicht abgezogen werden. Das
                              									übrige lauft ab, nachdem man den Niederschlag auf eine passende Filtrirvorrichtung
                              									gebracht hat. Beim Troknen schrumpft der Niederschlag außerordentlich zusammen. Um
                              									diesen Niederschlag zu erhalten, ist es durchaus nicht erforderlich, daß der Harn in
                              									concentrirtem Zustand sey; im Gegentheil erhielt ich ihn leicht aus einem mit seinem
                              									zehnfachen Gewicht und mehr Wasser verdünnten Harn. hierin besteht eben der
                              									Hauptvortheil des vorgeschlagenen Verfahrens, indem der Urin als eine Quelle der
                              									Phosphorsäure, in dem sehr verdünnten Zustand, wie er in die allgemeinen
                              									Abzugscanäle übergeht, zunuze gemacht werden kann, während solcher bisher ohne alle
                              									nüzliche Verwendung blieb. Wenn man den getrokneten Niederschlag stark erhizt, wird
                              									er schwarz, weil er eine bedeutende Menge organischer Materie enthält; zugleich
                              									entwikelt er dabei einen unangenehmen ammoniakalischen Geruch, so daß er keineswegs
                              									ohne Stikstoffgehalt ist. Die organische Materie, welche mit dem Kalk niederfiel,
                              									halte ich hauptsächlich für Schleim (Mucus). Eine Quantität dieses Niederschlags,
                              									bei 80° R. getroknet, wurde analysirt und gab
                           
                              
                                 Kalk
                                 44,96
                                 
                              
                                 Bittererde
                                 1,32
                                 
                              
                                 Phosphorsaͤure
                                 40,18
                                 
                              
                                 Verlust beim Glühen, organische Materie und Wasser
                                 13,54
                                 
                              
                                 
                                 –––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 
                              
                           Wie erwähnt, gibt der bei 80° R. getroknete Niederschlag einen
                              									ammoniakalischen Geruch von sich und er muß daher für Dünger bei sehr gelinder Wärme
                              									getroknet werden. Der bei gewöhnlicher Temperatur getroknete Niederschlag enthält
                              									mehr Stikstoff als ich erwartete; eine Portion, auf diese Weise getroknet, gab nach
                              										Will's Verfahren analysirt, 1,91, also nahe 2 Proc.
                              									Stikstoff; eine zweite Portion, bei 80° R. getroknet, gab nur 0,88 Proc. Eine
                              									andere, bloß an der Luft getroknete Portion gab, bis zum Rothglühen erhizt, nur
                              									41,19 Proc. fixen Rükstandes.
                           Ein Pfund Urin, mit Kalkwasser gefällt, gab nach dem Aus glühen des Niederschlags
                              									19,92 Gran phosphorsauren Kalk und Bittererde. Ein zweites Pfund stärker
                              									concentrirten Urins, ebenso behandelt, lieferte 32,28 Gran derselben Substanzen.
                              									Beide Quantitäten  waren
                              									Urin in seinem natürlichen Zustand. Es versteht sich jedoch, daß diese Resultate nur
                              									als annähernd betrachtet werden können, weil der Harn bei jedem Individuum eine sehr
                              									verschiedene Concentration hat, je nach den Umständen, unter welchen er erzeugt
                              									wurde.
                           Die Menge des aus einem Pfund Harns fällbaren phosphorsauren Kalks ist allerdings
                              									nicht groß. Wenn wir jedoch bedenken, welche ungeheure Menge verdünnten Harns aus
                              									den allgemeinen Abzugscanälen der großen Städte erhalten werden kann, so leuchtet
                              									ein, daß diese Quelle unsere Felder mit großen Quantitäten phosphorsaurer Salze
                              									versehen kann, die gegenwärtig sich in die Flüsse ergießen, und so wenigstens auf
                              									lange Zeit für landwirthschaftliche Zweke verloren gehen. — Schließlich will
                              									ich kurz das Verfahren beschreiben, wie ich glaube, daß die Fällung der
                              									phosphorsauren Salze im Großen am besten bewerkstelligt würde. Der Harn, wie er in
                              									die Abzugscanäle übergeht, kann in irgend einem passenden Reservoir aufgesammelt,
                              									und das Kalkwasser, oder besser die Kalkmilch in einem zweiten, viel kleinern und
                              									höher liegenden Reservoir bereitet werden. Man läßt nun die Kalkmilch in das erste
                              									Reservoir auslaufen und vermischt die Flüssigkeiten durch Umrühren, so lange als ein
                              									Niederschlag entsteht. Einen geringen oder sogar beträchtlichern Ueberschuß von
                              									Kalkmilch ziehe ich dem Kalkwasser vor; denn obwohl die Phosphorsäure im Harn durch
                              									beide Agentien vollkommen niedergeschlagen wird, so erzeugt doch Kalkwasser einen
                              									gallertartigen Niederschlag, welcher sich nicht so bald zu Boden sezt und schwer zu
                              									filtriren ist, während Kalkmilch einen flokigen, viel leichter zu behandelnden
                              									Präcipitat gibt. Wenn die Mischung von Kalk und Harn einige Stunden in Ruhe war,
                              									sezt sich der Niederschlag vollkommen zu Boden, so daß drei Viertheile des Wassers
                              									mittelst des Hebers sogleich abgezogen werden können. Durch Ausziehen eines Zapfens
                              									am Boden des Reservoirs kann dann das übrige Wasser in irgend ein zwekmäßig
                              									construirtes Filter abgelassen und die phosphorsaure Kalk- und Bittererde als
                              									eine voluminöse gallertartige Masse erhalten werden.
                           Diese Masse kann dadurch getroknet werden, daß man sie in flachen Gefäßen den
                              									Sonnenstrahlen oder einem Strom trokner oder heißer Luft aussezt. Getroknet bildet
                              									sie eine zerreibliche Masse, welche in ein sehr feines Pulver zerfällt. Die zum
                              									Fällen der Phosphorsäure aus dem Harn erforderliche Menge Kalk ist durchaus nicht
                              									groß und die einzige Schwierigkeit beim ganzen Verfahren ist das Filtriren, welches
                              									viel langsamer vor sich geht, als zu wünschen wäre, obwohl ich nicht zweifle, daß
                              									ein wenig Erfahrung die Mittel  an die Hand geben wird, dieses Hinderniß großentheils zu
                              									beseitigen.
                           Seitdem Obiges niedergeschrieben wurde, fand ich, daß die öfters erwähnte
                              									Schwierigkeit im Filtriren und Troknen des Niederschlags großentheils vermieden
                              									werden kann, wenn man eine kleine Menge feingepulverte Holzkohle mit dem
                              									Niederschlag vermengt, nachdem der größte Theil des Wassers mittelst des Hebers oder
                              									auf andere Weise abgezogen wurde. Man braucht hiezu nicht viel Kohle; sie macht
                              									nämlich den Niederschlag ziemlich porös, wo er dann viel leichter zu filtriren und
                              									zu troknen ist. Wenn durch das Kohlenpulver vor seiner Vermengung mit dem
                              									Niederschlag eine bedeutende Menge faulen Urins filtrirt wurde, so nimmt es sehr
                              									viel Ammoniak in sich auf und ist dann als Dünger viel werthvoller. Den Harn, dessen
                              									man sich zum Imprägniren der Kohle bedient, kann man natürlich in das Reservoir
                              									laufen lassen und die in ihm enthaltene Phosphorsäure auf die beschriebene Weise
                              									mittelst Kalks fällen.