| Titel: | Ueber die Krankheit der Kartoffeln und deren Verwendung; von Girardin und Bidard. | 
| Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. CXXII., S. 452 | 
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                        CXXII.
                        Ueber die Krankheit der Kartoffeln und deren
                           								Verwendung; von Girardin und Bidard.
                        Aus den Comptes rendus, Sept. 1845, Nr.
                              								13.
                        Girardin und Bidard, über die Krankheit der Kartoffeln
                           								etc.
                        
                     
                        
                           Von den Centralaker- und Gartenbau-Gesellschaften des Departements der
                              									untern Seine aufgefordert, die in diesem Jahr unter den Kartoffeln herrschende
                              									Krankheit zu studiren und Mittel aufzusuchen, um die davon befallenen Kartoffeln zu
                              									verwenden, haben wir uns dieser Arbeit seit Ende Augusts gewidmet. Folgendes ist das
                              									Ergebniß unserer Untersuchung.
                           An einem Büschel Kartoffeln findet man oft sowohl ganz gesunde, als in der Zersezung
                              									begriffene Kartoffeln. Leztere zeigen folgende Eigenschaften: die Schale oder
                              									Epidermis hängt sehr loker mit dem innern Fleisch zusammen; durch ein gelindes
                              									Reiben geht sie leicht weg. Schneidet man einen solchen Knollen in der Mitte
                              									entzwei, so findet man, daß die Masse nicht gleichartig ist; man beobachtet alle
                              									Richtungen verfolgende Streifen oder Adern, welche weniger dicht zu seyn scheinen
                              									als das umgebende Gewebe; diese Adern sind durchsichtiger und nach ihrem Aussehen
                              									möchte man glauben, daß sie mehr Wasser enthalten.
                           Die Krankheit zeigt sich anfangs durch Erscheinung einiger röthlichen  Punkte, welche unter der
                              									Epidermis der Kartoffeln entstehen; die Anzahl dieser Punkte nimmt anfangs sehr
                              									schnell zu und bald bilden sie auf dem ganzen Umkreis einen 2 bis 3 Millimeter diken
                              									Ring. Dieß ist, unseres Dafürhaltens, die erste
                              									Periode des Uebels.
                           Kaum hat die röthliche Substanz, welche auf der Oberfläche der Knollen eine Art
                              									Marmor bildet, angefangen das Fleisch zu ergreifen, so erleidet das Zellgewebe schon
                              									eine Veränderung, es erweicht sich, ohne jedoch seine Farbe zu verlieren und bildet
                              									zulezt eine Art Brei. Diese Zersezung geht von der Peripherie aus nach dem Centrum
                              									vor sich. Die röthliche Substanz anbelangend, scheint ihre Bildung, sobald die
                              									Veränderung des Fleisches angefangen hat, langsamer vor sich zu gehen und sehr oft
                              									tritt der Fall ein, daß eine ganze Kartoffel schon in Brei verwandelt ist, während
                              									die rothe Substanz erst das Viertel der Dike des Knollens erreicht hat. Der Anfang
                              									der Veränderung des Fleisches oder Zellgewebes (Parenchyms) bildet die zweite
                              									Periode der Krankheit.
                           Endlich geht das so veränderte Zellgewebe bald ganz in Fäulniß über; es wird grau,
                              									dann schwärzlich, entwikelt einen stinkenden Geruch und die ganze Masse des Knollens
                              									löst sich in eine sehr dike Flüssigkeit auf. Erst dann zeigen sich an der Oberfläche
                              									weiße Schimmelstellen, wie sie gewöhnlich bei jeder vollendeten Gährung vorkommen.
                              									Dieß ist die dritte und lezte
                              									Periode der Krankheit.
                           Wir beobachteten Kartoffeln in allen Stadien ihrer Zersezung unter dem Mikroskop,
                              									konnten aber niemals das Vorhandenseyn der nach Morren zu
                              									Lüttich vorkommenden Botrytis oder Pilze wahrnehmen.
                              									Alles was wir finden konnten, war einerseits der weiße Schimmel auf der Oberfläche
                              									und andererseits Aelchen (vibrions) oder Thierchen
                              									welche das Product, aber nicht die Ursache der Fäulniß sind. Die grünen sowohl als
                              									schwarzen Blätter der erkrankten Stöke zeigten nur von einer Zerstörung des
                              									Zellgewebes herrührende schwärzliche Fleken, aber durchaus keine Pilze.
                           Das Stärkmehl in den in der Zersezung am weitesten vorgerükten Knollen hatte keine
                              									seiner physischen und chemischen Eigenschaften verloren. In kaltem Wasser, worin
                              									gefaulte Knollen eingeweicht waren, findet man weder Zuker noch Dextrin. Untersucht
                              									man ein Stük des veränderten Parenchyms unter dem Mikroskop, so findet man nichts
                              									von dem Hüllengewebe der Stärkmehlkörnchen. Die vergleichende Analyse der gesunden
                              									und verdorbenen Kartoffeln bestätigt die Nichtveränderung des Stärkmehls. Folgenden
                              									Stärkmehlgehalt  fanden
                              									wir in 100 Theilen gesunder und verdorbener Kartoffeln:
                           
                              
                                 
                                  Gesunde Kartoffel.
                                 Verdorbene Kartoffel.
                                 
                              
                                 Gelbe runde Kartoffel
                                 16
                                 15,5
                                 
                              
                                 Gelbe lange Kartoffel
                                 15
                                 14,0
                                 
                              
                           Die kleine Verschiedenheit in der Organisation kann also nicht der Zerstörung des
                              									Stärkmehls in Folge der Gährung zugeschrieben werden.
                           Umsonst suchten wir in den gefaulten Kartoffeln den nach Willberg vorhandenen scharfen Stoff und das nach Wiking in den geleimten und verdorbenen Kartoffeln vorkommende Solanin und
                              									die Blausäure auf. Dagegen fanden wir darin Schwefelwasserstoff in geringer Menge;
                              									auch entfärbt das Wasser, in welches die stinkende Flüssigkeit der bis zum lezten
                              									Stadium der Krankheit vorgeschrittenen Knollen gerührt wird, die Jodtinctur
                              									auffallend, gibt mit basischessigsaurem Blei einen braunen, und mit
                              									Queksilberchlorid einen graulichen Niederschlag. Durch Alkohol und Gerbestoff wird
                              									dieses Wasser nur sehr schwach getrübt. Der in dem gefaulten Fleisch der Kartoffeln
                              									sich erzeugende Schwefelwasserstoff rührt von der Zerstörung des Eiweißstoffs her,
                              									von welchem man in dem Macerationswasser nur mehr Spuren findet.
                           Aether färbt sich durch die in stinkende Fäulniß übergangenen Kartoffeln nicht
                              									merklich. Er löst nur eine äußerst kleine Menge öhliger Substanz auf, welche gar
                              									keinen scharfen Geschmak hat.
                           Wir bestimmten den Gehalt an Wasser und trokner Substanz der eine beginnende
                              									Veränderung zeigenden Kartoffeln. Folgendes waren die Resultate:
                           
                              
                                 
                                  Runde gelbe Sorte.
                                 Lange gelbe Sorte.
                                 
                              
                                 Wasser
                                 76,4
                                 71,3
                                 
                              
                                 Trokne Substanz
                                 23,6
                                 22,7
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,0
                                 100,0
                                 
                              
                           Dieselben Sorten im gesunden Zustande gaben uns:
                           
                              
                                 
                                 Runde gelbe Sorte.
                                 Lange gelbe Sorte.
                                 
                              
                                 Wasser
                                 74,3
                                 76,27
                                 
                              
                                 Trokne Substanz
                                 25,7
                                 23,73
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100,0
                                 100,00
                                 
                              
                           Der Unterschied ist, wie man sieht, nicht sehr groß. Man kann also nicht sagen, daß
                              									in den Knollen vorhandene zu große Feuchtigkeit an der Fäulniß der Kartoffeln Schuld
                              									sey.
                           Nach allen unseren Versuchen und Beobachtungen können wir mit Zuversicht folgende
                              									Säze aufstellen:
                           
                           1) Die Krankheit der Kartoffeln ist Folge einer bloßen Gährung, welche unter die
                              									gewöhnlichen Gährungen gehört.
                           2) Die Ursache derselben kann keiner abnormen Entwiklung von Pilzen zugeschrieben
                              									werden, vielmehr ist sie in der Erzeugung der am Anfang der Krankheit sichtbaren
                              									röthlichen Substanz zu suchen, welche nach Art eines Ferments wirkend, die Fäulniß
                              									des Eiweißstoffs bald veranlaßt, die wieder die Desorganisation des Zellgewebes
                              									bewirkt; der Ursprung der ganzen Erscheinung ist auf die ungünstigen
                              									Witterungsverhältnisse dieses Jahrs zurükzuführen.
                           3) In keinem Stadium der Krankheit erleidet das Stärkmehl eine Veränderung.
                           4) Mit Ausnahme von etwas Schwefelwasserstoff erzeugt sich kein (!) besonderer
                              									Stoff.
                           5) Im ersten Stadium der Krankheit können die Kartoffeln ohne Anstand als Futter für
                              									das Vieh benuzt werden. Später gestattet ihr übler Geruch nicht, sie hiezu zu
                              									verwenden, ohne sie einer Vorbereitung zu unterziehen, worüber wir uns jezt noch zu
                              									äußern haben.
                           Es läßt sich nicht mit gleicher Leichtigkeit aus Kartoffeln in den verschiedenen
                              									Stadien der Krankheit ein verkäufliches Stärkmehl gewinnen. So lange sie ihre Härte
                              									noch besizen, können sie gerieben werden und die Trennung des Fleisches und des
                              									Stärkmehls geht sehr leicht von Statten. Dieß ist aber nicht der Fall, wenn man es
                              									mit Kartoffeln zu thun hat, deren Parenchym ganz erweicht und zu einem Brei geworden
                              									ist; in diesem Fall geht alles Fleisch und Stärkmehl durch das Sieb. Unter diesen
                              									Umständen besteht das einzige Mittel, das Stärkmehl abzusondern, darin, die
                              									Kartoffeln unter dem Mühlstein zu zerreiben, den Brei mit vielem Wasser zu zerrühren
                              									und wie bei der Fabrication des Getreidestärkmehls auf die alte Weise zu verfahren,
                              									wobei man etwas Hefe oder irgend ein Ferment zusezt, um die Fäulniß in den Kufen zu
                              									begünstigen.
                           Es gibt aber noch ein Mittel, um die gefaulten Kartoffeln zu nuze zu machen, ohne die
                              									Ausziehung ihres Stärkmehls vornehmen zu müssen, welche Operation den meisten
                              									Landwirthen zu umständlich wäre. Die in einen Brei verwandelten Kartoffeln nämlich
                              									werden in Kufen dem Auswaschen mit vielem Wasser unterzogen; drei- bis
                              									viermaliges Auswaschen genügt, um die fleischige Substanz von ihrem übeln Geruch zu
                              									befreien. Man läßt sie abtropfen, preßt sie dann in leinenen Säken stark aus und
                              									troknet die erhaltenen Kuchen im Bakofen, nachdem das Brod gebaken ist. Man erhält
                              									auf diese Weise eine ganz geruchlose, leicht aufzubewahrende Masse, welche als
                              									Futter  für das Vieh
                              									ganz gut dient, und wie Colza-Preßkuchen angewandt werden kann.Man vergl. Liebig's Bemerkungen S. 416 in diesem
                                    											Bande des polytechn. Journals.A. d. R.
                           Dieß gelang uns am Ende noch am besten. Da auf allen Pachthöfen der Normandie eine
                              									Vorrichtung zum Stoßen der Kartoffeln, eine Presse und ein Bakofen vorhanden ist, so
                              									veranlaßt dieses Verfahren keine andern Ausgaben als für den Ankauf der Leinensäke
                              									und einiger Kufen.