| Titel: | Neue Versuche über das Kalken des Getreides; von Prof. Girardin. | 
| Fundstelle: | Band 99, Jahrgang 1846, Nr. XVI., S. 65 | 
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                        XVI.
                        Neue Versuche über das Kalken des Getreides; von
                           								Prof. Girardin.
                        Aus dem Comptes rendus, Novbr. 1845, No.
                              								21.
                        Girardin's Versuche über das Kalken des Getreides.
                        
                     
                        
                           Seit drei Jahren beschäftigte sich eine aus den HHrn. Dubreuil, Fauchet, Bidard und mir bestehende Commission in Auftrag
                              									der Central-Ackerbau-Gesellschaft des untern Seine-Departements
                              									mit Versuchen über das Kalken des Getreides, nach deren Beendigung ich nun der
                              									Akademie die erhaltenen Resultate im Folgenden mittheile.
                           Den Brand (die Fäulniß) des Getreides kennt man sehr wohl seinem Wesen, seinem
                              									Verlauf und seinen traurigen Wirkungen nach; die Mittel, um seine Erscheinung zu
                              									verhindern und seiner Fortpflanzung Einhalt zu thun, kennt man aber bei weitem nicht
                              									so genau.
                           Seitdem Tillet im J. 1755 und Tessier im J. 1783 die Aufmerksamkeit der Ackerbauverständigen auf die
                              									Rathsamkeit und Vortheile lenkten, die Saatkörner gewissen sie beschützenden und
                              									heilsamen Operationen zu unterwerfen, wurden sehr verschiedene Verfahrungsweisen
                              									angepriesen und mit mehr oder weniger gutem Erfolg angewandt; seltsamer Weise aber
                              									wurden gerade die wenigst wirksamen und gefährlichsten Mittel allgemein
                              									eingeführt.
                           Was uns vermochte, die wichtige Frage des Kalkens neuerdings in Untersuchung zu
                              									ziehen, ist einerseits der Wunsch, die Landwirthe und die Regierung von der
                              									Möglichkeit zu überzeugen, den Kupfervitriol, den Grünspan, die arsenige Säure und
                              									andere giftige Körper, deren Anwendung so häufige und furchtbare Unglücksfälle
                              									veranlaßt, durch nicht giftige zu ersetzen, und andererseits unser Auftrag, die
                              									Behauptung eines ausgezeichneten Landwirths, des Hrn. Bollenot, daß dem Brand keine andere Ursache zum Grunde liege als die
                              									unvollkommene Reife des zur Saat bestimmten Korns, zu prüfen.
                           
                           Auf folgende Weise verfuhren wir bei den auf dem Gute des Hrn. Fauchet, Mitglieds unserer Commission, in den Jahren 1843, 1844 und 1845
                              									angestellten Versuchen.
                           Wir wählten rothes schottisches Korn von den Ernten der Jahre 1843 und 1844, welches
                              									vollkommen reif und nicht brandig und bei Hrn. Fauchet in
                              									thonigem Erdreich gewachsen war. Andererseits verschafften wir uns brandiges
                              									Getreide (de la carie) und sättigten damit einen Theil unseres Vorraths an gutem Getreide; endlich
                              									ernteten wir Korn zu vier verschiedenen Zeiten vor der vollkommenen Reife.
                           Ein Stück Feld, welches eben Kartoffeln getragen hatte, folglich eine zweckmäßige
                              									Düngung und die andern, dem Säen des Getreides vorausgehenden Vorbereitungen
                              									erhalten hatte, wurde in 13 Theile von 10 Centiaren Flächenraum getheilt. Jede
                              									Parcelle wurde von der anstoßenden durch einen Streifen Erdreichs getrennt, welcher
                              									während der Dauer der Versuche frei blieb. Sie wurden Anfangs November bei sehr
                              									günstiger Witterung mit gleichen Mengen, nämlich 3 Decilitern Korns, wie folgt
                              									besäet.
                           Beschaffenheit des Korns und Verfahren bei
                                 										dem Kalken.
                           
                              
                                 Nummer der Parcellen.
                                 
                              
                                 1
                                 Lange vor der Reife, bei noch milchartigem Zustand seines Eiweißkörpers,
                                    											geerntetes Getreide.
                                 
                              
                                 2
                                 Unreifes bei zwar schon verhärtetem Eiweißkörper aber noch grüner
                                    											Epidermis geerntetes Getreide.
                                 
                              
                                 3
                                 Getreide, welches geerntet wurde, nachdem Korn und Aehren gelblich waren,
                                    											deren ersteres aber vom Nagel Einschnitte annahm.
                                 
                              
                                 4
                                 Nachdem alle Körner ihre ganze Härte und Durchsichtigkeit erreicht hatten,
                                    											geerntetes Getreide.
                                 
                              
                                 5
                                 Vollkommen reifes, nicht brandiges, in keiner Weise vorbereitetes
                                    											Getreide.
                                 
                              
                                 6
                                 Reifes, brandiges, in keiner Weise vorbereitetes Getreide.
                                 
                              
                                 7
                                 Brandiges Getreide, welches vor der Saat mit seinem doppelten Volum reinen
                                    											Wassers gewaschen wurde.
                                 
                              
                                 8
                                 Brandiges Getreide, welches zwei Stunden lang in einer Lösung von 6
                                    											Grammen Kupfervitriol und 30 Grammen Kochsalz in 1 Liter (Kilogramm) Wasser
                                    											liegen gelassen wurde.
                                 
                              
                                 9
                                 Brandiges Getreide, welches eine Stunde lang in einer Lösung von 60
                                    											Grammen Kupfervitriol in 1 Liter Wasser liegen gelassen wurde.
                                 
                              
                                 10
                                 Mit 50 Grammen frischgelöschten Kalks und 6 Grammen arseniger Säure
                                    											(weißem Arsenik) gekalktes, brandiges Getreide.
                                 
                              
                                 11
                                 Brandiges Getreide, welches 24 Stunden lang in 1 Liter Wasser, in welches
                                    											man 100 Gramme frischgelöschten Kalks rührte, liegen gelassen wurde.
                                 
                              
                              
                                 12
                                 Brandiges Getreide, welches 24 Stunden in 1 Liter Wasser, in welches man
                                    											100 Gramme Kalk und 16 Gramme Kochsalz rührte, liegen gelassen wurde.
                                 
                              
                                 13
                                 Mit 80 Grammen Glaubersalz und 20 Grammen Kalk nach Mathieu de Dombasle's Verfahren gekalktes Getreide.
                                 
                              
                           Ende Septembers war das Korn reif und wurde mit Sorgfalt geerntet; das Product jeder
                              									Abtheilung wurde besonders gesammelt und erhielt sogleich seine Reihenummer. Ende
                              									Octobers ging man an das Wägen der Garben; nahm hierauf jede Garbe besonders,
                              									schnitt mit der Schere alle Aehren ab, trennte die brandigen von den gesunden Aehren
                              									und bestimmte ihre relative Anzahl. Die gesunden Aehren jeder Abtheilung wurden in
                              									einem geschlossenen Sack gedroschen, so daß kein Korn verloren gehen konnte. Das
                              									gereinigte und geschwungene Korn wurde gemessen, gewogen und jedes in eine besondere
                              									Flasche gebracht. Das Gewicht des gesunden Korns und das der brandigen Aehren, von
                              									dem ursprünglichen Gewicht jeder Garbe abgezogen, ergaben das absolute Gewicht des
                              									Strohes.
                           Folgende Tabelle enthält alle auf die Ergebnisse unserer Ernten bezüglichen
                              									Aufzeichnungen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 099, S. 67
                              Nummer des Korns.; Gewicht der
                                 										erhaltenen Garbe.; Anzahl der gesunden Aehren auf die ganze Quantität.; Anzahl
                                 										der brandigen Aehren auf die ganze Quant.; Volum des guten Korns.; Gewicht des
                                 										guten Korns.; Gewicht der brandigen Aehren.; Absolutes Gewicht des Strohes.;
                                 										Kilogr.; Liter.; Gramme
                              
                           Aus dieser Tabelle sind die Wirkungen der verschiedenen Methoden zu kalken auf das
                              									brandige Korn ersichtlich, so wie auch der Einfluß des unreifen Zustandes des Korns
                              									auf die Entwickelung des Brandes.
                           Man sieht, daß das Korn von Nr. 1, 2, 3 und 4, welches in vier verschiedenen Stadien
                              									der Reife gewählt wurde, keine Spur von  Brand zeigte. Die Behauptung des Hrn. Bollenot ist daher völlig unbegründet; es ist nicht wahr,
                              									daß die Unreife des Korns den Brand veranlaßt. Wir bemerken noch, daß wir zwei Jahre
                              									nach einander dieselben Resultate erhielten.
                           Berechnet man die Anzahl der brandigen Aehren einer jeden der acht letzten
                              									Abtheilungen im Verhältniß zu 100, so wird der Einfluß seder Kalkungsmethode noch
                              									augenscheinlicher.
                           
                              
                                 Nummern des Korns.
                                 Anzahl der brandigen Aehren auf 100.
                                 
                              
                                 1, 2, 3, 4, 5
                                 —
                                 
                              
                                 6
                                 40,69
                                 
                              
                                 7
                                 7,20
                                 
                              
                                 8
                                 0,86
                                 
                              
                                 9
                                 2,04
                                 
                              
                                 10
                                 6,09
                                 
                              
                                 11
                                 11,25
                                 
                              
                                 12
                                 5,28
                                 
                              
                                 13
                                 2,40
                                 
                              
                           Die Verfahrungsarten zu kalken kommen also hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in
                              									folgender Ordnung zu stehen:
                           
                              
                                 Nr.
                                 8
                                 Kupfervitriol und Kochsalz.
                                 
                              
                                 Nr.
                                 9
                                 Kupfervitriol allein.
                                 
                              
                                 Nr.
                                 13
                                 Glaubersalz und Kalk.
                                 
                              
                                 Nr.
                                 12
                                 Kalk und Kochsalz.
                                 
                              
                                 Nr.
                                 10
                                 Kalk und Arsenik.
                                 
                              
                                 Nr.
                                 7
                                 Waschen mit reinem Wasser.
                                 
                              
                                 Nr.
                                 11
                                 Kalk allein.
                                 
                              
                           Aus unsern Versuchen läßt sich mit Sicherheit folgern:
                           1) daß der Kupfervitriol, wie Benedict Prevost im Jahre
                              									1807 bewies, eines der besten Schutzmittel gegen den Brand ist;
                           2) daß der Kalk von geringer Wirkung ist und selbst dem bloßen Waschen mit Wasser
                              									nachsteht;
                           3) daß das Kochsalz einen sehr merklichen Einfluß hat, indem die Körper, welchen man
                              									dasselbe zusetzt, dadurch eine viel auffallendere Wirksamkeit erhalten, als sie für
                              									sich allein haben; es beweist dieß der Kalk, welcher durch dasselbe sehr wirksam
                              									wird; deßgleichen der Kupfervitriol, welcher dann viel besser wirkt, als für sich
                              									allein;
                           4) daß der Arsenik bei weitem nicht so zerstörend auf den Brand einwirkt, als
                              									allgemein angenommen wird;
                           5) daß endlich das von Mathieu de Dombasle im Jahre 1835
                              									vorgeschlagene Kalken mit Glaubersalz und Kalk wirklich sehr wirksam ist
                           
                           Man wird, wie ich hoffe, unsern Versuchen wegen der Uebereinstimmung ihrer Resultate
                              									unter sich und mit den an andern Orten von geschickten Landwirthen und guten
                              									Beobachtern früher angestellten Versuchen einen gewissen Werth nicht absprechen. So
                              									gelang überall, wo man das Dombasle'sche Verfahren
                              									anwandte, die Reinigung des Korns vom Brand vollkommen. Schon über sechs Jahre
                              									bedient sich Hr. Fauchet dieses Verfahrens mit dem besten
                              									Erfolg; wir haben noch nirgends schöneres und gesunderes Getreide angetroffen, als
                              									er jährlich erntet. In vielen Departements wurde der Kalk wegen seiner Unwirksamkeit
                              									aufgegeben. Einer unserer ausgezeichnetsten Ackerbauverständigen des Departements
                              									der untern Seine, Hr. August Beaudouin, Präsident des
                              									landwirtschaftlichen Vereins zu Pavilly, ist mit dem von ihm vorzugsweise
                              									angewandten Kupfervitriol sehr zufrieden; eben so die Landwirthe der Departements
                              									der Marne und obern Marne; allein dieses Salz ist ein nicht minder gefährliches Gift
                              									als der Arsenik, und aus diesem Grunde sollte man es aufgeben.
                           Es war eben so interessant als nützlich zu erfahren, ob die verschiedenen Methoden zu
                              									kalken einen Einfluß auf den Ertrag des Getreides an Korn sowohl als an Stroh haben.
                              									Um dieß zu ermitteln, bestimmten wir sorgfältig das Volum und Gewicht des Korns und
                              									das absolute Gewicht des Strohes. Um die Verschiedenheiten in dieser Beziehung
                              									augenfälliger zu machen, berechneten wir die Zahlen einer der obigen Tabellen auf
                              									Hektoliter und Kilogramme; es wird so auch leichter, die Producte unserer Ernten mit
                              									jenen zu vergleichen, welche man gewöhnlich vom Hektoliter Saatkorn erhält.
                           
                              
                                 Nummer des Getreides.
                                 Product in Hektolitern vom Hektoliter Saatkorn.
                                 Product in Kilogrammen vom Hektoliter Saatkorn.
                                 Gewicht des Liters guten Korns.
                                 Absolutes Gewicht des Strohes vom Hektoliter
                                    											Saatkorn.
                                 
                              
                                 
                                 Hektoliter.
                                 Kilogr.
                                 Kilogr.
                                 Kilogr.
                                 
                              
                                 1
                                 7,73
                                 578,333
                                 0.747,8
                                 2171,666
                                 
                              
                                 2
                                 7,76
                                 581,333
                                 0.748,5
                                 1785,333
                                 
                              
                                 3
                                 7,83
                                 589,333
                                 0.752,3
                                 1827,333
                                 
                              
                                 4
                                 7,56
                                 573,333
                                 0.757,7
                                 1676,666
                                 
                              
                                 5
                                 10,00
                                 787,666
                                 0.787,6
                                 1879,000
                                 
                              
                                 6
                                 7,53
                                 523,000
                                 0.800,5
                                 1740,333
                                 
                              
                                 7
                                 11,00
                                 805,333
                                 0.732,1
                                 1832,000
                                 
                              
                                 8
                                 6,83
                                 740,333
                                 0.752,8
                                 1673,333
                                 
                              
                                 9
                                 10,50
                                 800,000
                                 0.761,9
                                 1943,000
                                 
                              
                                 10
                                 7,23
                                 558,666
                                 0.772,3
                                 2089,000
                                 
                              
                                 11
                                 9,00
                                 700,333
                                 0.778,1
                                 2094,666
                                 
                              
                                 12
                                 8,33
                                 642,000
                                 0.771,2
                                 2090,000
                                 
                              
                                 13
                                 9,56
                                 752,666
                                 0.786,7
                                 1904,666
                                 
                              
                           
                           Die vorzüglichsten Schlußfolgerungen aus dieser Tabelle sind folgende:
                           1) unter allen Verhältnissen ist es vortheilhaft, nur ganz reifes Getreide als
                              									Saatkorn anzuwenden;
                           2) am wenigsten Korn trägt das mit Arsenik, mit Kalk und Kochsalz und mit Kalk allein
                              									gekalkte Getreide;
                           3) am meisten Korn tragen die Getreide, welche mit Wasser gewaschen oder mit bloßem
                              									Kupfervitriol, mit Kupfervitriol und Kochsalz oder mit Glaubersalz und Kalk
                              									eingekalkt wurden;
                           4) wenn aber das Waschen mit Wasser dem Ertrag an Korn günstig zu seyn scheint, so
                              									beeinträchtigt es hingegen auffallend dessen Dichtigkeit;
                           5) das bei gleichem Volum dichteste Getreide ist dasjenige, welches gar keine
                              									Vorbereitung erhielt und dann das mit Glaubersalz eingekalkte.
                           Da wir auf allen Abtheilungen mit gekalktem Getreide eine gewisse Anzahl brandiger
                              									Aehren erhielten, könnte es scheinen, daß es kein absolutes Specificum, kein
                              									radicales und unfehlbares Mittel gegen den Brand gebe. Ich muß aber darauf
                              									aufmerksam machen, daß wir, um unsere Versuche bündiger zu machen, unser Saatkorn
                              									mit Brand sättigten; man wird es aber in der Praxis
                              									niemals wagen, Korn in dem Zustand zu säen, worin sich das zu unsern Versuchen
                              									verwendete befand. Ohne Zweifel sind diesem Umstand die wenigen schwarzen Aehren zuzuschreiben, welche wir in dem Korn fanden, das
                              									mit Kupfervitriol und mit Glaubersalz (den wirksamsten und sichersten Mitteln gegen
                              									den Brand) gekalkt wurde. Gewiß ist, daß man bei Hrn. Fauchet, wo die Anwendung des Glaubersalzes seit einigen Jahren eingeführt
                              									ist, nicht mehr weiß, was Brand ist. Dieses Salz, in Verbindung mit Kalk, ist daher
                              									wirklich ein unfehlbares Mittel.
                           Kurz zusammengefaßt sind wir der Ansicht:
                           1) daß es rathsam ist niemals ohne vorhergehendes Einkalken zusäen;
                           2) daß allen andern Methoden diejenige des Hrn. M. de
                                 										Dombasle vorzuziehen ist, weil sie einfach und wohlfeil ist, der Gesundheit
                              									des Säers und der Consumenten keinen Nachtheil bringt und das gesundeste und
                              									ergiebigste Getreide liefert;
                           3) daß weil der Arsenik, der Kupfervitriol, der Grünspan und andere giftige Körper
                              									beim Kalken des Getreides mit Vortheil durch Glaubersalz mit Kalk ersetzt werden
                              									können, bei der Regierung der  Antrag gestellt werden sollte, den Verkauf dieser Gifte
                              									in den Städten und auf dem Lande und die Anwendung derselben zur Vorbereitung des
                              									Saatkorns zu verbieten.