| Titel: | Ueber den Anbau der Arracacha und die Möglichkeit ihrer Einführung in Europa; von Boussingault. | 
| Fundstelle: | Band 99, Jahrgang 1846, Nr. XXXVI., S. 148 | 
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                        XXXVI.
                        Ueber den Anbau der Arracacha und die Möglichkeit
                           								ihrer Einführung in Europa; von Boussingault.
                        Aus den Comptes rendus, Novbr. 1845, Nr.
                              								21.
                        Boussingault, über den Anbau der Arracacha.
                        
                     
                        
                           Die Akademie beauftragte mich, über eine Abhandlung des Hrn. Goudot in obigem Betreff Bericht zu erstatten.
                           Die Arracacha gehört zur Familie der Umbelliferen (Doldengewächse); wegen ihrer
                              									Aehnlichkeit mit dem Sellerie nannten sie die Spanier apio; diese Pflanze ist wahrscheinlich in den Cordilleren
                              									Neu-Granada's, wo sie sehr verbreitet ist, heimisch. Von den gemäßigten
                              									Hochebenen von Cundinamarca aus verbreitete sich die Arracacha bis über den Aequator
                              									hinaus, siedelte sich in den Cordilleren von Popayan und de los Pastos an, zur
                              									selben Zeit als die von den kalten Regionen Chili's ausgehende Kartoffel sich von
                              									Süden nach Norden fortpflanzte und den Incas auf ihren Eroberungen folgend, in Peru,
                              									zu Quito, festen Fuß faßte, ehe sie bis Neu-Granada vordrang.
                           Es ist eine auffallende Erscheinung in der Geschichte der menschlichen
                              									Nahrungsmittel, daß im südlichen Amerika von den geringsten Völkerschaften das
                              									Türkischkorn gebaut wird, neben dieser, die Regel bildenden Getreideart aber bei den
                              									civilisirtern Völkern noch andere, als Nahrungsmittel wichtige Pflanzen cultivirt
                              									werden; so die Arracacha bei den Muyscas, die Kartoffel bei den Incas, der Cacao bei
                              									den Mexicanern. Das Türkischkorn und die Kartoffeln bilden heutzutage die Grundlage
                              									der Nahrung eines großen Theils der Europäer; der Cacao ist in Spanien beinahe
                              									unentbehrlich geworden; nur die Arracacha wird in Europa noch nicht angebaut.
                           Und doch bietet diese Pflanze alle Vortheile der Kartoffeln dar, und entwickelt sich
                              									unter denselben Verhältnissen des Bodens und des Klima's; so sieht man in den
                              									Cordilleren an Stellen, welche eine mittlere Temperatur von 12–17° R.
                              									haben, die schönsten Pflanzungen.
                           Hr. Goudot, welcher sich 20 Jahre in Neu-Granada
                              									aufhielt, wo er sich aus eigenen Mitteln dem Studium der Naturgeschichte widmete,
                              									wollte bei seiner Rückkehr nach Frankreich sein Vaterland mit einer Nutzpflanze
                              									beschenken. Er bestrebte sich aus diesem Grunde, die Cultur der Arracacha und die
                              									Mittel kennen zu lernen, sie wohlbehalten nach Europa zu bringen; er beschränkte
                              									sich dabei nicht auf Erkundigung und den Besuch von Pflanzungen. Seinen längeren
                              									Aufenthalt  zu Jbagué,
                              									am Fuße der Quindiukette, benützte er, um sie selbst anzubauen, und was er von den
                              									Eigenthümlichkeiten dieser Pflanze und ihrer Fortpflanzung mittheilt, hat er selbst
                              									beobachtet und erfahren.
                           Man pflanzt die Arracacha durch Stockabsenker (bouture entalon); man schneidet den Strunk der Wurzel so
                              									ab, daß der losgetrennte fleischige Theil die Basis eines Büschels Stiele wird; man
                              									zertheilt nun diese kreisrunde Basis in mehrere Segmente und setzt diese Absenker
                              									sehr seicht in einen feuchten Boden. Die Pflanzen werden ungefähr 2 Fuß weit
                              									auseinander gesetzt. Unter günstigen Umständen entwickeln sich die Stengelknospen
                              									schon in einigen Tagen; sie wachsen schnell heran und in einigen Wochen ist die Erde
                              									ganz bedeckt. Vor diesem Zeitpunkt, wo die Pflanze schon stark genug ist, um sich
                              									der Ausbreitung von Unkraut zu widersetzen, wird in der Regel zweimal ausgejätet.
                              									Geerntet wird vor der Blüthezeit. Nach Hrn. Goudot
                              									erkennt man an der Größe der Blattbüschel und dem schwachen Bleichwerden der äußern
                              									Blätter die vollkommenste Reife, nach welcher die Pflanze gerne in die Höhe schießt
                              										(tend à monter). Zu dieser Zeit bildet die den
                              									Hauptzweck der Cultur ausmachende Wurzel eine sehr unregelmäßige fleischige Masse;
                              									von ihrem untern Theil aus entspringen mehrere spindelförmige Verzweigungen, welche
                              									mit Fasern versehen und die wohlschmeckendsten Theile der Arracacha sind. In gutem
                              									Erdreich gewachsen, wiegt eine Wurzel 2–3 Kilogr. Zu Jbagué erreicht, wie
                              									sich Hr. Goudot überzeugte, die Ernte 41,000 Kilogr. per Hektare.
                           Nach einer von mir angestellten Analyse ist diese Wurzel wahrscheinlich minder
                              									nahrhaft als die Kartoffel, denn sie enthält bei gleichem Gewicht und auf dieselbe
                              									Menge Stärkmehl und Eiweißstoff eine größere Menge Feuchtigkeit.
                           Bei dem Anbau des Hrn. Goudot blieb die Wurzel sechs
                              									Monate im Boden, ehe sie geerntet wurde; einige Stöcke, welche man im Boden ließ,
                              									kamen im neunten Monat zur Blüthe und bildeten im zehnten Samen.
                           Die mittlere Temperatur zu Jbagué ist 17° R.; folglich würde, wenn zur Reife
                              									der Arracacha eine während sechs Monaten andauernde Temperatur von 17° R.
                              									unbedingt erforderlich wäre, diese Pflanze in den gemäßigten Gegenden Europa's nicht
                              									gut gedeihen, indem z. B. das Klima von Paris in den sechs Monaten, wo sie im
                              									Wachsthum begriffen ist, die Temperatur von 13° R. nicht ganz erreicht.
                              									Allein die Arracacha erlangt, wie die Runkelrübe, sehr bald einen gehörigen Grad von
                              									Reife. Eine Frühernte gibt schon ein gutes Product, und  hat nur den einzigen
                              									Uebelstand, daß sie weniger ergiebig ist. So ist durch die Aufschlüsse von Hrn. Dr. Vargas bekannt, daß zu
                              									Caracas die Arracacha schon 3–4 Monate, nachdem sie gepflanzt wurde, aus dem
                              									Boden genommen wird, und daß dieser Zeitraum hinreicht, um der Wurzel alle
                              									erforderlichen Eigenschaften zu ertheilen. Nun hat Caracas genau dieselbe mittlere
                              									Temperatur wie Jbagué, woraus folgt, daß wenn die Arracacha bei einer Temperatur von
                              									17 8/10° R. in 122 Tagen geerntet werden kann, mit allem Grund anzunehmen
                              									ist, daß der Anbau dieser Wurzel in den zwischen Anfang Mai und Ende September
                              									liegenden 151 Tagen bewerkstelligt werden könne, indem die mittlere Temperatur
                              									dieses Zeitraums zu Paris 14° R. ist. Was für den guten Erfolg vielleicht zu
                              									befürchten wäre, das sind die Sommerhitzen, indem die Arracacha, in warmer und
                              									regnerischer Gegend angebaut, sehr leicht auf Kosten des Zunehmens der Wurzel in
                              									Stengel schießt.
                           Das von Hrn. Goudot beschriebene Verfahren der
                              									Fortpflanzung durch Stockabsenker wäre in Europa nicht
                              									anwendbar, wo der Winter nothwendig zwischen Ernte und Pflanzung fallen müßte, und
                              									eine große Masse reproductiver Strünke ließe sich sehr schwer von einer Jahreszeit
                              									bis zur andern aufbewahren. Man müßte sonach eine gewisse Anzahl Wurzeln im Keller
                              									oder in Silos überwintern, und im Augenblick des Pflanzens mit Blattstielknospen
                              									versehene Strunksegmente davon abschneiden. So werden die zum Samentragen bestimmten
                              									Runkelrüben und gelben Rüben aufbewahrt; es müßte aber erst die Erfahrung
                              									entscheiden, ob diese Art der Aufbewahrung auch bei der Arracachawurzel
                              									zweckdienlich wäre.
                           Es ist begreiflich, daß eine so wichtige Nährpflanze wie die Arracacha schon seit
                              									langer Zeit die Aufmerksamkeit der Reisenden in den Cordilleren auf sich ziehen
                              									mußte; auch wurden schon viele Versuche mit ihrer Einführung in die europäische
                              									Cultur angestellt. Im Jahr 1822 sandte Baron Schack
                              									Pflanzen nach England; ein Reisender gab Blüthen derselben in den botanischen Garten
                              									zu Liverpool; diese Pflanzen gediehen nur sehr unvollkommen. Indessen kamen in Folge
                              									dieses ersten Versuchs im Handel einige nicht sehr kräftige Exemplare zu sehr hohen
                              									Preisen vor, und diese Wurzel, welche in Neu-Granada ganze Völkerschaften
                              									nährt, sank in Europa zu der unbedeutenden Rolle einer seltenen Pflanze herab. Im
                              									Jahr 1829 erhielt Hr. de Candolle von Hrn. Dr. Vargas eine Sendung
                              									Wurzeln; die Pflanze gab nur unvollkommene Samenkörner; doch lieferte dieser Versuch
                              									ein  so gutes Resultat
                              									daß de Candolle eine vollkommene botanische Beschreibung
                              									der Pflanze zu liefern vermochte. Einige Jahre später bezog Hr. Vilmorin eine Quantität Wurzeln aus Bogota, welche aber
                              									leider in ganz verdorbenem Zustande ankamen. Zur selben Zeit ungefähr wurden von
                              									Hrn. Soulange-Bodin
                              									sehr kostspielige Versuche ohne allen Erfolg angestellt. Endlich verschaffte sich
                              									Hr. Vilmorin, der Sohn, Mitglied der königlichen
                              									Agriculturgesellschaft, vor kurzem einige Wurzeln, welche er Hrn. Hardy, Director der Baumschulen zu Algier, zuzusenden
                              									sich beeilte. In bessere Hände konnten sie nicht kommen.
                           Hr. Goudot, welcher diese fruchtlosen Versuche in
                              									Erfahrung brachte, glaubt sie dem Umstand zuschreiben zu müssen, daß man das von ihm
                              									mitgetheilte Fortpflanzungsverfahren nicht kannte, und daß man sehr Unrecht hatte
                              									Samen zu erzeugen, was selbst im Vaterland der Arracacha sehr schwer und meistens
                              									nur unvollkommen gelingt.
                           Als Hr. Goudot von der Hochebene von Bogota abreiste, nahm
                              									er mehrere Kisten in voller Vegetation befindlicher Ableger mit. In Folge
                              									unwillkürlichen Aufenthalts hatten diese jungen Pflanzen zwei Monate lang die großen
                              									Hitzen des Magdalenathales auszuhalten; doch kamen sie bei der sorgsamen Pflege
                              									wohlbeschaffen in Santa-Marta an; nun war die Jahreszeit schon zu weit
                              									vorgerückt, um sie noch nach Europa bringen zu können. Hr. Goudot pflanzte seine Arracachas in der Hacienda de Minca, die in der
                              									Sierra nevada de Merida liegt, und wegen ihrer Höhe eine Temperatur von 16°
                              									R. hat. Für die Einführung einer Pflanze der Cordilleren in Europa konnte keine
                              									bessere Zwischenstation gewählt werden, weil die Sierra nevada mit dem Vorzug der
                              									Nähe eines Seehafens auch den verbindet, die größte Verschiedenheit der Klimate
                              									darzubieten, und wenn unsere Regierung es einst gut finden sollte, einen letzten
                              									Versuch anzustellen, die Cultur der Arracacha in Frankreich einzuführen, so wird die
                              									Wichtigkeit der von Hrn. Goudot bezeichneten Station ohne
                              									Zweifel erkannt werden.