| Titel: | Ueber den Einfluß der Gewitter auf die Drähte elektromagnetischer Telegraphen; von Dr. W. Casselmann. | 
| Fundstelle: | Band 108, Jahrgang 1848, Nr. XXIV., S. 127 | 
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                        XXIV.
                        Ueber den Einfluß der Gewitter auf die Drähte
                           elektromagnetischer Telegraphen; von Dr. W. Casselmann.
                        Aus Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie, 1848, Nr.
                              4.
                        Casselmann, über den Einfluß der Gewitter auf die Drähte
                           elektromagnetischer Telegraphen.
                        
                     
                        
                           Man hat an dem elektro-magnetischen Telegraphen der Taunus-Eisenbahn
                              schon seit Jahren bemerkt, daß sich während eines sehr nahen Gewitters der Zeiger
                              des Zifferblattes, aber nur bei einem Blitz, in Bewegung setzt, und oft um mehrere,
                              zwei, vier, ja sechs Buchstaben fortrückt. Dieses Factum ist schon an und für sich
                              von hohem Interesse, denn da ein solches Fortrücken des Zeigers nur durch mehrere
                              nach einander den Telegraphendraht durchlaufende Ströme hervorgebracht werden kann,
                              so zeigt sich hier, daß, was uns als ein Blitz erscheint, oft eine größere Reihe
                              nach einander stattfindender elektrischer Ausgleichungen ist, eine Thatsache, welche
                              für die Erklärung der Zickzackform des Blitzes und den Variationen in der Stärke des
                              Donners vielleicht von Wichtigkeit seyn kann.
                           Es waren wegen dieses Einflusses der atmosphärischen Elektricität auf den Telegraphen
                              auf allen Stationen der Taunusbahn Vorrichtungen getroffen worden, um während eines
                              Gewitters den Apparat von dem Leitungsdrahte abzuschließen. Dieselben bestanden in
                              einem kurzen Kupferdrahte, welcher bei Annäherung eines Gewitters mit seinem einen
                              Ende an einer vor dem Telegraphen liegenden Stelle des allgemeinen Leitungsdrahtes,
                              und mit seinem andern an einer hinter demselben liegenden Stelle, beiderorts durch
                              eine Klemmschraube befestigt wurde, durch welchen nun mit Umgehung des um den Anker
                              des Telegraphen gelegten dünneren (etwa 1/2 Millimeter im Durchmesser haltenden) und
                              längeren Drahtes jeder atmosphärisch-elektrische Strom sich entladen sollte.
                              Auf den meisten Stationen war diese Nebenschließung so dick wie der allgemeine
                              Leitungsdraht (etwa 1/2 Linie Durchmesser), bisweilen dagegen so dünn wie die
                              Spirale des Ankers, und lag gewöhnlich ihrer ganzen Länge nach auf dem hölzernen
                              Kasten, der den Apparat umschließt. Man hatte früher wenig Furcht gehegt, daß einmal
                              durch die Telegraphendrähte starke Blitzschläge fortgeleitet werden würden, und
                              hatte sie daher, wo sie in die Stationshäuser eintraten, an den Wänden entlang
                              geführt, ohne eine Vorrichtung zu treffen, um während eines Gewitters die durch die
                              Gebäude gehende Drahtmasse von der übrigen neben der ganzen Bahn herlaufenden
                              trennen, und vielleicht für sich mit dem Boden in leitende Verbindung sehen zu können. Neuerdings ist man
                              jedoch im Begriff, eine Einrichtung der Art anzubringen, besonders wohl durch die
                              Erfahrung vom 19. Juli d. J. (1847) dazu veranlaßt.
                           An diesem Tage nämlich entlud sich in der Nähe von Höchst und Frankfurt gegen Abend
                              ein starkes Gewitter mit heftigen Regengüssen. Als es heranzog, befanden sich
                              mehrere Beamte der Taunusbahn in dem Zimmer des Stationshauses zu Frankfurt, in
                              welchem der Telegraph steht. Letzteren hatte man kurz zuvor auf die oben
                              beschriebene Weise mittelst eines Kupferdrahtes der dünneren Sorte abgeschlossen,
                              als der erste heftige Schlag sich entlud, und zwar Blitz und Donner gleichzeitig
                              wahrgenommen wurden. In demselben Augenblick gewahrte ein Beamter, daß der Telegraph
                              in Thätigkeit sey, und er hatte nicht Zeit, demselben sich zu nähern, um zu
                              untersuchen ob die Ausschließung etwa nicht vollkommen vollbracht sey, als dicht am
                              Telegraphen aus einer Winkelbiegung des Drahtes ein Arm dicker, 2 bis 3 Fuß langer,
                              blauer Feuerstrahl mit einem, einem Pistolenschusse ähnlichen Knalle heraussprang.
                              Dasselbe Phänomen wiederholte sich bei mehreren der folgenden Schläge. Der dünne
                              Nebenschließungsdraht war an der Stelle, wo er an der Hauptleitung befestigt war,
                              abgeschmolzen, und zwar zeigte sein Ende die vollendetste Schmelzung.
                           Auf der Station Hochheim selbst wurden aus dem Draht noch Funken, wie sie durch das
                              Feuerschlagen mit Stahl und Stein erzeugt werden, bemerkt; in Castel dagegen zeigte
                              sich nichts der Art.
                           Zwischen Frankfurt und Höchst in der Nähe des Rebstocker Hofes, wurden durch das
                              Gewitter achtzehn der tannenen Stangen, worauf der Leitungsdraht ruht, mehr oder
                              weniger zersplittert und zerrissen, und zwar fünf in solcher Weise, daß sie in
                              Stücke zerfielen und ganz ausgewechselt werden mußten. Die ausgesplitterten Stellen
                              laufen alle in einer Spirallinie mit einer mehrmaligen Windung um die Stangen.
                              Auffallend ist es, daß außer an diesen achtzehn unmittelbar aufeinanderfolgenden
                              Stangen sich nur noch eine einzelne, zwar besonders hohe, Stange in dem Bahnhof zu
                              Frankfurt in gleicher Weise beschädigt zeigte. Fast alle Stangen der
                              Telegraphenlinie fand man nach diesem Gewitter in der Richtung von Ost nach Süd in
                              der Erde mehr oder weniger um ihre Achse gedreht, so daß die Kappen oder kleinen
                              Blechdächelchen an ihrer Spitze, welche früher mit ihrer Kante sämmtlich parallel
                              mit der Bahn standen, jetzt damit einen Winkel machen, der 15°, und
                              namentlich in der Nähe der Stelle, wo die übrigen Stangen zerschmettert worden sind,
                              mehr, bis zu 90°, beträgt.
                           
                           Es sind alle diese Erscheinungen wohl kaum anders zu erklären, als daß man annimmt,
                              eine zwischen Frankfurt und Höchst längere Zeit befindlich gewesene elektrische
                              Wolke habe in dem Draht des Telegraphen unter sich allmählich eine große Menge von
                              Elektricität durch Vertheilung erregt und in dem ihr zunächst liegenden Theile
                              desselben festgehalten, letztere sey aber, als die Elektricität der Wolke sich mit
                              der von ihr vielleicht auf dieselbe Weise erzeugten Elektricität einer anderen Wolke
                              durch den Blitz vereinigte, von dem Draht und dessen Stangen in der ganzen Bahnlänge
                              in den Boden abgeleitet worden. Die größte Masse derselben wählte sich dabei den
                              besten und kürzesten Leiter, nämlich die nächsten kurzen und nassen Stangen, zum
                              Wege aus, und zerschmetterte dieselben; eine geringere Menge fuhr durch den etwa
                              eine Stunde langen Kupferdraht und dessen Pfähle, der von der Stelle unter der Wolke
                              durch den Frankfurter Bahnhof und dessen Gebäude in einen daselbst befindlichen
                              Brunnen verläuft, und war von geringerer Wirkung begleitet, wirkte namentlich auf
                              die Stangen nur, insofern er sie auf die beschriebene eigenthümliche Art um ihre
                              Achse drehte, während eine noch geringere Menge sich mit immer abnehmender Stärke
                              durch den Draht und dessen Pfähle bis nach Hochheim in die Erde fortpflanzte.
                           So gut aber eine elektrische Wolke den Draht bis zu dieser Stärke elektrisch machen
                              konnte, kann auch einmal eine andere im Stande seyn, eine solche Fülle von
                              Elektricität durch Vertheilung darin anzuhäufen, daß durch ihr nachheriges
                              Entweichen in den Erdboden weit größere Zerstörungen entstehen, oder daß die
                              Elektricität der Wolke sich als verheerender Blitz mit ihr vereinigt, wenn kein
                              anderer Gegenstand (keine andere Wolke etc.) in größerer Nähe zu jener sich
                              befindet, um ihre Wirksamkeit in Anspruch zu nehmen, und es möchte daher rathsam
                              seyn, bei allen Telegraphenanlagen solche Einrichtungen zu treffen, daß bei einem
                              Gewitter der allgemeine Leitungsdraht von dem in die Stationshäuser geführten Theil
                              völlig getrennt, und die Enden beider Theile für sich mit dem Erdboden in leitende
                              Verbindung gesetzt werden können.