| Titel: | Bemerkungen über Versuche hinsichtlich der Pflanzenernährung und Düngung; von Justus Liebig. | 
| Fundstelle: | Band 108, Jahrgang 1848, Nr. XLVIII., S. 230 | 
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                        XLVIII.
                        Bemerkungen über Versuche hinsichtlich der
                           Pflanzenernährung und Düngung; von Justus Liebig.
                        Aus der Agronomischen Zeitung.
                        Liebig's Bemerkungen über Versuche hinsichtlich der
                           Pflanzenernährung und Düngung.
                        
                     
                        
                           Man ist im allgemeinen darüber einig, daß die Pflanzen im wilden Zustande ihren
                              Kohlenstoff und Stickstoff aus der Atmosphäre empfangen; man ist ferner nicht mehr
                              im Zweifel, daß ohne die Mitwirkung ihrer Aschenbestandtheile die Pflanzen nicht
                              gedeihen. Auf den verschiedensten Bodenarten gebaut, enthalten diese Pflanzen
                              einerlei Mineralbestandtheile. Es besteht demnach zwischen der Cultur eines
                              Gewächses und dem Boden ein bestimmtes Verhältniß der Abhängigkeit, bedingt durch
                              gewisse Bestandtheile, die derselbe der Pflanze in der gegebenen Zeit ihrer
                              Entwickelung darbieten muß.
                           In den Excrementen der Thiere und Menschen sind diese Bodenbestandtheile in
                              reichlichster Menge und in der zu ihrer Aufnahme in den Organismus der Pflanze
                              geeignetsten Beschaffenheit enthalten; sie stellen die Asche der im Leibe der Thiere
                              verbrannten Nahrung dar. Die Aufgabe der neuesten Zeit ist die Ermittelung der
                              Frage, ob und in welcher Weise der thierische Dünger ersetzbar ist durch seine
                              Bestandtheile. Wenn man die Schriften der Agronomen durchgeht, so scheint diese
                              Frage völlig entschieden zu seyn. Es scheint aus den von ihnen angestellten
                              Versuchen hervorzugehen, daß die Mineralbestandtheile des
                                 Düngers den Dünger selbst nicht zu ersetzenvermögen. In vielen Fällen gediehen die
                              Pflanzen auf dem mit Mineralbestandtheilen gedüngten Felde nicht besser als auf
                              ungedüngtem; in andern war der höhere Ertrag nur unbedeutend und den Kosten nicht
                              entsprechend; die meisten sind geneigt, die sogenannte Mineraldüngung gänzlich zu
                              verwerfen; im allgemeinen schreibt man derselben nur eine verhältnißmäßig geringe
                              Wirksamkeit zu.
                           Wenn diese Resultate bei vielen dazu geführt haben, das wissenschaftliche Princip der
                              Nothwendigkeit dieser Mineralbestandtheile für das Wachsthum und Gedeihen der
                              Pflanzen zu verwerfen, so beruht dieß lediglich auf dem Mangel an der richtigen
                              Erkenntniß dieses Princips. Meiner Ansicht nach ist dieses so fest begründet, daß
                              die negativen Resultate zusammengenommen es nicht im entferntesten zu erschüttern
                              vermögen.
                           Ein Feld, was wir düngen, verhält sich zu dem Dünger, wie ein Thier zu dem Futter,
                              was ihm gereicht wird. Die Leistung eines Pferdes durch seine Kraft, der Kuh durch
                              die Milch, stehen in einem bestimmten begränzten Verhältniß zu der Quantität und
                              Beschaffenheit der Nahrung. Die Bestandtheile der Pflanzen, welche dem Thiere zur
                              Nahrung gegeben werden, sind ziemlich dieselben und doch ist der Ernährungswerth des
                              Futters außerordentlich verschieden. Durch zweckmäßige Wahl und Zubereitung des
                              Futters kann der Ernährungswerth gesteigert werden. Die Rückstände der
                              Branntweinbrennereien, der Bierbrauereien steigern den Milchertrag, das bloße Kochen
                              der Kartoffeln übt einen Einfluß aus auf ihre Assimilirbarkeit.
                           In gleicher Weise verhält es sich mit der Nahrung der Menschen. Mehl, Butter, Eier
                              u.s.w. sind Nahrungsmittel, aber die Form, in welcher sie genossen werden, ist für
                              den Effect nicht gleichgültig; in einer gewissen Weise zubereitet, erhalten sie die
                              Gesundheit des Individuums, in anderer Weise sind sie völlig unverdaulich, sie
                              können Krankheit und den Tod bewirken. Von diesem Mangel an ihrer Verdaulichkeit
                              schließt in letzteren Fällen Niemand auf eine Untauglichkeit zur Ernährung, eben
                              weil wir den Grund ihrer Schädlichkeit oder geringeren Wirksamkeit für diese Fälle
                              kennen.
                           In dieser Weise verhält es sich mit der sogenannten Mineraldüngung. Wenn das Princip,
                              von dem aus ihre Anwendung entsprungen ist, als eine Wahrheit gilt, so geht aus den
                              bis dahin angestellten Versuchen hervor, daß man die Form, in welcher sie ein
                              Maximum von Wirkung äußern, noch nicht gefunden hat. Niemand bestreitet z.B., daß der Harn der Thiere
                              Bestandtheile enthält, welche für die Vegetation überaus günstig sind, und doch
                              sterben alle Pflanzen ohne Unterschied, wenn sie mit frischem oder gefaultem Harn
                              begossen werden. Hier ist die Concentration Ursache einer schädlichen Wirkung, durch
                              ein einfaches Verdünnen mit Wasser kann sie beseitigt werden.
                           Wenn, die Stoffe zusammengenommen, welche eine Culturpflanze zu ihrer Ernährung aus
                              dem Boden bedarf, in der Form von Mineraldünger dem Boden einverleibt, keine
                              günstige Wirkung auf die Vegetation äußern, so liegt der Grund nicht in ihrer
                              Unwirksamkeit, sondern in dem Mangel unserer Kenntniß der passenden Form oder Zeit,
                              in welcher sie gegeben werden müssen. Das Material ist gut, aber unsere Zubereitung
                              verwerflich.
                           Es ist vollkommen gewiß, daß, jemehr wir in der Zubereitung der künstlichen Dünger
                              uns der Form nähern, in welcher ihre Bestandtheile in den thierischen Excrementen
                              enthalten sind, desto wirksamer diese Stoffe seyn müssen. Ein durch Schmelzung
                              erhaltenes Silicat kann seinem Zustande nach mit dem im verrotteten Stroh
                              enthaltenen nicht verglichen werden.
                           Für den Organismus der Pflanze ist es durchaus nicht gleichgültig, in welcher Form,
                              in welchem Zustande die mineralischen Nahrungsmittel gegeben werden. Käme es auf
                              diese Form nicht an, so würden alle Experimentatoren ein gleiches Resultat erhalten
                              haben.
                           Ich habe auf meinem eigenen Felde wahrhaft überraschende Erfolge bei Anwendung von
                              Bauschutt (Lehm von alten Gebäuden) wahrgenommen und zweifle nicht, daß es gelingen
                              wird, Zusammensetzungen aufzufinden, welche in ihrer Wirksamkeit diesem nicht allein
                              gleichstehen, sondern ihn noch übertreffen.
                           Was nun im Besonderen die Nothwendigkeit der organischen Stoffe als Bestandtheile des
                              Düngers betrifft, so ist von vornherein kein Zweifel, daß die Wirksamkeit der
                              Mineralbestandtheile dadurch erhöht werden muß. Durch ihre Verwesung entstehen
                              Ammoniak und Kohlensäure, zwei Verbindungen, welche den Pflanzen unentbehrlich sind.
                              Ich habe mich durch eine Reihe von Versuchen mit einem an sich höchst unfruchtbaren
                              Boden, welcher keine bestimmbaren Spuren organischer Stoffe enthält, überzeugt, daß
                              die Wirksamkeit der Mineraldünger schon durch Hinzufügung kleiner Mengen von
                              Sägespänen oder organischer Stoffe in auffallendem Grade erhöht, in manchen Fällen
                              um das Doppelte und Dreifache gesteigert wird, und es scheint mir der Hauptgrund der
                              erhöhten Wirksamkeit darin zu liegen, daß durch ihr Vorhandenseyn im Boden in Folge ihrer Verwesung
                              eine Quelle von Kohlensäure geschaffen wird, welche vorzugsweise als Lösungsmittel
                              für die Phosphorsäure, Bittererde und den phosphorsauren Kalk und für die
                              Ueberführung der neutralen kohlensauren Alkalien und alkalischen Erden in
                              Bicarbonate und zur Aufschließung der Silicate dient. Die durch die Luft und den
                              Regen zugeführte Kohlensäure scheint namentlich für alle Sommergewächse nicht
                              ausreichend zu seyn, um in der kurzen Zeit ihres Wachsthums die für ein Maximum der
                              Entwickelung nöthige, verhältnißmäßig große Menge von Mineralbestandtheilen in den
                              löslichen, d.h. in den für die Pflanze geeigneten Zustand zu versetzen. Es ist
                              bekannt, welchen Erfolg für diesen Zweck ein mäßiger Regen schon bewirkt, und es
                              läßt sich daraus ermessen, in welchem Grade seine Wirkung gesteigert werden muß
                              durch Hinzutreten von Kohlensäure, durch welche das Lösungsvermögen des Wassers für
                              die phosphorsauren Erden und kieselsauren Verbindungen um das Hundert-, ja
                              Tausendfache erhöht wird.
                           Ich habe gefunden, daß die Wirksamkeit des thierischen Düngers, welcher organische
                              Stoffe in ungleich größerem Verhältnisse als Mineralbestandtheile enthält, durch
                              Zusatz von Mineraldünger in einem ganz ähnlichen Verhältniß gesteigert wird, daß der
                              Ertrag auch in diesem Falle um das Doppelte und Dreifache zunimmt. Ich glaube, daß
                              diese Thatsachen zu einer Vermittlung der beiden Extreme führen werden.