| Titel: | Ueber Gutta-percha, ihre Abstammung, Eigenschaften, Reinigung am Orte ihrer Gewinnung, ihre Anwendung in der Chirurgie und zu Kapseln für Pockengift; von Thomas Oxlay Esq., Chirurg der Colonie auf der Prinz Wales-Insel, Singapore und Malacca. | 
| Fundstelle: | Band 108, Jahrgang 1848, Nr. LXXXIII., S. 388 | 
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                        LXXXIII.
                        Ueber Gutta-percha, ihre Abstammung,
                           Eigenschaften, Reinigung am Orte ihrer Gewinnung, ihre Anwendung in der Chirurgie und zu
                           Kapseln für Pockengift; von Thomas Oxlay Esq., Chirurg der Colonie auf der Prinz Wales-Insel,
                           Singapore und Malacca.
                        Im Auszug aus dem Edinburgh new philosophical Journal,
                              Jan. 1848.
                        Oxlay, über Gutta-percha.
                        
                     
                        
                           Der Gutta-percha- oder Gutta-Tuban-Baum gehört in die
                              Familie der Sapotaceen, weicht aber von allen bekannten Gattungen derselben ab. Er
                              ist ein 60–70 Fuß hoher Baum von 2–3 Fuß Durchmesser und gleicht im
                              allgemeinen Ansehen der Gattung Durio.
                           Vor kurzer Zeit noch war der Tuban-Baum auf der Insel Singapore sehr
                              verbreitet; aber gegenwärtig sind alle großen Stämme gefällt und fast nur noch junge
                              Pflanzen vorhanden. Uebrigens scheint dieser Baum weit verbreitet zu seyn; so wächst
                              er auf der ganzen malayischen Halbinsel, bis Pinang, auf Borneo und wahrscheinlich
                              den meisten umliegenden Inseln. Am häufigsten findet man ihn an dem Fuße der Hügel
                              auf Strecken angeschwemmten Landes. Dessenungeachtet aber wird die Gutta bald selten
                              werden, wenn bei den Malayen und Chinesen nicht ein zweckmäßigeres Verfahren der
                              Einsammlung eingeführt wird.
                           Um die Gutta zu gewinnen, haut man die ausgewachsenen Bäume nieder, macht in die
                              Rinde in Abständen von 12–18 Zoll ringsum Einschnitte und stellt eine
                              Cocusnußschale, Palmenscheibe etc. unter den gefällten Stamm, um den aus jedem
                              frischen Einschnitt ausschwitzenden Milchsaft aufzufangen. In Bambus gesammelt, wird
                              dieser Saft mit nach Hause genommen und gekocht, um die wässerigen Theile zu
                              entfernen und ihn so zur gehörigen Konsistenz einzudicken. Obwohl dieses Köchen
                              nothwendig zu seyn scheint, wenn man die Gutta in großer Menge sammelt, so wird
                              doch, wenn man einen Baum frisch verwundet, ein wenig Saft ausschwitzen läßt und
                              diesen in der Hand aufsammelt und formt, derselbe in wenigen Minuten ganz fest und
                              erhält vollkommen das Ansehen der präparirten Waare.
                           In ganz reinem Zustande ist die Gutta-percha von graulichweißer Farbe; wie sie
                              aber in den Handel kommt, hat sie einen mehr röthlichen Ton, welcher von
                              Rindenstückchen herrührt, die von den Einschnitten in den Saft fallen und ihm ihre
                              Farbe mittheilen. Außer diesen zufällig einfallenden Rindenstückchen kommen noch
                              absichtliche Beimengungen von Sägespänen und andern Körpern in ihr vor. Einige vor
                              Kurzem zu Markt gebrachte Proben enthielten nicht viel weniger als ein Viertheil an
                              Uneinigkeiten, und selbst die reinste Sorte, welche ich zu chirurgischen Zwecken
                              erhalten konnte, gab beim Reinigen von einem Pfund 2 Unzen Uneinigkeiten.
                              Glücklicherweise aber ist es durchaus nicht schwer, fremdartige Körper in der Gutta
                              zu entdecken, oder sie davon zu reinigen; man braucht sie nur bis zum vollkommenen
                              Erweichen in Wasser zu kochen, dann in dünne Blätter auszurollen und hierauf alle
                              Unreinigkeiten herauszuklauben, was sehr leicht ist, da die Gutta keinem Körper
                              anhängt, und jeder fremdartige Stoff nur von ihren Fasern eingehüllt, aber nicht
                              ihrer Substanz einverleibt ist. Die Gutta, welche man von einem Baum bekommt,
                              wechselt von 5–20 Catties, so daß durchschnittlich 10 Bäume geopfert werden
                              müssen, um 1 Picul Product zu erhalten. Nun beträgt die von Singapore vom 1. Januar
                              1845 an bis jetzt nach Großbritannien und dem europäischen Kontinent ausgeführte
                              Gutta 6918 Piculs, zu deren Gewinnung 69,180 Bäume geopfert werden mußten. Um wie
                              viel besser muß es daher seyn, die Bäume anzuzapfen, wie dieß die Burmesen behufs
                              der Gewinnung des Kautschuks aus der Fiscus elastica
                              machen (dieselben machen nämlich schiefe Einschnitte in die Rinde und fangen den
                              ausfließenden Saft in Bambus auf). Allerdings würde man hiebei von einem Baum nicht
                              so viel auf einmal gewinnen; aber der Gesamtgewinn wäre unberechenbar, da überdieß
                              der Wachsthum dieses Baumes langsam vor sich zu gehen scheint, und bei weitem nicht
                              so rasch wie bei Ficus elastica. Es wäre nicht zu
                              verwundern, wenn bei zunehmendem Absatz und beim Beharren auf diesem ausrottenden
                              Verfahren plötzlich einmal der Bedarf an Gutta-percha nicht mehr geliefert
                              werden könnte.
                           In frischem und reinem Zustand ist die Gutta, wie gesagt, von schmutzigweißer Farbe;
                              sie ist fettig anzufühlen und riecht lederartig. Kochender Alkohol ist ohne
                              Einwirkung auf dieselbe; in kochendem Terpenthinöl und Steinöl löst sie sich aber
                              schnell auf. Eine gute Masse zum Verpichen von Flaschen erhält man nach Dr. Little aus gleichen
                              Theilen Gutta, Steinkohlentheer und Harz; wenn diese Masse sich aber in heißem Klima
                              erhalten soll, so muß man von der Gutta 2 Theile nehmen. Beim Gebrauch kann die
                              Gutta jederzeit wieder plastisch gemacht werden, indem man das sie enthaltende Gefäß
                              ein paar Minuten über das Feuer setzt. Sie ist sehr entzündlich; ein Streifen davon
                              brennt mit glänzender Flamme, sprüht dabei Funken aus und läßt einen dunklen
                              Rückstand abtropfen, dem Siegellack ähnlich, mit welchem überhaupt ihre Verbrennung Aehnlichkeit
                              hat. Die auffallendste Eigenthümlichkeit dieser Substanz aber, weßhalb sie auch so
                              vielfache Anwendung gestattet, ist die Einwirkung kochenden Wassers darauf. Einige
                              Minuten lang in Wasser von 52° R. getaucht, wird sie weich und bildbar, so
                              daß ihr eine beliebige Gestalt gegeben werden kann, die sie beim Erkalten beibehält.
                              Wird ein Streifen von ihr abgeschnitten und in kochendes Wasser gesteckt, so zieht
                              sie sich der Länge und Breite nach zusammen – eine merkwürdige, von der Regel
                              abweichende Erscheinung.
                           Ihre Bildbarkeit in kochendem Wasser macht sie zu so vielfachen Zwecken anwendbar und
                              veranlaßte die Malayen, Peitschen daraus zu verfertigen, welche sie zur Stadt
                              brachten, wodurch man diese Substanz kennen lernte. Hierauf verfertigten die
                              Eingebornen aus ihr auch Eimer, Wasserbecken, Krüge; dann Schuhe, Stränge und andere
                              Hausgeräthe. Einen vorzüglichen Werth hat sie aber für die Chirurgie; ihre
                              Plasticität und die Beibehaltung der Gestalt nach dem Erkalten macht sie zur
                              Verfertigung von Bougies geeignet; deßgleichen von Spritzenröhrchen. Ganz besonders
                              eignet sie sich zur Behandlung von Knochen-Brüchen, zur Erleichterung des
                              Patienten sowohl, als durch Verringerung der Mühe des Wundarztes. Wenn die Gutta
                              auch gar keine andere Anwendung gefunden hätte als diese, wäre sie schon ein
                              schätzbares Geschenk für die Menschheit. Sie legt sich an jede Vertiefung so gut an,
                              daß sie dem Patient beinahe eher als ein neuer Knochen, denn als eine bloße
                              Unterstützung desselben dient. Ein in mein Spital gebrachter Mann, welchem durch den
                              Fußtritt eines Pferdes der untere Kinnbackenknochen in mehrere Stücke zerbrochen
                              wurde, so daß Blut aus den Ohren floß, konnte zehn Tage darauf schon wieder essen
                              und sprechen und befand sich mit seiner Gutta-Schiene so wohl, daß er nach
                              zehn Tagen schon das Spital verließ. Zur Heilung von Beinbrüchen leistet sie
                              ebenfalls vortreffliche Dienste und verdrängt sicherlich alle andere Arten von
                              Schienen und Bandagen. Ich vermuthete, daß sich diese Substanz auch zu Kapseln
                              behufs der Versendung des Pockengifts benutzen ließe, welches sich in denselben
                              wegen ihrer hermetischen Verschließung sehr gut erhalten würde.
                           Wirklich erhielt ich unlängst Nachricht von Penang, daß solche Kapseln aus Gutta gut
                              angekommen waren. Auch öffnete ich eine Kapsel, welche seit einem Monat eine
                              Pockenkruste enthielt; ihr Inhalt hatte dem Erfolg seiner Anwendung gemäß seine
                              volle Wirksamkeit behalten. Bisher war man in Singapore nicht im Stande das
                              Pockengift auch nur einige Tage aufzubewahren, sondern mußte hier manchmal zwei Jahre lang die
                              Wohlthat dieses wichtigen Prophylacticums entbehren.
                           Gegenwärtig bin ich mit Versuchen über die Anwendbarkeit der Gutta bei Geschwüren
                              beschäftigt, indem ich das geschworne Glied mit einem Guttagehäuse umhülle, so daß
                              alle atmospärische Luft ausgeschlossen wird; bis jetzt verspricht der Versuch guten
                              Erfolg.
                           Hr. Hancock sagt in der
                              Beschreibung seines Verfahrens die Gutta zu reinigen, daß dieselbe einen
                              unangenehmen sauren Geruch habe. Allerdings ist die Gutta in reinem Zustande schwach
                              säuerlich, d.h. sie braust mit einer Auflösung von kohlensaurem Natron schwach auf,
                              Aetzkali aber ist ohne Wirkung darauf. Der Geruch, zwar eigenthümlich, ist jedoch
                              weder stark noch unangenehm, und die in Rede stehende Waare muß überaus unrein
                              gewesen seyn und ihre Säuerlichkeit großentheils durch beigemengte Pflanzenstoffe,
                              welche in Gährung übergingen, verursacht worden seyn. Wenn die Gutta unverfälscht
                              ist, so scheint mir das oben angegebene mechanische Verfahren zu ihrer Reinigung
                              ausreichend zu seyn.