| Titel: | Neues Futter für die Seidenwürmer; von V. Repos. | 
| Fundstelle: | Band 109, Jahrgang 1848, Nr. LV., S. 308 | 
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                        LV.
                        Neues Futter für die Seidenwürmer; von V. Repos.
                        Aus dem Moniteur industriel, 1848, Nr.
                              								1248.
                        Repos' Futter für Seidenwürmer.
                        
                     
                        
                           In Avignon, wo ein Theil der Einwohner von der Seiden-Industrie lebt, fiel mir
                              									jederzeit die Unzulänglichkeit des Urstoffs zur Beschäftigung der zahlreichen
                              									Seidenwebstühle auf. Nach längerem Nachdenken über diese Frage kam ich zu der
                              									Ueberzeugung, daß Frankreich dem Ausland mit einer Summe von 60 Millionen Franken
                              									tributär bleiben muß, so lange es der Wissenschaft nicht gelingt, die
                              									Maulbeerblätter für die Seidenzucht entbehrlich zu machen. Obschon man seit
                              									Jahrhunderten versuchte, sie durch allgemeiner und mit weniger Kosten angebaute
                              									Blätter zu ersetzen, so war dieß bisher doch noch nicht gelungen. Ich suchte mit
                              									Hülfe der Chemie diesen Zweck zu erreichen.
                           
                           Das Maulbeerblatt besteht aus: 1) Farbstoff (Chlorophyll); — 2)
                              									Extractivstoff; — 3) Zucker; — 4) Gummi; — 5) einem
                              									eigenthümlichen Harze.
                           Ich ermittelte, wie viel 1 Kil. Maulbeerblätter von diesen Substanzen enthält,
                              									vorzüglich aber von der Harzsubstanz, welche beim Füttern der Seidenwürmer die
                              									Hauptrolle zu spielen scheint.
                           So leicht die Synthese der Bestandtheile dieser Blätter anfangs auch erschien, so
                              									glückte mir die Anwendung derselben doch nicht sogleich, und erst nach zahlreichen
                              									Versuchen lieferten die von mir gezogenen Seidenwürmer in landwirthschaftlicher und
                              									industrieller Hinsicht befriedigende Seide.
                           Ohne eine pflanzliche Unterlage ließ sich dieses Verfahren nicht anwenden; nachdem
                              									ich mit mehreren Blättern Versuche angestellt hatte, blieb ich bei jenen der
                              									Scorzonere stehen, welche man zur Nahrung für Seidenwürmer, jedoch ohne guten
                              									Erfolg, schon früher angewandt hatte. Dieses Blatt enthält ebenfalls Gummi und
                              									Zucker, aber in andern Mengenverhältnissen als die Maulbeerblätter, ferner eine
                              									milchartige Substanz, welche den Würmern nicht schädlich ist; an und für sich
                              									enthält aber diese Pflanze die für die Seidenwürmer erforderlichen Substanzen
                              									nicht.
                           Diesem Mangel der erforderlichen Bestandtheile in der lebenden Pflanze half ich durch
                              									Eintauchen des Scorzonere-Blatts in folgende Flüssigkeit ab:
                           
                              
                                 Wasser
                                 1000
                                 Gramme
                                 
                              
                                 Gepulverter Zucker
                                 30
                                 Gramme
                                 
                              
                                 Gepulverter Gummi
                                 5
                                 Gramme
                                 
                              
                                 Salmiak
                                 2
                                 Gramme
                                 
                              
                                 Maulbeerstengel-Exract
                                 4
                                 Gramme
                                 
                              
                           Dieses Extract ertheilt den damit imprägnirten Scorzonereblättern den ganzen
                              									Geschmack der Maulbeerblätter und das darin in großer Menge enthaltene Harz
                              									unterstützt die Würmer sehr in der Seidenerzeugung; die andern Bestandtheile
                              									befördern dessen Verdauung und Assimilirung.
                           Wenn genannte Substanzen im Wasser aufgelöst sind, schüttet man die Flüssigkeit in
                              									einen Zuber um und befeuchtet damit 20 Kil. Blätter, die man alsdann auf Netze oder
                              									Weidenhürden ausbreitet. Man bereitet die Blätter auf diese Weise am Abend zu, um
                              									sie den Würmern am andern Morgen zu geben.
                           Dieses Verfahren gelang mir vollkommen, unter andern auch in der königl.
                              									Seidenzuchtanstalt zu Neuilly im Jahr 1847, worüber mir  der Güterverwalter Aubert ein Zeugniß ausstellte, demzufolge die
                              									Seidenwürmer bei diesem Futter alle Stadien ihres Lebens gerade so durchmachten, wie
                              									die mit Maulbeerblättern gefutterten, und endlich im besten Zustande aufkrochen. Das
                              									Gewicht der Cocons war ebenfalls nicht verschieden und dieselben haspelten sich sehr
                              									gut ab.
                           Die von Hrn. Robinet mit dem von ihm erfundenen Serimeter
                              									(Seidenmesser) geprüfte Seide ergab in Bezug auf Elasticität und Zähigkeit dieselben
                              									Resultate wie die Seide der mit Maulbeerblättern aufgezogenen Würmer.
                           Den Anbau der Scorzonere anbelangend, wird dieselbe gegen Ende Februars gesäet. Zur
                              									Zeit des Ausschlüpfens der Seidenwürmer (in Frankreich also Mitte Mai) ist das Blatt
                              									3⅔ bis 5½ Zoll lang und zum Pflücken geeignet, 8 Tage darauf können
                              									von derselben Pflanze wieder Blätter abgepflückt werden u. s. f. so viel als man zur
                              									Zucht bedarf.
                           Dieses Verfahren hat außer dem Vortheil, daß es unter allen
                                 										Breiten anwendbar ist, noch den, daß es den Boden nur zwei Monate lang dem
                              									Feldbau entzieht, während der Maulbeerbaum erst nach zehn Jahren seinen vollen
                              									Ertrag liefert.
                           Da die Scorzonere eine zweijährige Pflanze ist, so kann man sie bis zur Reife im
                              									Boden lassen; man hat den Vortheil, mit diesen Blättern zwei
                                 										Züchte machen und die Wurzeln für die Tafel oder als Viehfutter benutzen zu
                              									können. Von einer noch im Herbste zu machenden Zucht will ich gar nicht sprechen; es
                              									leuchtet aber ein, daß eine solche für Leute, die Zeit hätten sich ihr zu widmen,
                              									recht thunlich wäre.
                           Angenommen nun, ein Züchter wolle nach meinem System 125 Gramme oder 4 Unzen
                              									Seidenwürmer ziehen, so würde er dabei folgende Kosten haben:
                           
                              
                                 Pacht einer halben Hektare
                                 50
                                 Francs
                                 
                              
                                 2½ Kilogr. Scorzonere-Samen
                                 10
                                 Francs
                                 
                              
                                 Umarbeiten, Säen und Ausjäten
                                 40
                                 Francs
                                 
                              
                                 80 Tagelöhne für Weiber zum Sammeln und Zubereiten der Blätter etc.
                                 80
                                 Francs
                                 
                              
                                 Ankauf der chemischen Präparate
                                 50
                                 Francs
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––––
                                 
                              
                                 Summa
                                 230
                                 Francs.
                                 
                              
                           Der Seidenzüchter im südlichen Frankreich zahlt, um die gleiche Anzahl, 125 Gramme
                              									Seidenwürmer zu füttern, im Durchschnitt 75 Francs per
                              									Unze, also 300 Francs.