| Titel: | Erscheinungen an der galvanischen Telegraphleitung zwischen München und Augsburg bei Gewittern und daraus abgeleitete Einrichtung zur Abhaltung des Blitzes von den Stationszimmern; von Conservator Steinheil. | 
| Autor: | Dr. Prof. Karl August Steinheil [GND] | 
| Fundstelle: | Band 109, Jahrgang 1848, Nr. LXII., S. 350 | 
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                        LXII.
                        Erscheinungen an der galvanischen
                           								Telegraphleitung zwischen München und Augsburg bei Gewittern und daraus abgeleitete
                           								Einrichtung zur Abhaltung des Blitzes von den Stationszimmern; von Conservator Steinheil.
                        Steinheil, über Abhaltung des Blitzes von den Stationszimmern einer
                           								galvanischen Telegraphleitung.
                        
                     
                        
                           Die Mittheilung des Hr. Dr. Casselmann in dem Mannheimer Gewerbsblatt 1848 „über den Einfluß
                                 										der Gewitter auf die Drähte elektromagnetischer Telegraphen“, dann
                              									der Aufsatz des Hrn. Fardely ebendaselbst „über
                                 										Blitzableiter bei elektrischen TelegraphenPolytechn. Journal Bd. CVIII S. 127 und Bd. CIX S.
                                          													113.“ bringen mir meine eigenen
                              									Erfahrungen an den hiesigen Telegraphleitungen wieder in Erinnerung. Ich übergebe
                              									dieselben hiemit der Oeffentlichkeit, da sie manchem Leser nicht uninteressant seyn
                              									dürften. Die erste Erscheinung dieser Art habe ich am 7. Julius 1838 beobachtet und
                              									in meiner Abhandlung über Telegraphie 1838 S. 23 erwähnt. Sie fand an einer
                              									Doppel-Leitung zwischen München und Bogenhausen statt, welche ziemlich gut
                              									vom Erdboden isolirt war. Vor zwei Jahren ist nun eine weit größere Leitungskette
                              									von München bis Nannhofen 108,000 Fuß lang gezogen worden, deren beide Enden mit dem
                              									Boden communiciren. Das Ende in München schließt mit einem Kupferblech von mehr als
                              									200 Quadrtf. Oberfläche, und ist in einen Brunnen versenkt, das andere Ende in
                              									Nannhofen mit einem eben so großen Zinkblech, welches auf dem Grunde der Maisach
                              									ausgebreitet ist. Diese Leitungskette bildet also eigentlich einen Blitzableiter von
                              									kolossalen Dimensionen und von vorzüglicher Wirksamkeit, da die leitende Verbindung
                              									mit dem Erdwasser vollständig ist. Ich muß noch erwähnen, daß durch die beiden
                              									Endplatten und die sie verbindende Feuchtigkeit der Erde nach der schönen Entdeckung
                              									von Gauß im Jahre 1838, ein galvanischer Strom in der
                              									Leitungskette erzeugt wird, welcher gesäuertes Wasser zersetzt und ausreichend ist
                              									telegraphische Zeichen zu geben, wenn die Kette an irgend einem Punkte unterbrochen wird. Der Strom dieses  Elementes ist sehr constant und
                              									andauernd. Frühere Versuche an einer Kette zwischen Olching und Maisach ergaben nach
                              									1½ Jahren keine merkliche Abnahme. In der Regel wird aber der Strom durch
                              									eine Batterie verstärkt, um rasch hintereinander kräftige Zeichen geben zu können.
                              									Ich habe eine Unterbrechung des Stromes als Mittel zum
                              									Zeichengeben gewählt, weil dieser Telegraph vorzugsweise zur Controle des
                              									Eisenbahndienstes bestimmt ist, und daher jeder Bahnwärter ohne besondern
                              									Erregungsapparat ein Zeichen geben kann, indem er die Kette öffnet. Zugleich aber
                              									bietet dieses Princip den Vortheil, daß der elektrische Funke bei Gewittern keine
                              									Zeichen geben kann, da ohnedieß immer ein Strom durch die Kette geht, der die Anker
                              									der Elektromagnete anzieht. Durch den elektrischen Funken bei Gewittern wird daher
                              									diese Anziehung des Ankers nur vermehrt, also kein Zeichen, kein Abfallen des Ankers
                              									bewirkt.
                           Schon bei sehr entfernten Gewittern in der Richtung der Drahtleitung, die nur tief am
                              									Horizonte als Wolkenbank sichtbar waren, verspürten die an der Leitung beschäftigten
                              									Arbeiter bei Berührung des Drahtes von Zeit zu Zeit heftige elektrische Schläge. Bei
                              									dunkler Nacht sah man während eines entfernten Blitzes viele Funken in den
                              									Multiplicatorrollen von einer Windung zur andern überspringen. Dabei war ein leises
                              									Knistern hörbar und die Funken zeigten sich so zahlreich, daß die Multiplicatorrolle
                              									in phosphorisch ähnlichem Licht erschien. Rückten jedoch die Entladungen der
                              									Gewitter näher, so nahm auch die Erscheinung an Intensität zu. Blitze in der Nähe
                              									der Leitung erzeugten so kräftige Funken der Erdelektricität, daß das Ueberspringen
                              									an den Multiplicatoren mit Knall verbunden war und das Zimmer erleuchtete. Ein
                              									heftiger Blitz, welcher durch die Leitung ging, beschädigte sogar auf eine Strecke
                              									von 2 Stunden Weges acht Bahnwärter in ihren Hütten, indem sie, um Schutz vor dem
                              									Regen zu finden, der Drahtleitung zu nahe gekommen waren. Ein solches physikalisches
                              									Experiment sollte nicht zum zweitenmale stattfinden. Es kam also darauf an, die
                              									Zeichengeber unabhängig zu machen von den Wirkungen der Elektricität in der
                              									Kette.
                           Dazu hatten eigentlich die Wahrnehmungen an den Multiplicatoren den Weg schon
                              									bezeichnet. Der überspringende Funke beweist, daß die Ausgleichung der elektrischen
                              									Spannung lieber die kleine Schlagweite von Umwindung zu Umwindung wählt, als den
                              									Umweg durch den Draht. Ich habe daher schon vor 2 Jahren einen Apparat construirt,
                              									welcher nach diesem Princip die Reibungselektricität in der Hauptleitung erhält und
                              									nicht bis zu den Zeichengebern gelangen läßt, ohne die
                                 										galvanische Leitung zu unterbrechen. Der Apparat trennt also eigentlich  die
                              									Reibungselektricität von dem galvanischen Strome, oder bietet beiden andere Wege.
                              									Folgendes ist seine Einrichtung:
                           Die Hauptleitungskette wird, gleich einem Blitzableiter, über das Stationsgebäude
                              									hinweggeführt, in welchem der Apparat zum Zeichengeben aufgestellt ist. Ueber dem
                              									Gebäude wird nun die Kette durchschnitten und man befestigt an jedem Ende eine
                              									Kupferplatte von etwa 6 Zoll Durchmesser. Die Befestigung der Leitung ist senkrecht
                              									auf die Platte und in ihrer Mitte angebracht. Zwischen die beiden Platten bringt man
                              									einen dünnen Seidenzeug, so daß sie sich in keinem Punkte metallisch berühren und
                              									drückt sie gegen einander. In dieser (also senkrechten) Lage befestigt man durch
                              									isolirende Stützen die Platten auf dem Dach des Hauses und schützt sie vor Regen
                              									durch einen deckenden Kasten. Hiebei ist nun der galvanische Strom gänzlich
                              									abgeschnitten, da er ein unüberwindliches Hinderniß in dem zwischengelegten
                              									Seidenzeug findet. Nicht so die Erdelektricität, welche schon bei geringer Spannung
                              									den Zwischenraum zwischen beiden Platten zu durchbrechen vermag. Um also jetzt den
                              									Zeichengeber in galvanische Verbindung mit der Kette zu bringen oder in diese als
                              									Schleife einzuschalten, befestigt man das eine Ende seines Multiplicators unten an
                              									der einen Kupferplatte, das andere Ende an der andern Kupferplatte. So ist die
                              									galvanische Verbindung zwischen den Endplatten der Kette wieder hergestellt und die
                              									Zeichengeber sind in Wirksamkeit. Durchzuckt aber ein heftiger elektrischer Funken
                              									oder ein Blitz die Kette, so durchbricht er die kleine Schlagweite zwischen den
                              									Platten und verfolgt nicht die dünne Drahtleitung des Multiplicators.
                           Solche Apparate sind seit 2 Jahren bei dem hiesigen Telegraphen in Wirksamkeit. Sie
                              									haben sich bei allen Gewittern als dem Zwecke entsprechend bewährt. Selbst bei
                              									heftigen Schlägen ist an den Multiplicatoren der Zeichengeber weder ein Knistern
                              									noch ein Funkensprühen zu bemerken.
                           München, den 27. August 1848.