| Titel: | Ueber die gegenwärtige Nahrung der Landleute im Vergleich mit jener vor hundertfünfzig Jahren, insbesondere in Frankreich; von Bouchardat. | 
| Fundstelle: | Band 110, Jahrgang 1848, Nr. XXVI., S. 143 | 
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                        XXVI.
                        Ueber die gegenwärtige Nahrung der Landleute im
                           								Vergleich mit jener vor hundertfünfzig Jahren, insbesondere in Frankreich; von Bouchardat.
                        Aus den Comptes rendus, Jul. 1848, Nr.
                              								1.
                        Bouchardat, über die frühere Nahrung der Landleute.
                        
                     
                        
                           Im Folgenden untersuche ich die Nahrung der Feldbau betreibenden Landleute und gebe
                              									die Veränderungen an, welche dieselbe seit 150 Jahren erfahren hat. Der
                              									Vollständigkeit wegen werde ich auch die in der Kleidung und den Wohnungen der den
                              									Feld- und Weinbau betreibenden Landleute eingetretenen Veränderungen angeben.
                              									Speciell beschäftige ich mich mit einem kleinen, dem ehemalig Vezelay'schen Bezirk;
                              									besitze aber auch eine für meine Arbeit vortreffliche Grundlage in der vor
                              									anderthalb Jahrhunderten von Vauban entworfenen Statistik
                              									dieses Bezirks.
                           Die Nahrung der Landleute muß unterschieden werden in die gewöhnliche und eine
                              									außergewöhnliche, welche letztere durch die übermäßige Arbeit bei der Ernte und
                              									Weinlese nöthig wird. Hier habe ich nur die erstere im Auge. Ich theile sie ein in
                              									1) stickstoffhaltige Nahrungsmittel; 2) stärkmehlreiche; 3) Gemüse; 4) Fette; 5)
                              									Getränke.
                           Stickstoffhaltige Nahrungsmittel. — Das gemeine
                              									Volk, sagt Vauban, ißt nur dreimal
                              									im Jahre Fleisch. Es will schon viel sagen, daß das
                              									Fleisch durchaus keinen Bestandtheil der gewöhnlichen Nahrung des Landmanns
                              									ausmachte. Auch heutzutage ist hierin  noch viel zu thun; doch wird im Hanshalte der meisten
                              									Bauern und Winzer wöchentlich zweimal Fleisch gegessen; beinahe immer ist dieß
                              									gesalzenes Schweinfleisch, und auch davon ist die Portion eine sehr kleine, denn sie
                              									beträgt für den Mann an jedem dieser zwei Tage nur 100 bis 150 Gramme (nahezu
                              									6–9 Loth bayerisch), also lange nicht die dem französischen Cavalleristen
                              									bewilligten 285 Gramme (über ½ Pfd. bayer.).
                           Stärkmehlreiche Nahrungsmittel. — Hierunter
                              									verstehe ich jene gemischten, in welchen das Stärkmehl (Satzmehl) vorherrscht, wie
                              									das Mehl der Getreidearten, die Samen der Hülsenfrüchte, das Buchweizenmehl, die
                              									Kartoffel etc. Die in diesen Substanzen enthaltenen stickstoffhaltigen Bestandtheile
                              									spielen eine sehr bedeutende Rolle bei der Ernährung der Landleute, gleichen aber
                              									bei weitem den erwähnten, Mangel an stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln nicht
                              									aus.
                           Weizenbrod war vor 150 Jahren bei den Landleuten beinahe gar nicht im Gebrauch, sie
                              									aßen nur Brod aus einem Gemenge von Gerste und Hafer, welche sie nicht einmal von
                              									der Kleie befreiten. Es gab daher damals Brod, welches man an dem beigemengten
                              									Haferstroh in die Höhe ziehen konnte.
                           Heutzutage ist es nichts Seltenes mehr, auf dem Tische des Landmanns Brod aus purem,
                              									grobgebeuteltem Weizenmehl zu finden; am häufigsten aber wird das Brod aus einem
                              									Gemenge von Weizen, Roggen und bisweilen auch Gerste bereitet. Seit fünfzig Jahren
                              									hat sich der stärkehaltige Theil der Nahrung des Landvolks bedeutend verbessert; die
                              									Kartoffel hat besonders beigetragen, denselben in reichlicherm Maaße zu schaffen;
                              									und doch ist es nicht der größte Dienst, den die Einführung derselben leistete.
                           Gemüse (Légumineux; Obst und
                              									Küchenkräuter). — Neben dem erwähnten Gerstenbrod ernährten sich die
                              									Landleute des ehemaligen Bezirkes Vezelay, wie Vauban
                              									sagt, mit schlechtem, größtentheils wildem Obst und einigen wenigen Küchenkräutern
                              									aus ihrem Garten, welche mit etwas Nußöl oder Rüböl, größtentheils ohne oder mit
                              									sehr wenig Salz, in Wasser gekocht wurden. Wohl machen auch jetzt noch Obst und
                              									Küchenkräuter einen nicht unbedeutenden Theil von der Nahrung der Landbewohner aus;
                              									allein hierin sind große Fortschritte gemacht worden. Die Landleute überkommen aus
                              									den Gärten der ihnen nahe gelegenen größern Städte Vortheil im Anbau und bessere
                              									Sorten, welche jetzt überall an die Stelle des vor 150 Jahren beinahe ausschließlich
                              									verzehrten Holzobsts getreten sind.
                           Fette. — Man kann von der Kost die
                              									stärkmehlhaltigen Nahrungsmittel, oder das magere Fleisch, oder die Gemüse
                              									abwechselnd weglassen; 
                              									die fetten Körper aber können ohne sehr großen Nachtheil nicht weggelassen werden;
                              									wirklich bilden sie auch zu jeder Zeit und täglich, heutzutage wie vor 150 Jahren, einen
                              									Bestandtheil der Nahrung der Landleute. Die Fettkörper, welche dieselben vor 150
                              									Jahren verzehrten, waren Nuß- und Rüböl. Auch jetzt werden letztere noch
                              									häufig angewandt zur Bereitung von Suppen mit stärkehaltigen Nahrungsmitteln oder um
                              									die Gemüser nahrhafter zu machen. Andere Fettkörper, deren sich der Ackersmann und
                              									Winzer früher nur ausnahmsweise bediente, kommen jetzt täglich auf ihren Tisch. Die
                              									Butter, der Rahm, welche beinahe ausschließlich nach der Stadt verkauft wurden,
                              									werden jetzt großentheils schon auf dem Lande verzehrt. Ein anderer Fettkörper,
                              									welcher allgemeiner wurde und zum Wohlseyn des Landvolks sehr viel beigetragen hat,
                              									ist der Speck und das Schmalz der Schweine.
                           Vor 150 Jahren war, nach Vauban, die Anzahl der Schweine
                              									noch eine sehr beschränkte. Man fand dieselben in größerer Menge nur in Dörfern,
                              									welche in der Nähe von Waldungen liegen und wo die gesammelten Eicheln einen Theil
                              									ihres Futters lieferten. Diese Thiere reichten kaum für den Bedarf der Städte hin;
                              									auf dem Lande selbst verzehrte man nur sehr wenige. Heutzutage kommen meistens
                              									fünfmal in der Woche Schweinespeck und -Schmalz an die Speisen unserer
                              									Landleute. Seit der größern Verbreitung der Kartoffel ziehen die meisten sehr
                              									kleinen Landeigenthümer Schweine, was, man muß es anerkennen, eine der größten
                              									Wohlthaten des Kartoffelbaues ist. Ausschließlich zur Nahrung des Menschen
                              									angewandt, dient die Kartoffel, um eine elende, der Hungersnoth und Krankheiten
                              									ausgesetzte Bevölkerung zu unterhalten; in großem Maaße aber zum Füttern der
                              									Schweine und anderer Hausthiere angewandt, beförderte sie hauptsächlich das größere
                              									Wohlbefinden der Landbewohner.
                           Nährende Getränke. — Der Landmann consumirte früher
                              									im eigenen Hause ganz wenig Wein. Wie konnte er auch anders, da er keinen Weinberg
                              									besaß und ein Fünftheil der Weinberge brach lag. Auch heutzutage vertrinkt der
                              									Landmann und selbst der Weinbauer mit seiner Familie bei weitem nicht so viel Wein
                              									als sie eigentlich bedürften. Doch findet auch hierin ein steter Fortschritt statt,
                              									der hoffentlich nicht abnehmen wird.
                           Allgemeine Bemerkungen. — Die stickstoffhaltigen
                              									Nahrungsmittel, welche der Landmann verzehrt, mit Inbegriff der in den
                              									stärkehaltigen Substanzen und Gemüsen enthaltenen, vertreten noch bei weitem nicht
                              									die 154 Gramme trockener stickstoffhaltiger Substanz, welche in der Rormalkost des
                              									französischen Reiters enthalten sind und 22,5 Gr.  Stickstoff enthalten. Der
                              									Wasserstoff und Kohlenstoff der Fettkörper, der Stärkmehlsubstanzen, der Gemüse und
                              									Früchte, vertreten die 328 Gram. Kohlenstoff der Normalkost und darüber. Sie sollen
                              									den Mangel an stickstoffhaltiger Nahrung ersetzen. Aus meinen Arbeiten über die
                              									Verdauung der FettkörperAnnuaire de thérapeutique, 1845. geht
                              									nämlich hervor, daß letztere durch den Sauerstoff in höherem Grade oxydirt werden
                              									als die stickstoffhaltigen Substanzen. Ich habe seitdem die wichtige Beobachtung
                              									gemacht, daß der der freien Luft und der Sonne bei mühsamen Feldarbeiten ausgesetzte
                              									Landmann die stärkehaltige Speise viel besser verarbeitet als der Städter. Ich
                              									machte diese Beobachtung bei Gelegenheit meiner Untersuchungen über die
                              									Harnruhr.
                           Wohnungen. — Die Häuser waren vor 150 Jahren auf
                              									dem Lande beinahe alle von der rohesten Bauart, und die Gebäude für das Vieh,
                              									welches von der eigentlichen Wohnung oft kaum gesondert war, unzureichend. Auch
                              									heutzutage ist an den Wohnungen der Landleute noch viel zu tadeln und die
                              									Nebengebäude für das Vieh nebst ihrem Zubehör sind in der Regel zu beschränkt; doch
                              									ist, wenn man die seit 30 Jahren eingetretenen Veränderungen berücksichtigt, nicht
                              									zu verkennen, daß mit jedem Jahre die Wohnungen der Landleute bequemer und gesunder
                              									werden.
                           Kleidung. — Vor 150 Jahren war die Kleidung der
                              									Landleute nicht besser als ihre Nahrung. Drei Viertheile derselben waren zur
                              									Winter- wie zur Sommerzeit in halb verfaulte und zerrissene Leinwand
                              									gekleidet. Die Kleidung ist jetzt besser als ehedem; die meisten Landleute tragen
                              									dauerhafte, im Inland verfertigte Zeuge, worunter viel wollene; die Kinder gehen
                              									weniger nackt. Die Kleider der Frauen werden in jedem Jahre mannichfaltiger und
                              									gewählter.
                           Betrachtungen. — Dem Vorausgehenden zufolge würde
                              									der städtische Arbeiter, auf das Land versetzt, die Nahrung grob und unzureichend,
                              									die Kleidung erbärmlich finden. Aber die Arbeiten auf dem Lande werden auch in jedem
                              									Jahr nur einmal und immer zu derselben Zeit, also regelmäßig unterbrochen und fremde
                              									Concurrenz hat nur einen unbedeutenden Einfluß auf dieselben, wodurch die Arbeiter
                              									der Grundeigenthümer in bedeutendem Vortheil gegen die Fabrikarbeiter sind.
                           Vor 150 Jahren lebten 8486 Personen erbärmlich oder starben vor Hunger oder Kälte auf
                              									demselben Stück Landes, welches heutzutage deren 17,124 in einem gegen den damaligen
                              									bewunderungswürdigen 
                              									Wohlbefinden ernährt. Doch zeigt eine aufmerksame Prüfung des gegenwärtigen
                              									Zustandes, daß noch viele Verbesserungen ins Werk zu setzen sind.