| Titel: | Ueber künstliche Befruchtungen behufs der Fischzucht — über Lachszucht insbesondere — von A. v. Quatrefages. | 
| Fundstelle: | Band 110, Jahrgang 1848, Nr. LXXII., S. 387 | 
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                        LXXII.
                        Ueber künstliche Befruchtungen behufs der
                           								Fischzucht — über Lachszucht insbesondere — von A. v.
                              								Quatrefages.
                        Aus den Comptes rendus Octbr. 1848, Nr.
                              								17.
                        Quatrefages, über künstliche Befruchtungen behufs der
                           								Fischzucht.
                        
                     
                        
                           Die Anwendung der bisher beinahe ausschließlich den feinsten physiologischen
                              									Untersuchungen vorbehaltenen künstlichen Befruchtungen behufs der Fischzucht würden
                              									sicherlich zu dem gewünschten Resultate führen.
                           Die Fruchtbarkeit ber Fische ist bekannt. Aus Versuchen mehrerer Naturforscher geht
                              									hervor, daß ein mittlerer Barsch 69,216 Eier enthält; ein Hecht von 10 Kilogr.
                              									enthielt deren 166,400; in einem etwas über 1 Kilogr. wiegenden Karpfen wurden deren
                              									167,400 gezählt, und in einem andern 4½ Kilogr. schweren Individuum derselben
                              									Species 621,600. Rousseau gibt die Eieranzahl eines Störs
                              									zu 7,635,200 an und Leuwenhoeck zählte in einem einzigen
                              									Stockfisch 9,344,000.
                           
                           Hienach muß man sich verwundern, daß die Anzahl der Fische nicht beträchtlicher ist.
                              									Es läßt sich dieß vielleicht durch Betrachtung der Hindernisse, welche der
                              									Entwickelung dieser Myriaden von Keimen entgegenstehen, erklären. Bekanntlich findet
                              									bei den meisten Fischen keine Begattung statt. Zur Laichzeit suchen zwar die
                              									Männchen und die Weibchen (Milchner und Roger) die zur Entwickelung der Eier
                              									geeigneten Plätze auf; aber die Eier werden gelegt und die befruchtende Flüssigkeit
                              									wird abgegeben, ohne daß eine Annäherung der Geschlechter die Berührung jener beiden
                              									Elemente sichert. Die Befruchtung ist eine ganz zufällige und in Folge davon geht
                              									eine Unzahl von Eiern zu Grunde ohne befruchtet worden zu seyn. Ueberdieß wird der
                              									Laich der Weibchen sehr oft im Augenblick wo sie ihn von sich lassen, theils von
                              									gefräßigen Individuen, theils von den Eltern selbst verzehrt. Endlich geht der nahe
                              									an das Ufer unserer Flüsse und Teiche gelegte Laich sehr oft zu Grunde wenn das
                              									Wasser fällt und er daher auf das Trockne kömmt.
                           Künstliche Befruchtungen würden allen diesen Ursachen des Zugrundegehens der Eier ein
                              									Ende machen und die Anwendung dieses Verfahrens hätte keine Schwierigkeit; man
                              									braucht nur in irgend ein Gefäß den reifen Rogen einer gewissen Anzahl Weibchen mit
                              									so viel Wasser zu bringen, daß wenn man das Wasser umrührt, die Eier frei
                              									herumschwimmen können, dann in dasselbe Gefäß die Milch eines Fischmännchens zu
                              									rühren. In einigen Augenblicken ist, wenn die Eier recht reif und die befruchtende
                              									Flüssigkeit genügend ausgearbeitet war, die Befruchtung vor sich gegangen und alle
                              									Eier sind befruchtet. Ob die Fische, mit welchen man den Versuch anstellt, obige
                              									Bedingungen erfüllen, erkennt man daran, daß wenn man den Unterleib von vorn nach
                              									hinten schwach zusammendrückt, das Product der Fortpflanzungsorgane leicht
                              									herausgeht. Die einmal befruchteten Eier müssen an einen ihrer Entwickelung
                              									günstigen Ort gebracht werden und hier zeigen sich Erfordernisse, welche nach der
                              									Species, womit man es zu thun hat, verschieden sind. Die Eier der Teich- oder
                              									Weiherfische erfordern keine großen Vorkehrungen; sie brauchen nur an einen Ort
                              									gelegt zu werden, der einen Boden von Wasserpflanzen hat und dessen Wasser ruhig und
                              									nicht sehr tief ist. Ferner sind sie auf irgend eine Weise, z. B. mittelst
                              									Gitterwerk, gegen die Angriffe ihrer Feinde zu beschützen. Die Eier der Fische
                              									fließender Wässer hingegen sind etwas schwieriger zu ziehen; folgendes ist jedoch
                              									ein sehr einfaches, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts von einem Deutschen, dem
                              									Grafen Golstein, mit gutem Erfolg angewandtes Verfahren,
                              									Lachse zum Auskriechen zu bringen: man verschafft  sich einen 12 Fuß langen und 14
                              									bis 13 Zoll breiten Kasten mit beweglichem Deckel, an dessen beiden Enden eine
                              									Oeffnung von 6 Zoll im Gevierte frei blieb, die mit einem engen Gitter verschlossen
                              									wird. Auf den Boden dieses Kastens legt man recht saubern Sand und Kies und stellt
                              									diese Vorrichtung an das Ufer eines Bachs, so daß ein ungefähr 1 Zoll dicker
                              									Wasserstreifen langsam hindurchlauft. Man hat auf diese Weise einen künstlichen
                              									Bach, der vor jedem äußerlichen Anfall geschützt ist. Man breitet nun auf den Kies
                              									befruchtete Lachseier aus, setzt den Deckel wieder auf und reinigt von Zeit zu Zeit
                              									die Eier, indem man das Wasser mit dem Bart einer Feder etwas umrührt, um die
                              									geringste Ablagerung von Schlamm zu verhüten, welcher, wenn er sich auf ihrer
                              									Oberfläche anlegt, den Erfolg vernichten könnte. Nach Verlauf von 30 bis 40 Tagen,
                              									je nach der Temperatur, schlüpfen die kleinen Sälmlinge aus den Eiern. Eine Zeit
                              									lang leben sie im Kasten fort; später verlassen sie ihn um in den anliegenden Bach
                              									zu gelangen, der in einen Weiher oder Teich münden soll. Ist letzterer zweckmäßig
                              									angelegt, so bleiben die Sälmlinge darin und entwickeln sich weiter. Graf Golstein versichert, in einem einzigen Versuche 430
                              									Sälmlinge erhalten zu haben, mit welchen er mehrere Fischteiche mit Brut versah. Es
                              									versteht sich, daß dieses Verfahren zur Zucht aller Fische von fließendem Wasser
                              									angewandt werden kann.
                           Das Vorhergehende liefert, wenn ich nicht irre, die erforderliche Anleitung zur
                              									Gründung eines ganz neuen Industriezweigs. Die kleinen Lachse kommen bis zum Alter
                              									von 2–3 Jahren im Süßwasser recht gut fort; sie haben nun eine Länge von
                              									1–1½ Fuß erreicht und sind wegen der Vortrefflichkeit ihres Fleisches
                              									sehr geschätzt. Diese in Schottland wohlbekannten Thatsachen veranlaßten, daß man
                              									suchte die Lachse dahin zu bringen, in Teichen zu laichen, worin die kleinen Lachse
                              									zum Verkaufe aufgezogen werden. Dieser Zweck wurde dadurch erreicht, daß man die
                              									Quellbäche canalisirte, die in große Flüsse, welche die Lachse heraufkommen,
                              									einmünden. Mittelst sehr kostspieliger Arbeiten zerlegte man Wasserfälle, die zu
                              									hoch waren, als daß die Fische darüber kommen konnten, in kleinere Gefälle, über
                              									welche diese Fische leicht gelangen. Durch Verbindung dieser verschiedenen Mittel
                              									gelang es, Lachse in Gegenden zu führen, wohin sie früher niemals gelangten, und bis
                              									in Bassins, welche zur Entwickelung der Jungen besonders eingerichtet waren.
                              									Künstliche Befruchtungen, die Versendung von Sälmlingen, welche man in der Nähe der
                              									Fischereien auskriechen ließe, würden alle diese Unkosten überflüssig und überdieß
                              									die Zucht dieser Fische sogar an Orten möglich machen, die von jenen, wo die Lachse
                              									von Natur aus  hingehen,
                              									wenn sie sich vom Meer in das Süßwasser begeben, sehr entfernt liegen.
                           Es ist nämlich zum Gelingen der Befruchtung nicht nöthig, daß die angewandten Fische
                              									noch lebend seyen. Graf Golstein befruchtete, und zwar
                              									mit dem besten Erfolge, die Eier einer schon seit vier Tagen todten Forelle.
                              									Wahrscheinlich behält auch die befruchtende Flüssigkeit der Männchen ihre Kraft noch
                              									lange nach dem Tode bei. Wenigstens überzeugte ich mich davon oft bei wirbellosen
                              									Thieren. Ferner ernähren sich die kleinen Fischchen nach ihrem Ausschlüpfen noch
                              									ziemlich lange auf Kosten der dotterähnlichen Substanz in ihren Eingeweiden.
                              									Namentlich scheinen die Lachse erst nach vier bis sechs Wochen von außen her
                              									kommender Nahrung zu bedürfen. Man sieht, daß das besprochene Verfahren auch noch
                              									den Vortheil gewährt, daß es die Verbreitung der Species begünstigt. Unsere Flüsse,
                              									Teiche und Seen könnten leicht mit Fischspecies bereichert werden, welche wegen der
                              									Güte ihres Fleisches oder ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit geschätzt sind. Die
                              									Naturalisation fremder Fische ist noch wenig versucht worden, und doch hätte der
                              									Erfolg einiger damit angestellter Versuche dazu ermuthigen sollen. Der chinesische
                              									Gurami wurde in den Teichen von Isle de France und Cayenne naturalisirt. Von China
                              									erhielten wir auch die in unsern Bassins so bekannten rothen Fische (Goldfische, cyprinus auratus) Selbst der heutzutage in ganz Europa
                              									verbreitete Karpfe stammt sehr wahrscheinlich aus Persien. Zuerst im südlichen
                              									Europa eingeführt, kam er erst im Mittelalter bis nach Preußen, welches gegenwärtig
                              									beträchtlichen Handel damit treibt. Erst im Lauf des 16ten Jahrhunderts wurde er in
                              									England und Dänemark eingeführt; später in Schweden und Rußland, deren strenge
                              									Winter er, wenn auch etwas an seiner Größe verlierend, sehr gut verträgt.
                           Die Anwendung der durch Erfahrung vervollkommneten künstlichen Befruchtung, wird
                              									sicher dereinst der Industrie der Fischteiche einen Vorschub in einer ganz neuen
                              									Richtung geben und den jetzt unregelmäßigen und höchstens alle drei Jahre
                              									wiederkehrenden Ertrag zu einem jährlichen machen. Es ist nämlich bekannt, daß zur
                              									Wiederbevölkerung eines ausgefischten Teichs wenigstens drei Jahre Ruhe erforderlich
                              									sind. Um diesem großen Uebelstand abzuhelfen, müßte der Teich in drei bis vier
                              									Abtheilungen von ungleicher Größe gesondert werden, welche unter sich mittelst
                              									Schleußen in Verbindung stünden. Die kleinste dieser Abtheilungen würde dazu
                              									bestimmt, die Eier auskriechen zu lassen und die Fischbrut zu ziehen; alle Jahre
                              									würden die Fische von einer Abtheilung in die andere gejagt, bis zur letzten, die so
                              									alle Jahre völlig ausgefischt  und gleich darauf wieder mit Fischen aus der vorletzten
                              									Abtheilung besetzt werden könnte. In Behältern, welche an den Seiten angebracht
                              									wären, könnte man übrigens noch Fische aufbewahren, die man ein höheres Alter
                              									erreichen lassen will.