| Titel: | Ueber das Mengenverhältniß des Wassers und des Holzstoffes im Getreide und dessen Producten, insbesondere der Kleie; von E. Millon. | 
| Fundstelle: | Band 111, Jahrgang 1849, Nr. LXXVIII., S. 387 | 
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                        LXXVIII.
                        Ueber das Mengenverhältniß des Wassers und des
                           Holzstoffes im Getreide und dessen Producten, insbesondere der Kleie; von E. Millon.
                        Aus den Comptes rendus, Januar 1849, Nr.
                              2.
                        Millon, über das Mengenverhältniß des Wassers und des Holzstoffes
                           im Getreide.
                        
                     
                        
                           Das Wasser und der Holzstoff sind fast die einzigen unwirksamen Bestandtheile der
                              Getreidearten; unsere Organe assimiliren dieselben nicht, und wenn man weiß wie viel
                              sie betragen, so ergibt sich durch Differenz auch das Mengenverhältniß des im Getreide, Mehl,
                              Brod und der Kleie enthaltenen Nahrungsstoffes.
                           Hierüber sind aber noch niemals nach einer gleichmäßigen und richtigen Methode
                              Bestimmungen angestellt worden, daher man, wenn man aus dem Wasser- und
                              Holzstoffgehalt sichere Aufschlüsse über die Güte der Getreidearten und ihrer
                              Hauptproducte schöpfen will, sogleich in Verlegenheit geräth.
                           Die rindenartige Hülle des Getreides besteht aus Holzstoff, welchem die andern
                              assimilirbaren Bestandtheile so fest adhäriren, daß sie durch kein mechanisches
                              Mittel davon getrennt werden können. Die Kleie, welche man deßwegen bei Seite thut,
                              enthält immer etwas Stärke, welche einer Seite des Häutchens eine weiße Farbe
                              ertheilt, und durch bloßes Waschen mit kaltem Wasser zum Theil davon abgelöst
                              wird.
                           Da sich der Holzstoff nicht verdaut, so opfert man die ihm anhängende nahrhafte
                              Substanz, um nicht die Eingeweide mit einer trägen Substanz zu beschweren. Es wird
                              sonach eine Quantität Kleie entfernt, welche nach den Umständen 10, 15, 20, bis 25
                              Gewichtsprocente des rohen Mehls beträgt.
                           Durch diese Absonderung der Kleie, das Beuteln genannt,
                              verliert man viel vom Gehalt des Getreides. Die Kleie hat nämlich, im Verhältniß zum
                              Getreide, einen äußerst geringen Werth; sie eignet sich nicht zur menschlichen
                              Nahrung, sondern nur zum Viehfutter. Daraus folgt, daß je stärker ein Mehl
                              gebeutelt, desto höher sein Preis ist; der Preis des Brodes wird ebenfalls um so
                              höher. Es versteht sich also, daß man, um wohlfeiles Brod zu erzeugen, das Mehl in
                              geringerem Grade beuteln muß. So wird in den Militär-Proviantanstalten das
                              Mehl des weichen Getreides zu 15, das des harten Getreides zu 5 Procenten gebeutelt.
                              An mehreren Orten wird das geringere Brod nach dem in größerem oder geringerem Grade
                              vorgenommenen Beuteln taxirt.
                           Diese Praxis ist gut, wenn die Kleie wirklich beseitigt werden muß; aber auch dann
                              würde es eine stete Ueberwachung erfordern; die Beutelung müßte vorschriftsgemäß aus
                              dem beabsichtigten Fuß geschehen; wie kann man sich aber dessen versichern? Wie kann
                              man sich nach dem fertigen Brod von der aus dem rohen Mehl entfernten Menge Kleie
                              überzeugen? Ferner enthält das Getreide so abweichende Mengenverhältnisse von Kleie,
                              daß an manchen Orten eine Beutelung von 10 Procenten noch mehr Kleie im Mehl läßt,
                              als an anderen eine von 5 Procenten.
                           
                           Um die Lösung dieser Schwierigkeiten bemüht, verfiel ich auf einen Umstand, welcher
                              der Sache ein ganz anderes Ansehen gibt. Ich fand nämlich, daß das Mengenverhältniß
                              des Holzstoffs im Getreide sehr übertrieben wurde. Man ging bis jetzt beim Beuteln
                              im allgemeinen von der Ansicht aus, daß das rohe Mehl eine so große zur Ernährung
                              gar nicht beitragende Menge Zellensubstanz (Cellulose) enthalte, daß sie um jeden
                              Preis entfernt werden müsse, um ein besseres Brod zu erzielen. Untersucht man aber
                              die positiven Thatsachen, auf welchen diese Annahme beruht, so findet man dafür
                              keine genügende Autorität.
                           Boussingault's ausgezeichnetes
                              Werk ist das einzige, in welchem ich eine glaubwürdige Angabe über das Verhältniß
                              der Holzsubstanz fand; er schlägt sie zu 7,5 Gewichtsprocenten des Getreides an.
                              Allerdings habe ich hierüber auch widersprechende Angaben gefunden; aber nur die von
                              Boussingault ist verläßlich. Es mögen mir einige
                              Quellen entgangen seyn; allein man wird mir zugeben, daß noch keine Angabe über
                              diesen wichtigen Gegenstand sich einen classischen Werth errungen hat und wäre es
                              auch der Fall, so hat sie noch keinen Einfluß auf unsere Behandlung des Getreides
                              gehabt, wobei man von einem großen Gehalt des rohen Mehls an Holzsubstanz oder
                              träger Materie ausgeht. Eine einzige Analyse, die des Hrn. Boussingault, konnte in dieser Hinsicht auch
                              nicht genügen; wirklich erhielt ich bei meinen Analysen von Getreide der
                              verschiedenartigsten Beschaffenheit von 7,5 Proc. weit abweichende Resultate. Das
                              größte Verhältniß von Holzsubstanz, welches ich in Mehlen von weichem (französ.)
                              Getreide fand, betrug nicht über 2,38 und das harte Getreide lieferte mir gar nur
                              1,25 Procente.
                           Nach sorgfältigem Studium des Verfahrens zur quantitativen Bestimmung der
                              Holzsubstanz analysirte ich verschiedene Kleiensorten und fand darin 8 bis 10
                              Procente, aber nie mehr.
                           Hierauf suchte ich die durch das Beuteln mitgerissene und in Form von Kleien
                              abgesonderten Stoffe zu erforschen. Ich bestimmte den Stickstoffgehalt, welcher in
                              der Kleie etwas größer ist als im Mehl, und freute mich, hier meine Resultate mit
                              denen Boussingault's
                              übereinstimmen zu sehen. Um mich zu überzeugen, daß die Kleie viel Kleber (Gluten)
                              enthalte, zog ich letzteren mittelst Essigsäure in Natura aus. Auch zog ich mittelst
                              Alkohols eine sehr beträchtliche Menge Glutins (Gliatin, Pflanzenleim) aus der
                              Kleie. Nach und nach unternahm ich eine ziemlich vollständige Analyse der Kleie,
                              deren Resultat folgendes ist:
                           
                           Kleie von zartem (französ.) Getreide vom Jahr
                                 1848. (Departement des Nordens.)
                           
                              
                                 Stärke, Dextrin und Zucker
                                 53,0
                                 
                              
                                 Süßholzzucker
                                 1,0
                                 
                              
                                 Kleber
                                 14,9
                                 
                              
                                 fette Materie
                                 3,6
                                 
                              
                                 Holzstoff
                                 9,7
                                 
                              
                                 Salze
                                 0,5
                                 
                              
                                 Wasser
                                 13,9
                                 
                              
                                 krustenbildende und aromatische Stoffe
                                    (durch              Differenz)
                                 3,4
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 100,0
                                 
                              
                           Der aus dieser Analyse zu ziehende Schluß ist sehr einfach: die
                                 Kleie ist eine wesentlich nahrhafte Substanz. Wenn sie einerseits 6 Procent
                              Holzstoff mehr enthält als das rohe Mehl, so enthält sie andererseits mehr
                              stickstoffreiche Substanz, noch einmal so viel Fettsubstanz und überdieß zwei
                              aromatische Stoffe, deren einer an den Honiggeruch erinnert und welche beide dem
                              feinen Mehl abgehen. Durch das Beuteln wird also das Getreide ärmer an Stickstoff,
                              an Fett, an Stärkmehl, an aromatischen und schmackhaften Stoffen gemacht, um ein
                              paar Tausendstel Holzstoff zu beseitigen.
                           Entspricht es übrigens den Grundsätzen der Gesundheitslehre und der Physiologie,
                              alles vom Magen fern zu halten, was einen Rückstand darin lassen kann? Hat denn der
                              Bissen unserer Nahrung nicht die ganze Darmröhre entlang zu wandern und bis an deren
                              Ende einen unassimilirbaren Theil zu bringen? Findet man endlich im feinen Mehl ein
                              so vollkommenes Nahrungsmittel wie im rohen Mehl? Ich glaube nicht, und erinnere nur
                              daß bei Magendie's Versuchen
                              ein Hund, der nach Belieben Weißbrod aus reinem Weizen zu fressen bekam, nach 50
                              Tagen starb, während ein anderer, ausschließlich mit Schwarzbrod gefütterter Hund
                              sich sehr wohl befand und nicht die mindeste Störung seiner Gesundheit erlitt.
                           Die ökonomische Lösung des Problems bestünde darin, Kleie und Grütze noch einmal zu
                              mahlen und dem feinen Mehl zuzusetzen. Wiederholte Versuche überzeugten mich, daß so
                              bereitetes Brod von besserer Qualität, gut zu verdauen ist und die Mängel des Brodes
                              aus rohem Mehl, wie es in manchen Gegenden, namentlich in Belgien bereitet wird,
                              nicht besitzt.