| Titel: | Mittheilungen über preußisches Artilleriewesen, über Gewehr- und Pulverfabrication. | 
| Autor: | E. S. | 
| Fundstelle: | Band 113, Jahrgang 1849, Nr. VIII., S. 22 | 
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                        VIII.
                        Mittheilungen über preußisches Artilleriewesen,
                           über Gewehr- und Pulverfabrication.
                        Mittheilungen über preußisches Artilleriewesen, über Gewehr-
                           und Pulverfabrication.
                        
                     
                        
                           Es dürfte jetzt, wo die preußische Armee mehrfach auf dem Kriegstheater erschienen
                              ist, nicht ohne Interesse seyn, obige Mittheilungen, die ihrer Natur nach und dem
                              über solche Gegenstände beobachteten officiellen Schweigen gegenüber keinen Anspruch
                              auf Vollständigkeit machen können, zu vernehmen. Die Richtigkeit der folgenden
                              Angaben wird verbürgt.
                           Preußen besitzt 34 Artilleriedepots, mit Einschluß des Feuerwerklaboratoriums, zwei
                              Pulverfabriken, zu Spandau und Neiße, sechs Gewehrfabriken zu Saarn, Neiße, Potsdam,
                              Danzig, Sömmerda und Suhl, und zwei Geschützgießereien zu Berlin und Breslau.
                           Die Anzahl der Artilleriegebäude und Verwahrungsörter beträgt gegen 1600; auf jedes
                              derselben kommen jährlich im Durchschnitt 30 Rthlr. zur baulichen Instandhaltung. In
                              den Depots befindet sich ein Vorrath von prptr. 1
                              Million kleiner Feuer- und Hiebwaffen und außerdem die gesammten Vorräthe an
                              Kriegsmaterial für die Feld- und Reserveartillerie, den Reservemunitionspark
                              und für die Festungs- und Belagerungsartillerie. Es gehören hierzu außer der
                              großen Masse des anderweiten Materials, allein circa 19,000 Laffeten, Protzen, Wagen
                              und Maschinen, und es beträgt der Werth dieser Vorräthe, excl. Pulver
                              und Handwaffen, über 13 Millionen Thaler. Auf jede 100 Rthlr. Geldwerth kommen etwa
                              4 1/2 Sgr. Instandhaltungsgelber, während für Instandhaltung jeder kleinen
                              Feuer- und Hiebwaffe jährlich etwa 4 1/3 Pfennige zu rechnen sind. Die
                              Erhaltung der Vorräthe in den Depots erfordert einen jährlichen Aufwand von 20,000
                              Thaler.
                           Zur speciellen Verwaltung der in den Artilleriedepots niedergelegten Vorräthe an
                              Streitmitteln aller Art, sowie zur Führung der Rechnungen über dieselben und der zu
                              ihrer Erhaltung und Vervollständigung verausgabten Gelder ist in jedem
                              Artilleriedepot ein besonderes Zeughauspersonal angestellt, welches nach Maaßgabe
                              des Umfangs der Geschäfte aus einem oder einigen Zeug-Officieren,
                              Zeugschreibern, Zeugdienern und einem Zeughausbüchsenmacher besteht. Für geheim zu
                              haltende Gewehr-Erfindungen sind zwei Oberbüchsenmacher mit einem Jahrgehalt
                              von 1000 und 1200 Rthlr. auf Lebenszeit angestellt. Den Geschützgießereien stehen
                              zwei Gießdirectoren vor.
                           Die Pulverfabriken werden beide für Rechnung des Staates verwaltet. Das Personal zur
                              Verwaltung und zur Beaufsichtigung und Leitung des Betriebs besteht in jeder dieser
                              Fabriken aus: 1 Hauptmann als Director, 1 Lieutenant als Assistenten, 1 Rendanten, 1
                              Betriebs-Inspector, und 1 Materialienschreiber. Der Etat ist auf ein
                              jährliches Fabricationsquantum von 5100 Centner Pulver berechnet, welche zu den
                              Uebungen der Truppen, zu Versuchen und zum Ersatz des Abganges bei der Verarbeitung
                              und Aufbewahrung bestimmt sind. Mit dem verbleibenden geringen Ueberschuß werden
                              successive die Vorräthe für den Krieg complettirt. Der Centner kostet dem Staate
                              etwa 20 4/5 Rthlr., einschließlich der kostbaren baulichen Instandhaltung der
                              ausgedehnten Fabrik-Etablissements. Nach Maaßgabe des Einkaufspreises der
                              Pulvermaterialien, besonders des Salpeters, werden indeß hierbei noch Ersparungen
                              gemacht und bestimmungsmäßig zur Erweiterung der Betriebsanlagen für einen
                              Kriegsfall auf die Herstellung von 10,000 Centner jährlich, und zur Vermehrung der
                              Salpetervorräthe bis auf den Bedarf eines Kriegsjahres verwendet.
                           Von den Gewehrfabriken werden die zu Saarn und Neiße für Rechnung des Staates
                              verwaltet. Das Potsdamer Fabrik-Etablissement ist zwar gleichfalls Eigenthum
                              des Staates, befindet sich aber in den Händen eines Unternehmers. Die übrigen
                              Fabriken sind Eigenthum von Privaten, mit welchen der Staat Contracte über
                              Waffenlieferungen abgeschlossen hat. Die Fabrik in Sömmerda ist einzig und allein
                              auf die Herstellung der Zündnadelgewehre eingerichtet und von ausgedehntem Umfange. Bei jeder
                              Gewehrfabrik befinden sich Gewehr-Revisionscommissionen. Die Präsides sind
                              Hauptleute; sie gehören keinem Truppenverbande an, weil die Direction einer
                              Gewehrfabrik technische Kenntnisse und einen praktischen Blick erfordert, welche nur
                              die Frucht langjähriger Erfahrung und unausgesetzter Beschäftigung in diesem Fache
                              seyn können. Die commandirten Officiere sind theils wirkliche Mitglieder der
                              Gewehr-Revisionscommissionen, theils werden dieselben von den Truppen nur auf
                              ein halbes Jahr in die Fabriken commandirt, um sich mit der Fabrication und
                              Behandlung der Waffen vertraut zu machen und diese Kenntniß alsdann weiter in ihren
                              Truppentheilen zu verbreiten, sowie auch insbesondere für die Beaufsichtigung des
                              Waffenreparaturgeschäfts bei den Truppen sich vorzubereiten.
                           Die Oberbüchsenmacher besorgen die technische Revision der Waffen in ihren
                              Details.
                           In Betreff der Herstellung der Gewehre und Waffen sey bemerkt, daß jährlich
                              angeschafft werden: 18,000 Infanteriegewehre à 10
                              1/2 Rthlr., 300 Cavalleriekarabiner à 7 Rthlr. 5
                              Sgr., 30 Cavalleriebüchsen à 9 2/3 Rthlr., 150
                              Jägerbüchsen à 16 1/3 Rthlr., 500 Paar Pistolen
                              à 9 Rthlr. 12 1/2 Sgr., 150 Kuirassierdegen
                              à 4 Rthlr. 5 Sgr., 700 Cavalleriesäbel à 3 Rthlr. 8 Sgr., 3200 Infanterieseitengewehre
                              à 1 2/3 Rthlr., 150 Hirschfänger à 2 Rthlr., 128
                              Pionier-Seitengewehrklingen à 1 Rthlr. 26
                              Sgr., 22 Pionier-Seitengewehre à 3 Rthlr.
                              24 Sgr., 44 Lanzenspitzen und Schuhe à 16 Sgr.,
                              in Summa mit einem Aufwande von 202,143 Rthlr. Bei den Infanteriegewehren ist auf
                              einen Abgang von 5 Procent gerechnet, der Minderbedarf wird für die Reserve und
                              Vorräthe bestimmt.
                           Die im Jahre 1839 erfolgte allgemeine Einführung der Percussionszündung bei den
                              Handfeuerwaffen der Armee, machte eine Umänderung sämmtlicher bei den Truppen und in
                              den Reservevorräthen befindlichen, mit Steinschlössern versehenen Waffen nothwendig,
                              womit zugleich eine vollständige Instandsetzung dieser Waffen verbunden werden
                              mußte. Dieß ist so weit erreicht worden, daß am Schlüsse d. J. sämmtliche
                              Felddienst- und Exerciergewehre der Armee, einschließlich der
                              Reservevorräthe, percussionirt seyn werden, und daß außerdem noch sämmtliche
                              Jägerbüchsen und etwa 8000 Infanteriegewehre durch Umänderung nach Thouvenin'schem System in fern- und
                              sichertreffende Waffen umgewandelt worden sind. Nur die für den Festungsdienst
                              bestimmten Gewehre und sämmtliche Cavallerieschießwaffen bleiben noch
                              umzuändern.
                           
                           Durch ausgedehnte und gründliche Versuche ist ein von den bisherigen
                              Waffenconstructionen durchaus abweichendes Gewehr erfunden und weiter ausgebildet
                              worden, welches in Bezug auf Trefffähigkeit, Handhabung und Ladbarkeit alle bisher
                              bekannten Waffen weit hinter sich läßt. Dieß Gewehr, welches bis jetzt der
                              preußischen Armee allein eigen ist, wurde im Jahr 1841 definitiv eingeführt und die
                              Beschaffung von 60,000 dergleichen Gewehren
                              („Zündnadel“- oder „leichtes
                                 Percussionsgewehr“ genannt) angeordnet. Ihre Anfertigung ist bis auf
                              wenige Tausend Stück beendet und im Laufe dieses Jahres zur Ausgabe derselben an die
                              Armee geschritten worden. Zunächst soll die Bewaffnung von 46 Bataillonen damit
                              vorgenommen werden, wozu 45,000 Stück fürs erste erforderlich sind.
                           Das neue Gewehr erfordert aber auch eine eigenthümliche, von der bisher
                              gebräuchlichen gänzlich abweichende Munition. Es ist daher für die
                              Kriegsbereitschaft der Armee von hoher Wichtigkeit, eine eigene Fabrik für die
                              Darstellung dieser Munition und außerdem die nöthigen transportabeln Apparate zu
                              deren Fabrication zu besitzen, um mit Hülfe der letzteren erforderlichen Falls auf
                              dem betreffenden Kriegstheater selbst eine ambulante Fabrik der Art etabliren zu
                              können. Für diesen Zweck ist die Anlegung der benöthigten Fabriken beschlossen
                              worden und dieselben werden mit einem Kostenaufwande von 14,600 Rthlr. herzustellen
                              und zu betreiben seyn.
                           In neuerer Zeit ist von mehreren Seiten die Nachricht verbreitet, daß das erwähnte
                              Gewehr und dessen Munition nicht mehr allein Geheimniß des preußischen Staates sey,
                              und namentlich will man einem hiesigen Büchsenmacher die Nacherfindung und einem im
                              vorigen Jahre flüchtig gewordenen Beamten die Verschleppung des Geheimnisses
                              zuschreiben.
                           Berlin, im Junius 1849.
                           
                              E. S.