| Titel: | Die Britannia-Brücke über die Menai-Straße in England. | 
| Fundstelle: | Band 113, Jahrgang 1849, Nr. XIX., S. 81 | 
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                        XIX.
                        Die Britannia-Brücke über die
                           Menai-Straße in England.
                        Die Britannia-Brücke über die Menai-Straße in
                           England.
                        
                     
                        
                           Der gerade Weg von London nach Dublin berührt die Insel Anglesey, welche durch eine
                              900 bis 1500 Fuß breite Meerenge von der Westküste von Wales geschieden ist. Der
                              bedeutende Personen- und Güterverkehr zwischen beiden Plätzen fließt in die
                              Häfen Kingstown auf Irland, und Holyhead auf der Insel Anglesey. Kingstown ist mit
                              Dublin schon seit Jahren durch eine Eisenbahn verbunden und theilweise auch London
                              mit Holyhead; letztere zwei Städte würden schon längst in ununterbrochene Verbindung
                              gekommen seyn, wenn nicht bis jetzt die Menai-Straße das große Hinderniß
                              gebildet hätte. Die Nothwendigkeit, über diesen Meeresarm eine Ueberbrückung zu
                              erlangen, hatte früher schon einen bewunderungswürdigen und vollkommen gelungenen
                              Bau ins Leben gerufen, die bekannte Hängebrücke von Telford, welche in zierlichen Verhältnissen die See unweit des Städtchens
                              Bangor überspannt. Um nun die Eisenbahn von Chester bis Holyhead ununterbrochen
                              befahren zu können, lag ursprünglich der Plan vor, eine
                                 Seite dieser Brücke den Zügen einzuräumen, wie dieß auch schon in
                              Deutschland, z.B. auf der Berlin-Anhalt'schen Bahn über die Elbe geschehen
                              ist. Man gab aber den Plan bald wieder auf, weil der Verkehr zwischen so bedeutenden
                              Stapelplätzen, wie Holyhead und London, ein doppeltes Bahngeleise bedingt.
                           Robert Stephenson projectirte hierauf eine neu zu
                              erbauende Brücke, welche an der schmälsten, 900 Fuß breiten Stelle in zwei
                              gußeisernen Bogen à 450 Fuß hinüberführen sollte,
                              indem sie sich in der Mitte auf Felsen stützt, welche selbst bei hoher Fluth vom
                              Wasser unbespült blieben und für die stärksten Mauerwerke fest genug waren. In der
                              Mitte hatten diese Bögen eine lichte Höhe von 100 Fuß über dem Meeresspiegel zur
                              Zeit der Fluth gehabt und hiemit glaubte man die Interessen der Schifffahrt
                              hinlänglich gesichert; aber die englische Admiralität, welcher dieser Plan zur
                              Genehmigung vorgelegt werden mußte, machte unerwartete Schwierigkeiten, indem sie
                              selbst dicht an den Mittel- und Uferpfeilern eine lichte Höhe von mindestens
                              100 Fuß für ihre Kriegsfahrzeuge beanspruchte, weßhalb man den ganzen Plan lassen
                              mußte.
                           Robert Stephenson arbeitete nun im Verein mit den
                              tüchtigsten Baumeistern Englands seit dem Jahr 1847 ununterbrochen an einem neuen
                              Plane, durch welchen ein Riesenwerk geschaffen wurde, wie ein zweites bis jetzt
                              nicht bestand. Da alle bisher angewendeten Ueberbrückungs-Systeme sich für
                              den vorliegenden Zweck sowohl hinsichtlich der gegebenen Bedingungen als des
                              Kostenpunktes als nicht anwendbar erwiesen, so wurde er zu einem ganz neuen Systeme
                              hingeleitet; er beabsichtigte die bekannte Steifigkeit der schmiedeisernen Röhren
                              für die Ueberbrückung in Anwendung zu bringen; nachdem ihm Versuche und Erfahrung
                              gelehrt hatten, daß schmiedeiserne Röhren mit kreisförmigem Querschnitt in Folge zu
                              starker Belastung stets an der untern Seite zerreißen, während elliptische Röhren
                              sich an der oberen Seite am schwächsten erweisen, kam er nach und nach zu dem
                              viereckigen Rohr, welches, wenn es an seinen oberen und unteren Flächen die
                              erforderliche Verstärkung besaß, im Vergleich mit dem aufgewendeten Material und dem
                              nutzbaren Querschnitt, für die Zwecke des Eisenbahnbetriebes sich vortheilhafter
                              erwies als jedes andere Rohr. Es wurden nun die ausgedehntesten Versuche in immer
                              größerem Maaßstabe mit solchen Röhren angestellt, und nachdem aus ihnen reichliche
                              Erfahrung und volle Beweise für das Gelingen solcher Brücken geschöpft waren,
                              entstanden als bedeutendere Anwendungen des neuen Systems zuerst eine derartige
                              Brücke auf der Eastern-Counties-Eisenbahn, und dann im vergangenen
                              Jahre die schon sehr riesige Ueberbrückung des Conway-Meerbusens, deren
                              Beschreibung wir im polytechn. Journal Bd. CX S.
                                 401 (2tes Decemberheft 1848) geliefert haben.Ueber die Versuche, welche seitdem auf der Conway-Röhrenbrücke
                                    angestellt wurden, bemerken wir folgendes: In der Mitte des 412 Fuß langen
                                    Rohres (von 32,000 Centner Gesammtgewicht) wurden Belastungen von 1040,
                                    2240, 3460, 4700 und 6000 Cntr durch Locomotiven bewirkt und hiebe: fanden
                                    entsprechende Durchbiegungen statt von 0,48, 0,98, 1,3, 1,47 und 3 Zoll;
                                    zehn Minuten nach der Entlastung hatte das Rohr seine ursprüngliche Linie
                                    wieder gewonnene die Biegungsfractionen wurden bei diesen Versuchen mittelst
                                    eines Teleskops abgelesen. Schwere Eisenbahnzüge, welche mit voller
                                    Geschwindigkeit durch das Rohr fuhren, verursachten nur unbedeutende
                                    Schwankungen. Eine merkwürdige Erscheinung zeigt das Rohr beim Wechsel der
                                    Temperatur, besonders bei auffallenden Sonnenstrahlen. Obwohl bei gleichmäßiger Zunahme der Luftwärme das früher
                                    (im polytechn. Journal Bd. CX S.
                                       407) erwähnte Walzwerk an jedem Ende des Rohrs in vollkommene
                                    Wirksamkeit tritt, findet doch ein Heben und Senken des Rohrs in der Mitte
                                    statt, was sich dadurch erklärt, daß die Sonnenstrahlen stets nur eine Seite und die obere Wandung erwärmen, während die entgegengesetzten Seiten etwas
                                    kühler bleiben; durch die hiebei stattfindende ungleiche Ausdehnung des
                                    Rohrs wird eine Spannung und Krümmung desselben verursacht, welche mit
                                    seiner nebenbei erfolgenden gleichmäßigen Verlängerung nicht verwechselt
                                    werden darf; wenn nach lange bedeckt gewesenem Himmel plötzlich ein warmer
                                    Sonnenblick das Rohr trifft, so beträgt die Erhebung desselben in der Mitte
                                    schon 1 1/2 Zoll; diese interessante Thatsache, weit entfernt gegen die
                                    Solidität des Rohrs zu zeugen, ist im Gegentheil ein Beweis seiner guten
                                    Construction.
                              
                           
                           Der neue Riesenbau, der Britannia-Viaduct, erhebt sich etwa eine engl. Meile
                              nördlich von der erwähnten Telford'schen Hängebrücke. In
                              der Mitte des Meeresarms liegen die Britannia-Klippen, welche, obwohl fast
                              immer vom Wasser bespült, doch als Grundlage für den Mittelpfeiler dienen, der nicht
                              weniger als 62 Fuß lang, an der Basis 52 Fuß breit und 230 Fuß hoch ist; in ihm sind
                              148,625 Kubikfuß Kalkstein und 144,685 Kubikfuß Sandstein vermauert, die zusammen
                              etwa 400,000 Cntr. wiegen; überdieß sind in demselben gegen 7750 Cntr. Guß-
                              und Schmiedeisen in Form von Ankern, Fundamentplatten und Verstärkungen aller Art
                              eingebaut. Auf diesen Mittelpfeiler werden die vier mittleren Röhren mit einem Ende
                              sich stützen, während die anderen Enden, je 460 Fuß nach entgegengesetzten Seiten
                              davon entfernt, auf zwei andern Pfeilern ruhen, welche ebenfalls 62 und 52 Fuß
                              Basis, aber nur 190 Fuß Höhe haben; jeder dieser Seitenpfeiler enthält zu seiner
                              Verstärkung 4200 Cntr. Guß- und Schmiedeisen. Weitere 230 Fuß von diesen
                              Seitenpfeilern entfernt, stehen die Schlußmauern des Bahndammes, welche zusammen mit
                              dem übrigen Mauerwerke und den drei Pfeilern in der See, die ungeheure Summe von 1
                              4/2 Millionen Kubikfuß sorgfältig gearbeiteten Mauerwerks enthalten. Man
                              beabsichtigt den Bau durch vier Löwen als Kalkstein, liegend dargestellt, von 25 Fuß
                              Länge und 12 Fuß Höhe, und überdieß den Mittelpfeiler durch ein Standbild der
                              Britannia von 60 Fuß Höhe zu verzieren.
                           Die durch die fünf Mauerwerke gebildeten vier Oeffnungen werden demnach durch acht
                              eiserne Röhren überspannt, welche wie diejenigen der Conway-Brücke
                              construirt, aber verhältnißmäßig größer sind. Die Länge eines der vier Mittelrohre
                              beträgt 472 Fuß, worin zweimal 6 Fuß für die Auflage an jedem Ende enthalten sind;
                              die größte Höhe eines solchen in der Mitte beträgt 30 Fuß, an den Enden nur 22.
                           Auf die Nachricht, daß am 18. Juni d. J. das erste Rohr von dem Bauplatz an den Ort
                              seiner Bestimmung versetzt werden soll, strömten so viele Personen aus allen
                              Theilen Großbritanniens herbei, daß zahlreiche Extrazüge auf den betreffenden
                              Eisenbahnen und viele Dampfboote aus den benachbarten Hafenstädten abgefertigt
                              werden mußten; die Stadt Bangor zunächst der zu überbrückenden Stelle und alle Orte
                              der Umgegend wurden mit Gästen überfüllt. So mochten am genannten Tage wohl
                              10–15,000 Zuschauer, worunter die berühmtesten brittischen Staatsmänner,
                              Gelehrten, Ingenieurs etc. an beiden Küsten der Menai-Straße versammelt seyn,
                              welche theils auf besonders dazu erbauten Plattformen, theils auf bunt bewimpelten
                              Dampfbooten und Fahrzeugen aller Art des entscheidenden Augenblickes harrten, als
                              gegen 3 Uhr Mittags die durch Ebbe und Fluth bewirkte Strömung in der
                              Menai-Straße und die Höhe des Wasserspiegels den Beginn des Unternehmens
                              gestattete. Gegen 1000 Arbeiter, worunter etwa 100 Seeleute, waren angemessen
                              vertheilt, theils an drei großen Erbwinden (deren Taue über eine englische Meile
                              lang und 5 Zoll dick waren und von denen zwei ihre festen Punkte an den
                              entgegengesetzten Ufern, das dritte aber an dem Mittelpfeiler hatte), theils an
                              zahlreichen kleineren Winden und auf den tragenden Booten des Rohres selbst, so daß
                              das schwimmende Ungeheuer in steter Gewalt des in Person dirigirenden Ingenieurs
                              Robert Stephenson bleiben mußte. So wie bei der
                              Versetzung des Conway-Rohrs, wurde auch hier die steigende Fluth zum Abheben
                              des Rohrs von der Uferstelle und zum Niederlegen desselben die sinkende Ebbe
                              benutzt. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, gab Stephenson das ersehnte Zeichen mit einer Flagge und gleich darauf
                              antwortete Capitän Claxton, welcher die maritimen
                              Operationen leitete, von der Höhe des Rohres mit seinem Signalhorn; der bisher
                              regungslose Koloß bewegte sich nun, von Dampfbooten gezogen, unter dem Jubel der
                              Zuschauer langsam und majestätisch seinem Ziele entgegen. Die herkulische Arbeit
                              wurde ohne den mindesten Unfall vollzogen und das Rohr auf seinen provisorischen
                              Lagerplätzen unten an den Pfeilern sanft abgesetzt.
                           Wir behalten uns vor, über die weiteren Fortschritte dieses in seiner Art einzigen
                              Unternehmens nachträglich Bericht zu erstatten.