| Titel: | Ueber die Darstellung der Bernsteinsäure aus äpfelsaurem Kalk; von Just. Liebig. | 
| Fundstelle: | Band 113, Jahrgang 1849, Nr. LXX., S. 295 | 
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                        LXX.
                        Ueber die Darstellung der Bernsteinsäure aus
                           äpfelsaurem Kalk; von Just.
                              Liebig.
                        Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, April 1849, S.
                              104.
                        Liebig, über Darstellung der Bernsteinsäure aus äpfelsaurem
                           Kalk.
                        
                     
                        
                           Die vorstehenden, ebenso schönen wie wichtigen Beobachtungen von Dessaignes veranlaßten mich zu versuchen, ob sich der
                              äpfelsaure Kalk nicht rascher und vollkommener, als wie dieß in dem von ihm
                              eingeschlagenen Wege geschah, durch einen gewöhnlichen Gährungsproceß in
                              bernsteinsauren Kalk überführen, und ob sich hierauf nicht ein vortheilhaftes Verfahren zur
                              Fabrication der Bernsteinsäure im Großen begründen ließe.
                           Diese Versuche sind vollkommen gelungen.
                           Noch leichter und schneller, wie die Ueberführung des milchsauren Kalkes in
                              buttersauren, läßt sich bei Anwendung derselben Fermente, die man in der
                              Buttersäuregährung benutzt, die Zersetzung des äpfelsauren Kalks bewerkstelligen.
                              Die Aepfelsäure zerfällt unter diesen Umständen in Bernsteinsäure, Essigsäure und
                              Kohlensäure.
                           Setzt man zu einem Gemenge aus 1 Theil äpfelsaurem Kalk und 5–6 Theilen Wasser
                              den zehnten Theil von dem Volumen des Wassers gewöhnliche Bierhefe, so stellt sich
                              in diesem Gemische, an einem warmen Orte, sehr rasch eine ziemlich lebhafte
                              Gasentwickelung ein. Das Gas, was sich entbindet, ist reine Kohlensäure, es wird von
                              Kali ohne allen Rückstand absorbirt.
                           Nach Verlauf von drei Tagen bemerkt man eine wesentliche Aenderung in der Form des
                              aufgeschlämmten äpfelsauren Kalkes; er wird körnig, schwer und krystallinisch und
                              diese Körner werden im Verlauf der Gährung immer größer. Mit der Vollendung der
                              Gährung, d.h. mit dem Aufhören der Gasentwickelung, verliert die Mischung beim
                              Umrühren ihre schlammige Beschaffenheit, die Körner zeigen sich unter dem Mikroskope
                              aus sternförmig vereinigten durchsichtigen Nadeln zusammengesetzt, welche sich wie
                              schwerer Sand beim Umrühren leicht zu Boden setzen. Diese Krystalle bestehen aus
                              einer Doppelverbindung von bernsteinsaurem Kalk mit kohlensaurem Kalk. Die
                              darüberstehende Flüssigkeit enthält essigsauren Kalk.
                           Mit gleicher Leichtigkeit und Schnelligkeit wird die Bildung der Bernsteinsäure durch
                              faulendes Fibrin oder faulenden Käse bewirkt; der letztere eignet sich hierzu
                              vorzugsweise. Folgendes Verhältniß erwies sich als zweckmäßig.
                           Es werden drei Pfund roher äpfelsaurer Kalk von der Beschaffenheit, wie man denselben
                              aus dem ausgepreßten Vogelbeersaft nach zwei- bis dreimaligem Auswaschen mit
                              Wasser erhält (siehe die Anmerkung S. 294), mit 10 Pfund Wasser von 40° C. in
                              einem steinzeugnen oder irdenen Topfe eingeteigt und dieser Mischung 4 Unzen fauler
                              Käse, der mit Wasser vorher zu einer Emulsion zerrieben wird, zugesetzt. An einem
                              30–40° C. warmen Orte stellt sich sehr bald eine Gasentwickelung ein,
                              welche 5–6 Tage (länger in niederer Temperatur) anhält. In einem andern
                              Versuche war bei Anwendung von etwa 15 Pfund äpfelsaurem Kalk die Gährung in vier Tagen
                              beendigt.
                           Der körnig krystallinische Absatz wird, wenn alle Zeichen der Gährung verschwunden
                              sind, auf einem Seihtuch gesammelt, mit kaltem Wasser mehrmals ausgewaschen, und
                              sodann mit Schwefelsäure die Bernsteinsäure abgeschieden.
                           Zu diesem Zweck wird dieser rohe bernsteinsaure (und kohlensaure) Kalk mit verdünnter
                              Schwefelsäure versetzt, bis kein Aufbrausen mehr bemerklich ist und die Menge der
                              verbrauchten Schwefelsäure notirt. Man setzt nachher eine der verbrauchten gleiche
                              Menge verdünnte Schwefelsäure dem Brei zu und erhitzt die ganze Mischung zum Sieden
                              und erhält sie bei dieser Temperatur, bis die körnige Beschaffenheit völlig
                              verschwunden ist. Die über dem gebildeten Gyps stehende Flüssigkeit wird durch einen
                              leinenen Spitzbeutel davon getrennt, der Gyps ausgewaschen und die saure Flüssigkeit
                              durch Abdampfen concentrirt; sie enthält in Lösung ein Gemenge von saurem
                              bernsteinsaurem Kalk mit Bernsteinsäure. Wenn sie soweit abgedampft ist, daß sich an
                              der Oberfläche eine Krystallhaut zeigt, so setzt man derselben in kleinen Portionen
                              concentrirte Schwefelsäure zu, bis kein Niederschlag von Gyps mehr entsteht.
                              Gewöhnlich erstarrt die Flüssigkeit durch den neugebildeten Gyps zu einer
                              breiartigen Masse; sie wird mit Wasser verdünnt und die Bernsteinsäure durch
                              Auswaschen getrennt. Man erhält jetzt durch Abdampfen der Flüssigkeit und Abkühlen
                              eine Krystallisation von bräunlich gefärbter Bernsteinsäure, welche kleine Mengen
                              von Gyps enthält. Diese gefärbte Säure wird durch Lösung in siedendem Wasser,
                              Filtriren und Abkühlen zum zweitenmal krystallisirt, die Krystalle auf einen
                              Trichter geworfen und mit kaltem Wasser die Mutterlauge entfernt. Die durch diese
                              zweite Krystallisation erhaltene Säure wird aufs neue in Wasser gelöst, mit etwas
                              Blutkohle oder mit Säure ausgezogenem Beinschwarz zum Sieden erhitzt (wozu man nur
                              geringe Quantitäten bedarf) und die wasserhelle Lösung zur Krystallisation gebracht.
                              Die erhaltenen Krystalle sind blendendweiß, sie können durch Auflösung in Weingeist
                              oder Sublimation von einer Spur beigemengten Gypses leicht gereinigt werden.
                           Drei Pfund trockner äpfelsaurer Kalk lieferten 15 bis 16 Unzen blendendweiße
                              Bernsteinsäure. In den Versuchen, die ich anstellte blieb in der
                              Bernsteinsäure-Mutterlauge keine Spur von Aepfelsäure zurück, so daß also in
                              diesem merkwürdigen Gährungsproceß alle Aepfelsäure völlig zersetzt wird. Der
                              Gährungsproceß mit faulem Käse unterscheidet sich darin von dem mit Bierhefe, daß sich zuletzt neben
                              Kohlensäure auch Wasserstoffgas entwickelt.Zur Bestätigung des analytischen Resultates des Hrn. Dessaignes führe ich die folgenden
                                    Analysen der durch Gährung erhaltenen Bernsteinsäure an:  in 100Dr.
                                          Strecker.Dr. Wolf.4 Aeq. Kohlenstoff2440,740,340,63  
                                          „    Wasserstoff  3  5,115,1  5,54  
                                          „     Sauerstoff3254,254,653,9
                              
                           Die Wissenschaft ist Hrn. Dessaignes für seine schöne Entdeckung Dank schuldig und es ist zu
                              hoffen, daß die Gährung als eins der mächtigsten Hülfsmittel zu chemischen
                              Zersetzungen wohl häufiger in Gebrauch kommen wird, als dieß bisher geschehen. Es
                              ist leicht sich aus äpfelsaurem Kalk beliebige Mengen dieser seither in so hohem
                              Preis stehenden interessanten Säure darzustellen und eine Menge nützlicher
                              Anwendungen dürften sich an diese Entdeckung knüpfen.