| Titel: | Zur Frage, ob den Armen und den Soldaten schwarzes oder weißes Brod gereicht werden soll; von Bouchardat. | 
| Fundstelle: | Band 116, Jahrgang 1850, Nr. XCIII., S. 465 | 
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                        XCIII.
                        Zur Frage, ob den Armen und den Soldaten
                           schwarzes oder weißes Brod gereicht werden soll; von Bouchardat.
                        Aus dem Journal de Pharmacie, April 1850, S.
                              277.
                        Bouchardat, über schwarzes und weißes Brod.
                        
                     
                        
                           Die Municipalverwaltung von Paris beabsichtigt mit der Brodvertheilung an die
                              conscribirten Armen eine Veränderung vorzunehmen. Der Armenpflegschaftsrath des 9ten
                              Arrondissements hat von mir über diesen, nicht nur für die Armen von Paris, sondern
                              auch für unsere Soldaten, die Armen anderer Städte und die Landwirthschaft so
                              wichtigen Gegenstand einen Bericht verlangt.
                           In einer Abhandlung im Maihefte 1849 der Annales de Chimie et
                                 de Physique äußert sich Hr. Millon, nachdem er durch genaue Analysen gezeigt hat, daß die Kleie eine sehr nahrhafte Substanz ist,Man vergleiche polytechn. Journal Bd. CXI
                                       S. 386 und Bd. CXII S.
                                       142. folgendermaßen: „Wenn man mit einmal ankündigen würde, daß es
                                 gelungen sey, Frankreich mit mehreren Millionen Hektolitern einer sehr
                                 nahrhaften Substanz zu bereichern, und zwar ohne alle Kosten des Anbaues und
                                 ohne andern Producten einen zollbreit Boden zu entziehen; wenn man erklärte, daß
                                 diese Substanz mehr Kleber und zweimal soviel fette Materie enthält als der
                                 Weizen, und daß außer den zehn Procent Holzfaser die übrigen Bestandtheile
                                 derselben sehr assimilirbar sind, so würde man dieses für Wahnwitz halten. Und
                                 doch gibt es eine solche Substanz; sie befindet sich im Weizen selbst, von
                                 welchem man sie mit großen Unkosten ausscheidet; man schwächt dessen Gehalt an
                                 Stickstoff, Fett, Stärkmehl, Salzen, aromatischen und wohlschweckenden
                                 Bestandtheilen, bloß um einige Tausendstel Holzstoff los zu werden.“
                              
                           
                              „Entspricht es ferner den Regeln für die Gesundheit und der Physiologie,
                                 alles was einen Rückstand im menschlichen Magen hinterlassen kann, von ihm fern
                                 zu halten? Hat der Bissen der Nahrung nicht seinen Weg die ganze Länge des
                                 Darmcanals hindurch zu machen und muß er nicht seinen unassimilirbaren (réfractaire) Antheil bis an dessen Ende
                                 führen? Wenn unsere Kost soweit verbessert werden soll, daß wir die
                                 eingenommenen Stoffe fast vollständig in uns aufnehmen, so müssen wir das Pflanzenreich
                                 ganz beiseite lassen oder vom Extract der Pflanzen leben. Es gibt schwerlich ein
                                 Gemüse welches so wenig Holzstoff enthält, als der Weizen.“
                              
                           
                              „Was die Weiße des Brods betrifft, die man ihm durch Entfernung der Kleie
                                 ertheilt, so ist dieß ein rein eingebildeter Vorzug, indem man aus Vorurtheil
                                 darin die Nahrhaftigkeit des Weizens sucht. In der That aber ist dieß nichts
                                 anders als eine sehr weit gehende Ausscheidung seiner natürlichen Würze (condiment).“
                              
                           
                              „Vom physiologischen Gesichtspunkt aus betrachtet, sagt hierüber Hr.
                                 Magendie (Précis élémentaire de physiologie,
                                    t. II. p. 504. 4te Auflage 1836): Ein Hund, welcher nach seinem Belieben Weißbrod aus reinem
                                    Weizenmehl fressen und gemeines Wasser trinken kann, lebt nicht über 50
                                    Tage; ein Hund aber, welcher ausschließlich Militär- oder
                                 Commiß-Brod frißt, lebt ganz gut fort und seine Gesundheit leibet keine
                                 Störung.“
                              
                           
                              „Kurz, man mahle Kleie und Grüße noch einmal fein und setze sie dem feinen
                                 Mehle zu, oder man verbessere unser Mahlverfahren in einem dem bisherigen gerade
                                 entgegengesetzten Sinne, so daß man gleich aufs erstemal ein feines
                                 gleichartiges Mehl erhält; das ist der in Zukunft leicht zu befolgende Weg; so
                                 wird was der Gesundheit und der Sparsamkeit entspricht, am besten
                                 vereinigt.“
                              
                           Millon's Versuche scheinen allerdings zur klaren und
                              vernunftgemäßen Lösung der Frage zu führen; eine so wichtige Frage muß aber von
                              allen Seiten betrachtet werden. Gegen die Austheilung schwarzen Brodes lassen sich
                              allerdings sehr erhebliche Einwürfe machen, die sich vorzüglich auf die Verdauung
                              der Kleie, die Gewohnheiten der Bevölkerung und auf die Schwierigkeiten beziehen,
                              welche eine genaue Untersuchung der Güte des schwarzen Brodes darbietet; wir wollen
                              sie nach einander betrachten.
                           1) Ohne Zweifel ist die Kleie, wie Millon zeigte, eine
                              wesentlich nahrhafte Substanz, aber nur unter einer Bedingung, daß sie nämlich
                              verdaut wird. Reicht man sie dem Ochs, der Kuh, so wird sie fast vollständig
                              verarbeitet; benutzt man sie aber zur menschlichen Nahrung in Form von Brod, so muß
                              ihr Zusammenhang ganz aufgehoben werden, wenn ihre nahrhaften Bestandtheile gänzlich
                              aufgelöst und verdaut werden sollen. Bei den Versuchen, welche ich bereits seit
                              mehreren Jahren in Verbindung mit Hrn. Sandras über die Verdauung anstellte, mußte diese Frage auch in
                              Anregung kommen. Wir fanden, daß der in freier Luft, an der Sonne, beständig strenge Arbeit
                              verrichtende Landmann, die schwerlöslichen Nahrungsmittel viel vollständiger verdaut
                              als der Greis in einer Pfründe oder in großen Städten, welcher wegen Mangel an
                              Kräften zum Müßiggang verdammt ist. Der Ackersmann, der Weinbauer verdauen in Folge
                              ihrer anstrengenden Arbeit ihr schwarzes Brod vollkommen, die in demselben
                              enthaltene Kleie wird verarbeitet; wenn aber dasselbe Brod dem dürftigen Greise
                              gegeben wird, so gelangt die Kleie durch den Verdauungsapparat, ohne angegriffen zu
                              werden, die in derselben enthaltenen nährenden Stoffe können wegen ihres großen
                              Zusammenhangs und der sie umhüllenden Holzstoffschicht nicht aufgelöst werden.
                           Ist es daher nicht ökonomischer, den alten Leuten weißes Brod zu geben, und Kleie und
                              Nachmehl von unseren Wiederkauern ganz verarbeiten zu lassen, die es uns in Form von
                              Milch und Fleisch wieder erstatten, welche Nahrungsmittel Leuten von schwächerer
                              Verdauung so zuträglich sind?
                           2) Die Bevölkerung von Paris ist an weißes Brod gewöhnt; die Karten, welche man für
                              schwarzes Brod an Arme austheilte, wurden von ihnen größtentheils gegen eine oft
                              willkürlich festgesetzte Rückvergütung für Weißbrod an die Bäcker, umgetauscht.
                           3) Der gewichtigste Grund aber gegen die Austheilung schwarzen Brodes ist die große
                              Schwierigkeit, es auf seine Güte zu untersuchen. Wie soll nun der Soldat, der Arme,
                              welchen specielle Kenntnisse fehlen, sich gegen Betrug schützen? Beim weißen Brod
                              ist wenigstens die summarische Prüfung sehr leicht.
                           Zu schwarzem Brod kann das Mehl von verdorbenem Getreide verwendet werden; der
                              gewöhnlichste Betrug ist aber folgender: statt das Brod aus einem zu 8–10
                              Procent gebeutelten Weizenmehl zu bereiten, welches, wenn der Weizen anders gut ist,
                              noch ein Brod von angenehmem Geschmack liefert, wird ein Gemenge angewandt, welches
                              aus einem zu 15 bis 20 Procent gebeutelten Mehl, Kleienmehl, Nachmehl und grobem
                              Mehl in solchem Verhältniß besteht, daß es die Farbe des Schwarzbrods erhält, d. i.
                              oft nur 30 bis 50 Procent reines Mehl enthält.
                           Das aus diesem gemengten Mehl bereitete Brod ist bei weitem nicht so angenehm zu
                              essen wie solches aus einem Mehl, welches direct zu 10 Procent gebeutelt wurde.
                           Wenn man daher die Gewohnheiten der ärmern Bevölkerung von Paris, die Schwierigkeiten
                              einer genauen Untersuchung des schwarzen Brodes auf seine Güte und die unvollkommene Verdauung
                              desselben bei alten Leuten in großen Städten berücksichtigt, so kommt man zu dem
                              Schluß, daß es am zweckmäßigsten ist den Armen weißes
                              Brod zu geben, so lange die Bereitung des Brodes den
                                 städtischen Bäckern überlassen bleibt.