| Titel: | Ueber die Anwendung der überhitzten Wasserdämpfe, insbesondere zur Bereitung fetter Säuren; von Prof. E. A. Scharling. | 
| Fundstelle: | Band 117, Jahrgang 1850, Nr. LXXIII., S. 357 | 
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                        LXXIII.
                        Ueber die Anwendung der überhitzten Wasserdämpfe,
                           								insbesondere zur Bereitung fetter Säuren; von Prof. E. A. Scharling.
                        Aus dem Journal für praktische Chemie, 1850, Nr.
                              									13.
                        Scharling, über die Anwendung der überhitzten
                           								Wasserdämpfe.
                        
                     
                        
                           Die Anwendung der überhitzten Wasserdämpfe zur Verkohlung des Holzes gab die erste
                              									Anleitung, daß man sie zu einem ähnlichen Zwecke verwendete, nämlich zur Reinigung
                              									der in den Zuckersiedereien einmal benutzten Knochenkohle. In mehreren
                              									Zuckersiedereien in Berlin und Magdeburg soll dieses Nachbrennen — wenn man
                              									diesen Ausdruck brauchen darf — durch Wasserdämpfe bewerkstelligt werden, und
                              									einer von unseren hiesigen Fabrikanten wandte sich an mich, um Aufschluß zu
                              									erhalten, ob Knochenkohle, auf diese Art gereinigt, für eben so gut betrachtet
                              									werden könne, als die auf gewöhnliche Weise behandelte. Während nämlich einige
                              									Fabrikanten diese neue Reinigungsmethode unbedingt empfehlen, behaupten andere, daß
                              									Knochenkohle, durch überhitzte Wasserdämpfe gereinigt, dem letzten, aus dem rohen
                              									Zucker gewonnenen unkrystallisirbaren Syrup einen besonderen Nebengeschmack
                              									mittheile.
                           Durch Bestimmung der entfärbenden Kraft zweier Proben Knochenkohle, die eine auf
                              									gewöhnliche Weise nachgebrannt, die andere mittelst Wasserdämpfen behandelt, wurden
                              									beide gleich gut befunden, beide jedoch waren viel weniger entfärbend als neue
                              									Kohle. Zwei gleich große Gewichtstheile von jeder Probe wurden nun in zwei Retorten
                              									geglüht, wodurch aber die mittelst Wasserdämpfen gereinigte Kohle weit mehr
                              									brenzliches Oel und kohlensaures Ammoniak entwickelte als die durch offenes Feuer
                              									nachgebrannte Kohle.
                           Die erstgenannte Sorte ist mithin nicht sorgfältig genug gereinigt gewesen, und
                              									dadurch wäre vielleicht der oben erwähnte Nebengeschmack  zu erklären; daß man die
                              									Anwendung der Wasserdämpfe zur Reinigung der Knochenkohle jedoch nicht gleich
                              									verwerfen darf, ist einleuchtend. Diese Erfahrung dürfte vielmehr den Fabrikanten
                              									lehren, die Einwirkung der Dämpfe nicht zu früh zu unterbrechen, und überhaupt die
                              									Reinheit der behandelten Kohle zu prüfen.
                           Von weit größerer Wichtigkeit ist der in England gemachte Gebrauch der überhitzten
                              									Wasserdämpfe zur Reinigung des Palmöls. Da beinahe alle früher angewandten Methoden
                              									zum Bleichen des Palmöls schwierig und kostspielig sind, erregte es meine
                              									Aufmerksamkeit in hohem Grade, als ich erfuhr, daß man in England die überhitzten
                              									Wasserdämpfe zur Darstellung der freien Säuren des Palmöls anwende, und daß zugleich
                              									die Producte dadurch gebleicht würden.
                           Bei einem Versuche im Laboratorium wurden zwei Pfund frisches Palmöl in einen kleinen
                              									kupfernen Kessel mit wohlschließendem Deckel gethan und zwei Stunden lang überhitzte
                              									Wasserdämpfe hindurch geleitet; es wurde ein Pfund der fetten Säuren, die beinahe
                              									farblos waren und deren Schmelzpunkt nahe an 54° C. lag, erhalten. Die
                              									Ueberhitzung der Dämpfe wurde bewerkstelligt, indem man sie durch ein spiralförmig
                              									gebogenes kupfernes Rohr von neun Ellen Länge leitete; der innere Durchmesser der
                              									Röhre betrug ⅓ Zoll. Das Rohr wurde mit Holzkohlen in einem gewöhnlichen Ofen
                              									so stark erhitzt, daß das Palmöl mittelst der durchgeleiteten Dämpfe eine Temperatur
                              									von ungefähr 160° C. erhielt. Der Kessel wurde mit Kohlenfeuer in dieser
                              									Temperatur gehalten.
                           Die nähere Untersuchung, theils der überdestillirten Säuren, theils der
                              									zurückgebliebenen Reste des Palmöls, habe ich noch nicht Gelegenheit gehabt zu
                              									unternehmen; daß man aber nach Entfernung des flüssigeren Theils durch Pressen in
                              									dem zurückbleibenden festeren ein treffliches Material zu Lichten haben wird, ist
                              									allem Zweifel überhoben. In theoretischer Hinsicht scheint es mir von besonderer
                              									Wichtigkeit, zu erfahren, ob auch andere Glyceride (fette Körper, die durch
                              									Seifenbildung Glycerin oder Oelsüß geben) auf eine ähnliche Art zerlegt werden.
                           Durch Behandlung des Ricinusöls auf eine ähnliche Art wurde im Destillate eine
                              									Mischung fetter Säuren erhalten, die, auf Löschpapier gebracht, feste
                              									perlmutterglänzende Schuppen, die sehr ähnlich mit der Ricinstearinsäure waren,
                              									hinterließ, während der größte Theil des Destillats von dem Papiere eingesogen
                              									wurde.
                           
                           Durch Behandlung des Talgs mit überhitzten Wasserdämpfen wurde eine feste
                              									krystallinische Masse erhalten, die größtentheils aus Margarinsäure bestand. Die
                              									Zerlegung des Talgs auf diese Weise ging indessen so langsam von statten, daß es zu
                              									technischem Gebrauch nicht vortheilhaft seyn wird die Margarinsäure auf diese Art
                              									darzustellen.
                           Bei allen diesen Destillationen wurde auch nicht die geringste Spur von
                              									Acrylverbindungen bemerkt, und ebenso wenig habe ich in dem mit überdestillirten
                              									Wasser Pyrelainsäure oder Fettsäure gefunden.
                           Nachdem es also bewiesen war, daß verschiedene Glyceride, jedoch mit ungleicher
                              									Leichtigkeit, nur durch überhitzte Wasserdämpfe auf eine ähnliche Art, wie durch
                              									starke Basen zerlegt werden, ging ich zur Prüfung der Einwirkung der überhitzten
                              									Wasserdämpfe auf Wallrath, Döglingthran und Wachs über.
                           Da die nähere Untersuchung der von diesen gewonnenen Producte noch nicht geschlossen
                              									ist, bemerke ich hier nur, daß die drei hier genannten Körper auf eine ähnliche Art,
                              									wie durch starke Basen zerlegt werden. Im Destillate von Wachs ist Brodie's Cerotinsäure gefunden worden.
                           Von besonderem technischen Interesse ist folgende Erfahrung: wenn gewöhnlicher
                              									stinkender Thran auf eine ähnliche Art wie die genannten fetten Körper behandelt
                              									wird, wird der Thran von allem Geruch befreit; die Dämpfe reißen sämmtliche
                              									stinkende flüchtige Säuren mit sich fort, und da die hierbei angewandte Temperatur
                              									allem Anschein nach hoch genug ist zur Zerlegung der Gährung hervorbringenden
                              									Körper, die vermuthlich die Bildung der Phocensäure etc. in dem rohen Thran
                              									bewirken, ist es nicht wahrscheinlich, daß ein auf diese Art gereinigter Thran
                              									späterhin den früheren üblen Geruch wieder annehmen wird. Die bis jetzt aufbewahrten
                              									Proben haben sich in mehreren Monaten unverändert gehalten.
                           Es ist klar, daß es weit besser seyn würde den Thran aus dem Speck auf eine ähnliche
                              									Art auszuschmelzen; es würde einem großen Uebel für die Bewohner von vielen Städten,
                              									wo Thran ausgeschmolzen wird, abhelfen, denn durch passende Abkühlung der Dämpfe,
                              									die in Berührung mit dem Speck gewesen waren, und durch Leitung der nicht
                              									verdichteten Luftarten bis unter den Rost des Dampfkessels, würden diese gänzlich
                              									verbrennen, und somit die Umgegend nicht verpesten können.
                           
                           Es ergibt sich von selbst, daß man die überhitzten Wasserdämpfe mit Vortheil auch zur
                              									Darstellung verschiedener pharmaceutischer Präparate verwenden kann; als Beispiel
                              									kann folgender Versuch dienen.
                           Durch Leitung überhitzter Wasserdämpfe durch einen mit gestoßenen Nelken und
                              									Bimsstein in erbsengroßen Stücken zur Hälfte gefüllten blechernen Cylinder wurden
                              									aus 1 Pfund bester Sorte Amboina-Nelken 5 Loth Oel erhalten. Die mit
                              									überdestillirte Wassermenge betrug ungefähr 8 Pfund.
                           Aus 1 Pfund bester Bourbon-Nelken wurden am ersten Tage in vier Stunden 4 Loth
                              									Oel erhalten, und am nächsten Tage durch nochmalige Leitung der überhitzten
                              									Wasserdämpfe durch die nämlichen Nelken wiederum ein Loth; von dieser letzten
                              									Quantität wurde jedoch das Meiste in den ersten zwei Pfund Wasser erhalten. Es waren
                              									also in acht Stunden 16 Pfund Wasser überdestillirt, ohne daß ein größeres Resultat
                              									erhalten wurde, als in den fünf Stunden, welche der erstgenannte Versuch dauerte.
                              									Ein dritter Versuch wurde mit zwei Pfund Bourbon-Nelken zweiter Sorte
                              									angestellt, und hierdurch wurden in acht Stunden 7½ Loth Oel und 16 Pfund
                              									milchiges Wasser erhalten. Zur theilweisen Gewinnung des in dem milchigen Wasser
                              									enthaltenen Oels, und einer Prüfung, ob es die Unkosten lohnen würde, die einmal mit
                              									Wasserdämpfen behandelten Nelken einer nochmaligen Destillation zu unterwerfen,
                              									wurden alle zu den verschiedenen Versuchen verwendeten Nelken mit sämmtlichem
                              									überdestillirtem Wasser in einen gewöhnlichen Destillirkessel gethan. Bei der
                              									Destillation wurden in den ersten 8 Pfund Wasser nur ungefähr zwei Loth Oel
                              									erhalten. Das später erhaltene Wasser war beinahe ganz klar, und selbst nach
                              									mehrstündigem Stehen wurde kein Oel ausgeschieden.
                           Der zu diesen Destillationen angewandte Apparat besteht im Wesentlichen aus einem
                              									Cylinder aus verzinntem Messingblech von 7½ Zoll Höhe und 5 Zoll Durchmesser,
                              									der sich unten trichterförmig verengt. Die untere Oeffnung wird mit einem
                              									durchlöcherten Stück Blech bedeckt, damit die Substanz nicht durchfallen kann,
                              									während die obere mit einem wohlschließenden mit einem rechtwinkelichen
                              									Zuleitungsrohre versehenen Deckel vollkommen dicht verschlossen wird. Der Cylinder
                              									ist von einem größeren aus Weißblech, der 7 Zoll im Durchmesser hat, umgeben; der
                              									Zwischenraum wird mit Reißspreu und dergleichen angefüllt, damit der innere Apparat
                              									nicht abgekühlt wird. Der Apparat wird in der einen Oeffnung einer Woulfischen
                              									Flasche, die ein wenig Wasser enthält, angebracht, die andere Oeffnung wird mit
                              									einer  Liebig'schen
                              									Kühlröhre in Verbindung gesetzt. Die Woulfische Flasche ist mit Flanell umgeben.
                           Man ersieht leicht, daß man mit dem oben erwähnten Apparat und mittelst einer
                              									passenden Menge überhitzter Wasserdämpfe in einer weit kürzeren Zeit und mit weit
                              									weniger Unkosten eine ebenso große Ausbeute erhalten kann, als wenn man die
                              									Destillation der Nelken mit dem Wasser mehreremal wiederholt.
                           Benzoësäure ist auch auf eine ähnliche Art dargestellt worden; man erhielt ungefähr 8
                              									Procent des angewandten Benzoëharzes. Die Säure hatte einen ähnlichen Geruch wie die
                              									aus Benzoë durch gewöhnliche Sublimation gewonnene.
                           Sämmtliche obenerwähnte Destillationen sind von meinem Assistenten Hrn. Lotze ausgeführt worden, der auch den Apparat zur
                              									Destillation der ätherischen Oele entworfen hat.