| Titel: | Ueber die Bildung des Salpeters in der Natur und über die künstliche Darstellung dieses Salzes; von Longchamp. | 
| Fundstelle: | Band 117, Jahrgang 1850, Nr. LXXXIX., S. 436 | 
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                        LXXXIX.
                        Ueber die Bildung des Salpeters in der Natur und
                           								über die künstliche Darstellung dieses Salzes; von Longchamp.
                        Nach der Révue scientifique et industrielle, tome
                              									XXXIII, bearbeitet.
                        Longchamp, über Salpeterbildung.
                        
                     
                        
                           Es dürften wohl wenige Gegenstände mehr geeignet seyn, die Aufmerksamkeit der
                              									Naturforscher in hohem Grade zu fesseln, als die Frage von der
                                 										Bildung der Salpetersäure in der Natur, eine Frage, welche zwei
                              									Jahrhunderte hindurch von den bedeutendsten Naturforschern zum Gegenstande emsiger
                              									Untersuchungen und fleißiger Forschungen gemacht wurde. So verschieden auch die
                              									theoretischen Ansichten seyn mochten, von denen diese Gelehrten bei ihren Arbeiten
                              									über diesen Gegenstand geleitet wurden, so stimmten sie dennoch sämmtlich in der
                              									Meinung überein, daß die Salpetersäure stets durch Zersetzung
                                 										thierischer Substanzen gebildet werde, und daß sie sich nie und nirgend
                              									erzeuge, wenn und wo derartige Stoffe fehlten.
                           Nach einem fast zweihundertjährigen Harmoniren der Meinungen von Stahl's, Glauber's und Lavoisier's Schülern unternahm es Longchamp die vorhandenen Thatsachen einer neuen Prüfung zu unterwerfen,
                              									sie auf experimentellem Wege zu erörtern, und er gelangte dabei zu Schlüssen, welche
                              									den bisher herrschenden Ansichten über die Sache geradezu entgegengesetzt sind.
                           Indeß sind die von ihm aufgestellten Sätze über die Bildung der Salpetersäure in der
                              									Natur noch keineswegs allgemein angenommen;.wie dieß zwei sehr bedeutende, erst in
                              									der neuesten Zeit in Frankreich erschienene chemische Lehrbücher, das von Regnault und das von Pelouze,
                              									beweisen, deren Verfasser der bisher herrschenden Ansicht der älteren Chemiker über
                              									diesen Gegenstand gleichfalls zu huldigen scheinen. Regnault sagt nämlich in seinem „Cours
                                    											élémentaire de Chimie“ (ins Deutsche übersetzt von Dr
                              									Boedeker) S. 516 Bd. I
                              									 des Originals:
                              										„Man erhält den Salpeter auf künstlichem Wege, indem man die Umstände
                                 										erzeugt und die Bedingungen erfüllt, von denen aller Wahrscheinlichkeit nach die
                                 										Bildung dieses Salzes in der Natur abhängt. Die künstliche Erzeugung dieses
                                 										Salzes erfordert stets das Vorhandenseyn eines Gemenges von stickstoffhaltigen
                                 										thierischen Substanzen und möglichst fein vertheiltem kohlensaurem
                                 										Kalke.“
                           
                              „Die Ansichten der Chemiker über die Bildung des natürlichen Salpeters sind
                                 										verschieden. Die Meisten nehmen an, daß sie unter dem Einflusse der Zersetzung
                                 										thierischer Stoffe, ebenso wie in unsern Salpeterplantagen, stattfinde, und daß
                                 										der nöthige Stickstoff ausschließlich von diesen Stoffen herrühre. Andere
                                 										huldigen der Ansicht, daß sich der Stickstoff und der Sauerstoff der
                                 										atmosphärischen Luft unter ge wissen Umständen, z. B. bei gleichzeitiger
                                 										Gegenwart von porösen Körpern und den Carbonaten der starken Basen direct
                                 										verbinden können; indeß ist diese Möglichkeit durch directe Versuche bis jetzt
                                 										noch nicht dargethan.“
                              
                           Unter „directen Versuchen“ scheint Regnault nur solche zu verstehen, welche von einem Chemiker im Laboratorim
                              									angestellt werden; und in seinen Augen vermag, dem Anschein nach, eine aufmerksame,
                              									vorurtheilsfreie Beobachtung der Processe, welche uns die Natur zu Tausenden in den
                              									Höhlen der Kreidegebirge, in Scheunen, Gewölben, Kellern etc. darbietet, es nicht,
                              									einen im Laboratorium gemachten Versuch aufzuwiegen. Uebrigens befindet sich Regnault in dieser Hinsicht geradezu im Irrthum; denn es
                              									sind allerdings directe Versuche angestellt worden, und
                              									zwar von Thouvenel.
                           Auch Pelouze gibt in seinem „Cours de Chimie générale, Paris 1848“
                              									eine „Theorie der Salpeterbildung,“
                              									und nennt als deren Begründer Gay-Lussac, Liebig und Kuhlmann, ohne Longchamp's
                              									Namen zu erwähnen. Rücksichtlich der Bildung von Salpetersäure in der Natur, sagt er
                              									(Bd. II, S. 28) folgendes:
                           
                              „Die Fälle, in denen sich Salpeter bei Abwesenheit jeder stickstoffhaltigen
                                 										Substanz erzeugt, sind höchst selten, und es scheint bewiesen (démontré) zu seyn, daß sich
                                 										Salpeter gewöhnlich dann bildet, wenn Wasser, welches thierische Stoffe
                                 										aufgelöst oder suspendirt enthält, längere Zeit in Berührung mit fein
                                 										zertheilten Materialien steht, die alkalische Carbonate oder kohlensaure
                                 										Kalkerde enthalten.“
                              
                           Dennoch ist die von Longchamp aufgestellte Theorie hie und
                              									da mit Beifall angenommen worden, und manche Chemiker haben zugestanden,  daß sich in
                              										„nitrisicabeln“ Stoffen auch bei gänzlichem Mangel von thierischen Substanzen Salpeter bilden könne.
                           Die Gewinnung des Salpeters war für alle Völker Europa's eine Sache von der höchsten
                              									Wichtigkeit, und so läßt es sich denn leicht erklären, daß die verschiedenen
                              									Regierungen sich aufs ernstlichste mit den Mitteln beschäftigten, dieselbe auf jede
                              									mögliche Weise zu vereinfachen und zu erleichtern.
                           Die scwedische Regierung publicirte in den Jahren 1747,
                              									1757 und 1771 „Anweisungen zur Anlage von Salpeterplantagen“;
                              									das preußische Gouvernement setzte im Jahr 1749 einen
                              									Preis auf die Erfindung der besten und vortheilhaftesten Methode zur Darstellung
                              									dieses Salzes, und um dieselbe Zeit veröffentlichte die Berner Cantonalregierung die Arbeiten von Bertrand und Gruner über die Erzeugung des
                              									Salpeters; die französische Provinz Franche-Comté endlich, welche die Last
                              									von einhundertundfünfzig Salpeterplantagen zu tragen hatte, ließ durch die Akademie
                              									zu Besançon im Jahre 1765 einen Preis aussetzen, für die
                                 										Angabe der in ökonomischer Beziehung vortheilhaftesten und für die Provinz am
                                 										wenigsten lästigen Methode, Salpeter im Großen darzustellen. In allen den
                              									angeführten Aufsätzen werden stets die stickstoffhaltigen thierischen Stoffe als die
                              									Bildung des Salpeters bedingend angesehen.
                           In Folge aller dieser Untersuchungen schrieb Turgot, in
                              									der Absicht Frankreich von der durch die Salpeterhütten verursachten Plage zu
                              									befreien, am 17. August 1775 an die Akademie der Wissenschaften zu Paris: sie möge
                              									einen Preis, zu welchem der betreffende Minister die Fonds schaffen würde,
                              										„aussetzen für denjenigen, welcher nach dem Urtheile der Akademie der
                                 										Natur ihr Geheimniß bei Bildung und Erzeugung (formation
                                    											et génération) des Salpeters am meisten abgelauscht und die
                                 										zweckmäßigsten, am raschesten zum Ziele führenden Mittel angegeben hätte, dieß
                                 										Salz im Großen und in mehr als genügender Menge zu erzeugen.“
                           Am 15. November desselben Jahres veröffentlichte die Akademie das Programm dieser
                              									Preisaufgabe, und verbreitete es in 3000 Exemplaren; sie bestimmte das Jahr 1778 als
                              									Termin zur Einlieferung der Preisschriften.
                           Zur Redaction dieses Programmes war eine aus fünf Mitgliedern bestehende Commission
                              									erwählt, und dieselbe war zugleich beauftragt worden, alle bisher über die Bildung
                              									des Salpeters erschienenen Werke,  Broschüren, Aufsätze etc. zu sammeln und für die
                              									Uebertragung derselben, soweit sie nicht in französischer Sprache gedruckt waren, in
                              									dieselbe zu sorgen. Diese „Salpetterlitteratur“ bildete einen
                              									Band von mehr als 600 Seiten, welcher im Jahr 1776 erschien.
                           Es gingen 38 Preisschriften ein, aber nicht eine einzige von denselben entsprach den
                              									von der Akademie gemachten Anforderungen; deßhalb wurde die Preisfrage nochmals
                              									ausgeschrieben und das Jahr 1782 zum Einlieferungstermin bestimmt. Es fanden sich in
                              									diesem Jahre 22 Preisbewerber; folglich waren im Ganzen sechzigIm Originale steht, wohl in Folge eines Druckfehlers, 70, und später
                                    										66. Schriften eingegangen, deren wesentlicher Inhalt, nebst dem
                              									Wortlaute des Textes von dreizehn derselben, denen der
                              									Preis oder das Accessit zuerkannt oder die von der Commission für wichtig genug
                              									erklärt worden waren, um vollständig bekannt gemacht zu werden, in einem Quartbande
                              									von fast 900 Seiten der Oeffentlichkeit übergeben wurde. Schwerlich hat von den
                              									Chemikern welche Longchamp's Theorie bestreiten, ein
                              									einziger dieses Buch, sowie den bereits erwähnten, im Jahr 1776 erschienenen Band
                              									ganz durchgelesen. Ja, es möchten überhaupt wohl nur wenige Chemiker, wenn sie
                              									aufrichtig sind, sagen können, daß sie diese beiden Werke kennen!
                           Sicherlich gehört ein geübter kritischer Blick dazu, aus sechzig verschiedenen
                              									Schriften über einen und denselben Gegenstand eine Ansicht klar herauszufinden und
                              									zu isoliren, welche der Wahrheit nahe kommt, zumal da der größte Theil dieser
                              									Schriften Leute zu Verfassern hat, denen jedwede chemische Kenntniß fehlte, und die
                              									sehr häufig schlecht beobachtete oder wohl gar gänzlich unwahre erdichtete
                              									Thatsachen berichteten. Longchamp kam, nachdem er beide
                              									von der Akademie herausgegebenen Bücher mehrmals durchgelesen und alle in denselben
                              									angeführten Untersuchungen aufs sorgfältigste mit einander verglichen hatte, zu der
                              									Erkenntniß, daß alle Preisbewerber durchaus Unrecht haben, wenn sie die Gegenwart
                              									von thierischen Substanzen als Bedingung für die Bildung von Salpeter angenommen. Er
                              									bildete sich nun eine eigene Theorie der Salpeterbildung und suchte dieselbe zwölf
                              									Jahre lang durch Beobachtungen in Gewölben, Kellern, Schuppen, Höhlen, und anderen
                              									Orten, an denen sich Salpeter bildet, zu begründen, wobei er selbst stets Zweifel in
                              									ihre Richtigkeit setzte, und bereit war sie aufzugeben,  sobald sich nicht eine völlige
                              									Uebereinstimmung zwischen ihr und den beobachteten Thatsachen zeigen sollte.
                           Im Jahre 1820 sollten in Frankreich „Salpeterplantagen“ angelegt
                              									werden, und zwar in derselben Art, wie sie schon früher vorgeschlagen worden waren;
                              									zu dem Behuf wurde ein Aufruf an alle Landleute erlassen, des Inhalts, sie möchten
                              									in der Nähe ihrer Wohnungen kleine Salpeterplantagen anlegen, in welchen sie den als
                              									im Uebermaaße vorhanden angenommenen Mist verwenden und wozu sie ihre als unnütz
                              									verloren gehend vorausgesetzte Zeit benutzen sollten. Auch wurde eine
                              										„Anleitung zur Salpeterfabrication“ herausgegeben; die
                              									Verfasser derselben scheinen aber vergessen zu haben, daß sie nicht im Jahre 1775
                              									schrieben, wo die Bauern nichts als Frohnen leistende Sklaven und Leibeigene ihrer
                              									Grundherren waren. Diese „Instruction“ oder
                              										„Anleitung“ ist noch jetzt merkwürdig hinsichtlich der
                              									beiden folgenden Sätze, welche sie als den wesentlichen Inhalt aller bis dahin
                              									bekannt gewordenen Thatsachen aufstellt.
                           1. In den zur Salpeterbildung geeigneten Materialien bildet
                                 										sich an der Luft niemals Salpeter wenn nicht ein thierischer Stoff vorhanden
                                 										ist.
                           2. Die ganze zur Bildung von Salpetersäure nöthige Menge
                                 										Stickstoff rührt von diesen thierischen Substanzen her.
                           Longchamp legte am 24 November 1823 seine Theorie der
                              									Akademie der Wissenschaften vor. Diese ernannte zwar fünf Commissarien; indeß konnte
                              										Longchamp durchaus keinen Bericht erlangen, um
                              									welchen er einzig und allein angehalten hatte. Der mannichfaltigen Vorwände, mit
                              									denen er drei Jahre lang hingehalten wurde, des Vorschützens von
                              									Geschäftsüberhäufung, Reisen u. s. w., endlich überdrüssig machte er seine Ansichten
                              									in den Annales de Chimie et de Physique (Septemberheft
                              									1826) und in einer besondern, einen Monat später erschienenen Broschüre bekannt.
                           Auf diese letztere antwortete Gay-Lussac mit einem in der eben genannten Zeitschrift (t. XXXIV, p. 86, Jahrg. 1826) abgedruckten „offenen
                                 										Briefe,“ aus welchem wir hier folgende merkwürdige Stelle
                              									hervorheben: „.…Wenn Sie gesagt hätten, daß sich unter gewissen
                                 										noch unbekannten Umständen Salpetersäure ohne die Gegenwart von
                                 										stickstoffhaltigen Substanzen bilden könne, so würde ich diese Behauptung nicht
                                 										widerstreiten.“ Diese Stelle ist denn doch ein förmlicher  Widerruf der beiden in der
                              										„Instruction zur Salpeterfabrication“ aufgestellten
                              									Sätze!
                           Als die Verwaltung der Pulverfabriken Versuche über die Salpetergewinnung auf
                              									künstlichem Wege machen ließ, sandte Longchamp seine eben
                              									erwähnte Broschüre dem Kriegsminister ein, und dieser forderte am 23 Februar 1828
                              									die Akademie der Wissenschaften auf, sie möge durch eine Commission untersuchen
                              									lassen, ob es von Nutzen seyn würde Versuche über die Darstellung von künstlichem
                              									Salpeter nach Longchamp's System anstellen zu
                              									lassen—einem Systeme, welches darin besteht, die nitrificable Erde mit reinem (d. h. von allen organischen Stoffen freiem) Wasser zu begießen. Zum Berichterstatter wurde Beudant erwählt; der von ihm gegebene Bericht hat
                              									augenscheinlich nur den Zweck, die älteren Ansichten über die Salpeterbildung, denen
                              									von Proust und Longchamp
                              									gegenüber, aufrecht zu erhalten, und dem letztgenannten das Eigenthumsrecht an
                              									seinen Ansichten streitig zu machen, wie dieß aus folgender Stelle des Berichtes
                              									hervorgeht: „......Die Commission fühlt sich, indem
                                    											sie die Ansicht aller Chemiker theilt, zu dem Glauben veranlaßt, daß
                                 										wie Hr. Longchamp annimmt, in hinlänglich porösem
                                 										Kalkboden, bei einem gewissen Feuchtigkeitsgrade und einer gehörigen Temperatur,
                                 										Salpetersäure, ohne Mitwirkung thierischer Stoffe, einzig und allein aus den
                                 										Bestandtheilen der atmosphärische Luft sich bilden kann.“
                           Longchamp glaubt gegen diese Stelle um so stärker
                              									auftreten zu müssen, als sie nichts weniger als klar und deutlich ist, und sich auf
                              									verschiedene Weise deuten läßt. Soll damit gesagt seyn, daß heutzutage alle
                              									Chemiker, nach Longchamp's Vorgange, die im Berichte
                              									berührte Ansicht als die richtige zulassen? Dann hätte Beudant unstreitig sagen müssen, daß ohne Zweifel alle Chemiker Longchamp's Ansicht theilen werden.
                           Oder soll es vielmehr heißen, daß sie schon vor Longchamp
                              									die von ihm aufgestellte Meinung theilten? — Dieß steht nun wieder in geradem
                              									Wiederspruche mit dem ersteren der beiden von Gay-Lussac, einem Manne den Beudant doch wohl ohne Zweifel auch zu den
                              										„Chemikern“ rechnet, in der
                              										„Instruction“ aufgestellten Sätzen! — Nicht ein einziger von allen diesen
                              									Chemiker kann mit der Behauptung auftreten, daß er früher als Longchamp jene Ansicht aufgestellt hätte!
                           Noch ehe Beudant seinen Bericht abstattete, griff auch Liebig die Longchamp'sche
                              									Theorie der Salpeterbildung an, und zwar in einer „Bemerkung über die Salpeterbildung“ (Ann. de Chim.
                              									
                              									et de Phys. t. XXXV, p. 329, Jahrg. 1827). Seit zwei
                              									Jahren mit Untersuchungen über das Regenwasser
                              									beschäftigt, hatte er gefunden, daß der nach Gewittern gefallene Regen
                              									Salpetersäure, an Kalkerde oder Ammoniak gebunden, enthalte, und dieß schien ihm im
                              									Hinblick auf die Bestandtheile der atmosphärischen Luft durchaus nicht überraschend;
                              									er hielt aber seine Beobachtung für neu und erklärte durch dieß Factum den Gehalt
                              									des Bodens an salpetersauren Salzen, wenn schon in demselben thierische,
                              									stickstoffhaltige Substanzen, welche die Bildung von Salpetersäure zu vermitteln im
                              									Stande gewesen wären, nicht zugegen sind. In einem bereits 1809 geschriebenen
                              									Aufsatze von Longchamp
                              									„Ueber einige Erscheinungen bei der Bildung des Salpeters“ (Journal de Physique, t. LXIX, p. 107) findet man jedoch
                              									sowohl die Erwähnung jener von Liebig mitgetheilten
                              									Thatsache, als auch die von ihm für den Gehalt des Bodens an Nitraten gegebene
                              									Erklärung. Longchamp machte auf diese Priorität in einer
                              									am 28. April 1828 in der Akademie gelesenen Bemerkung, sowie in einem im Februar
                              									1829 in den Annales des sciences d'observation
                              									abgedruckten Aufsätze über die Bildung des Salpeters aufmerksam.
                           Gaultier de Claubry erwähnt in seinem im Jahr 1833 der
                              									Akademie vorgelegten Aufsatze „Ueber den
                                    											salpeterbildenden Kalkstein des Pariser Bodens“ (Annales de Chimie et de Physique, t. LII, p. 24) nicht
                              									ein einzigesmal der Arbeiten Longchamp's, welche doch den
                              									von ihm behandelten Gegenstand bereits erschöpft hatten.
                           Wir müssen hier noch der von Kuhlmann veröffentlichten
                              									merkwürdigen Beobachtungen „über die Umänderung des Ammoniaks in
                                 										Salpetersäure“ erwähnen, welche unter dem Einflusse von
                              									atmosphärischer Luft und Platinschwamm stattfindet. Für einen Irrthum erklärt es Longchamp freilich, wenn der gedachte Chemiker in dieser
                              									Beobachtung eine Erklärung für die Vorgänge bei der Salpeterbildung zu finden
                              									glaubt, zumal wenn er sagt: „Man kann mit Sicherheit annehmen, daß die
                                 										Kenntniß der von mir constatirten Thatsachen unser Vaterland über die
                                 										Schwierigkeiten oder gar die Unmöglichkeit zu beruhigen im Stande seyn dürste,
                                 										welche damit verknüpft sind, im Falle eines allgemeinen Seekrieges eine
                                 										genügende Menge Salpeter zu erzeugen; daß diese Kenntniß Veranlassung dazu geben
                                 										dürfte, die frühere Art der Verproviantirung mit Salpeter für die Bedürfnisse
                                 										des Staates aufzugeben und durch eine neue zu ersetzen.“ (Comptes rendus etc., t. VII, p. 1109, Jahrg. 1838.)
                           Es unterliegt gegründetem Zweifel, ob das gesammte Geld Frankreichs hinreichen würde,
                              									um die durch die Erzeugung von 1 Million  Kilogrammen Salpetersäure mittelst Ammoniak und
                              									Platinschwamm verursachten Kosten zu decken.
                           Uebrigens verwahrt sich Longchamp ausdrücklich gegen jede
                              									Mißdeutung seiner Absicht bei Abfassung dieser Abhandlung; die Bildung des Salpeters
                              									ist ihm durchaus nur ein Gegenstand wissenschaftlicher Kritik, mit welchem sein Name
                              									seit 25 Jahren aufs engste verbunden ist.
                           Seine Theorie von der Bildung des Salpeters gibt er im Nachfolgenden so, wie er sie
                              									schon früher brachte, mit denselben Beweisen für ihre Richtigkeit; und Jedermann
                              									wird sich leicht überzeugen können, ob irgend ein anderer Chemiker bis auf den
                              									heutigen Tag die geringste neue Ansicht oder Beobachtung dem hinzugefügt hat, was er
                              									in seinen verschiedenen Arbeiten über diesen Gegenstand gesagt.Diese sind: Ueber einige Erscheinungen bei der Bildung
                                       												des Salpeters (sur quelques phénomènes, qui
                                       												se passent dans la formation du salpètre; Journ. phys., t. LXIX,
                                       												ann. 1809). — Neue Theorie der
                                       												Salpeterbildung (théorie nouvelle de la
                                       												nitrification; Ann. de Chimie et de Phys., t XXXIII, p. 5).—
                                    												Neue Theorie der Salpeterbildung und Jdeen über
                                       												die Anlage von Salpeterplantagen (théorie
                                       												nouvelle de la nitrification et idées sur l'établissement des nitrières
                                       												artificielles); eine im Jahre 1826 erschienene Broschüre. —
                                    												Brief an Hrn. Gay-Lussac über die
                                       												Salpeterbildung (lettre à Mr. Gay-Lussac
                                       												sur la nitrification; Ann. de Chimie et de Phys., t. XXXIV, p.
                                    											215). — Bemerkungen zu meiner Theorie der
                                       												Salpeterbildung (note additionnelle à ma
                                       												théorie de la nitrification; im April 1828 der Akademie vorgelegt).
                                    											— Ueber die Salpeterbildung (sur la nitrification; Annales des sciences
                                       												d'observation,1829).
                           Theorie der Salpeterbildung.
                           Die von Longchamp aufgestellte Theorie, wie er sie im
                              									Jahre 1825 der Pariser Akademie der Wissenschaften vorlegte, ist folgende:
                           Der Sauerstoff und der Stickstoff der atmosphärischen Luft
                                 										verbinden sich unter Einwirkung poröser Körper, bei Gegenwart von Wasser und
                                 										einer Salzbase, zu Salpetersäure.
                           Thierische oder pflanzliche Stoffe tragen zur Bildung der
                                 										Salpetersäure in der Natur nichts bei.
                           Die Thatsachen und Beobachtungen, auf welche diese Theorie basirt ist, entwickelt Longchamp unter folgenden Abschnitten:
                           
                           I. Salpetersaure Salze kommen in
                                 										Stoffen oder an Orten vor, an denen weder vegetabilische, noch animalische
                                 										Substanzen vorhanden und welche nie dem Einflusse thierischer Ausdünstungen
                                 										ausgesetzt gewesen sind.
                           II. Salpetersäure bildet sich an
                                 										freier Luft, in Materialien welche keine Spur von thierischen oder pflanzlichen
                                 										Stoffen enthalten.
                           III. Die Salpetersäure bildet sich
                                 										ausschließlich aus den Bestandtheilen der Atmosphäre.
                           (Bezüglich dieser drei Abschnitte vergleiche man Longchamp's Abhandlung im polytechnischen Journal,
                              									Jahrgang 1827, Bd. XXIII S. 450–468.)
                           IV. Die in der Natur gebildete
                                 										Salpetersäure ist keineswegs Product der Wirkung des in der atmosphärischen Luft
                                 										enthaltenen Sauerstoffs auf das Ammoniak.
                           Ueber diesen Gegenstand läßt Longchamp hier zum erstenmal
                              									sein Urtheil hören; denn seine letzte Arbeit über Salpeterbildung datirt vom Jahre
                              									1829, und erst im Jahre 1838 wurde die Thatsache bekannt, daß sich bei der durch
                              									Platinschwamm vermittelten Einwirkung der atmosphärischen Luft auf Ammoniak
                              									Salpetersäure bildet.
                           Kuhlmann's höchst interessante und merkwürdige
                              									Untersuchungen über diesen GegenstandPolytechn. Journal Bd. LXXIII S. 60. gaben diesem
                              									Chemiker Veranlassung zur Aufstellung folgender Sätze, die wir hier wörtlich
                              									aufführen und mit Nummern bezeichnen, um bei der Widerlegung derselben
                              									Wiederholungen zu vermeiden.
                           §. 1. „Wird ein Gemenge von Ammoniak und atmosphärischer Luft in
                                 										Berührung mit Platinschwamm auf eine Temperatur von 300° C. erhitzt, so
                                 										wird es zersetzt, und der in ihm enthaltene Stickstoff auf Kosten des
                                 										Sauerstoffs der Luft vollständig in Salpetersäure verwandelt.“
                           §. 2. „In keinem Fall konnte sich freier Stickstoff mit freiem
                                 										Sauerstoff verbinden, aber alle stickstoffhaltigen
                                    											Verbindungen verwandeln sich durch die Einwirkung des Platinschwammes in
                                    											Salpetersäure.“
                           §. 3. „Das Stickstoffoxydul, das Stickstoffoxyd die
                                 										Untersalpetersäure und die Salpetersäure werden, wenn sie, mit einer genügenden
                                 											 Menge
                                 										Wasserstoff gemengt, mit Platinschwamm in Berührung kommen, in Ammoniak
                                 										umgewandelt. Dieser Proceß geht so energisch vor sich, daß bei demselben öfters
                                 										eine heftige Explosion stattfindet.“
                           §. 4. „Freier Stickstoff kann sich mit freiem Wasserstoff nicht
                                 										verbinden, wohl aber können alle stickstoffhaltigen
                                    											Verbindungen durch freien oder gebundenen Wasserstoff in Ammoniak
                                    											umgewandelt werden.“
                           §. 5. „Salpetersaure Salze als Dünger angewendet, wirken nur
                                 										insofern, als durch die desoxydirende Wirkung der Fäulniß ihre Säure in Ammoniak
                                 										umgewandelt wird.“
                           §. 6. „Die salpetersauren Salze werden in Ammoniak umgewandelt, wie
                              									dieß folgende Ergebnisse beweisen:
                           a) „Wenn man einige Stückchen Salpeter in ein
                                 										Gemenge von Eisen oder Zink und Schwefelsäure bringt, so wird die Entwickelung
                                 										von Wasserstoff so lange gehemmt, bis der ganze Säuregehalt des salpetersauren
                                 										Salzes in Ammoniak umgewandelt worden ist.“
                           b) „Eine gleiche Umwandlung bewirkt
                                 										Schwefelwasserstoffgas im Augenblicke seiner Bildung (in
                                    											statu nascente), indem Schwefel ausgeschieden wird.“
                           § 7. „Wenn ich einerseits überzeugt bin, daß die salpetersauren
                                 										Salze nur dann als Dünger wirksam werden, nachdem sie bis zu einer gewissen
                                 										Tiefe in dem Boden eine Zersetzung erlitten haben, in Folge deren kohlensaures
                                 										Ammoniak gebildet worden ist, so bin ich der nicht weniger festen Ueberzeugung,
                                 										daß die Fruchtbarmachung des Bodens auch noch von einer Reaction in umgekehrter
                                 										Reihenfolge der Processe bedingt wird — einer Reaction, welche die
                                 										Verflüchtigung des Ammoniaks verhindert; nämlich von der Umwandlung der
                                 										Ammoniaksalze in Nitrate — eine Umwandlung, welche in den oberflächlich
                                 										gelegenen Theilen des Bodens stattfindet, falls dieser die passende chemische
                                 										Zusammensetzung hat, und falls die nöthigen Bedingungen, nämlich ein gehöriger
                                 										Feuchtigkeitsgrad und eine passende Temperatur, erfüllt werden.“
                           § 8. „In der Umwandlung des Ammoniaks in Salpetersäure liegt also
                                 										die einfachste und folgerichtigste Erklärung der
                                 									Salpeterbildung.“
                           Nach Kuhlmann's Theorie spielt also der Stickstoff der
                              									atmosphärischen Luft bei der Salpeterbildung gar keine Rolle; und der Sauerstoff
                              									derselben wirkt nur, indem er zunächst den Wasserstoff des Ammoniaks verbrennt, und
                              									sich dann, obschon er keineswegs in statu nascente ist,
                              										 mit dem dadurch
                              									freiwerdenden in statu nascente befindlichen Stickstoffe
                              									verbindet. Offenbar bietet dieser letztere Punkt von Kuhlmann's Ansicht nichts Neues dar; denn diese Ansicht theilt beinahe
                              									Jedermann, mit Ausnahme von z. B. Longchamp. Neu dagegen
                              									ist es, wenn Kuhlmann eine Bildung von Ammoniak annimmt,
                              									während die Chemiker bis heutzutage dieß Zwischenglied, diese Uebergangsstufe in der
                              									Salpeterbildung nicht angenommen hatten, denn nach ihrer Theorie entwickelt sich der
                              									Stickstoff aus den thierischen Substanzen, sobald die Elemente derselben aus ihrer
                              									gegenseitigen Verbindung frei werden.
                           Die neue Theorie beruht also auf der Annahme der Gegenwart von thierischen
                              									Substanzen; denn fehlen diese letztern, so kann auch kein Ammoniak gebildet werden,
                              									dann ist folglich die ganze Theorie durchaus ohne feste Basis und stürzt von selbst
                              									zusammen. Nun stellt ja aber Longchamp gerade die
                              									Nothwendigkeit der Gegenwart von thierischen Stoffen in Abrede, und zwar, indem er
                              									Thatsachen zu Gunsten seiner Theorie anführt, welche von vielen ausgezeichneten
                              									Chemikern beobachtet und bestätigt sind.
                           1. Lavoisier, der beredte Vertheidiger der Ansicht von der
                              									Nothwendigkeit der Gegenwart thierischer Substanzen bei der Salpeterbildung, hat die
                              									Gegenwart von salpetersauren Salzen in Stoffen nachgewiesen, welche keine Spur von
                              									thierischen Substanzen enthielten (man vergleiche die citirte Abhandlung Longchamp's im polytechn. Journal).
                           Er nitrificirte gut ausgewaschene Kreide, welche er in Körben zwei Fuß hoch über
                              									faulendem Blute aufhing; wenn sich nun bei diesem Fäulnißprocesse Stickstoff
                              									entwickelte, so wirkte er nicht anders wie der Stickstoff der atmosphärischen Luft,
                              									und war folglich ohne Wirkung.— „Aber“, wird freilich
                              										Kuhlmann einwerfen, „es entwickelte sich
                                 										kein Stickstoff; es war Ammoniak, welches von der Kreide fixirt
                                 										wurde.“ Allerdings, wenn der Versuch in einem geschlossenen Gefäße
                              									vorgenommen worden wäre; allein er wurde in dem großen Raume eines Zimmers oder im
                              									Laboratorium angestellt, und wenn sich Ammoniak entwickelte, so verbreitete es sich
                              									in die Luft des ganzen Raumes, und die Kreide konnte höchstens einige Spuren davon
                              									aufnehmen, d. h. im Verhältnisse ihres Volums zum Volum der sie umgebenden
                              									atmosphärischen Luft.
                           2. Der Autor „ohne Namen“ laugte Ackererde aus und entfernte
                              									dadurch alle Salze und thierischen Stoffe; in derselben Erde bildeten sich einfach
                              									dadurch, daß sie längere Zeit der Einwirkung der atmosphärischen Luft ausgesetzt
                              									wurde, salpetersaure Salze.
                           
                              (A. a. O.)
                              
                           
                           3. Die Erde aus Kellern, Gewölben, Scheunen etc. gibt, wenn sie vollkommen ausgelaugt
                              									und dann wieder an ihre Stelle gebracht wird, nach Verlauf einer gewissen Zeit
                              									nochmals salpetersaure Salze; dieß kann man ein zweites-,ein
                              									drittes-,ein zehntesmal mit demselben Resultate wiederholen, und da dieß nur
                              									in Zwischenräumen von je 8 bis 10 Jahren geschehen kann, so müßte die Erde in
                              									Scheunen, Gewölben, Kellern etc. aus einer concentrirten, verdichteten thierischen
                              									Substanz bestehen, und diese Substanz müßte eine solche Beschaffenheit haben, daß
                              									sie der Einwirkung von Jahrhunderten widerstände, indem sie sich nur ganz
                              									allmählich, nach jedesmaligem Auslaugen, zersetzte.
                           4. Thouvenel, ein so eifriger Parteigänger für die Theorie
                              									der Mitwirkung thierischer Stoffe bei der Salpeterbildung, daß ihm die Akademie den
                              									ausgesetzten Preis von 6000 Frcs. zuertheilte, erhielt aus Kreide, welche er,
                              									nachdem er sie tüchtig ausgelaugt hatte, in einen dicht verschlossenen, mit
                              									atmosphärischer Luft gefüllten Gefäße längere Zeit stehen ließ, salpetersaure
                              									Salze.
                           5. Proust beobachtete die Bildung von Salpeter in dem
                              									nicht gedüngten Boden Spaniens und Indiens. — Wir wollen ein anderes
                              									salpeterreiches Land, Aegypten nämlich, hier nicht weiter in Betracht ziehen, denn
                              									man könnte einwerfen, die Gewässer und der Schlamm des Niles führten thierische
                              									Substanzen herbei, obschon dieß nicht richtig ist; denn das mit solchen Stoffen am
                              									stärksten beladene Wasser enthält als Maximum kaum einige Milliontheile
                              										„Baregin“, eine stickstoffhaltige organische Substanz,
                              									welche in allen Gewässern enthalten ist, die aus dem Schooß der Erde hervorkommen;
                              									an manchen Stellen dieses Landes enthält solcher Boden Salpeter, der gar nicht
                              									überschwemmt worden ist.
                           6. Endlich hat Gay-Lussac ein in diesem Aufsatze bereits erwähntes glänzendes Zeugniß zu
                              									Gunsten von Longchamp's Theorie aufgestellt, indem er
                              									sagt: „Hätten Sie behauptet, daß unter gewissen, noch nicht näher
                                 										erkannten Umständen Salpetersäure ohne die Mitwirkung
                                    											organischer Substanzen sich bilden könne, so würde ich dieß nicht in
                                 										Abrede stellen.“
                           Wenn nun, ungeachtet aller dieser Zeugnisse der ausgezeichnetsten Beobachter, Regnault und Pelouze doch noch
                              									behaupten, daß die Mitwirkung thierischer Substanzen zur Bildung von Salpetersäure
                              									wirklich nothwendig sey, so heißt dieß einer offenen Wahrheit die Anerkennung
                              									Versagen wollen. Wenn ferner in salpeterhaltigen Kellern, Gewölben und dergl., in
                              									den Steinbrüchen von Bon-Fouquière, Mousseaux, la  Roche-Guyon, in den
                              									Grotten von Ceylon, im Boden der pyrenäischen Halbinsel und Ostindiens, kurz an
                              									allen den Orten und in allen den Bodenarten, in und aus welchen man Salpeter
                              									gewinnt, thierische Stoffe durchaus nicht vorhanden sind, wo ist dann jenes
                              									Ammoniak, welches nach Kuhlmann's Theorie seinen
                              									Stickstoff hergeben soll, um Salpetersäure zu bilden? Da dieses Ammoniak in der
                              									Wirklichkeit gar nicht existirt, so hat die auf die Annahme von seiner Existenz
                              									basirte Theorie nicht den geringsten Halt, sondern bricht von selbst zusammen.
                              									Deßhalb ist es wohl überflüssig, auf einen Widerspruch aufmerksam zu machen, welcher
                              									klar vor Augen liegt; nach Kuhlmann findet nämlich die
                              									Verbrennung des Wasserstoffs durch den Sauerstoff der Luft und seine Vereinigung mit
                              									dem Stickstoffe derselben zu Ammoniak erst bei einer Temperatur von 300° C.
                              									statt (vergl. §. 1); wer hat nun aber eine so hohe Temperatur im Boden von
                              									Kellern und Gewölben oder in der Erde der Felder jemals nachgewiesen?
                           Auch die in §. 7 ausgesprochene Ansicht von der Bildung von Ammoniak in einer
                              									Tiefe von 8 bis 10 Centimeter, und von der Umwandlung dieses Ammoniaks in
                              									Salpetersäure auf der Oberfläche des Bodens, zu dem Zweck, damit das kohlensaure
                              									Ammoniak sich nicht in die Luft verflüchtigt, läßt sich nicht wohl begreifen; ein
                              									solches Spiel von Verbindung und Zersetzung hat mindestens nicht viel
                              									Wahrscheinliches, keine einzige Analogie auf dem weiten Gebiete der Chemie.
                           Die von Kuhlmann beobachteten Thatsachen sind gewiß vom
                              									höchsten Interesse für die allgemeine Theorie der Wissenschaft, aber auf die
                              									Erscheinungen bei der Salpeterbildung sind sie durchaus nicht anzuwenden.
                           Rückblick. — Die von Longchamp seit fünfundzwanzig Jahren debattirte Theorie der
                              									Salpeterbildung hat die Aufmerksamkeit der Chemiker bei weitem nicht in dem Grade
                              									erregt, wie sie das große Phänomen der Nitrification, welches Glauber
                              									subjectum universale genannt hat, gewiß verdient. Denn
                              									der Salpeter zeigt sich in der That auf der ganzen Erdoberfläche verbreitet, wo die
                              									poröse Beschaffenheit des Bodens die Absorption der Bestandtheile der Atmosphäre
                              									begünstigt, und diese Thätigkeit des Bodens wirkt vielleicht mit einer viel
                              									ausgedehntern, großartigeren Kraft als alle Lungen sämmtlicher lebender Wesen. Der
                              									Lebensproceß der Pflanzenwelt gibt der Luft den beim Processe der Verbrennung des
                              									Kohlenstoffs verbrauchten Sauerstoff zurück, aber vergebens suchen wir nach einem
                              									Vorgange, welcher ihr die Sauerstoffmenge zurückzugeben vermag, die der Stickstoff
                              									bei seiner Umwandlung 
                              									in Salpetersäure bindet. Wo bleibt diese Säure? Werden die salpetersauren Salze
                              									vielleicht im Schooße der Gewässer durch die belebte Welt zersetzt, mit welcher die
                              									letztern bevölkert sind? Denn Marcet hat im Meere
                              									vergebens die Gegenwart von Nitraten nachzuweisen gesucht, und doch werden diese vom
                              									Regen aus dem Boden ausgewaschen, in die Bäche und von diesen in die Ströme geführt,
                              									und die Ströme münden ins Meer!
                           Die Gewinnung des Salpeters auf künstlichem
                                 										Wege.
                           Der Salpeter, welcher vor zwanzig Jahren den Verbrauch in Frankreich deckte, wurde
                              									aus gegrabener Salpetererde (Gayerde) und aus dem Schutt alter Gebäude gewonnen.
                              									Jetzt ist diese Darstellungsmethode aufgegeben; Longchamp's Bemühungen gelang es, eine neue Fabricationsmethode
                              									allgemeiner zu machen, und es dahin zu bringen, daß die Salpetergräber nicht mehr
                              									den Boden durchwühlen.
                           Die Lösungen vom Auslaugen der salpeterhaltigen Stoffe, die Rohlaugen (Grundwasser, Siedelaugen) enthalten eine Menge Salze, und zwar
                              									besonders salpetersaures Kali, salpetersaure Kalkerde und
                              										salpetersaure Magnesia; ferner Chlorcalcium, Chlornatrium und Chlorkalium.
                           In der Kunstsprache der Salpetersieder bezeichnet man mit dem Ausdrucke
                              											„das Brechen“ (saturation) die Operation, durch welche die
                              									salpetersaure Kalkerde der Siedelauge durch Zusatz von Kalisalzen, den sogenannten
                              										„Bruch“ zersetzt und in salpetersaures Kali verwandelt
                              									wird. Früher setzte man nur diejenige Menge von Kali zu, welche man zur Zersetzung
                              									des salpetersauren Kalkes für nöthig hielt; es blieb in Folge dessen nach dem
                              									Versieden und Krystallisiren eine bedeutende Menge Mutterlauge zurück, welche, wie
                              									man annahm, nur soviel salpetersaures Kali als nicht hatte krystallisiren können,
                              									sowie eine gewisse Quantität salpetersaure Kalkerde enthielt, welche aus Mangel
                              									einer genügenden Menge von Kali nicht hatte zersetzt werden können, und man glaubte,
                              									diese Mutterlauge bestände zum größten Theile aus Chlorcalcium und einer kleinen
                              									Menge Chlornatrium, welche beide schon vorher in der Salpetererde existirten. Man
                              									schritt zu einem nochmaligen Brechen, um den salpetersauren Kalk zu zersetzen,
                              									siedete, um den Salpeter zu erhalten, und die zuletzt übrigbleibende Mutterlauge
                              									wurde als unbrauchbar, 
                              									d. h. als nicht mehr mit Vortheil zu verarbeiten, weggegossen.
                           Wie natürlich, enthielt diese Mutterlauge noch eine große Menge Salpeter, dessen
                              									Krystallisation durch die Gegenwart von Chlorcalcium verhindert wurde. Longchamp machte im Jahr 1817 (s. Ann. de Chimie et de Phys., t. V.) den Vorschlag, dieses Chlorcalcium
                              									durch schwefelsaures Natron zu zersetzen; es blieb dann nur noch eine Auflösung von
                              									Salpeter und Chlornatrium, und beim Versieden erhielt man die ganze in der Lauge
                              									enthaltene Menge dieser Salze. Die durch das schwefelsaure Natron gebildete Menge
                              									von Chlornatrium compensirte die durch das verbrauchte Glaubersalz verursachten
                              									Kosten, und die in der Mutterlauge noch außerdem enthaltenen Quantitäten Salpeter
                              									und Kochsalz waren reiner Gewinn. Dieß ist die erste der von Longchamp eingeführten Verbesserungen in der Salpeterfabrication.
                           Andere folgten bald im J. 1818 (vergl. Ann. de Chimie et de
                                 										Phys., t. IX.), welche, als Resultate theoretischer Forschungen, der
                              									Salpeterfabrication eine ganz andere Gestalt hätten geben müssen; allein Gründe, auf
                              									welche wir hier nicht eingehen können, verhinderten den Staat, Nutzen daraus zu
                              									ziehen.
                           Wie erwähnt, nahm man an, daß durch das Brechen nur der salpetersaure Kalk,
                              									keineswegs aber das Chlorcalcium zersetzt würde. Durch das von Berthollet auf die Wirkung der Verwandtschaft so scharfsinnig angewendete
                              									Gesetz der Massen kam Longchamp auf den Gedanken, daß das
                              									Chlorcalcium so gut wie die salpetersaure Kalkerde, im Verhältniß ihrer Massen, d.
                              									h. im Verhältniß ihrer relativen Quantität, zersetzt würde. War dieß wirklich der
                              									Fall, so durfte man nicht länger bei einem nur theilweisen Brechen oder Saturiren
                              									stehen bleiben; man mußte vielmehr den Grundwässern der Salpetersieder die ganze zur
                              									Zersetzung des Chlorcalciums sowohl, als der salpetersauren Kalkerde nöthige Menge
                              									Bruch (Kalisalze) zusetzen. — Longchamp fand seine
                              									Annahme durch folgenden Versuch bestätigt.
                           Nachdem er sich Lösungen von reinem salpetersaurem Kalk und von reinem Chlorcalcinm
                              									bereitet hatte, suchte er durch Versuche genau zu bestimmen, welche Menge einer
                              									gesättigten Lösung von kohlensaurem Kali nöthig war, um jene Lösungen vollständig zu
                              									zersetzen. Er erhielt folgende Resultate:
                           300 Thle. der Lösung von kohlensaurem Kali zersetzten 400 Thle. der
                              									Lösung von salpetersaurer Kalkerde.
                           300 Thle. der Lösung von kohlensaurem Kali zersetzten 389,5 Thle.
                              									der Chlorcalcium-Lösung.
                           
                           Nun brachte er 400 Thle. einer Lösung von salpetersaurem Kalk und 389,5 Thle. einer
                              									Chlorcalciumlösung zusammen in ein Gefäß, und setzte diesem Gemenge 300 Thle., d. h.
                              									die zur vollständigen Zersetzung der salpetersauren Kalkerde (ohne daß ein Theil des
                              									Chlorcalciums zersetzt werden könnte) nöthige Menge einer Lösung von kohlensaurem
                              									Kali zu. Zwei in dieser Weise angestellte Versuche ergaben nach dem Abdampfen der
                              									Lauge folgende Resultate:
                           
                              
                                 
                                 salpetersaures Kali und
                                 Chlorkalium.
                                 
                              
                                 Der erste Versuch gab
                                 23,647
                                 8,926
                                 
                              
                                 Der zweite Versuch gab
                                 24,407
                                 8,711
                                 
                              
                           Hiedurch wurde Longchamp's Annahme bestätigt. Das
                              									Chlorcalcium wurde so gut zersetzt wie der salpetersaure Kalk; folglich muß man von
                              									vornherein durch das Kalisalz (den Bruch) alle in der Rohlauge enthaltenen Kalksalze
                              									zersetzen, wodurch man die Anhäufung der so schwierig zu verarbeitenden
                              									Mutterlaugen, welche früher alle disponibeln Räume in den Salpetersiedereien und den
                              									Regierungsraffinerien erfüllten, zu vermeiden im Stande ist.
                           Wie man sieht, bildete sich beim Processe des Salpetersiedens eine Menge Chlorkalium;
                              									man hatte es bis dahin mit Chlornatrium verwechselt, und verkaufte es als unreines
                              									Seesalz zu einem so niedrigen Preise, daß dieser öfters nicht der an die Verwaltung
                              									der indirecten Steuern zu zahlenden Abgabe gleichkam; in solchen Fällen wurde dieß
                              									so nützliche Salz in Gegenwart von Agenten des Fiscus ins Wasser geworfen.
                           Lemery d. Jüng. machte im Jahre 1716 auf die merkwürdige
                              									Thatsache aufmerksam, daß wenn man in einer gesättigten Lösung von Salpeter
                              									Chlornatrium (Seesalz) auflöst, die Salpeterlösung dadurch fähig wird eine neue
                              									Quantität salpetersaures Kali aufzulösen. Berthollet
                              									erklärte diese Erscheinung in seiner „Statique
                                    											chimique“ (Bd. I, S. 51) durch
                              									die Annahme einer gegenseitigen Einwirkung der Salze auf einander; so wurde nach
                              									dieser Theorie eine gesättigte Lösung von Salpeter durch Versetzen mit Chlorkalium
                              									fähig eine neue Quantität Salpeter aufzulösen. Longchamp
                              									bestritt diese Theorie Berthollet'sLongchamp's Arbeit über diesen Gegenstand führt
                                    											den Titel: „Ueber die gegenseitige Einwirkung der
                                       												Salze“ (sur l'action mutuelle des
                                       												sels). Dieser Titel hat einige Chemiker, welche den Aufsatz nur
                                    											durchblättert haben, irre geführt, so daß sie annahmen, Longchamp theile Berthollet's Ansichten; ersterer beabsichtigte vielmehr diese
                                    											letzteren zu bekämpfen, und nachzuweisen daß in der Lösung eine Zersetzung
                                    											der Salze stattfinde.
                              									 und nahm an, daß wenn
                              									eine Vergrößerung oder Verstärkung der Auflösungsfähigkeit des zuerst gelösten
                              									Salzes auf Zusatz eines andern Salzes wirklich hervorgebracht wird, dieß darin
                              									seinen Grund hat, daß die beiden Salze zersetzend auf einander einwirken. Diese
                              									Annahme wurde durch das Experiment bestätigt, wie wir später anführen werden;
                              									zunächst müssen wir aber angeben, wieviel Salpeter die ursprüngliche Salpeterlösung
                              									noch aufzulösen vermag. Mittelst der im Folgenden angegebenen Zahlen können wir ohne
                              									Analyse bloß durch die Bestimmung des specifischen Gewichtes der Lösungen, die Menge
                              									von salpetersaurem Kali und Chlornatrium, welche in einer Lösung dieser beiden
                              									Salze, wenn dieselbe mit Salpeter gesättigt, enthalten ist, ziemlich genau
                              									schätzen.
                           Die Temperatur, bei welcher Longchamp seine Untersuchungen
                              									anstellte, war + 18° C., und diese Temperatur hatten auch alle Lösungen. Das
                              									specifische Gewicht einer gesättigten Salpeterlösung ist bei derselben = 1,151, und
                              									sie enthält
                           
                              
                                 Wasser
                                 78,37
                                 
                              
                                 Salpeter
                                 21,63.
                                 
                              
                           Die erste Columne der nachstehenden Tabelle gibt die Menge der angewendeten
                              									Salpeterlösung an; die zweite die Quantität des der Salpeterlösung zugesetzten
                              									Chlornatriums (Kochsalzes); die dritte die Menge des auf diesen Zusatz gelösten
                              									Salpeters; die vierte die Menge des zuerst vor jenem Zusätze aufgelösten Salpeters;
                              									die fünfte Spalte gibt die Gesammtmenge des in der Lösung enthaltenen Salpeters und
                              									die sechste gibt das specifische Gewicht der Salpeter- und
                              									Chlornatriumlösungen an.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 117, S. 452
                              Menge der angewendeten
                                 										Salpeterlösung.;Menge des der Salpeterlösung zugesetzten Chlornatriums;Menge des
                                 										auf Zusatz von Chlornatrium gelösten Salpeters.;Menge des ursprünglich vor
                                 										diesem Zusatze gelösten Salpeters;Gesammtmenge des in 100 Gram. der Lösung
                                 										enthaltenen Salpeters.;Specifisches Gewicht der Lösungen; Grm.; deßgl.
                              
                           
                           Das letzte Resultat gibt das Maximum von salpetersaurem Kali und von Chlornatrium an,
                              									welches eine Lösung bei dem angegebenen Temperaturgrade enthalten kann.Bei + 4° C. ist das specifische Gewicht einer gesättigten Lösung von
                                    											Salpeter und Chlornatrium = 1,3057; sie enthält:Wasser61,74Salpeter16,06Chlornatrium22,20Nun können bei dieser Temperatur 61,74 Wasser nur 9,827 Salpeter auflösen;
                                    											folglich ist die Löslichkeit dieses Salzes um 55 Proc. größer geworden, und
                                    											es ist klar, daß es eine Gränze gibt, wo diese Löslichkeit vielleicht um 100
                                    											Proc., und mehr noch, größer wird; denn bei einigen Graden unter 0°
                                    											ist der Salpeter wenig löslich, während salpetersaures Natron und
                                    											Chlorkalium es in noch verhältnißmäßig hohem Grade sind: es wird sich also
                                    											soviel Salpeter lösen, als Kali nöthig ist, um die Menge Chlorkalium zu
                                    											bilden, welche sich bei dem Temperaturgrade, bei welchem man operirt, zu
                                    											lösen vermag. Hat man nun eine gesättigte Salpeterlösung, welche
                              									nur Chlornatrium beigemengt enthält, so wird man ihre Zusammensetzung sofort kennen,
                              									sobald man ihr specifisches Gewicht bestimmt. Hat eine solche Lösung z. B. bei +
                              									18° C. ein specifisches Gewicht = 1,2523, so wird sie enthalten:
                           
                              
                                 Wasser
                                 78,37
                                 
                              
                                 Salpeter
                                 23,29
                                 
                              
                                 Chlornatrium
                                 15,00.
                                 
                              
                           Die Auflösung des Salpeters in Folge der Gegenwart von Chlornatrium war es nicht
                              									allein, welche in Longchamp die Vermuthung der
                              									gegenseitigen Zersetzung des salpetersauren Natrons und des Chlorkaliums erregte; er
                              									wurde zu derselben außerdem auch durch folgende, noch gewichtigere und entscheidende
                              									Betrachtung geführt.
                           Chlornatrium ist in der Wärme nicht merklich leichter löslich als in der Kälte;
                              									dagegen ist das Chlorkalium unverhältnißmäßig leichter löslich bei höherer als bei
                              									niederer Temperatur. Wenn man nun, so folgerte er, eine Lösung von salpetersaurem
                              									Natron und Chlorkalium in den passenden Mengenverhältnissen der beiden Salze
                              									abdampft, so wird sich Chlornatrium niederschlagen, und die übrigbleibende
                              									Flüssigkeit wird beim Krystallisiren Salpeter geben. Wird die hiernach
                              									zurückbleibende Mutterlauge wiederum abgedampft, so wird von Neuem Chlornatrium
                              									niederfallen und beim Erkalten wird nochmals Salpeter herauskrystallisiren, und wenn
                              									man nun das Abdampfen und Krystallisiren nach einander fortsetzt, so wird man
                              									zuletzt dahin gelangen, das salpetersaure Natron vollständig in salpetersaures Kali
                              									und das Chlorkalium in Chlornatrium umzuwandeln.
                           
                           Dieser Schluß war so einleuchtend, daß es Longchamp für
                              									unnöthig hielt, ihn auf experimentellem Wege zu bestätigen; um indeß den
                              									Anforderungen derjenigen Chemiker, welche von dem Resultate nicht ebenso überzeugt
                              									seyn sollten, völlig Genüge zu leisten, stellte er folgenden Versuch an (Ann. de Chimie et de Phys., t. IX, p. 9) Er löste 33
                              									Thle. salpetersaures Natron und 33 Thle. Chlorkalium in Wasser auf und erhielt,
                              									nachdem er das während des Abdampfens abgeschiedene Kochsalz von der Flüssigkeit
                              									getrennt hatte, 28 Thle. salpetersaures Kali. Das angewendete Gemenge von
                              									salpetersaurem Natron und Chlorkalium war keineswegs in den gehörigen Verhältnissen
                              									zusammengesetzt; Longchamp hatte ja aber auch nur
                              									nachzuweisen, ob eine gegenseitige Zerlegung stattfindet oder nicht, und somit hatte
                              									er sich um die anzuwendenden Mengen beider Salze nicht weiter zu kümmern.
                           Soll eine ganz vollständige Zerlegung stattfinden, so müssen die beiden Salze in
                              									folgenden Verhältnissen gemengt werden:
                           
                              
                                 1
                                 Aequivalent salpetersaures Natron
                                 1356,84
                                 100,00
                                 
                              
                                 1
                                 Aequivalent Chlorkalium
                                 932,50
                                 68,72
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 2289,34
                                 168,72.
                                 
                              
                           und man wird daraus erhalten:
                           
                              
                                 1
                                 Aequivalent salpetersaures Kali
                                 1264,30
                                 93,17
                                 
                              
                                 1
                                 Aequivalent Chlornatrium
                                 1025,04
                                 75,55
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 2289,34
                                 168,72.
                                 
                              
                           Demnach geben 100 Thle. salpetersaures Natron 93,17 Thle. salpetersaures Kali.
                           Zu der Zeit als Longchamp diese Versuche bekannt machte,
                              									im Jahr 1818, kannte man den Natronsalpeter, der gegenwärtig von der Westküste
                              									Südamerika's in so ungeheuren Mengen zu uns gebracht wird, noch nicht, und Longchamp machte den Vorschlag, ihn durch Zerlegung der
                              									aus der Salpetererde gewonnenen Rohlaugen mittelst schwefelsaurem Natron
                              									darzustellen. Chlorkalium war damals noch nicht Gegenstand chemischer Fabrication;
                              										Longchamp fand es in der in Frankreich fabricirten
                              									Potasche (bekannt unter dem Namen Vogesen-Potasche, potasses des Vosges) und
                              									in den Aschenlaugen. Die Arbeit hätte also, wie noch heutzutage, in den
                              									Salpetersiedereien darin bestanden, einen Theil der Rohlauge durch Glaubersalz,
                              									einen andern Theil derselben durch Vogesen-Potasche oder
                              									Holzaschen-Lauge zu zersetzen, beide Theile zusammen zu mengen, und dann zu
                              									versieden. Somit hat Longchamp bereits vor 30 Jahren
                              									nicht allein die gegenseitige Zerlegung des salpetersauren Natrons und des
                              									Chlorkaliums gekannt und  bekannt gemacht, sondern auch das Verfahren zur Darstellung dieser beiden in der
                              									chemischen Industrie damals noch nicht bekannten Salze im Großen angegeben.
                           Das jetzt in Frankreich allgemein eingeführte Verfahren, Kalisalpeter durch die
                              									gegenseitige Zerlegung von Natronsalpeter und Chlorkalium darzustellen, findet man
                              									wohl in den Lehrbüchern angegeben, keineswegs aber Longchamp als den Entdecker dieses Processes genannt.
                           Zu der Zeit, wo er diese Methode zur fabrikmäßigen Darstellung des Salpeters angab,
                              									bezahlte die französische Regierung den Salpetersiedern die 100 Kilogr. mit 239
                              									Francs. Der Preis sank unmittelbar darauf (im J. 1819) auf 204 Fr.; jedoch in Folge
                              									der hohen Eingangssteuer auf den ostindischen Salpeter — 85 Fr. 82 Cent.,
                              									inclus. Zehnten (décime) — führten nur wenige
                              									Salpetersieder die verbesserte Fabricationsmethode ein, bis zum Triumphe für die
                              									Wissenschaft und zum größten Nutzen für die Industrie die Eingangssteuer auf
                              									indischen Salpeter von 52½ Fr. (mit Einschluß des décime, 58 Fr. 92 Cent.) auf 15 Fr. herabgesetzt wurde.Schon früher, im J. 1829, war diese Steuer auf Veranlassung einer Commission,
                                    											zu welcher die Chemiker Chaptal, d'Arcet und Thénard gehörten, von 85 Fr. 82 Cent. auf 58 Fr.
                                    											92 Cent. herabgesetzt worden; allein diese Erniedrigung der Steuer war nicht
                                    											hinreichend, um die Salpeterlieferanten der Regierung zur Einführung des
                                    											verbesserten Verfahrens zu veranlassen. Uebrigens liefert diese Herabsetzung
                                    											der Eingangssteuer auf fremden Salpeter, welche zwanzig Jahre hindurch in
                                    											den gesetzgebenden Kammern Frankreichs Gegenstand der lebhaftesten
                                    											Verhandlungen war, in der Geschichte der Technik eines der merkwürdigsten
                                    											Beispiele von den Schwierigkeiten, mit denen Verbesserungen jeder Art bei
                                    											Ueberwindung von Vorurtheilen und Besiegung des materiellsten Egoismus zu
                                    											kämpfen haben, besonders wenn die letztern sich auf irgend ein Monopol
                                    											stützen. Jetzt blieb als das einzige Mittel zur Erhaltung dieses
                              									Industriezweiges — der Salpeterfabrication — in Frankreich, nur die
                              									Einführung von Longchamp's Verfahren in den
                              									Salpetersiedereien übrig, wie dieß der Kriegsminister in seinem Vorworte zum Budget
                              									auf das Jahr 1838 selbst erklärte.
                           Sehen wir jetzt, welche Ersparnisse die französische Regierung gemacht haben würde,
                              									wenn Longchamp's Verfahren bereits im Jahre 1818, als er
                              									es zuerst bekannt machte, in die Praxis allgemein eingeführt worden wäre. Von 1818
                              									bis 1848 hat die Direction der Pulverfabriken etwa 42 Millionen Kilogr. Salpeter zur
                              									Pulverfabrication verbraucht. Dieser Salpeter wurde, wie schon erwähnt, im J. 1818
                              									mit 239 Fr. die 100 Kilogr. bezahlt, während der jetzige Preis 100 Fr. beträgt.
                              									Demnach beträgt die Preis-Erniedrigung für den metrischen  Centner 139 Fr., für die 42
                              									Millionen Kilogr. = 420000 metrischen Centnern, also die Summe von 58,380,000
                              									Fr.
                           
                              Die Salpeterprobe.
                              
                           Die noch jetzt übliche Methode den Salpeter zu probiren, welche von Riffault angegeben wurde, besteht im Wesentlichen darin,
                              									daß man etwa 400 Gram. Rohsalpeter mit 500 Kubikcentim. (= ½ Liter) einer
                              									gesättigten Auflösung von reinem Salpeter unter Umrühren wäscht. Nachdem man das
                              									Waschwasser decantirt und durch 250 Kubikcentimet. (= ¼ Liter) derselben
                              									Auflösung von reinem Salpeter ersetzt hat, wäscht man von Neuem, gießt das Ganze auf
                              									ein Filter, und legt dieses, sobald die Flüssigkeit durch den Trichter abgelaufen
                              									ist, über Fließpapier auf eine poröse Unterlage, am besten auf Holzasche, welche die
                              									vom Salpeter noch zurückgehaltene Flüssigkeit einsaugt. Der auf diese Weise
                              									getrocknete Salpeter wird in eine kupferne Schale und diese in ein Sandbad gebracht,
                              									dessen Temperatur man auf 120 bis 130° C. steigert. Auf diese Weise kann man
                              									fünfzehn bis zwanzig Proben auf einmal vornehmen.
                           Dieses Verfahren ist zwar einfach, aber auch sehr ungenau. Enthält der zu probirende
                              									Salpeter Chlornatrium, so begünstigt dasselbe die Auflösung eines Theiles des
                              									Salpeters, wie wir dieß oben hinreichend auseinandergesetzt haben. Enthält der
                              									Salpeter Chlorkalium, so erzeugt dieses Salz bei seiner Auflösung eine nicht
                              									unbedeutende Temperatur-Erniedrigung, in Folge deren ein Theil des Salpeters
                              									aus der angewendeten Lösung niedergeschlagen wird. Im erstern Falle gibt also die
                              									Probirmethode weniger Salpeter an, als der Rohsalpeter wirklich enthält; im zweiten
                              									Falle dagegen gibt sie den Salpetergehalt viel zu hoch an. Correctionen sind hier
                              									nicht möglich, da man nie weiß, in welchen Mengenverhältnissen die Chlorüre im
                              									Rohsalpeter vorhanden sind. Wenn nun früher die Salpetersieder an die Raffinerien
                              									einen Salpeter ablieferten, dessen von der in ihm enthaltenen Mutterlauge, von
                              									salpetersaurer Kalkerde, von Chlorcalcium, Chlorkalium und Chlornatrium herrührender
                              									Abgang 20 bis 30 Proc. betrug, so gab das Probiren eines solchen Salpeters den
                              									wirklichen Gehalt des Rohsalpeters an reinem Salpeter durchaus nicht an; und wenn
                              									dabei die Raffinerien der Regierung nicht wesentlich im Vortheile oder im Nachtheile
                              									standen, so rührte dieß davon her, daß im Laufe eines Jahres drei- bis
                              									vierhundert verschiedene Lieferungen eingingen, daß folglich die damit angestellten
                              									drei-bis vierhundert Proben einen mittleren Werth  angaben, welcher die
                              									Ueberschüsse und die Verluste ins Gleichgewicht brachte. Um endlich einmal aus
                              									dieser für beide Theile so nachtheiligen Ungewißheit herauszukommen, hatte Longchamp die Salpetersieder aus dem Commissariate von
                              									Dijon, welches er früher dirigirte, veranlaßt, den Salpeter, bevor sie ihn
                              									ablieferten, zu waschen.Dieses Waschen ist eine sehr einfache Operation. Man bringt den Rohsalpeter
                                    											in einen großen Kasten mit doppeltem Boden, und gießt Siedelauge darüber.
                                    											Nach einer drei-bis vierstündigen Berührung läßt man das Waschwasser
                                    											ablaufen und nimmt den Salpeter am folgenden Tage, wenn er gut abgetropft
                                    											ist, wieder aus dem Waschkasten heraus. Longchamp
                                    											führte dieses Waschen des Rohsalpeters in der Raffinerie zu Dijon ein. Er
                                    											brachte 1000 Kil. Rohsalpeter und 300 bis 400 Kilogr. von dem Waschwasser
                                    											des raffinirten Salpeters in das Krystallisirbecken. Es gelang ihm auf diese
                                    											Weise einen Salpeter mit einem Gehalte von kaum 0,03 bis 0,04 Proc. fremder
                                    											Salze, und frei von dem Schaum und der Erde, welche ihn stets verunreinigen,
                                    											in den Raffinirkessel zu bringen, so daß er ¼ Salpeter mehr als
                                    											früher in demselben Kessel raffiniren und den Raffinirungsproceß mit weit
                                    											weniger Mühe und in viel kürzerer Zeit zu Ende bringen konnte. In
                              									den Raffinerien der Regierung braucht kein Salpeter angenommen zu werden, dessen
                              									Abgang mehr als 5 Proc. beträgt, und da gegenwärtig der Salpeter kein Chlorkalium
                              									mehr enthält, weil dieses Salz einen großen Werth für die Salpetersieder hat, so
                              									könnte die Riffault'sche Probirmethode ohne sehr
                              									bedeutende Nachtheile immer noch angewendet werden.
                           Freilich dürfte das von Longchamp im J. 1818 angegebene
                              									Verfahren zum Probiren des Rohsalpeters sowohl hinsichtlich seiner größern
                              									Genauigkeit, als auch in Rücksicht auf die mit seiner Anwendung verknüpfte nicht
                              									unbedeutende Zeitersparniß, den Vorzug verdienen. Es besteht darin, eine bestimmte
                              									Gewichtsmenge des zu probirenden Salpeters, etwa 20 Gram., in etwa 400 Gram. Wasser
                              									aufzulösen, und das specifische Gewicht dieser Lösung zu bestimmen. Aus vorher
                              									berechneten Tabellen liest man die Resultate für die Temperatur-Grade ab, bei
                              									welchen die Probe vorgenommen wird, und die man leicht zwischen + 10° und +
                              									20° C. halten kann.
                           Diese Probirmethode empfiehlt sich außer durch ihre Einfachheit auch durch eine
                              									solche Genauigkeit, wie sie von keinem andern Verfahren zu erreichen ist; mit einer
                              									etwas genauen Waage kann man den Salpetergehalt bis auf 0,001 nachweisen.
                           Eine andere Probirmethode ist die von Gossart, Commissär
                              									der französischen Pulverfabriken, angegebene.Polytechn. Journal Bd. CIII S. 291. Sie besteht
                              									darin, die Auflösung einer bestimmten Gewichtsmenge Rohsalpeters und eine titrirte
                              									Lösung von schwefelsaurem Eisenoxydul mit Schwefelsäure zusammen zu  erhitzen. Die dadurch
                              									entwickelte Salpetersäure verwandelt das Eisenoxydul in Oxyd, dessen Gegenwart
                              									bekanntlich durch Kaliumeisencyanid nicht angezeigt wird. Man setzt so lange von der
                              									Eisenoxydulsalz-Lösung hinzu, bis das Kaliumeisencyanid die Gegenwart des
                              									Oxyduls angibt; und mittelst der verwendeten Menge der Eisenvitriollösung bestimmt
                              									man die Menge der Salpetersäure, welche frei werden mußte, um das Eisenoxydul in
                              									Oxyd zu verwandeln. Pelouze hat dieses Verfahren
                              									modificirt und wesentlich verbessert.Polytechn. Journal Bd. CIV S. 111. Auf Rohsalpeter läßt sich diese Methode aber nicht anwenden,
                              									denn obgleich man mittelst derselben die Quantität der in einem Salzgemenge
                              									enthaltenen Salpetersäure bestimmen kann, so läßt sich doch mittelst ihrer nicht
                              									erkennen, ob die Säure mit Kalkerde, mit Kali oder mit Natron verbunden ist, so daß
                              									man in Gefahr geräth, Kalk- oder Natronsalpeter als Kalisalpeter zu
                              									bezahlen.