| Titel: | Neues Verfahren zur Bestimmung des Sauerstoffgehalts der atmosphärischen Luft; von Justus v. Liebig. | 
| Fundstelle: | Band 119, Jahrgang 1851, Nr. XL., S. 196 | 
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                        XL.
                        Neues Verfahren zur Bestimmung des
                           								Sauerstoffgehalts der atmosphärischen Luft; von Justus v. Liebig.
                        Im Auszug aus den Annalen der Chemie und
                                 										Pharmacie, Jan. 1851, S. 107.
                        Liebig, über ein neues Verfahren zur Bestimmung des
                           								Sauerstoffgehalts.
                        
                     
                        
                           Auf dem gegenwärtigen Standpunkte der Gasanalyse könnte es leicht als eine sehr
                              									müßige Aufgabe erscheinen, den vortrefflichen Methoden, womit die HHrn. Regnault und Bunsen die
                              									Wissenschaft bereichert haben, eine neue hinzuzufügen; allein diese Methoden sind
                              									für Personen berechnet, welche mit zusammengesetzten physikalischen Apparaten und
                              									Operationen umzugehen wissen; ihre Ausführung setzt eine gewisse Fertigkeit und
                              									Geschicklichkeit und einen Aufwand von Zeit voraus, wodurch ihre Anwendung in
                              									unzähligen Fällen sehr schwierig, oder beinahe unmöglich gemacht wird, in welchen
                              									die Bekanntschaft mit dem Sauerstoff und Kohlensäuregehalt der Luft nützlich
                              									wäre.
                           Ich habe hier im Besonderen einen Physiologen vor Augen, welcher z. B. den
                              									Sauerstoff- und Kohlensäuregehalt der ausgeathmeten Luft in einer Reihe von
                              									Analysen, welche eine Anzahl von Tagen hindurch täglich gemacht werden müssen, oder
                              									einen Techniker, welcher die aus Feuerherden entweichende Luft, oder einen Arzt,
                              									welcher die Luft in einem Krankenzimmer, oder die Wirksamkeit einer Ventilation
                              									prüfen will. Eine für diese Zwecke taugliche Methode darf keinen sehr
                              									zusammengesetzten Apparat und keine besondere Geschicklichkeit erfordern, sie muß
                              									bei einem gewissen Grad von Genauigkeit rasch und leicht ausführbar seyn.
                           Diese Bedingungen vereinigt eine alkalische Lösung von Pyrogallussäure, deren
                              									außerordentliches Absorptionsvermögen für Sauerstoffgas längst bekannt ist. Wenn man
                              									in eine mit Quecksilber gefüllte Röhre Kalilauge und sodann eine Auflösung von
                              									Pyrogallussäure treten läßt, so mischen sich diese Flüssigkeiten ohne Veränderung.
                              									Läßt man aber jetzt eine Blase Sauerstoff oder Luft hinzu, so färbt sich die
                              									Flüssigkeit sogleich schwarzroth, beinahe schwarz, und das Sauerstoffgas wird eben
                              									so schnell absorbirt, wie kohlensaures Gas von Kalilauge. Die Menge Sauerstoffgas,
                              									welche unter diesen Umständen von 1 Gewichtstheil Pyrogallussäure absorbirt wird,
                              									ist sehr groß. Nach den Versuchen von Döbereiner
                              									absorbirt 1 Gramm Pyrogallussäure in der ammoniakalischen Lösung 0,38 Gramme oder
                              									260 Kubikcentimeter Sauerstoffgas; dieß  ist mehr als die Menge, welche von 1 Gewichtstheil
                              									Natrium bei dessen Uebergang in Oxyd aufgenommen wird, denn diese beträgt nur 236
                              									Kubikcentimeter. In einem Versuche, welcher nicht mit besonderer Vorsicht angestellt
                              									war, absorbirte 1 Gramm Pyrogallussäure in Kalilauge 189, 8 Kubikcentimet.
                              									Sauerstoffgas. Da 1 Gramm Kalihydrat (KO, aq), um in neutrales Carbonat überzugehen, bei 0°
                              									C. 192 Kubikcentimet. Kohlensäuregas absorbirt, so ist, wie man sieht, das
                              									Absorptionsvermögen der Pyrogallussäure für Sauerstoffgas nicht kleiner als das des
                              									Kali's für Kohlensaure bei dem Uebergang in kohlensaures Kali.
                           Die folgenden Resultate, welche mit atmosphärischer Luft erhalten wurden, geben eine
                              									Idee von der Genauigkeit, welche mit Hülfe dieser Methode erreichbar ist.
                           
                              
                                 
                                 Volum der Luft nach dem Einbringen der
                                    											Kalilauge.
                                 Volumabnahme nach dem Einbringen der
                                    											Pyrogallussäure.
                                 Volumprocente Sauerstoffgas.
                                 
                              
                                 1)
                                 221,5
                                 46,5
                                 20,99
                                 
                              
                                 2)
                                 201,0
                                 42,0
                                 20,89
                                 
                              
                                 3)
                                 193,0
                                 40,6
                                 21,03
                                 
                              
                                 4)
                                 210,0
                                 44,0
                                 20,95
                                 
                              
                                 5)
                                 204,5
                                 42,5
                                 20,77
                                 
                              
                                 6)
                                 195,0
                                 40,8
                                 20,92
                                 
                              
                                 7)
                                 200,0
                                 41,8
                                 20,90
                                 
                              
                                 8)
                                 200
                                 41,6
                                 20,80
                                 
                              
                                 9)
                                 200
                                 41,5
                                 20,75
                                 
                              
                                 10)
                                 236
                                 49,0
                                 20,76
                                 
                              
                                 11)
                                 258
                                 54,0
                                 20,93.
                                 
                              
                           Man sieht, daß diese Bestimmungen den besten Luftanalysen sehr nahe stehen, und ich
                              									zweifle keineswegs, daß sie vollkommen eben so genau erhalten werden können, wenn
                              									zum Ablesen der Volumina, wie dieß bei genauen Messungen gehört, ein Kathetometer
                              									benutzt wird; damit verzichtet man freilich auf einen Hauptvortheil, der eben darin
                              									besteht, daß man in einer Stunde ein halbes Dutzend Analysen mit einer für die
                              									meisten Fälle ausreichenden Genauigkeit machen kann. Der Grund dieser ungewöhnlichen
                              									Genauigkeit, bei allen Fehlern, womit diese Methode behaftet ist, beruht offenbar in
                              									ihrer großen Einfachheit und in der Schnelligkeit, mit welcher eine Operation
                              									beendigt werden kann. Es verschwinden dadurch die Fehler, welche durch einen Wechsel
                              									der Temperatur und des Luftdrucks verursacht werden, und der Einfluß der dieser
                              									Methode eigenthümlichen Fehler ist, wie es scheint, nicht größer als der Einfluß der
                              									Fehlerquellen bei den vollkommensten Methoden die wir besitzen.
                           
                           In den obenerwähnten Analysen ist auf folgende Weise verfahren worden: die Luft, in
                              									welcher der Sauerstoff- und Kohlensäuregehalt bestimmt werden sollte, wurde
                              									in graduirten Röhren über Quecksilber gemessen. Diese Röhren faßten etwa 30
                              									Kubikcentimeter, jeder Kubikcentimeter getheilt in 5 Theile, und waren zu ⅔
                              									mit der Luft gefüllt; zu der abgemessenen Luft wurde jetzt 1/40 bis 1/30 ihres
                              									Volums Kalilauge von 1,4 spec. Gewicht (1 Thl. trockenes Kalihydrat auf 2 Thle.
                              									Wasser) mittelst einer gewöhnlichen Pipette mit gekrümmter Spitze eingebracht; durch
                              									rasches Auf- und Niederbewegen der Meßröhre in dem Quecksilber wurde die
                              									Kalilauge über die ganze innere Fläche der Röhre verbreitet und, wenn keine
                              									Raumverminderung mehr wahrzunehmen war, die Volumabnahme abgelesen.
                           Wenn die Luft vorher durch Chlorcalcium ausgetrocknet wird, so gibt das verschwundene
                              									Luftvolumen genau die Kohlensäuremenge in der Luft an; war sie hingegen feucht, so
                              									ist die Bestimmung mit einem Fehler behaftet, welcher auf der Absorption des
                              									Wasserdampfes von der starken Kalilauge beruht.
                           Nachdem die Kohlensäure bestimmt ist, bringt man in dieselbe Röhre zu der Kalilauge,
                              									vermittelst einer zweiten Pipette, eine Auflösung von Pyrogallussäure, welche 1
                              									Gramm Pyrogallussäure in 5 bis 6 Kubikcentimeter Wasser enthält, und zwar die Hälfte
                              									von dem Volumen der Kalilauge. Man verfährt wie vorher bei der Bestimmung der
                              									Kohlensäure, d. h. man sucht durch Schütteln die gemengten Flüssigkeiten auf der
                              									inneren Oberfläche der Meßröhre zu verbreiten und mißt sodann, wenn keine Absorption
                              									mehr wahrgenommen wird, die Menge des zurückgebliebenen Stickgases.
                           Durch die Mischung der Pyrogallussäurelösung mit der Kalilauge wird diese verdünnt
                              									und es entsteht ein Fehler durch die Verminderung ihrer Tension, aber derselbe
                              									scheint so außerordentlich klein zu seyn, daß er nicht bestimmbar ist. Jedenfalls
                              									läßt sich derselbe leicht beseitigen, wenn man nach der Absorption des
                              									Sauerstoffgases ein dem Wassergehalt der Pyrogallussäurelösung entsprechendes
                              									Stückchen festes Kalihydrat einbringt und die Auflösung desselben abwartet.
                           Anstatt der Pyrogallussäure kann man sich mit demselben Erfolg der gewöhnlichen Gallussäure bedienen; ihre Anwendung hat die einzige
                              									Unbequemlichkeit an sich, baß die Absorption des Sauerstoffs längere Zeit,
                              									mindestens 1½ bis 2 Stunden, statt ebensoviel Minuten, wie bei Anwendung der
                              									Pyrogallussäure erfordert. Die Gallussäure muß ihrer Schwerlöslichkeit in kaltem
                              									Wasser wegen vorher in gallussaures  Kali verwandelt werden, von welchem man eine kalt
                              									gesättigte Lösung anwendet. Wenn diese Flüssigkeit neutral ist, oder einen sehr
                              									schwachen Ueberschuß an Säure enthält, so hält sie sich an der Luft ohne
                              									Veränderung. Ihre Eigenschaft, Sauerstoff aufzusaugen, wird erst wirksam bei einem
                              									Ueberschuß an Alkali.
                           Wenn die Gallussäure mit der Kalilauge in der Meßröhre sich gemischt hat, so färbt
                              									sich die Flüssigkeit bei Berührung mit der sauerstoffhaltigen Luft dunkelroth; dünne
                              									Schichten derselben nehmen eine beinahe blutrothe Farbe an, welche nach einiger Zeit
                              									in Braun übergeht. An der Entstehung dieser blutrothen Färbung in der Flüssigkeit,
                              									welche beim Schütteln die Wände der Röhre benetzt, kann man sehr deutlich den Gang
                              									der Absorption verfolgen; die Operation ist beendigt, wenn diese Färbung sich nicht
                              									mehr zeigt. Was die Absorptionsfähigkeit der Gallussäure für Sauerstoffgas betrifft,
                              									so weiß man aus den Versuchen des Hrn. Chevreul, daß 1
                              									Gramm Gallussäure in starker Kalilauge gelöst, 290 Kubikcentimet. oder nahe an 0,417
                              									Gram. Sauerstoffgas aufnimmt; in dieser Beziehung steht sie der Pyrogallussäure
                              									nicht nach.
                           Anstatt der Gallussäure kann auch Gerbsäure unter
                              									Umständen angewandt werden; allein das Gemisch von Gerbsäure und Kali absorbirt den
                              									Sauerstoff noch weit langsamer als die Gallussäure.
                           Die Pyrogallussäure, welche man leicht haben kann, ist
                              									jedenfalls das beste Absorptionsmittel. Mit einer Unze Pyrogallussäure lassen sich
                              									150 Analysen machen, und ihr Preis steht ihrer Anwendung jedenfalls nicht im Wege.
                              									Hr. Dr. Stenhouse hat ein
                              									vortreffliches Verfahren zur Darstellung der Pyrogallussäure angegeben; er erhielt
                              									durch Sublimation aus dem trockenen wässerigen Extract der Galläpfel, ganz nach der
                              									Weise wie man Benzoësäure aus Benzoëharz darstellt, über 10 Proc. von dem Gewicht
                              									des Extracts an sublimirter Säure. Wenn sich die Personen, welche sich mit der
                              									Darstellung von Lichtbildern beschäftigen, überzeugt haben werden, daß in vielen
                              									Fällen die Pyrogallussäure den Vorzug vor der Gallussäure verdient, so wird die
                              									vermehrte Nachfrage nach dieser Säure ihre Bereitung noch gewinnreicher machen.Durch trockene Destillation von sogenannten chinesischen Galläpfeln in
                                    											kleinen Retorten, welche etwa 5–6 Unzen in groven Stücken fassen,
                                    											erhält man eine sehr concentrirte Lösung von Pyrogallussäure, welche, im
                                    											Wasserbade abgedampft, nahe an 15 Proc. von dem Gewicht der Galläpfel
                                    											braungefärbte krystallisirte Pyrogallussäure liefert.
                           
                           Ein Hauptfehler in dem beschriebenen eudiometrischen Verfahren, welcher kaum zu
                              									beseitigen ist, liegt in der Schwierigkeit, das Volumen der Luft und die
                              									Volumabnahme derselben in Folge der Absorption der Kohlensäure und des
                              									Sauerstoffgases, wegen der Adhäsion der Flüssigkeiten an den Wänden der Meßröhren
                              									genau abzulesen und zu bestimmen. Dieser Fehler wird kleiner, wenn man die Vorsicht
                              									gebraucht, zur Analyse nahebei ein gleiches Luftvolum zu verwenden, und wenn auch
                              									dieses Verfahren in vergleichenden Analysen ganz zuverlassige Bestimmungen zuläßt,
                              									so kann damit das Verfahren der HHrn. Dumas und Boussingault, oder das der HHrn. Regnault und Reiset, oder des Hrn. Bunsen für absolute Bestimmungen nicht entbehrt
                              									werden.
                           Znsatz.
                           Bereitung der Pyrogallussäure. — Die gewöhnliche
                              									Methode Pyrogallussäure darzustellen, besteht darin, daß man entweder Gallussäure
                              									oder Gerbsäure destillirt. Die Pyrogallussäure erhält man theils als
                              									krystallinisches Sublimat, theils in der brenzlichen Flüssigkeit gelöst, welche in
                              									die Vorlage übergeht. Die so bereitete Säure ist selten frei von empyreumatischem
                              									Oel, von dem sie nur durch wiederholte Destillationen gereinigt werden kann, wodurch
                              									viel Säure verloren geht.
                           Um sich vortheilhaft größere Quantitäten von Pyrogallussäure zu verschaffen,
                              									behandelt man nach Dr. J. Stenhouse fein gepulverte Galläpfel nach und nach mit kaltem Wasser, bis
                              									sie erschöpft sind. Die Auszüge verdampft man und trocknet sie stark ein, bis alle
                              									hygrometrische Feuchtigkeit entfernt ist. Man hat alsdann eine schwammige
                              									zerfließliche Masse, die im Geschmack und Farbe dem Catechu sehr ähnlich ist. Statt
                              									dieses trockene Extract in einer Retorte zu destilliren, erhitzt man es viel besser
                              									in dem von Dr. Mohr zur
                              									Sublimation der Benzoësäure vorgeschlagenen Apparat. Er besteht aus einem 3–4
                              									Zoll tiefen, 18–24 Zoll weiten gußeisernen Topf, in welchem das etwas
                              									zerriebene Extract ungefähr einen halben Zoll hoch ausgebreitet wird. Die Oeffnung
                              									des Topfs wird mit Filtrirpapier genau bedeckt, das man rund herum festklebt und
                              									alsdann ein 12–18 Zoll hoher Papierhut aufgesetzt, den man mittelst einer
                              									Schnur an dem äußern Rande  des Topfes befestigt. Zur Erleichterung der Sublimation
                              									durchsticht man die innere Decke von Filtrirpapier wiederholt mit einer Nadel.
                           Den Apparat erhitzt man nun vorsichtig 10–12 Stunden lang auf einem
                              									Sand-, besser aber Metallbad, indem man die Temperatur so nahe als möglich
                              									bei 147° R. (184° C.) hält, obschon sie gegen Ende der Sublimation um
                              									wenige Grade steigen kann.
                           Die Krystalle der Pyrogallussäure gehen durch das Filtrirpapier, welches das sie
                              									immer begleitende brenzliche Oel aufnimmt. Bei sorgfältiger Regulirung des Feuers
                              									fallen die Krystalle ganz weiß aus; wenn sie, was bisweilen eintritt, schwach
                              									gefärbt sind, so werden sie durch eine zweite Sublimation leicht gereinigt.
                           Diese Methode bietet den Vortheil dar, daß man mit einem Pfund Extract oder mehr auf
                              									einmal arbeiten kann. Da nun die Galläpfel mehr als ihr halbes Gewicht in Wasser
                              									löslicher Materie enthalten, so ist die Quantität Pyrogallussäure, welche man daraus
                              									nach diesem Verfahren erhalten kann, sehr beträchtlich. (Annalen der Chemie und
                              									Pharmacie, Bd. XLV S. 1.)