| Titel: | Neues System gegliederter Wagenzüge für Eisenbahnen; von Hrn. Arnoux. | 
| Fundstelle: | Band 120, Jahrgang 1851, Nr. LV., S. 263 | 
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                        LV.
                        Neues System gegliederter Wagenzüge für
                           								Eisenbahnen; von Hrn. Arnoux.
                        Aus den Comptes rendus, März 1851, Nr.
                              								9.
                        Arnoux's neues System gegliederter Wagenzüge für
                           								Eisenbahnen.
                        
                     
                        
                           Im Januar 1838 legte ich der französischen Akademie der Wissenschaften ein System
                              									gegliederter Eisenbahnwagenzüge vor, mit welchen ohne Widerstand und Gefahr Curven
                              									von beliebigem Halbmesser befahren werden können.Polytechn. Journal Bd. LXXXIII S. 432. Arnoux construirt Wagen, deren Gestalt derjenigen der gewöhnlichen
                                    												Kutschwagen ähnlich ist, mit Langwied und
                                    											Reibnagel, verbindet je zwei dieser Wagen durch eine Art von Lenker, und
                                    											ordnet überhaupt alles so an, daß jeder einzelne Wagen eines Zuges in der
                                    											Curve diejenige Stellung einnimmt, welche für die Anwendung der
                                    											kleinstmöglichen Zugkraft nöthig ist.
                           Die bedeutenden Ersparungen, welche sich bei einer größern Freiheit in der Wahl der
                              									Eisenbahnlinien erzielen ließen, veranlaßten die Akademie eine Commission zur
                              									Prüfung dieses Systems zu ernennen, als deren Organ im April 1838 Hr. Poncelet einen Bericht erstattete, worin er dieser neuen
                              									Idee in theoretischer Hinsicht alle Anerkennung zollte, aber den Wunsch äußerte,
                              									Versuchen im Maaßstabe der Ausführung beizuwohnen, ehe er sich über das Verdienst
                              									dieser Anordnung förmlich ausspreche.
                           Diese Versuche fanden in Saint-Mandé statt; am 12. März 1839 durchliefen fünf
                              									verbundene Waggons von einer Locomotive gezogen, eine Linie von 1200 Meter, welche
                              									in sich selbst schloß und sowohl gerade Strecken als Curven von 18 bis 150 Meter
                              									Halbmesser enthielt.Der Bericht von Poncelet wurde im polytechn.
                                    											Journal Bd. LXVIII S. 409, derjenige von Arago in Bd. LXXVIII S. 174
                                    											mitgetheilt.
                           In Folge eines von Hrn. Coriolis im Julius 1840
                              									erstatteten Berichts, wurde mir von der Akademie der damals zu ertheilende Preis in
                              									der Mechanik zuerkannt, welche ehrende Ermunterung zu rechtfertigen mein eifriges
                              									Bestreben seyn mußte. So weit auch meine Versuche gingen, hieß es, müsse doch noch
                              									ein entscheidenderer angestellt werden, es sey ein öffentlicher Betrieb mit allen
                              									seinen Vorkommnissen 
                              									und Erfordernissen nothwendig; ein solcher war seitdem mein unaufhörliches
                              									Trachten.
                           Nachdem ich vier Jahre lang deßhalb Schritte gethan hatte, erklärte der Minister der
                              									öffentlichen Arbeiten, daß er mir nur die Linie von Paris nach Sceaux zur Verfügung
                              									stellen könne.
                           Die auf dieser Bahnlinie angestellten Versuche, welche vom 20. Junius 1846 bis heute,
                              									also 4¾ Jahre dauerten, ergaben folgendes:
                           Die Sicherheit anbelangend, hat sich kein einziger Unglücksfall ereignet.
                           Hinsichtlich des Betriebes erklärte der Oberingenieur Baude in einem Schreiben an den Director, daß seines Wissens auf keiner
                              									Linie mehr Ordnung und Regelmäßigkeit bestehe.
                           Hinsichtlich des Aufwands ergibt sich aus den seit der Eröffnung regelmäßig geführten
                              									Verzeichnissen, daß die Kosten mit jedem Jahre abnahmen und im Jahre 1850 bereits
                              									bis auf 2 Franken 83 Centimes per durchlaufenen
                              									Kilometer sanken, also unter jene der am wohlfeilsten betriebenen Eisenbahnen,
                              									ungeachtet der Steigung im Zickzack auf der Anhöhe von Sceaux, welche jedem Zug eine
                              									Rampe von 0,0115 per Meter auf eine Länge von 3,5
                              									Kilometer darbietet, während die ganze Linie nur 10 Kilometer hat, so daß ein
                              									Dritttheil der Linie sich in diesem schwierigen und ausnahmsweisen Zustand
                              									befindet.
                           Endlich ergeben die Betriebsnachweise, daß die Züge 420,000 Kilometer durchlaufen und
                              									2,500,000 Reisende befördert haben.
                           Beim Vorlegen meines Planes gab ich mehrere Mittel an, um die Convergenz der Achsen
                              									von Waggon auf Waggon fortzupflanzen, und erklärte, daß ich den um Kränze gewundenen
                              									Ketten den Vorzug gebe, weil dieses System die größte Genauigkeit gewährt, trotz des
                              									damit verknüpften Uebelstandes, nämlich der Nothwendigkeit, beim Rückwärtsfahren die
                              									Lage der Richtungsketten zu verändern. Obwohl diese Nothwendigkeit in der Praxis zu
                              									keinem Uebelstand Veranlassung gab, so war sie im Vergleich mit dem gebräuchlichen
                              									System doch eine Unvollkommenheit, was zugegeben werden muß.
                           Mein Sohn Heinrich, Bergingenieur, nicht weniger als ich
                              									für das Princip der Gliederung der Bahnzüge eingenommen, machte mir die geometrische
                              									Bemerkung, daß bei Zügen, deren Achsen gleichweit entfernt sind, diese Achsen die
                              									Winkel, welche auf den Curven die Langwiede der Wägen mit den Deichseln bilden,
                              									beständig in zwei gleiche Theile theilen, und gab mir so ein neues Mittel für die
                              									successive Convergenz der Achsen an; sein im Princip streng richtiger,  erster Gedanke war nach meinem
                              									Dafürhalten zu complicirt; durch Abänderung desselben kam er auf ein praktischeres
                              									Mittel. Dieses besteht darin, daß man auf jede Achse in ihrer Ebene ein
                              									Parallelogramm construirt, dessen entgegengesetzte Seiten einerseits an der
                              									Langwied, andererseits an der Deichsel mit Scharnieren befestigt sind, während die
                              									beiden andern Enden, ebenfalls mit Scharnieren, an zwei Muffen befestigt werden,
                              									welche den Körper der Achse umfassen und parallel dessen Achse gleiten, wie die
                              									Parallelogramme der Centrifugal-Regulatoren.
                           Wenn es der Zweck erforderte, daß Langwied und Deichsel von ungleicher Länge sind, so
                              									wäre das gegliederte Viereck kein Parallelogramm mehr, und die Entfernungen der
                              									Befestigungspunkte an Langwied und Deichsel, vom Mittelpunkt der Achse, wären
                              									wechselseitig proportional den Längen der Deichsel und der Langwied.
                           Diese Abänderung, welche die Ketten ersetzt, gestattet den Lauf in beiden Richtungen,
                              									und ist daher eine wesentliche Vervollkommnung meines Systems.
                           Ich bin weit entfernt zu glauben, daß dieses Princip nicht auch in anderer Weise
                              									ausgeführt werden könnte; allein die von mir angegebene hat bereits fünf Jahre lang
                              									den Beweis geliefert, daß sie praktisch ist, und die beschriebene Modification
                              									derselben fügt ihr noch wirkliche Vortheile bei.
                           Da durch eine sehr einfache Vorkehrung gegliederte Züge in die Züge der bestehenden
                              									Bahnen eingeschaltet werden können, so lassen sich die beiden Systeme in jeder
                              									Hinsicht leicht direct vergleichen; außer der Verminderung des der Zugkraft sich
                              									entgegensetzenden Widerstandes, würde auch eine bedeutende Ersparung stattfinden,
                              									da, wie alles hoffen läßt, Radreifen angefertigt werden könnten, welche statt
                              									20–25,000 Kilometer, einen zehnmal so großen Weg zurückzulegen vermöchten,
                              									wie dieß auf der Sceaur-Bahn der Fall ist, wo noch kein Waggonrad wieder auf
                              									die Drehbank gebracht werden mußte, mehrere aber schon über 200,000 Kilometer
                              									zurückgelegt haben.