| Titel: | Ueber den Unterschied zwischen Luftheizung und Ofenheizung in ihrer Einwirkung auf die Zusammensetzung der Luft der beheizten Räume; von Dr. Max Pettenkofer. (Schluß von Bd. CXIX S. 290.) | 
| Autor: | Dr. Max Josef Pettenkofer [GND] | 
| Fundstelle: | Band 120, Jahrgang 1851, Nr. XCI., S. 418 | 
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                        XCI.
                        Ueber den Unterschied zwischen Luftheizung und
                           								Ofenheizung in ihrer Einwirkung auf die Zusammensetzung der Luft der beheizten Räume;
                           								von Dr. Max Pettenkofer.
                           								(Schluß von Bd. CXIX S. 290.)
                        Pettenkofer, über den Unterschied zwischen Luftheizung und
                           								Ofenheizung hinsïchtlich der Zusammensetzung der Luft.
                        
                     
                        
                           Betrachtet man die Fluctuationen, welchen der Gehalt der Luft an Kohlensäure bei
                              									obigen Versuchen folgt, so erweist es sich als constantes Resultat, daß die geheizte
                              									Zimmerluft auch immer mehr Kohlensäure enthält als die ungeheizte. Die Differenz ist
                              									hier übrigens etwas geringer gefunden worden, als bei dem Wassergase. Wir finden bei
                              									den Versuchen III und IV das
                              									Verhältniß von 130 : 100, bei den Versuchen VII und VIII das Verhältniß von 129 : 100, bei den Versuchen IX und X das Verhältniß von
                              									144 : 100. Dieses relative Verhältniß anlangend muß auffallen, daß bei den Versuchen
                              										IX und X, welche in
                              									einem Hörsaale angestellt wurden, welcher den ganzen Winter über benützt worden war,
                              									die Differenz im Kohlensäuregehalte der Luft im geheizten und ungeheizten Zustande
                              									am größten hervortritt. Man ersieht hieraus, daß die Wände von der durch Respiration
                              									und Transspiration in die Zimmerluft gebrachten Kohlensäure einen Theil absorbiren,
                              									welcher dann ebenso wie das condensirte Wasser und zugleich mit diesem bei den oben
                              									erörterten Temperatur-Erhöhungen durch Heizung aus der Wand aus- und
                              									beim Abkühlen ebenso theilweise wieder in dieselbe zurücktritt. Wie sehr die Luft an
                              									ihrem Kohlensäuregehalte durch Wassercondensation verliert, ersieht man deutlich aus
                              									den Versuchen VII und VIII,
                              									die angestellt wurden, nachdem es die ganze Nacht durch heftig geregnet hatte. Der
                              									Gehalt der Luft im Freien an Kohlensäure dem Volumen nach wird gewöhnlich zu 4 bis 6
                              									Zehntausendtheilen angegeben. Eine so geringe Menge scheint wenigstens in der Luft
                              									der Städte selten vorhanden zu seyn; denn sowohl beim Versuche IV als auch beim Versuche X
                              									fand ich im Freien die drei-bis vierfache Menge. Anhaltende und
                              									weitverbreitete Regenschauer vermochten aber (Versuch VIII) die Kohlensäure der Luft sehr zu vermindern.
                           Es ist schon manchem auffallend gewesen, daß man in mit Menschen erfüllten Räumen, z.
                              									B. in Theatern etc., nie auch nur im entferntesten eine Quantität Kohlensäure oder
                              									eine Desoxydation der Luft angetroffen hat, welche dem Athmen so vieler Menschen,
                              									dem Brennen  so vieler
                              									Lichter entsprach. Man hat dieses Resultat mit vielem Rechte dem raschen Luftwechsel
                              									und dem raschen Diffusionsbestreben der verschiedenen Gase zugeschrieben; aber den
                              									Ort des Austausches der Luft hat man auf ein allzugeringes Maaß beschränkt, nämlich
                              									lediglich auf die Oeffnungen, die wir an Fenstern und Thüren beobachten, oder auf
                              									eigens angebrachte Luftlöcher (Ventilation).
                           Man kennt die interessanten Versuche von Graham über die
                              									Diffusion der Gase durch Gypsplatten u. s. w. Graham gibt
                              									unter anderm an: „Man nimmt eine an beiden Enden offene, anderthalb Zoll
                                 										weite und sechs bis vierzehn Zoll lange Glasröhre, steckt in dieselbe einen
                                 										hölzernen Cylinder von etwas geringerm Durchmesser so tief ein, daß er die ganze
                                 										Röhre bis ungefähr 1/5 vom Ende ausfüllt, und bringt dann in diesen Raum
                                 										Gypsbrei, wie man ihn gewöhnlich zum Gießen nimmt. Nach wenigen Minuten ist der
                                 										Gyps erstarrt, und wenn man den hölzernen Cylinder auszieht, so hat man eine
                                 										Röhre, die an dem einen Ende durch eine feste Gypsplatte geschlossen ist. Im
                                 										feuchten Zustande ist der Gyps luftdicht; er wird daher getrocknet, indem man
                                 										ihn einen Tag lang der Luft aussetzt, oder einige Stunden in einer Temperatur
                                 										von ungefähr 90° C. trocknet; dann gestattet er den Gasen selbst in sehr
                                 										feuchter Luft den Durchgang, wenn er nur nicht selbst befeuchtet ist. Wird eine
                                 										solche Diffusionsröhre von 6 Zoll Länge über Quecksilber mit Wasserstoffgas
                                 										gefällt, so beginnt durch die Poren des Gypses sogleich die Diffusion oder die
                                 										(gegenseitige) Auswechslung von Luft und Wasserstoffgas, und sie schreitet so
                                 										stark und rasch vor, daß in drei Minuten das Quecksilber in der Röhre schon um
                                 										mehr als zwei Zoll höher als in der Wanne steht.“ Es entweicht also
                              									ein größeres Volum Wasserstoffgas binnen gewisser Zeit aus der Röhre, als durch
                              									atmosphärische Luft in der nämlichen Zeit ersetzt wird, und nach Graham verhalten sich die Diffusionsgeschwindigkeiten
                              									verschiedener Gase wie die Quadratwurzeln aus deren specifischen Gewichten. Graham bemerkt ferner: „Man kann in der
                                 										Diffusionsröhre an die Stelle des Gypses mehrere andere poröse Substanzen
                                 										bringen, aber nur wenige eignen sich eben so gut. Trockner fehlerfreier Kork ist
                                 										sehr anwendbar, aber die Diffusion geht durch denselben sehr langsam von
                                 										statten, weil er nicht porös genug ist; eben dieß ist der Fall mit dünnen
                                 										Platten mancher körnig-blätterigen Mineralien. Steinkohle, Holz,
                                 										unglasirte Thonwaare, trockne Blase können alle zu demselben Zweck benutzt
                                 										werden.“
                           
                           Der gelehrte Forscher hat schwerlich die wichtigen Folgerungen beherziget, welche
                              									sich aus diesem einfachen Versuche für die Lehre der Baumaterialien für menschliche
                              									Wohnungen ergeben. Wenn der Austausch, die Diffusion zweier verschiedenen Gase durch
                              									eine gegossene und sodann getrocknete Gypswand mit so rapider Geschwindigkeit von
                              									statten geht, wie wir es in dem Versuche erblicken, so werden wir zu der Annahme
                              									genöthigt, daß durch eine trockene Scheidewand aus Mörtel etc. die Diffusion noch
                              									rascher von statten gehen müsse. Wenn die Diffusion durch Platten körnigblättriger
                              									Mineralien von statten geht, so muß sie auch durch unsere porösen Ziegelsteine
                              									gehen.
                           Bisher hat der Mensch einem glücklichen, durch kein tieferes Raisonnement bestimmten
                              									Gefühle folgend, durchweg zur Erbauung von Wohnungen Materialien gewählt, bei denen
                              									eine Communication der Luft im Innern der Räume mit der äußeren Atmosphäre noch
                              									immer in der Art stattfinden konnte, wie wir eine solche als Diffusion der Gase
                              									durch feste Scheidewände (Gypsplatten etc.) bereits in der Wissenschaft kennen
                              									gelernt haben.
                           Die Diffusion ist bei den gasförmigen Körpern das vollkommene Analogon für das, was
                              									wir bei den Flüssigkeiten als Endosmose und Exosmose bezeichnen, welchen Vorgängen
                              									wir mit Recht eine große physiologische Bedeutung zuschreiben.
                           Die Diffusion der Gase geht um das rascher von statten, als die En- und
                              									Exosmose der Flüssigkeiten, um was jene leichter sind als diese; und unsere Luft ist
                              									bekanntlich 770mal leichter als Wasser, wird also auch 770mal leichter und schneller
                              									unsere Mauerwände durchdringen, als ein gleiches Volum Wasser. Es ist eine ganz
                              									irrige Ansicht, wenn man die Ritzen unserer Fenster und Thüren für die alleinigen Quellen der Lufterneuerung in unsern Zimmern
                              									hält, und die Myriaden Poren unserer Wände unberücksichtigt läßt. Eine Wohnung mit
                              									eisernen Wandungen wäre jedenfalls ein Experiment, das angestellt wird, um zu sehen,
                              									ob es gleichgültig ist für das Befinden der Inwohner, wenn die Zimmerluft mit der
                              									freien Atmosphäre im Diffusions-Verhältnisse steht, oder wenn diese bis auf
                              									Thür- und Fensterspalten hermetisch abgeschlossen ist.
                           Ich bin der Ueberzeugung, daß das Resultat eines solchen Experiments seyn wird, daß
                              									man eine derartige Wohnung für unbehaglich erklärt. Ebensowenig werden gußeiserne
                              									Häuser in allgemeinen Gebrauch kommen, als die Macintoshs (Gummielasticum-Zeuge etc.) als Kleidungsstücke
                              									allgemeinen Eingang gefunden haben. In einem Mantel  aus dem dicksten und gröbsten
                              									Wolltuche bewege ich mich mit mehr Behaglichkeit, als im leichtesten
                              									Gummielasticum-Rocke, der jedem, besonders bei andauernder Bewegung
                              									unerträglich wird, weil seine Oberfläche für die Luft nicht permeabel ist. Dieser
                              									Umstand macht ein solches Kleid schon lästig, trotz der großen Oeffnungen die unten
                              									und oben an den Aermeln bleiben. — Wie möchte uns seyn, wenn diese Kleider
                              									sich eng wie Tricots an unseren Leib schmiegen würden, und nicht ober und unter der
                              									Brust und an den Handgelenken weit offen wären!
                           Die Neubauten sind bis zu einem gewissen Alter allgemein als ungesund verrufen; ja in
                              									allen civilisirten Ländern bestehen sogar eigene polizeiliche Vorschriften, wodurch
                              									das Beziehen der Wohnungen in Neubauten geregelt wird. Man sagt ganz richtig, daß
                              									die Ursache der Schädlichkeit das Wasser in den jungen Wänden ist, aber über die Art
                              									und Weise, wie dieses Wasser in der Wand die Gesundheit beschädiget oder doch
                              									beeinträchtiget, darüber habe ich noch keine genügende Erklärung vernommen. Es kann
                              									die schädliche Wirkung durchaus nicht darin liegen, daß die Luft in den Zimmern zu
                              									feucht wird — vielleicht gar auf das Maximum der Sättigung mit Wasserdampf
                              									gebracht würde. Erstlich gehört eine sehr lange Zeit dazu, um nur sehr geringe
                              									hermetisch eingeschlossene Volumina Gas mit Wasserdampf zu sättigen (wie alle
                              									Chemiker wissen), und dann bringt zweitens eine viel Wassergas enthaltende Luft
                              									durchaus nicht jene Zufälle und Krankheiten hervor, wie eine zu junge Wohnung; denn
                              									sonst müßten die nämlichen Störungen unserer Gesundheit auch bei anhaltendem
                              									Regenwetter, bei sonstigen hohen Feuchtigkeitsgraden der Luft, bei Ausenthalt an
                              									großen Wasserflächen, in Wäldern u. s. w. beobachtet werden. Der luftdichte
                              									Verschluß, welchen nasse Wände um den zwischen ihnen wohnenden Menschen bilden,
                              									könnte eher eine Ursache ihrer Schädlichkeit für die Gesundheit abgeben. Aus dem
                              									oben angeführten Experimente von Graham ersieht man, daß
                              									eine frisch gegossene Gypsplatte zu Diffusionsversuchen nicht geeignet ist, daß zwei
                              									durch sie getrennte Gase sich nicht mischen — daß dieses erst dann geschieht,
                              									wenn der Gyps durch längeres Liegen an der Luft, oder sonst bis zu einem gewissen
                              									Grade ausgetrocknet worden ist — erst dann wird er für Gase durchdringbar.
                              									Wer bedenkt, wie viel Wasser mit dem Mörtel in unsere Wände gebracht wird, dem wird
                              									es einleuchtend seyn, daß dieses hinreicht, um die Poren sowohl des Mörtels selbst
                              									als auch der Bausteine zu verschließen, Myriaden kleiner Wassersperren zu bilden.
                              									Ueberdieß bleibt das in dem Mörtel befindliche Kalkhydrat so lange eine ergiebige
                              									Quelle tropsbarflüssigen Wassers, bis es so viel Kohlensäure aus der Lust  empfangen hat, daß es
                              									in Kalkhydrocarbonat verwandelt ist, wie aus den bekannten schönen Untersuchungen
                              									von Fuchs über Kalk und Mörtel hervorgeht, wornach für je
                              									30 Pfd. gebrannten Kalkes, der zum Bau verwendet wird, 4ν Pfd.
                              									tropfbarflüssiges Wasser im Laufe der Erhärtung des Luftmörtels sich ausscheiden
                              									müssen, jene viel größere Menge Wasser gar nicht mitgerechnet, welche erforderlich
                              									ist, um dem Mörtel den gehörigen Zustand von Bildsamkeit zu geben. Deßhalb ist es
                              									zum schnellen Trocknen der neuen Wände auch vortheilhaft, sie nicht zu bald, und
                              									nicht auf beiden Seiten zugleich mit einem Bewurfe zu überziehen, damit in
                              									verhältnißmäßig kürzerer Zeit durch erleichterte Communication die nöthige Menge
                              									Kohlensäure aus der Luft zum Aetzkalke gelangen kann.
                           Mir scheint es eben so nothwendig, daß sich der Mensch mit Wänden, die für die Luft
                              									bis zu einem gewissen Grade durchdringlich sind, umgebe, wenn er behaglich und
                              									gesund wohnen will, als er sich nur in solche Stoffe zweckmäßig kleidet, welche der
                              									Luft Durchgang gestatten. Die Poren unserer Wände können ebenso von Wichtigkeit
                              									seyn, wie die Poren der Oberhaut unseres Körpers — wie die Poren in der
                              									Kalkschale des Vogeleies. — Jeder Physiologe weiß, daß der Embryo in der
                              									Eischale erstickt, selbst wenn er schon ziemlich weit entwickelt ist, sobald man das
                              									Ei mit einem luftdichten Körper, z. B. mit Firniß, Oel etc., besonders am stumpfen
                              									Ende des Eies wo der Luftsack liegt, überzieht, und dadurch die Communication
                              									zwischen der im Ei befindlichen Luft und der äußeren Atmosphäre abschließt.
                           Wenn man eine Wohnung aus luftdichten Wänden erbauen wollte, müßte man zuerst durch
                              									Versuche beweisen, daß die allmälige, nach allen Seiten hingehende Diffusion, welche
                              									durch die feinen Poren des bisherigen Materiales unserer Wände statt hat, eben so
                              									zweckmäßig durch mehrere größere anzubringende Luftlöcher ersetzt werden kann.
                           Aus den hier mitgetheilten Betrachtungen ergeben sich Fragen, deren Beantwortung für
                              									die Praxis von Werth seyn dürfte.
                           1) Welches sind die relativen Größen der Hygroskopicität der
                              									Stoffe, welche zur Erbauung und Verkleidung der Wohnungen am gewöhnlichsten, und
                              									deßhalb am wichtigsten sind?
                           2) Welches sind die relativen Größenausdrücke für den
                              									schnelleren oder langsameren Vorgang der Diffusion der Gase durch eben diese
                              									Stoffe?
                           Ich bin eben damit beschäftigt, über diese Fragen theils selbst zu arbeiten, theils
                              									arbeiten zu lassen; es würde mich übrigens freuen,  wenn auch andere
                              									Experimentatoren die Sache für so wichtig hielten, ihr Zeit und Aufmerksamkeit zu
                              									widmen. — Es ist die Hoffnung gegeben, durch mehrere ähnliche Arbeiten den
                              									unbestimmten Ausdruck: Salubrität der Wohnungen in
                              									bestimmte wissenschaftliche Vorstellungen aufzulösen.