| Titel: | Ueber die durch Einführung galvanometrischer Platinnadeln in Knollen, Wurzeln und Früchten hervorgebrachten elektrischen Wirkungen; von Hrn. Becquerel. | 
| Fundstelle: | Band 122, Jahrgang 1851, Nr. XLIV., S. 227 | 
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                        XLIV.
                        Ueber die durch Einführung galvanometrischer
                           Platinnadeln in Knollen, Wurzeln und Früchten hervorgebrachten elektrischen Wirkungen;
                           von Hrn. Becquerel.
                        Aus den Comptes rendus, 1851 1er Sem., Nr.
                              18.
                        Becquerel, über die durch galvanometrische Platinnadeln in Knollen,
                           Wurzeln etc. hervorgebrachten elektrischen Wirkungen.
                        
                     
                        
                           Indem ich die elektrischen Wirkungen untersuchte, welche in Gewächsen durch Einführen
                              galvanometrischer Platinnadeln in ihre verschiedenen Gewebe hervorgebracht werden,
                              beabsichtigte ich nicht nur zu ermitteln, ob in den organisirten Körpern elektrische
                              Ströme existiren oder nicht, sondern auch zu beweisen, daß die beobachteten Ströme
                              einen chemischen Ursprung haben, ähnlich jenen die man erhält, wenn zwei
                              galvanometrische Platinbleche (so nenne ich die mit einem Galvanometer in Verbindung
                              stehenden Bleche) in zwei Flüssigkeiten tauchen, welche auf einander zu wirken
                              vermögen, indem sie entweder nicht von gleicher chemischer Zusammensetzung sind,
                              oder, wenn doch, nicht gleiche Temperatur oder dieselbe Dichtigkeit besitzen. Ferner
                              wollte ich zeigen, daß das Studium dieser Erscheinungen mehrere Punkte der
                              Pflanzenphysiologie aufklaren, die Verschiedenheit der Zusammensetzung, sowie die
                              Natur oder wenigstens den sauren oder alkalischen Charakter der Flüssigkeiten des
                              Organismus bei ihrem wechselseitigen Aufeinanderwirken nachweisen, und endlich die
                              Veränderungen, welche sie an der Luft erleiden, erforschen lassen könne.
                           Die Gesetze der Entwickelung der Elektricität bei den chemischen Processen führten zu
                              der Ansicht, daß, wenn man es mit organisirten Körpern zu thun hat, in denen
                              verschiedene Flüssigkeiten umlaufen, welche durch Membranen getrennt sind und sich
                              so zu sagen jeden Augenblick verändern, man eine diesen Gesetzen entsprechende
                              Elektricitäts-Entwickelung erhalten müsse. Zur Unterstützung dieser Ansicht
                              führte ich in meiner der (franz.) Akademie der Wissenschaften im November vorigen
                              Jahrs eingereichten AbhandlungIm Auszug im polytechn. Journal Bd. CXXI S.
                                       387. die schon seit einer Reihe von Jahren mit einigen organisirten Körpern
                              angestellten Versuche an. Die Entstehung elektrischer Wirkungen unter den eben
                              angeführten allgemeinen Umständen ist sohin nichts Neues; was aber noch zu finden
                              war, das ist die Beziehung der beobachteten elektrischen Wirkungen zu der
                              organischen Constitution der Körper, und die Veränderungen welche diese Wirkungen
                              erfahren, wenn die Luft oder andere innere oder äußere Ursachen auf die
                              Flüssigkeiten der Gewebe und anderer Theile einwirken, mit andern Worten, der
                              Gegenstand war vom physiologischen Gesichtspunkt aus noch zu untersuchen.
                           Andererseits muß ich bemerken, daß einige Naturforscher sich von den in den
                              organisirten Körpern durch die Platinnadeln hervorgebrachten elektrischen Strömen
                              nicht die richtige Vorstellung machen; sie betrachten nämlich diese Ströme als den
                              klaren Beweis des Vorhandenseyns anderer Ströme, welche bei den Lebenserscheinungen
                              eingreifen. Nun berechtigt aber bis jetzt nichts zu einem solchen Schlusse; die
                              beobachteten elektrischen Wirkungen scheinen, wenigstens in den meisten Fällen, von
                              bloßen chemischen Reactionen herzurühren.
                           Es kann jedoch der Fall vorkommen, daß diese Wirkungen mit anderen Strömen
                              zusammenhängen, dann muß aber, wie ich es in meiner Abhandlung that, bewiesen
                              werden, daß die erforderlichen Bedingungen zur Erzeugung in den verschiedenen
                              Organen ursprünglich circulirender Ströme erfüllt sind.
                           Die HHrn. Wartmann und Zantedeschi haben gleichzeitig mit mir sich mit demselben Gegenstand
                              beschäftigt; doch ist meine Arbeit zuerst im Druck erschienen.
                           Zur Beobachtung der elektrischen Wirkungen in den Knollen, Wurzeln und Früchten, sind
                              manchmal sehr empfindliche Apparate erforderlich.
                           Ich benutzte zu meinen Versuchen einen unlängst von Hrn. Ruhmkorff construirten Multiplicator nach dem Modell jenes, mit welchem
                              Hr. Du Bois-Reymond seine Versuche über
                              Contractionen anstellte; er ist, wie ich glaube, noch empfindlicher als letzterer,
                              obwohl er statt 25000 nur 20000 Windungen hat. Auch bediente ich mich noch eines
                              Apparats, welcher nach demselben Princip construirt ist wie meine elektromagnetische
                              Waage.
                           Bei den Multiplicatoren nach dem Schweigger'schen System
                              übersteigt das Maximum der Ablenkung der Magnetnadel nicht 90 Grade. Da ferner jeder
                              Grad, bei der Länge der Nadeln, ungefähr nur einen halben Millimeter beträgt, so
                              durchläuft die Nadel, wenn ihre Ablenkung nur 1 bis 2 Grade ausmacht, nicht über 1/2
                              bis 1 Millimeter.
                           Ich versuchte einen Multiplicator mit Windungen von 4000 Meter zu construiren, bei
                              welchem die Grade der die Ablenkungswinkel messenden Bogen 5 bis 10 mal größer sind,
                              auch das Maximum der Ablenkung nicht auf 90 Grade beschränkt ist und bloß von der
                              Stromstärke abhängt.
                           Dazu nahm ich folgende Veränderungen an der elektromagnetischen Waage vor, um sie in
                              einen sehr empfindlichen Multiplicator zu verwandeln. Die Schraubengewinde erhalten
                              statt einer verticalen die horizontale Lage, und an die Stelle der Stäbe kommen zwei
                              Magnetnadeln, welche man perpendiculär zu dem einen Ende eines in seiner Mitte an
                              einem einfachen Coconfaden aufgehangenen, sehr dünnen Metallstübchens, und in
                              horizontaler Richtung befestigt; da die Pole der zwei Nabeln umgekehrt angebracht
                              sind, so kann der Apparat so angeordnet werden, daß ihm eine nur äußerst schwache
                              richtende Kraft gelassen
                              wird. Jede der zwei Nabeln geht zur Hälfte in ihr respectives Schraubengewinde
                              hinein, und da diese sich auf zwei entgegengesetzten Seiten des Hebelarms befinden,
                              so folgt, daß wenn dem Strom eine solche Richtung gegeben wird, daß er jede Nadel
                              aus ihrem Schraubengewinde treibt, der Hebelarm eine doppelte Wirkung empfängt.
                           Nach der getroffenen Anordnung hängt der Ablenkungswinkel von dem der Magnetnadel
                              durch den Strom gegebenen Impuls ab, indem diese Nadel, wenn sie sich in einer
                              gewissen Entfernung von dem Schraubengewinde befindet, aufhört einen Einfluß zu
                              erleiden.
                           An dem einen Ende des Hebels oder des horizontalen Stäbchens ist eine Verlängerung
                              von einigen Centimetern befestigt, welche einen eingetheilten Kreisbogen
                              durchläuft.
                           Jedes der beiden Schraubengewinde, deren Achsen horizontal sind, ist an einer
                              verticalen Stange befestigt, welche in einen hohlen Messingcylinder dicht passend
                              hineingeht. Auf diese Weise kann die Stange nach Belieben höher und tiefer gestellt
                              werden; die zwei Schraubengewinde können ferner mittelst Scharniere in der einen
                              oder andern Richtung geneigt werden. Diese Bewegungen gestatten, die Magnetnadeln
                              nach der Achse der Schraubengewinde zu centriren. Der Apparat, von welchem ich hier
                              eine Vorstellung gegeben habe, ist jedoch nur als ein Elektroskop zu betrachten,
                              welchem die größte Empfindlichkeit ertheilt werden kann, obwohl bei demselben eine
                              größere Trägheitskraft zu überwinden ist, als bei den gewöhnlichen Multiplicatoren,
                              wegen des Gewichtes des Hebelarms.
                           Nachdem ich in meiner Abhandlung die elektrischen Wirkungen angegeben habe, welche
                              man bei den holzigen Stämmen durch die galvanometrischen Platinnadeln erhält, die
                              man in die verschiedenen Hüllen, aus welchen sie bestehen, einführte, gehe ich auf
                              die Untersuchung derselben Wirkungen in den Knollen, Wurzeln und den zur
                              vollkommenen Reife gediehenen Früchten über, mit der Kartoffel beginnend.
                           Die Kartoffel besteht aus einem Zellgewebe, in dessen Innerem sich das Stärkmehl
                              befindet; das Ganze ist von einer Flüssigkeit durchdrungen, welche es mehr oder
                              weniger wässerig macht. Ob diese Flüssigkeit überall, von der Epidermis bis zur
                              Mitte, gleicher Natur ist, wurde noch nicht ausgemittelt.
                           Die Kartoffel hat eine Organisation, welche mit derjenigen der holzigen Stämme
                              Aehnlichkeit zeigt, indem man schon mit dem bloßen Auge und noch besser durch das
                              Mikroskop folgende Theile unterscheiden kann: 1) eine Epidermis; 2) eine der Rinde
                              entsprechende Zellenzone; 3) einige zerstreute, nicht zahlreiche Gefäße, welche die
                              Holzsubstanz repräsentiren; 4) endlich eine zellige Masse, welche den größten Theil des
                              Knollens bildet und mit dem Mark der Stämme zu vergleichen ist. Aus dieser
                              Organisation ließ sich von vornherein schon schließen, daß nicht jeder dieser Theile
                              dieselbe chemische Zusammensetzung habe oder doch wenigstens nicht von einer gleich
                              zusammengesetzten Flüssigkeit durchdrungen sey; woraus folgt, daß diese
                              verschiedenen Schichten auch analoge elektrische Wirkungen wie die holzigen
                              Schichten veranlassen müssen.
                           Bei Versuchen mit einem Querschnitte und einem Längenschnitte einer Kartoffel von
                              länglicher Gestalt findet man wirklich, daß der Theil unter der Epidermis sich stets
                              positiv gegenüber den mittlern Schichten verhält, deßgleichen die anliegenden Theile
                              bezüglich jener, die der Mitte am nächsten liegen u.s.f. bis zum Centrum, welches
                              der negativste Theil ist; die Kartoffel verhält sich sonach hinsichtlich der
                              elektrischen Wirkungen, was bei ihrer Organisation zu erwarten war, wie das
                              Rindensystem eines holzigen Stammes.
                           Es ist durch diese Thatsache die Ungleichartigkeit der aufeinanderfolgenden Theile
                              der Kartoffel von der Epidermis bis zum Mittelpunkt dargethan.
                           Diese Ungleichartigkeit kann auch dadurch nachgewiesen werden, daß man die Marktheile
                              einer Kartoffel von der Peripherie aus gegen das Centrum nacheinander herausnimmt
                              und auf eine Glasplatte legt, wo man dann nach weniger als einer halben Stunde ihre
                              Farbe, bei jedem Theile aber anders, sich verändern sieht. Das Mark von dem
                              Epidermistheil wird grünlichgrau, und dasjenige der centralen Theile, je nach ihrer
                              Entfernung von der Epidermis, mehr oder weniger röthlich. Diese Farben gehen nach
                              und nach ins Bräunliche über; die des erstern Theils weniger als die der letztern,
                              welche endlich dunkel schwarz werden. Die Luft wirkt also nicht auf alle Theile des
                              herausgenommenen Markes gleich.
                           Uebrigens ist die Heterogenität der verschiedenen Schichten des Knollens leicht zu
                              erklären. Während der Keimung der Kartoffel, die einen großen Theil des Jahres
                              hindurch stattfindet, gehen von außen gegen innen beständig Veränderungen vor sich,
                              die von der Knospe (dem Auge) ausgehen, welche sich auf Kosten der innern Säfte
                              ernährt, was eine beständige Bewegung dieser Säfte veranlaßt, die von einer
                              Veränderung ihrer Zusammensetzung begleitet ist. Während dieser Bewegung leert die
                              Kartoffel sich aus, bis sie zuletzt verschwindet. Vorerwähnte Erscheinungen weisen
                              dieß genugsam nach, indem sie die Ungleichartigkeit der Säfte von der Epidermis bis
                              zum Centrum des Knollens außer Zweifel setzen.
                           Die andern Knollen sowie die Wurzeln zeigen dieselben Wirkungen; doch gibt es
                              Ausnahmen: Tropeolum tuberosum und Ullucus tuberosus geben umgekehrte Wirkungen. Die
                              Gelbrübe verhält sich wie die Kartoffel; ebenso die rothe und weiße Runkelrübe.
                           Ich stelle im Folgenden das Ergebniß meiner Untersuchungen zusammen:
                           1) Die elektrischen Wirkungen, welche man in den Kollen und Wurzeln mittelst
                              Platinnadeln beobachtete, die mit einem sehr empfindlichen Multiplicator in
                              Verbindung stehen, setzen die Ungleichartigkeit der in ihren Geweben von der
                              Epidermis bis zum Centrum befindlichen Säfte außer Zweifel; diese Ungleichartigkeit
                              scheint mit der organischen Constitution in Beziehung zu stehen. Diese Wirkungen
                              zeigen auch, daß die Kartoffel und die meisten andern Knollen sich bei der
                              angenommenen Versuchsweise wie das Rindensystem eines holzigen Stammes verhalten,
                              d.h. daß der Theil unter der Epidermis allen andern gegenüber positiv ist,
                              deßgleichen die ihm zunächst liegenden Theile gegenüber den inneren u.s.f. bis zum
                              Centrum, welches in hohem Grade negativ ist.
                           Es muß daher ein ununterbrochenes Aufeinanderfolgen von Veränderungen in der
                              Flüssigkeit von der Epidermis bis zur Mitte stattfinden.
                           2) Einige Knollen verhalten sich hingegen wie das Holzsystem eines dicotyledonischen
                              Stammes; der centrale Theil ist nämlich positiv gegenüber den ihn umgebenden bis zur
                              Epidermis.
                           3) Diese Wirkungen haben eine sehr kurze Dauer, wohl nicht wegen der Polarisation der
                              Platinnadeln, sondern in Folge von chemischen Reactionen, welche ebenfalls kurz nach
                              Einführung der Nadeln aufhören.
                           4) Die entgegengesetzten elektrischen Wirkungen, welche man durch ein unbedeutendes
                              Verrücken der Nadeln von ihrem Platz (ohne sie jedoch aus den Knollen herauszunehmen
                              oder neue Löcher hineinzumachen) erhält, lassen sich nur dadurch erklären, daß
                              entweder das Platin in Berührung mit den Säften angegriffen wird, oder die Säfte von
                              der durch die Nadeln hineingebrachten Luft eine Veränderung erleiden.
                           5) Da die verschiedenen Säfte bei ihrer Berührung mit dem Wasser dieses positiv
                              machen und zwar der epidermische Saft mehr als die andern, so folgt, daß wenn man
                              die beiden Enden einer bogenförmig gekrümmten Kartoffel in Wasser steckt, von
                              welchen Enden das eine seiner Epidermis beraubt und dem andern nur noch der centrale Theil des Knollens
                              geblieben ist (indem um ihn herum alles weggenommen wurde), man ein wahrhaftes
                              Volta'sches Paar hat, welches das mit dem seiner Epidermis beraubten Ende in
                              Berührung befindliche Wasser positiv macht.
                           6) Die durch den Contact des Wassers mit Säften hervorgebrachte Wirkung erklärt uns,
                              warum die Pflanzen aller Art einen Ueberschuß negativer Elektricität besitzen, die
                              Erde einen Ueberschuß positiver Elektricität.
                           7) Die ungleiche Veränderung der verschiedenen Säfte wird nicht nur mittelst der
                              elektrischen Wirkungen wahrnehmbar, sondern auch wenn man das mit diesen Säften
                              angefüllte Mark der Luft aussetzt.
                           8) Die beobachteten elektrischen Wirkungen sind so complicirt, daß man sich wohl
                              hüten muß, daraus Schlüsse über die Rolle zu ziehen, welche die Elektricität bei den
                              organischen Functionen, d.h. den Lebenserscheinungen spielen kann. Bei meinen
                              bisherigen Untersuchungen betrachtete ich die Elektricität hauptsächlich als eine
                              das Studium der Physiologie aufhellende Erscheinung, keineswegs als die Ursache der
                              organischen Processe.
                           9) Es ist nachgewiesen, daß die Ungleichartigkeit der verschiedenen Säfte, welche
                              sich in den Geweben befinden, die Hauptursache der Elektricitäts-Entwickelung
                              ist, wozu noch die Veränderungen kommen, welche sie in gemeinschaftlicher Berührung
                              mit Platin und Luft erleiden. Zu bedauern ist, daß wir die beobachteten
                              Erscheinungen nicht messen können, was rein unmöglich ist, weil sie jeden Augenblick
                              durch äußere Agentien und andere unserer Erkenntniß entgehende Ursachen modificirt
                              werden.