| Titel: | Ueber den Widerstand, welchen der gebrauchte Dampf der Bewegung der Kolben einer Locomotive entgegensetzt und ein Mittel, den hieraus hervorgehenden Kraftverlust zu verringern; von Cadiat d. ält. in Paris. | 
| Fundstelle: | Band 122, Jahrgang 1851, Nr. LXVII., S. 337 | 
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                        LXVII.
                        Ueber den Widerstand, welchen der gebrauchte
                           Dampf der Bewegung der Kolben einer Locomotive entgegensetzt und ein Mittel, den hieraus
                           hervorgehenden Kraftverlust zu verringern; von Cadiat d. ält. in Paris.
                        Aus dem Bulletin du Musée de l'Industrie, Juli
                              1851, durch das polytechn. Centralblatt, 1851 Lief. 20.
                        Cadiat, über den Widerstand des gebrauchten Dampfs in den
                           Locomotiven.
                        
                     
                        
                           Einer der wichtigsten passiven Widerstände, welchen die Kolben einer Locomotive zu
                              überwinden haben, besteht in dem Gegendrucke des abgenutzten, abziehenden Dampfes.
                              Dieser Gegendruck ist um so bedeutender, als jene Dämpfe noch beim Austritte eine
                              ziemlich hohe Spannung besitzen. Bekanntlich aber ist eine so hohe Spannung
                              erforderlich, um den Zug im Schornsteine zu erzeugen. Der Einfluß dieser Spannung
                              jedoch ist noch nicht hinreichend untersucht und begriffen worden, und Cadiat zeigt nun, daß durch eine rationellere Anordnung
                              der Blasrohre die Arbeit des Gegendruckes des gebrauchten Dampfes auf die Kolben
                              bedeutend verringert werden könne. Bisher nahmen die Mechaniker gewöhnlich an, daß
                              die beiden Cylinder einer Locomotive gänzlich unabhängig von einander seyen, und, ungeachtet
                              das Blasrohr beide verbindet, waren sie der Ansicht, daß der Dampf, welcher von
                              einem der Kolben fortgestoßen wird, direct in die Atmosphäre austrete und
                              keinesweges hinderlich auf den andern Kolben zurückwirke und dessen Bewegung
                              entgegentrete. Diese letzte Voraussetzung würde wahr seyn, wenn das beiden Cylindern
                              gemeinschaftliche Blasrohr dem Dampfe einen ganz leichten ungehinderten Austritt
                              gestattete, und wenn die Weite desselben so groß wäre, daß der Dampf keinen sehr
                              erheblichen Ueberdruck mehr besäße. Dem ist jedoch nicht so; da der abziehende Dampf
                              noch den Zug im Ofen erzeugen, also eine große Masse Luft in schnelle Bewegung
                              versetzen muß, so muß derselbe bis zur Zeit des Austrittes noch einen bedeutenden
                              Ueberdruck besitzen. Indem nun der Dampf durch das Blasrohr aus dem einen Cylinder
                              austritt, muß derselbe nothwendigerweise auch auf den Kolben des andern Cylinders
                              reagiren, und es entsteht also nicht allein ein Gegendruck auf die Rückseite des
                              Kolbens, vor dem der Dampf entweicht, sondern auch auf die Rückseite des andern
                              Kolbens. Da hierbei der Dampf erst aus dem einen Cylinder in den andern übertreten
                              muß, so wird natürlich auch die Spannung vor dem Kolben des ersten Cylinders etwas
                              größer seyn, als vor dem Kolben des zweiten. Diese Differenz ist jedoch keineswegs
                              so groß, als daß sie die Reaction des Dampfes, welcher in den zweiten Cylinder
                              übertritt, annulirte. Dieß vorausgesetzt, zeigt Cadiat
                              nun, daß, wenn die Pressungen des austretenden Dampfes vor beiden Kolben wenig
                              differiren, die durch diese Pressungen erzeugte Widerstandsarbeit viel
                              beträchtlicher ist in Bezug auf den Kolben, vor den der Dampf aus dem ersten
                              Cylinder übertritt, als in Bezug auf den Kolben, vor welchem er abfließt.;
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 122, S. 338
                              Bezeichnen wir die beiden Cylinder einer Locomotive mit A und B, die sich darin bewegenden Kolben
                                 mit a und b; während a am Ende seines Hubes angekommen ist, befindet sich
                                 b in der Mitte des Kolbenweges; die
                                 Cylinderabtheilungen e und f vor beiden Kolben stehen eben in Communication mit dem Blasrohre und
                                 demzufolge mit einander. Beginnt der Kolben seinen Rückgang mit einem Minimum
                                 von Geschwindigkeit, so bewegt sich der Kolben d
                                 eben mit der Maximalgeschwindigkeit. Der aus dem Cylinder A austretende Dampf findet im Blasrohre so viel Widerstand, daß er
                                 auch nach dem Cylinder B überfließt und der Bewegung
                                 des Kolbens b hindernd entgegentritt.
                              
                           
                           Derselbe Dampf wird vom Kolben a gewissermaßen auch
                              fortgeschoben und übt auf diesen Kolben beim Abfluß einen Druck aus, welcher in
                              Folge des Voreilens des Schiebers beim Austritt, theils im
                                 Sinne der Bewegung des Kolbens, theils in dem entgegengesetzten Sinne
                                 wirkt. So lange als gegen das Ende des Kolbenhubes der Druck im Sinne der
                              Kolbenbewegung wirkt, vermehrt die vom ausströmenden Dampfe an diesen Kolben
                              abgegebene mechanische Arbeit die Nutzleistung; das Umgekehrte dagegen findet statt,
                              sobald der Kolben seinen Rückgang beginnt. Kurz, das Voreilen des Schiebers beim
                              Abfluß bewirkt, daß der austretende Dampf aus dem Kolben a einen nützlichen Druck ausübt, bis derselbe am Ende seines Hubes
                              ankommt; während derselben Zeit aber tritt bereits der abfließende Dampf auch in den
                              Cylinder B vor den Kolben b
                              und erzeugt hier lediglich einen Widerstand. Da sich ferner der Kolben b eben mit seiner Maximalgeschwindigkeit, der Kolben a dagegen beim Rückgange mit einem Minimum von
                              Geschwindigkeit bewegt, so folgt hieraus fernerweit, daß die Widerstandsarbeit,
                              welche der Kolben b in Folge des Gegendruckes des
                              gebrauchten Dampfes zu überwinden hat, größer ist, als diejenige bei a.
                           Hierauf berechnet Cadiat die Arbeit des Gegendruckes des
                              gebrauchten Dampfes auf beide Kolben; eine directe Bestimmung derselben ist nicht
                              gut thunlich, da hierzu mehrere Angaben fehlen, welche sich nur durch viele und
                              schwierige Versuche bestimmen lassen. Aus diesem Grunde bestimmt Cadiat jene Widerstandsleistung aus der mechanischen
                              Arbeit, welche der entweichende Dampf an den Rauch abgibt, um den Zug zu erzeugen.
                              Hierbei legt Cadiat Werthe zu Grunde, welche er im Annuaire de 1850 p. 92
                              veröffentlicht hat. Wir wollen hier nur kurz die Resultate seiner Rechnung anführen.
                              Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 20 Meter pro Secunde
                              findet Cadiat die vom ausblasenden Dampfe verrichtete
                              Arbeit 6000 Kilogramm-Meter, die Ausströmungsgeschwindigkeit des Dampfes aus
                              dem Abzugscanal 329 Meter. Beim Abfluß des Dampfes in die Atmosphäre entspricht
                              dieser Geschwindigkeit ein Ueberdruck von 0,45 Atmosphären oder 4650 Kilogramme pro Quadratmeter. Dieser Ueberdruck ist in allen Theilen
                              des Blasrohres als herrschend anzunehmen; dieß ist jedoch nur ein Mittelwerth,
                              welcher nur dann bloß 4650 Kilogr. betragen könnte, wenn die Pressung während der
                              ganzen Dauer des Kolbenhubes dieselbe bliebe.
                           Nimmt man den Kolbendurchmesser zu 0,4 Meter, die Geschwindigkeit der Kolben = 1/6
                              der Fahrgeschwindigkeit = 1/6 . 20 = 3,333 Meter an, so betrüge die mechanische Arbeit des
                              Gegendruckes des austretenden Dampfes vor beiden Kolben = 3889 Kilogr.-Meter
                              = 51 Pferdekräfte. Dieses Arbeitsquantum ist jedoch auch nur ein Mittelwerth,
                              welcher für den Fall gilt, wo der Ueberdruck von 4650 Kilogr. pro Quadratmeter während des ganzen Kolbenhubes herrschte. In Wirklichkeit
                              jedoch hält die hohe Spannung des austretenden Dampfes vor den Kolben nur eine
                              kürzere Zeit an, ist demzufolge aber auch größer als 4650 Kilogr. Ueberdruck. Um nun
                              den Theil der Widerstandsleistung, welcher auf jeden der beiden Kolben für sich
                              während der Abflußzeit ausgeübt wird, getrennt zu bestimmen, sucht Cadiat zunächst: 1) den Dampfdruck während der Dauer des
                              Abflusses; 2) die betreffenden Stellungen der Kolben; und 3) den während dieser Zeit
                              durchlaufenen Weg jedes der beiden Kolben.
                           Das Voreilen der Schieber beim Austritt betrage 20 Grad, d.h. die Kurbeln drehen sich
                              noch um einen Winkel von 20 Grad von dem Augenblicke an, wo der Dampfcanal eben
                              anfängt sich zu öffnen, bis zu der Zeit, wo der betreffende Kolben am Ende seines
                              Hubes ankommt; es betrage ferner der Flächeninhalt der Oeffnung des Dampfcanales
                              beim Abfluß = 1/8 einer Kolbenfläche = 0,1256/8 = 0,0157 Quadratmeter. Das von den
                              beiden Kolben in einer Secunde beschriebene Volumen ist = 3,33 . 2 . 0,1256 = 0,8365
                              Kubikmeter. Bei einer Dampfconsumtion von 1 Kilogramm pro Secunde würde dieses Kilogramm demzufolge einen Raum von 0,8365
                              Kubikmeter einnehmen; diesem Gewicht und Volumen würde eine absolute Dampfspannung
                              von 2,22 Atmosphären entsprechen.
                           Schnitte man den Zufluß des frischen Dampfes bei 0,5 oder 0,7 des Kolbenhubes ab, so
                              müßte hiernach der frisch eintretende Dampf eine Spannung von 4,5 oder respective
                              3,1 Atmosphären haben.
                           In dem Augenblicke nun, wo der Abfluß beginnt, ist fast der ganze Cylinder mit einem
                              Dampfvolumen von 2,22 Atmosphären Spannung erfüllt, welches in ein Medium von 1,45
                              Atmosphären Spannung, das Blasrohr, abfließen soll durch eine Oeffnung, deren
                              Flächeninhalt durchschnittlich = 0,0157/2 = 0,00785 Quadratmeter beträgt. Mit
                              Rücksicht darauf, daß hier ein Abfluß unter abnehmendem Drucke stattfindet, ergibt
                              sich die Geschwindigkeit, mit welcher der Dampf in das Blasrohr tritt = 354 Meter.
                              Den Contractionscoefficienten = 0,65 angenommen, fließt daher bei dieser
                              Geschwindigkeit pro Secunde 1,81 Kubikmeter ab und zur Entleerung eines
                              Cylinders von 0,069 Kubikmeter Rauminhalt sind demnach 0,038 Secunden erforderlich.
                              Bei 3,33 Meter Kolbengeschwindigkeit und 0,55 Meter Hub durchlaufen die Kurbeln
                              während dieser Zeit einen Winkelweg von 40 Grad. Da also einem Dampfabfluß eine
                              Kurbeldrehung von 40 Grad entspricht und bei jeder vollen Umdrehung der Kurbelachse
                              der Dampfabfluß sich viermal wiederholt, so folgt daraus, daß die Dauer sämmtlicher
                              Dampfabflußzeiten sich zur Dauer einer vollen Kurbelachsenumdrehung wie 160°
                              zu 360° verhält, und daß ferner die Widerstandsleistung des austretenden
                              Dampfes sich auf eine kürzere Zeit als die Dauer eines Kolbenhubes concentrirt. Der
                              Ueberdruck des gebrauchten Dampfes pro Quadratmeter wird
                              also auch nicht bloß 4630 Kilogr., sondern vielmehr 4630. 360/160 = 10462 Kilogr.
                              betragen. Uebrigens ist auch dieser Werth nur als Mittelwerth für die ganze Zeit des
                              Dampfabflusses zu betrachter.
                           Um nun die Widerstandsleistung des Gegendruckes für jeden Kolben zu bestimmen mit
                              Zugrundlegung des gefundenen Werthes, ist zunächst zu untersuchen, welchen Weg jeder
                              Kolben durchläuft während der Dauer des Dampfabflusses. – Das Voreilen der
                              Schieber beim Dampfaustritte war zu 20° angenommen worden, der Kolben a wird also seinen Hub vollenden, während die Kurbeln
                              sich um 20° drehen; nachdem sie sich abermals um 20° gedreht haben,
                              ist der Kolben in seinen anfänglichen Stand zurückgekehrt und der Dampfabfluß
                              vollendet. Während dieser Zeit hat der Kolben einen Weg = 2 . (0,55 Met./2) cos. vers. 20° = 0,033 Meter zurückgelegt.
                              Während der Kolben a die den Kurbelwinkeln von –
                              20° und + 20° entsprechenden Stellungen durchläuft, durchläuft der
                              zweite Kolben die zwischen den Winkeln – 20° + 90° = 70°
                              und + 20° + 90° = 110° liegenden Stellungen und somit im Ganzen
                              einen Weg = 0,55 Met./2 (cos 70° + cos 110°) = 0,188 Meter.
                           Die Widerstandsleistung des Gegendruckes des abziehenden Dampfes ergibt sich daher
                              für jeden der beiden Kolben folgendermaßen: 1) sie beträgt für ein einfaches Spiel
                              des Kolbens a = 10462 Kil. . 0,1256 Quadratmeter . 0,033
                              Meter = 43,36 Kilogramm = Meter und pro Secunde (für
                              6,04 einfache Spiele) = 262 Kilogramm-Meter = 3,5 Pferdekräfte.
                           
                           Bei dem Kolben b dagegen beträgt sie pro einfaches Spiel: 10462 Kilogr. . 0,1256 Quadratmeter
                              . 0,188 Meter = 247 Kiogr.-Meter, und pro Secunde
                              (6,04 einfache Spiele) = 1492 Kilogramm-Meter = 20 Pferdekräfte, also 16,5
                              Pferdekräfte mehr als bei dem Kolben a, vor dem eben der
                              den Gegendruck bewirkende Dampf abfließt.
                           Während hierbei die Widerstandsleistung des Gegendruckes des abfließenden Dampfes in
                              Summa sich zu 23,5 Pferdekräften ergibt, könnte man durch Verhinderung des
                              Zurückfließens des gebrauchten Dampfes aus dem Blaserohre vor dem Kolben b diese Widerstandsleistung auf 3,5 Pferdekräfte, für
                              das hier durchgeführte Zahlenbeispiel also auf 3,5/23,5 oder circa ein Siebentel reduciren. Mit Rücksicht auf einige Unzuverlässigkeit
                              der als bekannt vorausgesetzten Werthe kann man doch wenigstens auf eine
                              Verminderung um 3/4 rechnen.
                           Durch Wiederholung der vorstehenden Rechnungen für verschiedene Fahrgeschwindigkeiten
                              findet man, daß die Widerstandsleistung des Gegendruckes auf die Kolben nahezu wie
                              die dritte Potenz der Fahrgeschwindigkeit wächst. Dieß stimmt übrigens überein mit
                              der Progression der Werthe für die mechanische Arbeit, welche zur Erzeugung des
                              Zuges bei verschiedenen Fahrgeschwindigkeiten erforderlich ist.
                           Wenn auch die oben gefundenen Resultate nicht auf vollkommene Genauigkeit und stritte
                              Beweiskraft Anspruch machen können, so zeigten sie doch jedenfalls: 1) daß ein
                              Uebertritt des gebrauchten Dampfes aus einem Cylinder einer Locomotive in den andern
                              durch das Blasrohr wirklich stattfinde und auf den Kolben des zweiten Cylinders im
                              Mittel des Hubes wirke, während der erste Kolben eben den seinigen beginnt; 2) daß
                              die Widerstandsleistung im Verhältniß der Ungleichheit der Geschwindigkeiten beider
                              Kolben viel beträchtlicher bei dem Kolben ist, auf welchen der Dampf zurückfließt,
                              als bei dem Kolben, vor welchem der abfließende Dampf eben gewirkt hat; 3) daß alle
                              Communication zwischen den beiden Cylindern beim Dampfaustritt nachtheilig ist und
                              die Widerstände nutzlos vermehrt; 4) daß man die
                                 Widerstandsleistung des Gegendruckes des gebrauchten Dampfes um mindestens drei
                                 Viertheile vermindern kann, wenn man für jeden Cylinder ein besonderes Blasrohr
                                 und eine getrennte Dampfaustrittsöffnung anbringt. Um die beiden
                              Ausblasöffnungen möglichst in die Achse des Schornsteins zu bringen, kann man die Wände beider
                              Blasrohre unmittelbar aneinander stoßen lassen; natürlich sind auf jedem Blasrohr
                              zwei Klappen zur Vergrößerung und Verkleinerung der Dampfaustrittsöffnungen
                              anzubringen, so daß man dann im Ganzen vier Klappen hat.