| Titel: | Neue Verbesserungen in der Weberei; Tuche mit zwei rechten Seiten. | 
| Fundstelle: | Band 123, Jahrgang 1852, Nr. VI., S. 29 | 
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                        VI.
                        Neue Verbesserungen in der Weberei; Tuche mit
                           zwei rechten Seiten.
                        Aus der deutschen Gewerbezeitung, 1851, S.
                           354.
                        Neue Verbesserungen in der Weberei.
                        
                     
                        
                           Unter all den großartigen Verbesserungen, welche an den Maschinen gemacht wurden, die
                              zur Herstellung gewebter Fabrikate, von der ersten Zubereitung des rohen Stoffes an
                              bis zu seiner größten Vollkommenheit, nachdem er den Webstuhl verlassen hat,
                              angewendet worden, ist nicht eine einzige bedeutende Abweichung von der einfachen
                              Art, von dem rohesten Verfahren, dessen Spuren wir im Alterthum finden, vorhanden,
                              was das Princip betrifft, während dieß mit Bestimmtheit selbst von der
                              complicirtesten und schönsten Maschine gesagt werden kann, welche der Scharfsinn
                              Englands, es muß zugestanden werden, mehr als der anderer Länder, zum Behuf der
                              verschiedenen Operationen eingeführt hat, denen die Schafwolle, die Faser oder der
                              Flaum unterworfen wird, ehe sie in die Hände des Webers kommen; und zu gleicher Zeit
                              ist diese Wahrheit bezüglich des Webstuhls selbst höchst überraschend merkwürdig.
                              Die schönen, zum Theil wundervollen Vorrichtungen zum Krämpeln, Spinnen, Zwirnen und
                              zum Kämmen, Herstellen der Kette, wodurch besonders die brittische Erfindungsgabe
                              die Handarbeit aufgehoben, und in gewissem Maaße die Thätigkeit des Geistes unnöthig
                              gemacht hat, sind in Wirklichkeit nur verbesserte Arten alter Handgriffe oder
                              Veränderungen der ursprünglichen Handarbeit. Aber sie erreichen (mit fast gleichen
                              Mitteln) eine außerordentlich vergrößerte Schnelligkeit, eine bedeutend vermehrte
                              Menge und die verschiedenartigsten Qualitäten. Die Krämpel, die Spindel, die Spule
                              und die Weise sind im Princip dieselben wie ehedem, aber die verschiedenen und
                              zusammengesetzten Maschinenglieder, welche sie in Bewegung setzen, geben dem
                              Verfahren einen durchaus neuen Charakter, und können in mancher Hinsicht als, selbst
                              dem ursprünglichen Verfahren, ein neues Princip einhauchend betrachtet werden.
                           Dasselbe kann nicht von der Weberei gesagt werden. Die erstaunliche Maschinerie der
                              Baumwollspinnerei hebt alle Verbindlichkeit gegen Rad und Spindel oder den
                              einfacheren Spinnrocken auf; aber in allem Wesentlichen, mit Ausnahme der bewegenden
                              Kraft und gewisser Hülfsmittel behufs der Erzielung der Schnelligkeit und
                              Façon, beruht der
                              neueste unserer Dampfwebstühle auf den hauptsächlichsten Grundgesetzen des
                              gewöhnlichen Handwebestuhles, oder der einfachen Vorrichtung, welche der
                              eigensinnige Hindu seit der frühesten Periode beginnender Civilisation unverändert
                              beibehält. Alle arbeitenden Theile sind mit geringer Veränderung dieselben. Die
                              Bäume, das Blatt, Lade und Geschirr sind bei beiden sehr übereinstimmend. Daß die
                              Fertigung aller Arten gewebter Fabrikate während der 400 Jahre, welche verflossen
                              sind, seitdem sich die ersten flämischen Weber unter dem Schutze Edward's III. in dem betriebsamen und weitberühmten
                              West-Riding niederließen, in jedem Betracht zu einer erstaunlichen Ausdehnung
                              in den brittischen Inseln gediehen ist, und daß viel von dem Reichthum, von der
                              Macht und selbst von dem Frieden, welchen wir in England so glücklich sind jetzt zu
                              genießen, der zum Theil durch die verbesserte Webemethode hervorgerufenen
                              Gewerbsausdehnung verdankt werden muß, ist der höchste Stolz unseres Zeitalters und
                              zumal Englands.
                           Die große Verschiedenheit neuer Fabrikate, welche kürzlich geschaffen wurden und noch
                              täglich hervorgebracht werden, besonders in Worsted- und gemischten Zeugen
                              (Mischgeweben), wie z.B. Merinos, Paramattes, Orleans und dergleichen, sind mehr die
                              Folge verbesserten ursprünglichen Verfahrens als des Webens selbst. Man kann kaum
                              sagen, daß irgend eine Veränderung in dem Verfahren stattgefunden habe, wodurch die
                              Natur des Erzeugnisses verändert wird. Heute wollen wir inzwischen eine Neuerung
                              betrachten, welche von der alten Art zu weben bedeutend abweicht. Dasselbe ist von
                              Hrn. Samuel Powell von Loughborough in Leicestershire
                              neuerlich eingeführt und patentirt. Man kann annehmen, daß die einzigen wesentlichen
                              Verbesserungen in der ursprünglichen Art des Webens bis zu dieser Zeit in dem
                              Schnellschützen, dem Jacquardstuhl und in der gelungenen Anwendung der
                              Wasser- und Dampfkraft als Ersatz menschlicher Hände und Füße bestehen. Aber
                              die neue Erfindung, auf welche wir anspielen, besteht in der Erzeugung von
                              Fabrikaten, welchen Powell den Namen „bisunique“ oder Zweifache gegeben hat. In
                              sofern nämlich seine Gewebe zwei rechte Seiten von
                                 verschiedener Farbe, eine so vollkommen als die andere haben, und geeignet
                              sind jede Verschiedenheit von Muster aufzunehmen.Auf der Industrie-Ausstellung des Jahres 1850 in Leipzig hatten
                                    Reichenberger Tuchfabriken solche Tuche ausgestellt.
                              
                           
                           Als Beispiele, welche die Anwendung der neuen Art zu weben zeigen, mögen angeführt
                              werden:
                           1) Um ein Tuch zu erzeugen, bei welchem beide Seiten von einem Muster sind (jedoch
                              jede Seite von verschiedener Farbe, oder beide Seiten von gleicher Farbe und
                              Vollendung), werden die Kettenfäden in zwei gleiche Theile, jeder von verschiedener
                              Farbe, getheilt. Sie werden dann abwechselnd, d.h. erst ein einziger Faden von der
                              einen, dann ein einziger Faden von der andern Farbe gebäumt und zuletzt in den
                              Webestuhl gebracht. Der eine Kettentheil hat links, der andere rechts Draht. Die
                              Werfte liegt auf beiden Seiten frei, sämmtliche Kettenfäden werden unter einander
                              durch einen und denselben Schuß, der durch die Mitte der Kette geht, gebunden, und
                              über dem Einschuß liegen eben so viele Fäden als unter demselben.
                           2) Um ein Tuch zu erzeugen, bei welchem die eine Seite zwei- oder mehrfarbig
                              ist, während die andere nur einfarbig erscheint, ist es nöthig, daß die eine Hälfte
                              der Kettenfäden nach gehörigem Verhältniß in die verschiedenen Farben, als Roth,
                              Grün und Braun getheilt werde, während die andere Hälfte nur von einer Farbe bleibt.
                              Die bunten Fäden werden entweder gleichmäßig, einer neben dem andern, oder in
                              solcher Reihenfolge aufgebäumt, wie es das Muster erfordert.
                           3) Um ein Tuch zu fabriciren, bei welchem die beiden Seiten von verschiedener Güte
                              sind (z.B. die eine Seite fein Gelbbraun, und die andere grob Schwarzbraun oder
                              Blau), scheere man die eine Hälfte der Kette von feinem, die andere von grobem
                              Garn.
                           4) Alle die unter 1, 2, 3 angegebenen Einrichtungen können in einem Stück vereinigt
                              werden. Bei einem solchen Stück werden dann für die eine Seite eine größere oder
                              geringere Anzahl Kettenfäden als für die andere verwendet. Auch können die
                              Kettenfäden auf der einen Seite dicker als auf der anderen seyn; oder die Kette kann
                              aus zwei oder drei verschiedenfarbigen und zusammengedrehten Fäden auf der einen
                              Seite, auf der andern aus einfarbigen Fäden bestehen; oder, wenn man will, können
                              beide Seiten der Kette aus verschiedenfarbigen, zusammengedrehten Fäden
                              bestehen.
                           Nur die Erfahrung kann über die Nutzbarkeit, die Anwendung, und über alle Vortheile,
                              welche diese Fabrikate bieten können, belehren. Es ist einleuchtend, daß sie die
                              Schwierigkeit, die entfernten Ansiedelungen in Asien, Amerika u.s.w. hinlänglich mit
                              Mustern zu versehen, vermindern werden. Durch diese Erfindung dient ein einziges Stück Waare, gleichviel
                              ob Wolle, Seide, Baumwolle oder gemischt, in Bezug auf die Wahl der Farbe, des
                              Musters oder des Gehaltes, für zwei, während zu gleicher Zeit die ganze Masse
                              Waaren, welche sonst gewöhnlich in das Inland transportirt werden mußte, um die
                              Hälfte vermindert wird. Doch sind dieß nicht die einzigen Vortheile welche sie
                              bieten, denn unsere einheimischen Händler werden dadurch in den Stand gesetzt, noch
                              einmal so viel Muster in denselben Raum zu stapeln, der jetzt für ihren gewöhnlichen
                              Vorrath erforderlich ist; oder dieselbe Auswahl in ihrem Vorrathe wird für etwas
                              weniger mehr als die Hälfte der jetzigen Kosten herzustellen seyn, wodurch das
                              nöthige Capital eines jeden Händlers bedeutend zunehmen wird.Die Vortheile, welche unsere englische Quelle hier mit großer Emsigkeit
                                    hervorhebt, könnten noch vervielfältigt werden. Unser deutscher
                                    Kleiderkünstler Robert Krach in Prag benutzt die
                                    böhmischen Stoffe mit zwei rechten Seiten von verschiedener Farbe und
                                    Qualität, um sehr künstliche Röcke zu fertigen, welche mit leichter Mühe
                                    umgekehrt werden und gleich gut auf beiden Seiten getragen werden können.
                                    Solchergestalt hat man zwei Röcke in Einem für wenig Geld mehr, als was der
                                    eine kostet, und ist im Stande sein Gepäck auf Reisen sehr zu
                                    verringern. Diese Tuche waren auf der Londoner Ausstellung zu sehen.