| Titel: | Ueber die Festigkeit leinener Maschinen- und Handgarne; von K. Karmarsch. | 
| Fundstelle: | Band 123, Jahrgang 1852, Nr. LV., S. 314 | 
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                        LV.
                        Ueber die Festigkeit leinener Maschinen-
                           und Handgarne; von K. Karmarsch.Aus dessen Handbuch
                                       der mechanischen Technologie, 2te Anflüge, 1851, S.
                                    1191.
                           
                        Karmarsch, über die Festigkeit leinener Maschinen- und
                           Handgarne.
                        
                     
                        
                           Es kann nach allgemeiner Erfahrung in der Weberei als eine ausgemachte Thatsache
                              angenommen werden, daß Leinen-Maschinengarne nicht so leicht durch eine auf
                              sie ausgeübte Spannung abreißen, als Handgarne. Es mag diese Erscheinung theilweise
                              ihren Grund haben in der regelmäßigem Lage der Fasern, welche durch die mechanische
                              Vorbereitung des Materials erzielt und womit eine gleichmäßigere Anspannung aller
                              Fasern hervorgebracht werden könnte; allein vorzüglich entsteht die größere
                              Haltbarkeit der Maschinengarne aus deren größerer Gleichförmigkeit, d.h. dem
                              gänzlichen oder beinahe gänzlichen Mangel so dünner Stellen, wie im besten Handgarne
                              unaufhörlich angetroffen werden. Hierüber haben sorgfältig angestellte
                              Zerreißungsversuche folgendes gelehrt.
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 123, S. 315
                              Gewicht von 1000 hannov. Fuß Garn.
                                 Gramme; Dementsprechende englische Nummer; Zerreißendes Gewicht für den
                                 einfachen Faden, Loth kölnisch; Kleinstes; Größtes; Durchschn. aus acht
                                 Versuchen; Verhältniß des kleinsten zerreißenden Gewichts zu dem größten; Maschinengarne; Handgarne; Mittel
                              
                           Die Proben 1–6 waren englische Maschinenkettengarne (von Leeds) aus Rigaer
                              Flachs erster Qualität; 9–14 hannover'sches Handgespinnst, Kettengarne bester
                              Sorte; 7 und 8 belgische Maschinengarne; 15 und 16 hannover'sches Handgespinnst, von
                              einer sehr geschickten Spinnerin aus belgischem Flachse (demselben, woraus 7 und 8
                              bestanden) verfertigt.
                           Die letzte Spalte der Tabelle gibt zu erkennen, daß die in je acht
                              Zerreißungsversuchen beobachtete größte Festigkeit bei Maschinengarn das 1
                              1/4- bis nahe 2fache, durchschnittlich das 1 1/2 fache; bei Handgarn hingegen
                              das nahe 2fache bis 3 1/2 fache, durchschnittlich das 2 2/3 fache von der geringsten
                              Festigkeit des nämlichen Garns betrug; hiernach kann man sagen, daß die
                              Handgespinnste in dem Verhältnisse 156:241, d.h. reichlich um die Hälfte
                              beträchtlichere Ungleichheiten des Fadens durchschnittlich an den Tag gelegt haben,
                              als die Maschinengespinnste.
                           Um eine Vergleichung der durchschnittlichen Festigkeiten sämmtlicher Garnproben
                              vornehmen zu können, muß man dieselben auf eine gleiche Fadendicke umrechnen, nach
                              dem Grundsatze, daß, bei Fäden von nicht sehr verschiedener Dicke und übrigens
                              gleicher Art, die Festigkeit im Verhältnisse des Gewichts einer gleichen Länge
                              wächst und abnimmt. Reducirt man die Zahlen der vorletzten Spalte auf ein Gewicht
                              von 12 Grammen für 1000 Fuß, so erhält man folgende neue, vergleichbare
                              Resultate:
                           Ein Flachsgarnfaden, wovon 1000 Fuß 12 Gramme wiegen (engl. Nr. 40 1/4), zerreißt
                              durch folgendes Gewicht in Loth kölnisch.
                           
                              
                                 
                                 Maschinengespinnst
                                        
                                    Handgespinnst
                                 
                              
                                 
                                 nach
                                 1
                                   34,8 Loth
                                     nach
                                   9
                                   24,3 Loth.
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 2
                                   37,0   –
                                      
                                    –
                                 10
                                   26,9   –
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 3
                                   30,6   –
                                      
                                    –
                                 11
                                   32,2   –
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 4
                                   30,5   –
                                      
                                    –
                                 12
                                   31,4   –
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 5
                                   33,7   –
                                      
                                    –
                                 13
                                   32,1   –
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 6
                                   32,0   –
                                      
                                    –
                                 14
                                   31,1   –
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 7
                                   31,9   –
                                      
                                    –
                                 15
                                   31,3   –
                                 
                              
                                 
                                   –
                                 8
                                   36,8   –
                                      
                                    –
                                 16
                                   39,6   –
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 Hauptdurchschnitt
                                 
                                 
                                   33,4 Loth
                                 
                                 
                                   31,1 Loth.
                                 
                              
                           Da in diesen letzten Zahlen (weil sie aus Durchschnittswerthen der Festigkeit
                              abgeleitet sind) der Einfluß ungleich dicker Stellen als weggeschafft angesehen
                              werden kann, so gestatten dieselben einen Schluß auf den Einfluß der Spinnmethode an
                              sich. Dieser Schluß würde streng genommen dahin lauten müssen, daß Handgespinnst
                              durchschnittlich in dem Verhältnisse 334: 311, d.h. um 7 Proc. weniger haltbar sey
                              als Maschinengespinnst. Berücksichtigt man aber die unvermeidliche Verschiedenheit
                              des Rohmaterials (Flachses), so wird man sich zu dem Satze berechtigt erachten, daß
                              im Wesentlichen die Handspinnerei und die Maschinenspinnerei einen gleich festen
                              Faden erzeugen, nur die erstere den Mangel mit sich führt, zu viel dünne Stellen im
                              Gespinnste zu bilden, deren Festigkeit weit geringer ist, als die dem Garnfaden
                              überhaupt angehörige durchschnittliche Festigkeit.
                           Man kann nach Vorstehendem entnehmen, daß ein einzelner guter Flachsgarnfaden von Nr.
                              40 (= 5 3/4 hannov. Stück auf 1 Pfd. kölnisch) durchschnittlich von einem Gewichte =
                              1 kölnisch Pfund zerrissen wird. Setzt man das zerreißende Gewicht für einen gröbern
                              oder feinern Faden dieser Art)= G köln. Loth, die englische
                              Feinheitsnummer = N, die Anzahl Stücke aufs Pfund = S, so hat man zur Grundlage einer Schätzung
                           G = 1280/N oder G = 184/S.
                              
                           
                        
                           Zusatz.
                           Es wäre sehr zu wünschen, daß die Resultate der gründlichen Untersuchungen des Hrn.
                              Directors Karmarsch, über
                              die durchschnittliche Festigkeit welche die Leinen-Maschinengarne im
                              Vergleich mit den Handgarnen besitzen, in den weitesten Kreisen bekannt würden,
                              damit endlich das fast allgemein herrschende Vorurtheil der Nichtsnützigkeit des
                              Maschinengarns im wohlverstandenen Interesse unserer Leinen-Industrie
                              schwindet.
                           In einer unlängst von Quarizius über Flachsbau und
                              Linnenbereitung erschienenen Schrift wird ebenfalls das Maschinengespinnst unter
                              alles Mögliche herabgesetzt. Bei der Anzeige dieser Schrift (in den Mittheilungen
                              des hannoverschen Gewerbe-Vereins 1851, 63ste Lieferung) sagt Karmarsch:
                           
                              „Die Idee, daß man sich nur vor Maschinengespinnst und Chlorbleiche zu
                                 hüten brauche, um die deutsche Leinen-Industrie mit ihren
                                 Handgespinnst-Waaren wieder zu ihrer alten Blüthe zu erheben, ist,
                                 wenigstens in dieser Allgemeinheit, ein grundfalscher Gedanke, vor dem man nicht
                                 genugsam warnen kann. Wenn ein so intelligentes und industriöses Volk, wie das
                                 englische, sein Leinengeschäft eben durch Spinnmaschinen und Schnellbleiche in
                                 außerordentlichem Grade zu heben vermochte, welche vernünftige Analogie spricht
                                 wohl dafür, daß wir Deutsche diese Mittel verwerfen sollen, um – zu
                                 demselben Resultate zu kommen? Wer ferner den Gang der großen industriellen
                                 Entwickelung im neunzehnten Jahrhundert einer gründlichen Beobachtung gewürdigt
                                 und sich dabei von beengenden Schranken einer vorgefaßten Meinung frei erhalten
                                 hat, dem kann nicht entgangen seyn, daß in allen der Leinenfabrication
                                 verwandten Fächern das Maschinenwesen siegreich mit der Handarbeit wetteiferte,
                                 ja meist die letztere völlig unterdrückte, selbst wenn deren Product wahrhaft
                                 mit einem oder dem
                                 andern Vorzuge begabt war. Kann man sich der täuschenden Hoffnung hingeben, daß,
                                 es mit der Leinenfabrication allein entgegengesetzt gehen werde, zumal nachdem
                                 die Sache einmal zu dem Punkte gediehen ist, auf welchem sie gegenwärtig steht?
                                 – Oefters begegnet man auch bei Nicht-Technikern dem Vorurtheil,
                                 daß viele Leinenwaaren aus einem Gemisch von Flachs
                                 und Baumwolle bestehen, welches auf der Maschine zu Garn gesponnen wurde; dem
                                 Fabrikanten, welcher mit großen Kosten den Flachs zur Maschinenspinnerei fein
                                 zubereitet hat, kann es aber nicht einfallen, ihn alsdann durch Einmischung von
                                 Baumwolle zu verderben, selbst wenn diese Vermischung vortheilhafter und
                                 ausführbarer wäre als sie in der That ist.“
                              
                           
                              Ueber Claussen's Flachsbaumwolle.
                              Claussen hat über die Bereitung und Vortheile seiner
                                 FlachsbaumwolleMan s. die Patentbeschreibung im polytechn. Journal Bd. CXIX S. 445. eine Broschüre in englischer Sprache veröffentlicht, von welcher
                                 unlängst zwei UebersetzungenDer Flachsbau, seine nationale Bedeutung und
                                       Vortheile, nebst Anweisungen zur Bereitung von Flachsbaumwolle und zur
                                       Cultur des Flachses. Aus dem Englischen des Chevalier Claussen. 8. Braunschweig 1851.Die Flachsbewegung, ihre nationale Wichtigkeit
                                       und Vortheile, mit Anleitungen zur Bereitung der Flachswolle und der
                                       Cultur des Flachses, von Chevalier Claussen.
                                       Nach der zweiten Ausgabe, London 1851, aus dem Englischen übersetzt.
                                       Veranlaßt und mit einem Vorwort versehen von Karl Schmutz, Secretär der oberösterreichischen
                                       Landwirthsgesellschaft. 8. Linz 1851. erschienen sind. Hr. Karmarsch, welcher Claussen's Product selbst zu untersuchen Gelegenheit hatte,
                                 berichtet bei der Anzeige dieser Schriften a. a. O. folgendermaßen über
                                 Claussen's Resultate
                                 und die rücksichtlich seiner Erfindung gehegten Hoffnungen:
                              
                                 „Der Chevalier Claussen hat die Erfindung
                                    gemacht, den Flachs in eine kurzfaserige, baumwollartige Substanz zu
                                    verwandeln (Flachsbaumwolle oder Flachswolle von ihm genannt), welche mit
                                    Leichtigkeit auf den für Wolle und Baumwolle üblichen Maschinen versponnen
                                    werden kann, und der in seiner Broschüre eine Menge außerordentlicher
                                    Vorzüge nachgerühmt werden. Diese Zubereitung besteht wesentlich darin, daß
                                    der rohe Flachs mit schwacher Aetznatronlauge einige Stunden lang gekocht,
                                    dann in mit Schwefelsäure angesäuertes Wasser gelegt, getrocknet, gebrochen
                                    und geschwungen, hierauf in Stücke von erforderlicher Länge zerschnitten, in
                                    Soda-Auflösung eingeweicht, in sehr verdünnte Schwefelsäure
                                    gebracht, gebleicht, getrocknet, endlich wie Baumwolle gekrempelt und weiter
                                    verarbeitet wird.“
                                 
                              
                                 „Angenommen Claussen's Flachswolle könnte wirklich der Baum, wolle
                                    gleich werden, so ist doch so viel einleuchtend, daß dieß dem Flachse seine
                                    wichtigste Eigenschaft – Länge und Stärke der Faser – nimmt,
                                    womit der ganze Charakter des daraus gefertigten Gewebes sich ändert. Das
                                    Project geht so weit, die Flachswolle mit Baumwolle, Wolle und vollends
                                    Seide (!) gemengt zu spinnen, und das Publicum soll glauben gemacht werden,
                                    die Erfahrung habe sich vortheilhaft über ein solches Verfahren
                                    ausgesprochen. Wer jedoch die auf der Londoner Industrie –
                                    Ausstellung gewesene Probe von Flachswolle gesehen hat, der mußte erkennen,
                                    daß dieselbe an Feinheit und Gleichförmigkeit der Faser – aus leicht
                                    begreiflichem Grunde – die Baumwolle nicht von Ferne erreichte. Claussen hat im Interesse des Handelshauses Quitzow, Schlesinger und Comp. zu Leeds einen
                                    Versuch über Bereitung seiner Flachswolle zu Apperley Bridge (zwischen Leeds
                                    und Bradford) angestellt, und dieser Versuch ist dermaßen glänzend gescheitert, daß die Sache aufgegeben
                                    wurde, wie ich am Orte selbst erfuhr. Vier große, zum Kochen des Flachses
                                    mit Lauge bestimmte, durch Dampf zu heizende Behälter stehen ungebraucht.
                                    Das Vorgespinnst, welches man aus einem Gemenge von Flachswolle und
                                    Baumwolle darstellte, ist – wie die in meinen Händen befindlichen
                                    Proben beweisen – ein schlechtes, werthloses Product. Es gehört viel
                                    dazu, um nach solchen Erfahrungen von einem auf falsches Ziel gerichteten
                                    Bestreben nicht geheilt zu seyn. Wenn der nach Claussen's Methode zubereitete Flachs
                                    wirklich der Baumwolle an Schönheit und Brauchbarkeit gleich käme, oder gar
                                    sie überträfe, so wäre nicht einzusehen, weßhalb man ihn mit Baumwolle
                                    vermischt verarbeiten soll; ist er aber schlechter, so kann die mit ihm
                                    vermischte Baumwolle dadurch nur an Werth herabgesetzt werden: solche
                                    Mischkünstelei scheint demnach überhaupt ein unangemessenes
                                    Verfahren.“
                                 
                              Die Redact.