| Titel: | Das Collodium als Hausmittel; von Dr. Krell, praktischem Arzt in Hohenheim. | 
| Fundstelle: | Band 123, Jahrgang 1852, Nr. LXXXVI., S. 455 | 
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                        LXXXVI.
                        Das Collodium als Hausmittel; von Dr. Krell, praktischem Arzt in
                           Hohenheim.
                        Aus Riecke's Wochenblatt, 1852, Nr. 7.
                        Krell, über das Collodium als Hausmittel.
                        
                     
                        
                           Professor Schönbein in Basel,
                              der Entdecker der Schießbaumwolle, fand auch, daß sich dieselbe in Aether auflösen
                              lasse, und führte diese Auflösung, welche eine ziemlich dünnflüssige klare klebrige
                              Masse darstellt, zuerst unter dem Namen Schönbein'scher
                              Liqueur (Liquor
                                 sulphurico-aethereus constringens) in den Arzneigebrauch ein. Der
                              gegenwärtig allgemein gebräuchliche Name ist aber Collodium, Klebäther, den das Mittel von seiner Eigenschaft zu kleben
                              erhalten hat.
                           Es sind nun seit seiner Entdeckung mehrere Jahre verflossen, und es wurde dasselbe in
                              den ersten Jahren fast nur zu technischen Zwecken verwendet, in den letzten Jahren
                              dagegen fand dasselbe stets mehr und mehr Anerkennung, und es fängt an, wegen des
                              vielseitigen Gebrauchs, den man von demselben machen kann, so wie wegen seiner für
                              Jedermann leichten Anwendbarkeit, ein wahres Volksarzneimittel zu werden, das bald
                              in keinem Hause mehr fehlen dürfte, und der Einsender dieses glaubt dem
                              nichtärztlichen Publicum einen Dienst zu erweisen, wenn er die wichtigsten
                              Eigenschaften desselben, die Art und Weise, wie es anzuwenden, so wie die Fälle, in
                              denen es hauptsächlich zu gebrauchen ist, hier insoweit zusammenstellt, als es für
                              Jedermann zu wissen einen Werth haben kann.
                           Das Collodium muß, weil es leicht verdunstet, in Gläsern mit eingeriebenem
                              Glasstöpsel aufbewahrt werden. Es wird dasselbe mit einem kleinen Haarpinsel auf die
                              Haut oder überhaupt auf die Stelle, welche davon überzogen werden soll, aufgetragen;
                              hiebei ist aber zu beobachten, daß das Glas sogleich, als der Pinsel eingetaucht
                              ist, wieder geschlossen werde, und daß der Inhalt des Pinsels ohne Verweilen auf die
                              betreffende Stelle aufgetragen werde. Es ist deßhalb gut, wenn zwei Personen hiebei
                              thätig sind, besonders bei ausgedehnterer Anwendung.
                           Das Collodium bildet, auf die Haut gestrichen, in wenigen Secunden einen
                              firnißartigen, dünnen, luftdichten Ueberzug, der für das Wasser undurchdringlich
                              ist. Wird die Schichte mehrmals überstrichen, so zieht sich die Haut von der Nachbarschaft etwas
                              zusammen. Durch die Verdunstung des Aethers wird Kälte erzeugt, die Temperatur des
                              bestrichenen Theils wird für kurze Zeit eine bedeutend niedrigere, was für den
                              Heilzweck in manchen Fällen von großem Werth ist. Die Verdunstung geht so schnell
                              von statten, daß der Ueberzug in wenigen Secunden trocken ist.
                           Man bedient sich des Collodiums in allen Fällen, in denen man die Luft abhalten will
                              und auf künstliche Art einen Ueberzug, eine Haut bilden möchte, also überall da, wo
                              man sonst das sogenannte englische Pflaster anwendete, z.B. bei Hautabschürfungen an allen Theilen des Körpers, besonders
                              im Gesicht, bei allen einfachen Wunden, z.B. an den Augenliedern, den Lippen, der
                              Nase, dem Halse etc.; bei Schrunden an den Händen und
                                 Lippen, bei den durch das Waschen bei Wascherinnen aufgeriebenen Händen,
                              die besonders zur Winterszeit sehr schmerzhaft sind, hauptsächlich wenn die
                              Hausfrauen, um ihre Wäsche sehr rein zu bekommen, etwas starke Lauge genommen haben.
                              Ein zweimaliges Bestreichen mit Collodium wird die armen Wascherinnen in Stand
                              setzen, in kurzer Zeit ihrem Verdienst wieder nachzugehen.
                           Das Collodium bietet dem Wanderer, der sich die Füße wund gelaufen hat, Gelegenheit,
                              sich für den nächsten Morgen geheilte Füße zu verschaffen. Eingewachsene Nägel an
                              den Zehen wurden auch durch dieses Mittel schon zur Heilung gebracht, können durch
                              Collodium geschlossen werden.
                           Blutegelstiche, welche oft länger bluten, als es gewünscht wird, und welche besonders
                              bei Kindern manche Mutter, ja sogar den Arzt schon in Verlegenheit gebracht haben,
                              werden durch Collodium leicht geschlossen.
                           Wunde Brustwarzen, eine so häufige und große Plage der stillenden Mütter, ja oft das
                              einzige Hinderniß, daß eine Mutter ihr Kind nicht zu stillen vermag, heilen in
                              kurzer Zeit unter der schützenden Decke des Collodiums.
                           Bei alten flachen Geschwüren, die keine Neigung zur Heilung zeigen, besonders an den
                              Füßen, hat man das Collodium als treffliches Heilmittel erkannt.
                           Nothlaufentzündungen, wenn sie noch nicht in Eiterung übergegangen sind, heilen in
                              kurzer Zeit durch die Anwendung dieses Mittels und der Schmerz wird dadurch sehr
                              gemildert.
                           Zahnschmerzen, wenn sie von dem Zutritt der Luft in hohle
                              Zähne herrühren, hören augenblicklich auf, wenn durch das Auspinseln des hohlen
                              Zahns mit Collodium die Luft abgehalten wird, ja es lindert sogar oft den Schmerz,
                              wenn nur die betreffende Wange damit überstrichen wird.
                           Den größten Nutzen gewährt aber das Collodium bei Brandwunden und Frostbeulen. Bei
                              Brandverletzungen ist es bekanntlich eine Hauptfache, wenn von den verletzten
                              Theilen die Luft abgehalten werden kann, was bisher durch Watte, Seifenbrei, Oel,
                              Oel mit Wachs und dergl. vielfach und auch mit Nutzen geschehen ist, aber alle diese
                              Mittel erfüllen nur ungenügend diesen Zweck. Das Collodium dagegen hält die Luft
                              vollkommen ab, erzeugt im Augenblick der Anwendung die so nöthige und wohlthätige
                              Kälte und läßt sogar, was sehr wichtig ist, weil es für Wasser undurchdringlich ist,
                              den Gebrauch von kalten Umschlägen zu. Man kann einen durch Verbrennen Beschädigten
                              mit wenigen Pinselstrichen, auch bei sehr ausgedehnten Verbrennungen, fast
                              augenblicklich von seinen großen Schmerzen befreien und die Heilung erfolgt in
                              verhältnißmäßig kurzer Zeit.
                           Ebenso verhält es sich mit den Frostbeulen, seyen es Geschwüre oder Entzündungen
                              durch Frost hervorgebracht. Hier wirkt im Augenblick der Anwendung das Collodium als
                              Reizmittel (es brennt nämlich für kurze Zeit an den von Haut entblößten Stellen) und
                              schließt die Luft ab. Die Schmerzen hören an den kranken Stellen auf, die Geschwulst
                              setzt sich und die Frostbeulen oder Frostgeschwüre kommen in kurzer Zeit zur
                              Heilung. Das Collodium muß hier, wie überhaupt in allen Fällen, besonders auch bei
                              Brandverletzungen, täglich wenigstens zweimal und zwar jedesmal mit mehreren
                              Pinselstrichen aufgetragen werden, weil dasselbe sich nach 10–12 Stunden
                              abblättert und zuletzt in Fetzen herabhängt.
                           Das Collodium kann auch bei Hausthieren ebenso wie bei dem
                              Menschen in Anwendung, natürlich in beschränkterer Weise, gebracht werden. Es ist
                              jedoch hier vielleicht in vielen Fällen als Klebemittel
                              anwendbar, wo man sonst die Naht anzuwenden pflegte, weil bei Thieren von dem
                              gewöhnlichen Klebemittel, dem Heftpflaster, keine Anwendung gemacht werden kann.
                           Es gibt Menschen, welche eine sehr reizbare Haut haben, so daß sie nicht einmal ein
                              Heftpflaster bei einfachen Wunden anwenden können, ohne einen Ausschlag zu bekommen;
                              für solche ist besonders das Collodium sehr zu empfehlen.
                           Das Collodium dient aber nicht bloß dazu, vorhandene Verletzungen und Entzündungen
                              zur Heilung zu bringen, sondern auch durch Abhaltung der äußeren Luft die damit bestrichenen Theile
                              vor Erkältung zu schützen, und es ließen sich leicht, so
                              wunderlich es klingen mag, bei großer Kälte die dem Erfrieren am meisten
                              ausgesetzten Theile, die Nase und das äußere Ohr, wie auch der Hals bei solchen, die
                              große Neigung zu Halsbräune haben, damit schützen.
                           Nicht zu übersehen ist, daß das Collodium aus Schießbaumwolle, wenn auch in
                              aufgelöster Gestalt, besteht, es darf deßhalb kein Licht in unmittelbare Berührung
                              mit demselben gebracht werden, weil es sich sonst entzünden und verpuffen würde. Das
                              Loth Collodium kostet gegenwärtig 8 Kreuzer, und so empfiehlt sich dasselbe auch
                              durch seine Wohlfeilheit unseren Hausfrauen. Mögen sie nicht oft in die Lage kommen,
                              dasselbe anwenden zu müssen.