| Titel: | Ueber die Anwendung der Pikrinsäure zur Unterscheidung von Geweben vegetabilischen und thierischen Ursprungs; von Dr. J. J. Pohl. | 
| Fundstelle: | Band 129, Jahrgang 1853, Nr. XIII., S. 61 | 
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                        XIII.
                        Ueber die Anwendung der Pikrinsäure zur
                           Unterscheidung von Geweben vegetabilischen und thierischen Ursprungs; von Dr. J. J. Pohl.
                        Aus den Sitzungsberichten der k. k. Akademie der Wissenschaften in
                                    Wien, Bd. IX S. 386.
                        Pohl, über die Anwendung der Pikrinsäure zur Unterscheidung von
                           Geweben.
                        
                     
                        
                           Die von Hausmann 1788 entdeckte Pikrinsäure (auch
                              Nitropikrinsäure, Kohlenstickstoffsäure, Welters-Bitter, Nitrospiroylsäure, Nitrophänissäure, Chrysolepinsäure
                              u.s.w. genannt), vor wenig Jahren noch als Seltenheit in den Präparatensammlungen
                              der chemischen Laboratorien aufbewahrt, ist jetzt nicht nur um einen verhältnißmäßig
                              billigen Preis im Handel zu beziehen, sondern wird auch in großer Menge in der
                              Seiden- und Schafwollfärberei verwendet. Man vermag nämlich mit derselben
                              Schafwolle, Seide und andere Fasern thierischen Ursprungs ohne weitere Vorbereitung
                              durch Anbeizen gelb mit einem Stich ins Grünliche zu färben, welche Farbennüance bis
                              jetzt durch keinen anderen Farbstoff erhalten werden kann. In der Baumwoll-
                              und Leinenfärberei ist hingegen die genannte Säure nicht verwendet, da es unter
                              keiner Bedingung gelingen wollte damit irgend eine Farbe auf der Pflanzenfaser
                              hervorzurufen.
                           Obschon seit längerer Zeit mehr als ein Verfahren bekannt ist, um Wolle und Seide von
                              Baumwolle und Leinen zu unterscheiden, selbst vor kurzem ein auf die Anwendung der
                              Lösung von Bleioxyd in Aetzkali oder Kalkwasser gegründetes angegeben wurde, so sind
                              doch viele davon zu umständlich und erfordern den Gebrauch zu kostspieliger
                              Instrumente, wie z.B. des Mikroskops, um allgemein anwendbar zu seyn. Die meisten
                              dieser Prüfungsweisen
                              sind aber auch unsicher und lassen bei sogenannten Halbwollen- und
                              Halbseidenstoffen, so wie bei gefärbter Waare gänzlich im Stiche.
                           Ich versuchte bereits zu einer Zeit, wo die Anwendung der Pikrinsäure bei uns fast
                              unbekannt war, diese Säure als Unterscheidungsmittel der erwähnten Fasern zu
                              benutzen, und da sich die gewählte Prüfungsweise seitdem vollkommen bewährte und als
                              höchst einfach herausstellte, so halte ich die Mittheilung derselben für
                              gerechtfertigt.
                           Das von mir gewählte Unterscheidungsmittel thierischer von vegetabilischen Fasern
                              besteht bloß in einer Lösung der Pikrinsäure in Wasser oder Weingeist, welcher
                              letztere mehr davon aufnimmt; die so mit Säure gesättigte Flüssigkeit wird in einer
                              gut verschlossenen Flasche aufbewahrt.Unter den bisher bekannten Bereitungsarten dieser Säure dürfte die von Guinon (polytechn. Journal Bd. CXXIII S. 372) angegebene die
                                    zweckmäßigste sehn.
                              
                           Soll ein Zeug behufs seiner Bestandtheile geprüft werden, so verdünnt man einen
                              kleinen Theil der wässerigen Lösung mit ungefähr sechs Theilen, die alkoholische
                              Lösung hingegen mit 15 bis 20 Theilen Wasser und bringt ein kleines Stückchen der zu
                              prüfenden Waare oder eine Ecke derselben in die verdünnte Säurelösung. Bei
                              gewöhnlicher Temperatur, nach 6 bis 10 Minuten, bei Verwendung einer bis 40°
                              C. erwärmten Flüssigkeit, höchstens schon 2 bis 3 Minuten, wird der Zeug oder das
                              Garn herausgenommen und in Wasser ausgewaschen. Eine bloß aus Baumwolle oder Leinen
                              gesponnene oder gewebte Waare erscheint nach dem Waschen vollkommen weiß; besteht sie jedoch aus Schafwolle, Seide oder einer
                              anderen thierischen Faser, so ist sie gelb gefärbt,
                              vorausgesetzt, daß ungefärbte Fasern zum Versuche
                              dienten. Bei gemischten Zeugen, z.B. chaine-cotons, zeigt sich bloß die thierische Faser gefärbt, die
                              Pflanzenfaser hingegen bleibt weiß. Die Probe ist so scharf, daß selbst in solchen
                              Geweben oder Gespinnsten, wo der einzelne Faden selbst wieder aus zweierlei
                              Substanzen besteht, wie dieß in neuester Zeit ziemlich häufig vorkommt, noch das
                              Verhältniß der Thier- zur Pflanzenfaser, bei hinreichender Vergrößerung
                              mittelst einer Loupe genau ermittelt werden kann. Gebraucht man bei diesen
                              Halbwollen- oder Halbseidenstoffen einen gewöhnlichen Fadenzähler,Prokesch in Wien verfertigt diese Fadenzähler von
                                    ausgezeichneter Qualität um 5 fl. C.-M. per Stück. so läßt sich sogar quantitativ mit aller wünschenswerthen Genauigkeit die
                              Menge der vorhandenen thierischen oder, nach Belieben, der vegetabilischen Fasern
                              nachweisen.
                           
                           Das eben Gesagte gilt nur für nicht mit Farben ausgefärbte oder bedruckte Waare,
                              allein auch bei den meisten Farben, wie z.B. Orange, Roth, Fahlfarb, Rostgelb, dann
                              Violett, jeder Art von Blau und gewissen braunen Farben, bleibt dieses
                              Prüfungsmittel anwendbar. Da nämlich die gewöhnlich gebrauchten Beizen, wie
                              Thonerde- und Zinnsalze, Blei- und Eisenverbindungen, die gelbe Farbe
                              der Pikrinsäure nicht wesentlich verändern, sondern nur mehr oder minder ins
                              Hochgelbe ziehen, so werden mit den genannten Farben versehene Zeuge durch
                              Eintauchen in die Probesäure keine auffallende Veränderung in der Farbennüance
                              erleiden, wenn sie aus Pflanzenfasern bestehen. Dieß geschieht jedenfalls bei
                              Vorhandenseyn von thierischen Fasern, und aus der wesentlich veränderten Farbe
                              derselben kann noch mit völliger Sicherheit auf die Gegenwart von bloßer
                              Pflanzen- oder Thierfaser, auch eines Gemenges beider geschlossen werden. So
                              wird Roth auf Schafwolle, je nach dem ursprünglichen Farbentone, durch Pikrinsäure
                              ins Morgenrothe, Johannisbeerrothe oder Orange übergeführt, Rostgelb mehr ins
                              Hochgelbe, blaue Farben in Grün und grüne Farben in Gelbgrün.
                           Die Probe ist so einfach und erfordert so wenig Kunstgriffe, daß sie von Jedermann,
                              ja sogar in der Niederlage und in allen Magazinen ausgeführt werden kann, da in
                              diesem Falle das bloße Betupfen mit Pikrinsäure, 8 bis 10 Minuten langes Ruhenlassen
                              und nachheriges Auswaschen der betreffenden Stelle mit etwas Wasser, vollkommen
                              ausreichen.
                           Steht keine Pikrinsäure zu Gebote, so kann man sich durch augenblickliche Bildung
                              derselben am Zeuge selbst helfen. Es wird nämlich das zu prüfende Muster mit
                              concentrirter Salpetersäure von ungefähr 1,3 spec. Gewicht bei gewöhnlicher
                              Temperatur in Berührung gebracht; reine Baumwolle und Flachsfasern zeigen nach 1 bis
                              2 Minuten langer Einwirkung und darauf erfolgtem Auswaschen keine Farbenveränderung,
                              da durch die Salpetersäure aus den genannten Fasern nur farblose Verbindungen
                              gebildet werden; thierische Faser, wie Wolle und Seide, erscheint jedoch gelb
                              gefärbt, weil auf Kosten ihrer Bestandtheile Pikrinsäure entsteht, die sogleich vom
                              Gewebe oder Garne fixirt wird. Diese einfache und beim ersten Anblick vortheilhafte
                              Prüfungsweise hat jedoch mehrere Nachtheile: der Zeug wird durch die freie
                              Salpetersäure angegriffen, oft auch zerstört, bereits gefärbte Waare kann wegen der
                              Wirkung dieser Säure auf die meisten Farben nicht mehr geprüft werden, und sind
                              Staub oder andere Unreinigkeiten, so wie eine stickstoffhaltige Appretur am Zeuge
                              vorhanden, so färben sich auch die Pflanzenfasern schwach gelb, in Folge dessen zur
                              sicheren Entscheidung schon einige Uebung gehört.
                           
                           Ich halte daher das letztgenannte Verfahren nur für den Nothfall als praktisch
                              anwendbar und benutze lediglich die Lösung der Pikrinsäure zur Unterscheidung
                              thierischer von vegetabilischen Fasern, welches letztgenannte Reagens vollkommene
                              Sicherheit gewährt und die zu prüfenden Waarenmuster nicht zerstört.